III. Die Ortsnamenforschung

hat eine besondere wissenschaftliche Zeitschrift erhalten, was bei dem stark gewachsenen Interesse und dem allzu häufigen Dilettantismus auf diesem Gebiet sehr zu begrüßen ist. Es ist ein riesiges Arbeitsfeld, bei dem ein Zusammenarbeiten von Germanisten, Archäologen, Historikern und Geographen sich fruchtbar auswirken kann. Überall verlangt man nach klarer Erkenntnis der Siedlungsvorgänge und sicherer Deutung der Ortsnamen. Feldmann ( 659), durch fleißige Arbeiten auf dem Gebiet der Namenforschung bekannt, gibt eine sachlich geordnete, zusammenfassende Darstellung über die Bildung der Ortsnamen. Er wendet sich nicht an die stets Begründung verlangenden Forscher, die denn auch nicht immer befriedigt werden, sondern an weite Leserkreise, denen das leicht geschriebene Buch zweifellos manche Anregung geben kann. Sturmfels ( 661) will mit seinem Buch vor allem den Lehrern helfen, den erdkundlichen Unterricht durch Erklärung der Ortsnamen anziehend zu gestalten. Er behandelt die wichtigsten deutschen und fremdländischen Namen und bringt neben der sprachlichen auch die erforderliche sachliche Erklärung kurz und klar und, soweit ich es nachprüfen konnte, im wesentlichen richtig, wenn ihm auch einige Versehen unterlaufen sind.

In einer großzügigen Übersicht ( 660) spricht Bohnenberger über die Bildung der deutschen Ortsnamen. Die Beachtung aller sprachlichen und sachlichen Merkmale führt für bestimmte Ortsnamen und Siedlungsperioden zu der Auffassung eines engen Zusammenhanges zwischen Ortsnamen und Ortschaft, also zwischen Wort und Sache. Die häufigste Bezeichnung für Gruppensiedlungen ist die Bildung mit -dorf. Die einzelnen Landschaften sind an der Verwendung der -dorf-Bezeichnung verschieden beteiligt, meist sind es Landstriche bescheidener Güte oder später Besetzung durch deutsche Siedler. Vielfach geben sie einen Hinweis auf die Rechtsverhältnisse, andere gehen auf Personennamen zurück und sind grundherrliche oder Unternehmeranlagen. Ob die -wîk-Ortschaften auf lat. vicus zurückgehen, ist ihm sehr zweifelhaft. Die -weiler-Orte gehören dem Westen und Süden an, von Köln bis zum Bodensee linksrheinisch, im Süden auch rechtsrheinisch. Die -heim-Bildungen bezeichnen Dörfer, die vom Besitz, der Zugehörigkeit ausgehen und sind nach B. ursprünglich bei den salischen Franken zu Hause. -leibe, -leben meint ursprünglich Hinterlassenschaft, angestammten Besitz. Ortschaften, mit diesem Begriff verbunden, deuten auf gute Lage und Wohlhabenheit und finden sich vorzugsweise in Nordschleswig, Sachsen, zwischen Saale und Elbe. Siedlungen mit -büttel, nur im Nordosten verbreitet, sind wahrscheinlich ursprünglich Herrensitze. In ähnlicher Weise behandelt B. Ortsnamen auf -burg, -stadt, būr, -hütte, -kote, -sedel, -zimmer, -sal, -stube, -stadel, -borstel, -hagen, -hof, -hausen und weist den Zusammenhang zwischen Namen und Siedlung nach. -- Über die -heim- und -weiler-Namen Alemanniens hat B. gesondert gearbeitet ( 674). Er glaubt einen Zusammenhang dieser Bildungen mit den Franken nachweisen und ihre Namengebung mit dem 6. Jahrhundert bestimmen zu können. Die zahlreichen Orte mit -kirchheim weisen nach B. in Alemannien auf das 7. bis 8. Jahrhundert, sie folgen zeitlich den -ingen-Namen und gehen den -hausen- und -hofen-Namen voran. Die -weiler-Namen hatte Behaghel aus


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sprachlichen und sachlichen Gründen als fortbestehende römische Gutshöfe gedeutet. B. bestreitet ihr besonderes Zusammentreffen mit römischen Anlagen für Alemannien, zumal sie meist in ungünstigem Gelände liegen und unbedeutende Kleindörfer sind. Den Einfluß des Romanischen hält B. zwar nicht für ganz ausgeschlossen, sieht aber in den -weiler-Orten Alemanniens vorwiegend junge deutsche Kleingruppensiedlungen.

Schwarz ( 662) knüpft an die Tatsache mehrfacher Entlehnungen von lateinischen Wörtern im Deutschen und deutschen im Slawischen die Beobachtung, daß bei einem Nebeneinander verschiedensprachiger Völker mehrfache Entlehnungen von Ortsnamen wiederholt festzustellen seien, und bringt zahlreiche Beispiele aus den östlichen Alpenländern, der Steiermark, den Sudetenländern. Es ist zweifellos, daß eine derartige Betrachtung wichtige Hinweise für die Siedlungsgeschichte zu geben vermag, auch dort, wo im Laufe der Zeit ein Sprachstamm aufgesaugt worden ist. -- Schnetz ( 663) behandelt in stetem Zurückgehen auf die ältesten erschließbaren Quellen mehrere Orts- und Flurnamen. 1. Laufzorn, in dem er -zorn aus slaw. drrno = Rasen (russ. dert' = Rodeland) herleitet. 2. Bessingen < Beinseggesuuang = Grasland des Beinseggi, wobei die Verwendung des in Alemannien und Bayern häufigen -wang für Unterfranken freilich auffällig bleibt. 3. Jeusing (Flurname im Bezirksamt Schweinfurt) wird aus einem Personennamen Jeuso erklärt. 4. Der Flußname Lauer geht auf hlūr = rein, hell zurück. 5. Innerste (Nebenfluß der Leine) < Indrista, das als Indr + ista aufgefaßt und durch Zornbach übersetzt wird. --Schnetz ( 664) lehnt die heute herrschende Herleitung der Fluß- und Ortsnamen auf -apa aus dem Keltischen ab. Er geht von dem schwarzwäldischen Ortsnamen Alpfen aus, dessen Urform er auf Alappa zurückführt; diesen Namen hält er für deutsch, -apa für eine altgermanische Bildung. Wenn Schwarz ( 665) Ortsnamen wie Weichs, Totenweis, Enzenweis, Schwäbelweis, Weisham auf ahd. wîhs, got. weihs = Dorf, Flecken zurückführt, so hätte man einen Hinweis auf Wredes »Ingwäonisch und Westgermanisch« gewünscht. Von Ettmayer ( 666) behandelt gallische und nicht gallische Ortsnamen in Oberitalien. Er weist die vorrömischen Namen Oberitaliens nicht den Kelten zu, denn diese müssen, als sie Oberitalien besetzten, ein dicht besiedeltes Land vorgefunden haben. Vielmehr denkt er in erster Reihe an das Ligurische. Aus der interessanten Fülle der besprochenen Namen greife ich hier nur einen Hinweis auf die gründliche Behandlung des Namens Alpen heraus. In einer zweiten Arbeit ( 667) beschäftigt sich v. Ettmayer mit dem Ortsnamen Bozen, als dessen älteste Form ihm Bauzanum erscheint. Er vergleicht es mit Baussano, Bosso, Bossone, und will das Wort auf ein hypothetisches bautjo zurückführen, das er als ringförmigen Dornverhau zu Befestigungszwecken wiedergibt. Da die geographische Verbreitung der auf bautjo zurückzuführenden Ortsnamen sich mit dem Gebiet der italischen Ligurer deckt, so hält er Bozen für ein ligurisches Wort.

Seiner fleißigen und für die Lokalforschung grundlegenden Sammlung der Siedlungsnamen des Bistums Eichstätt vom Jahre 1923 läßt Bacherler ( 668) einen kurzen Nachtrag folgen, der sich mit der Deutung einiger Ortsnamen befaßt. Freiherr von Guttenberg ( 671) erklärt in breiter Abhandlung den Flußnamen Main als »großer Fluß«, von Planta ( 672) überzeugend den


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Namen des Kirchleins Feldis bei Chur als aus Hippolytus, dem es geweiht war, entstanden. Schnetz ( 673) behandelt den vom Geographen von Ravenna als civitas der patria Alamannorum erwähnte Theodoricopolis, dessen bisherige Lösungen (besonders die von Miedel) er ablehnt. Auf Grund der paläographischen Besonderheiten des Werkes glaubt Schnetz, das in der Handschrift stehende Cariolon Theodoricopolis in Curia id ē (est) Theodoricopolis ändern und den Ort mit Chur identifizieren zu dürfen; auch sachlich sucht er diese Gleichung zu begründen.

Veeck ( 675) knüpft an Bohnenbergers Erklärung der alemannischen -heim-Orte als fränkische Siedlungen an und sucht auf Grund archäologischer Funde nachzuweisen, daß eine Anzahl alemannischer -heim-Orte schon in vorfränkischer Zeit bestand, daß demnach die Deutung der -heim-Orte in Württemberg als typisch fränkische Siedlungen nicht haltbar sei.

Schmidt-Petersen ( 681) gibt nach einer Einleitung über die Bedeutung der Flurnamen und die Prinzipien für ihre Benennungen eine allgemeine Übersicht über die Bildung der nordfriesischen Flurnamen, namentlich über die Zusammensetzungen, sodann eine Aufzählung der Flurnamen auf Grund mündlicher Aufnahmen bei Wanderungen, unter Zuhilfenahme von Archivalien und Karten: Sylt, Föhr, Amrum, die Halligen (Helgoland), das Festland (Wiedingharde, Bökingharde usw.). Elf Karten geben eine wünschenswerte Ergänzung zu der Flurnamensammlung, die für die Siedlungsgeschichte, Geographie, Sprache Nordfrieslands von hohem Interesse ist.

Ludwig Traub ( 676) lehnt eine Beziehung des Ortsnamens Ulm zu dem Baumnamen Ulme mit Recht ab und führt den Stadtnamen auf den Namen des bei der Stadt in die Donau fließenden, heute Blau genannten Flusses zurück, als dessen ältere Formen er Ilm, Elm, Ulm erschließt; Ulm bedeute nichts anderes als Fluß oder Strom. Witte ( 681 a) verweist auf das nunmehr bis zum Jahre 1400 reichende Mecklenburgische Urkundenbuch, in dem zahlreiche Orts-, Flur- und Personennamen enthalten sind, die von philologischer Seite noch nicht ausgewertet worden sind. Im besonderen führt er aus zwei Grenzbeschreibungen vom Jahre 1174 und 1232 slawische Ortsbenennungen an, die den Slawisten wie die Historiker in gleicher Weise interessieren dürften. Seeliger ( 684) empfiehlt die Einführung der alten Straßennamen Kugelzipfel und Klobengasse in Zittau an Stelle der jüngeren uncharakteristischen Namen. Paul Müller ( 685) gibt eine verdienstliche Übersicht über die bisherigen Deutungsversuche des Namens Danzig, wissenschaftliche und dilettantische Arbeiten in gleicher Weise berücksichtigend. Als Ergebnis dieser Studien, besonders der von Lorentz, Rudnicki, Brückner, ist festzustellen, daß die älteste erschließbare Namensform Gudanisku ist. Unter Hinweis auf Gutna, Guthalus, Gdingen u. a. nimmt Müller eine Wurzel gud mit Suffix-ynia = anje an, setzt gud in Beziehung zu lat. fundo und vermutet als Bedeutung für den Danziger Gau »Stromland«. Im Anschluß an die bisherigen Untersuchungen nimmt Müller an, daß in Danzig ein Gauname vorliege, der zu einem Flußnamen geworden sei, und vorsichtig verweist der Verfasser auf germanische Orts- und Flurnamen, wie Hela, Oxhöft, Heisternest, Holm, Elbing. M. Förster ( 686 a) behandelt in umfassender kritischer Untersuchung den Namen Donau, als dessen Grundform er Dānuvius erschließt. Die bisher vorgetragenen Erklärungsversuche aus dem Keltischen (»kühn, schnell«) befriedigen ihn nicht,


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auch nicht die in jüngster Zeit ausgesprochene Ansicht, daß der Name Dānuvius, im Mündungsgebiet entstanden, sich durch awest. dānu = Fluß deuten lasse. Er weist vielmehr nach, daß dānu = Fluß außer in dem Indisch-iranischen sich auch im Keltischen belegen lasse, und zwar in England, also auf ehemals keltischem Boden. Es bestehe daher vom sprachlichen Standpunkt aus kein Grund, den Flußnamen Dānuvius als eine Schöpfung der südrussischen Iranier anzusehen. Ist aber dānu ein gemein-indogermanisches Wort, so kann, sprachlich genommen, jeder indogermanische Dialekt an ihm beteiligt sein, und die Entscheidung darüber, welche indogermanische Sprachgemeinschaft den Namen tatsächlich gegeben hat, muß von der Geschichtsforschung erfolgen. Der Name tritt zunächst als Benennung des Oberlaufs des Flusses in die Geschichte zu einer Zeit, als die Kelten am Oberlauf der Donau wohnten. So ist es wahrscheinlich, daß auch sie dem Fluß den Namen gegeben haben, und zwar in der Bedeutung Strom, Fluß. Vasmer ( 690) bespricht die Arbeiten von Schwarz und Gierach zur Namen- und Siedlungsforschung in den Sudetenländern. Wenn er auch in grammatischer Hinsicht manche Zweifel gegen Schwarz äußert, so erkennt er doch einen Teil der Etymologien, namentlich der germanischen Flußnamen in Böhmen, an. Gierach behandelt keltische und germanische Namen Böhmens aus der Zeit vor der Slaweneinwanderung, die für das 6. Jahrhundert anzusetzen sei. Auch Schnetz ( 686) beurteilt das Buch von Schwarz, trotz zahlreicher Ausstellungen im einzelnen, günstig; es bedeute besonders in der Verbindung von Namenforschung und Siedlungsgeschichte einen starken Schritt vorwärts. Ähnlich äußert sich Steinhauser ( 686), der darauf hinweist, daß nur für wenige Orte Böhmens sich dauernde Germanensiedlungen von der Völkerwanderung an nachweisen lassen. »Jene, die über die Zukunft des deutschen Volkes zu wachen haben, mögen daraus lernen, wie rasch und gründlich germanisches Volkstum, mag es ein Land auch 500 Jahre bewohnt haben, schwindet, wenn es von seinen umwohnenden Volksgenossen im Kampf gegen ein fremdes Siegervolk im Stich gelassen wird.«

Klatt ( 689) spricht von den deutschen Dörfern, die 1785--1806 in der Gegend von Lodz in Kongreßpolen gegründet worden waren, sowie von den deutschen Dörfern in den Weichselniederungen, von Warschau stromabwärts und den sonst verstreut liegenden deutschen Ortschaften. Mucke ( 691) behandelt die wendischen Ortsnamen der Niederlausitz. Er teilt die wendischen Siedlungen in drei Gruppen: Sippendörfer, Rittersitze (Besitzdörfer) und Abbauorte (Ausbaudörfer, Neusiedlungen). Als charakteristische Endung für die Sippensiedlung hält er -ojce (in deutschem Gewande -itz), für die Besitzdörfer -ow, -in, -yn, -z, -c, -š; die Abbauortsnamen sind meist ursprüngliche Flurnamen mit mannigfaltigen Änderungen. Nach diesen Bildungen werden von Mucke die wendischen Ortsnamen in den Kreisen Kottbus, Luckau, Lübben, Guben, Kalau, Spremberg, Sorau, Beeskow-Storkow gruppiert und wertvolle Materialien für Siedlungs- und Sprachgeschichte bereitgestellt. --


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