I. Arbeiten allgemeinen Inhalts.

Die allgemeine Literatur des vor- und frühgeschichtlichen Arbeitsgebietes gibt ein Fortschreiten auf dem Wege zu der inneren und äußeren Festigung der deutschen Archäologie zu erkennen. Die Vorwürfe allgemeinerer Art suchen sich über den mehr antiquarisch gerichteten Standpunkt hinaus zu erheben und streben nach einer eigentlich geschichtlichen Auffassung ihres Stoffes; daneben ist der Ausbau der Nachschlagewerke zu beachten.

Der zweite Band des Vorgeschichtlichen Jahrbuches ( 710) ist an Umfang doppelt so groß wie der erste. Einige Ungleichheiten, die der letztere aufwies, sind jetzt ausgeglichen; das Vorbild des ersten Jahrganges hat die Abstoßung mancher Kanten bewirkt. Während der Abschnitt »Europa, Allgemeines« im ersten Jahrgang auf nur drei Seiten ein buntes Nebeneinander bot, gibt er jetzt bei zehn Seiten Umfang und einer sehr in die Einzelheiten gehenden Gliederung eine tiefere Durcharbeitung zu erkennen.

Das Reallexikon der Vorgeschichte ( 711) erreicht mit dem 6. Bande den Buchstaben K. Man begrüßt trotz des Vorhandenseins einiger Ungleichmäßigkeiten in der Behandlung des Stoffes das Werk, welches eine durch Jahrzehnte hindurch geleistete Kleinarbeit zusammenfaßt, ein handliches, mit reichem Abbildungsstoff versehenes Nachschlagewerk darstellt und den gegenwärtigen Stand der Forschung veranschaulicht. Darüber hinaus aber gibt es der weiteren Arbeit Richtung und Ziel; es lehrt die Lücken unserer Erkenntnis und zeigt, wo der Forschung heute noch der Anschluß an die Nachbargebiete fehlt. Seit dem Erscheinen von Hoops' Reallexikon der germanischen Altertumskunde hat die deutsche Archäologie enge Fühlung mit der Germanistik. Das Reallexikon der Vorgeschichte fand eine solche mit der klassischen Archäologie und der Orientalistik noch nicht vor; sein Hauptverdienst wird es wohl stets bleiben, sie hergestellt zu haben. (Vgl.: Deutsche Literaturzeitung 1925, Sp. 2391 ff., G. Karo.)

Da Reallexikon und Jahrbuch, die wir beide der Tatkraft von M. Ebert verdanken, jede Arbeit auf prähistorischem Gebiete wesentlich erleichtern, steht wohl zu hoffen, daß die Forschung sich jetzt etwas mehr als bisher dem Studium der inneren Zusammenhänge widmet. Denn die heute vorliegenden Werke darstellender Art befriedigen meist nur in begrenztem Maße. Dies gilt auch von dem Buche Kossinnas ( 713). Es kennt in sehr einseitiger Aufmachung nur den germanischen Stoff, und auch ihn nur so weit, als er die These von der »altgermanischen Kulturhöhe« zu stützen geeignet ist. Es fügt die germanische Welt der Vorzeit nicht in einen größeren Rahmen ein; es spricht nur


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von der germanischen und nicht, wie im Titel versprochen, von der deutschen Vorgeschichte, und hinterläßt infolge aller dieser Unterlassungen bei der Mehrzahl der Leser ein ganz falsches Bild. Der Verfasser vergißt vollkommen, daß die Bewohner Mitteleuropas und des südlichen Skandinaviens vom 3. vorchristlichen Jahrtausend an bis zum Beginn des Mittelalters einfache Bauern geblieben sind, während in Südeuropa und Vorderasien langsam die antike Welt heranwuchs und mannigfache Kulturgüter hervorbrachte, wie Arbeitsteilung, technische Fortschritte, soziale Unterschiede, staatliche Bildungen, Wissenschaft. Alle diese Fortschritte sind langsam auch dem germanischen Norden zugute gekommen und können archäologisch festgestellt werden, soweit sie bereits in die vor- und frühgeschichtliche Zeit fallen. Aber von alledem wird in dem Buche so gut wie gar nicht gesprochen.

Eine Darstellung von Nerman ( 714) faßt unsere Kenntnis der ältesten Bewegungen germanischer Stämme übersichtlich zusammen. Sie beginnt mit der unmittelbaren Nacheiszeit der Ostseeländer, findet die Germanen aber erst von dem Ende des Neolithikums ( 2000--1800 v. Chr.) an, und zwar in der westlichen Hälfte des Ostseebeckens. Sie verfolgt ihre Ausbreitung auf deutschem Boden; die enge Verknüpfung der archäologischen Überlieferung mit der sprachwissenschaftlich-historischen beherrscht die weitere Darstellung, welche bis zur Grenze des Mittelalters reicht.

Zahlreicher als diese Darstellungen der germanischen und der deutschen Vorgeschichte sind die Arbeiten wirtschaftsgeschichtlicher Art, welche hier genannt werden müssen. Ein Aufsatz von Gandert ( 724) hat trotz seiner Kürze Beachtung zu finden. Die Frage, wo und wie das Pferd Haustier geworden ist, kann heute wohl noch nicht endgültig beantwortet werden; aber sie ist deswegen von besonderem Interesse, weil überall sonst auf der Welt der Ochse den Pflug zieht und er aus dieser besonderen Stellung nur in Norddeutschland und den skandinavischen Ländern, der Normandie und England, also in germanischem Siedlungsgebiet, durch das Pferd verdrängt worden ist. Wohl erscheint hier im Neolithikum das Rind als Zugtier, aber schon zu derselben Zeit begegnet uns dort das Pferd in jener besonderen Stellung, in der es auch die frühgeschichtliche Überlieferung bei den Germanen kennt. Die Arbeit von Gandert lehrt, wie mühsame Kleinarbeit an äußerlich unscheinbaren archäologischen Resten zu Ergebnissen führt, die, in einen größeren Rahmen eingefügt, einer besonderen Bedeutung durchaus nicht entbehren.

Der vorgeschichtliche Handel ist für Wahle ( 1768) ein Teil der gesamten Wirtschaft. Hinsichtlich seiner Form und Art, seines Umfanges und seiner Bedeutung stellt er das Ergebnis bestimmter Voraussetzungen dar, deren Heranziehung seiner ursächlichen Auffassung dient. Es ist kein Zufall, daß den großen Epochen der Wirtschaft solche jeweils besonderer Ausbildung der Handelsverhältnisse entsprechen. Die Sammler des Paläolithikums kennen noch keinen Handelsverkehr; während des Neolithikums sehen wir eine bäuerliche Bevölkerung einen Handel treiben, der sich fast nur innerhalb der einzelnen Kulturkreise bewegt. Das Aufkommen der Metalle ändert dieses Bild. Ihre Förderung und ihr Absatz bestimmen die Handelsbeziehungen und rufen einen regen Fernhandel ins Leben. Dieser dritten Periode folgt die letzte Entwicklungsstufe, welche den übrigbleibenden Rest der vorgeschichtlichen Entwicklung Europas umfaßt; ihre Grundlage ist der immer größer werdende


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Gegensatz in der Kulturhöhe der mittelländischen und der übrigen europäischen Gebiete, welcher die Einbeziehung der Naturschätze der letzteren in den Bann der ersteren zur Folge hat. Die Darstellung gibt ein Bild nur in seinen großen Zügen; eine ausführlichere Bearbeitung dieses Gegenstandes würde auch den Aufsatz von Regling ( 1767) mit berücksichtigen müssen, welcher einen anderen Teil des wirtschaftlichen Lebens behandelt. Ethnologische Parallelen ergänzen hier die Lückenhaftigkeit der archäologischen Überlieferung und machen es sehr wahrscheinlich, daß schon das europäische Neolithikum Viehgeld und überhaupt unmetallisches Geld gekannt hat. Von dem Zeitpunkt seines Auftretens an darf man dagegen das Metall als Geldstoff betrachten; für das einstige Vorhandensein von Schmuck- oder Gerätegeld sowie von Geld in Gestalt formloser Metallstücke oder von vorgewogenen Barren bietet die europäische Vorzeit genügend Belege. -- Im Gegensatz zu diesen Aufsätzen von Wahle und Regling behandelt Aubin ( 749) ein nach Raum und Zeit gleichmäßig begrenztes Gebiet. Erst die Römer haben den Rhein zu einer Handelsstraße von Bedeutung gemacht. Für einen umfänglicheren Güteraustausch fehlen in der Wirtschaft der vorrömischen Bevölkerung die Voraussetzungen; auch war man nicht auf den Rheinstrom angewiesen, da er überall von offenem Lande begleitet wurde. Die Stellung des Rheins als Reichsgrenze hat die Entwicklung seines Hinterlandes gefördert, seine Bedeutung als Handelsweg aber eingeschränkt. Das Dekumatenland ist zu kurz in römischen Händen gewesen, als daß es mit Erzeugnissen den Rheinhandel hätte heben können. Dagegen haben die Eroberung Britanniens durch die Römer und der Seeweg in die germanischen Nordseegebiete der Rheinstraße eine Fortsetzung gegeben. Die Besprechung der einzelnen Erzeugnisse der Provinzen, welche auf dem Rhein verschifft worden sind, läßt den Wunsch laut werden, durch ihre spezielle Bearbeitung das Problem der provinzialen Wirtschaft gefördert zu sehen; auch vom freien Germanien aus kann es aufgerollt werden, wenn erst einmal die Fülle der dort gehobenen Einfuhrware übersichtlich zusammengestellt vorliegt. Der Handel der spätrömischen Zeit wird durch die staatliche Tätigkeit eingeengt; dazu kommt das Sinken der Kaufkraft der Bevölkerung und die Flucht der Gewerbe aus dem ständig bedrohten Randgebiet des Reiches. Durch die germanische Besitznahme der linksrheinischen Lande wird in weit größerem Umfange als in römischer Zeit der Bedarf wieder durch Hauswirtschaft gedeckt.

Untersuchungen soziologischer Art kennt die prähistorische Literatur noch kaum. So begrüßt sie eine Studie wie diejenige von Schulz ( 721) besonders freudig, wenn auch der Verfasser ausdrücklich bemerkt, daß er keine neuen Forschungen vorlegen will. Denn in der engen Verbindung schriftlicher und archäologischer Überlieferung liegt doch etwas Neues, und die straffe Zusammenfassung läßt das Wesentliche und auch die Grenzen unserer heutigen Erkenntnis klar hervortreten. Die von dem Verfasser vorgenommene Anordnung des Stoffes nach den sachlichen Einheiten ist insofern sicherlich richtig, als sie die nächstliegende und auch übersichtlichste sein dürfte. Anderseits darf aber nicht vergessen werden, daß damit die geschichtliche Betrachtung zurücktritt, daß insbesondere die Wandlungen der Verhältnisse leicht übersehen werden und auch die Möglichkeit der Erkenntnis innerer Zusammenhänge der einzelnen Erscheinungen fast ganz schwindet. Unter diesen Gesichtspunkten


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stellt das vom Verfasser Gebotene eigentlich nur die Grundlage, die erste Ordnung einer tiefergehenden Betrachtung des Stoffes dar, und in der Tat vermißt man in dem Buche eine einheitliche Problemstellung. Seine einzelnen Kapitel behandeln nach einander: Familienaufbau, Frau, Ehe, Hausgemeinschaft und verwandtschaftlichen Zusammenhalt. Diese Reihenfolge ist richtig, aber nach einem Kapitel, welches die Brücke zwischen ihnen allen schlägt, sucht man ebenso ohne Erfolg wie nach demjenigen, welches den Stoff historisch ordnet, also den Werdegang der Verhältnisse zu erkennen gibt. Eingehendere Studien in ethnologischer Richtung (und nur sie allein) würden dem Verfasser hier sicher den Weg gewiesen haben.


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