II. Einzelne Territorien. Süd- und Westdeutschland.

Eine Anzahl von Darstellungen behandelt die Funde geschlossener Landschaften und reiht das Vorhandene in die geläufigen chronologischen Übersichten ein; in der geschichtlichen Auswertung des Stoffes gehen die einzelnen Verfasser jedoch sehr verschieden tief.

Behn ( 755) wendet sich an weitere Kreise und führt die ganze Entwicklung vom Paläolithikum bis zur Merowingerzeit unter ausgiebiger Verwendung bereits vorhandener Druckstöcke vor, so daß ein reicher Anschauungsstoff den Text ergänzt. Ebenso wie er bleibt auch Theuer ( 738) fast ganz bei dem rein Gegenständlichen der Funde stehen; seine Darstellung schließt, einem in der Schweiz wie in Österreich öfters noch gepflogenen Brauche zufolge, mit dem Ende der La Tène-Zeit. Im Hinblick darauf, daß so die Fühlung mit der geschriebenen Überlieferung zurücktritt und die Darstellung gleichsam in der Luft schwebt, daß ferner der römerzeitlichen Archäologie damit die Möglichkeit einer organischen Anknüpfung fehlt und endlich der reiche Fundstoff der Völkerwanderungszeit und der merowingischen Periode nur zu leicht vernachlässigt wird, begrüßt man es sehr, daß Menghin ( 737) die ganze durch archäologische Funde zu erhellende Zeit vom Paläolithikum an bis zum frühen Mittelalter als ein einheitliches, geschlossenes Arbeitsgebiet auffaßt. Hoffentlich findet sein Beispiel Nachahmung und ebnet einer engeren Fühlung von prähistorischer und klassischer Archäologie auch in Österreich und der Schweiz den Weg. Zu den Darstellungen ist auch der umfangreiche Forschungsbericht von Forrer ( 746) zu rechnen, welcher die Ergebnisse der letzten 12 Jahre zusammenfaßt und damit gleichzeitig eine Einführung in die besonderen Probleme der elsässischen Archäologie bietet. In dem Buche von Wahle ( 745) sind die Funde nur Mittel zum Zweck; die typologisch-chronologischen Gesichtspunkte treten zurück zugunsten des Versuches einer geschichtlichen Auffassung des Stoffes, welche ihren äußeren Ausdruck auch in einer Zeit- und Kulturtafel für Südwestdeutschland findet. Da das untere Neckarland schon sehr gut durchforscht ist, konnte dieser Versuch unternommen werden, welcher auch die natürlichen Daseinsbedingungen zur Erklärung der Verteilung und des Ganges des Besiedelung heranzieht. In Anlehnung an bestehende Verhältnisse machen die Römer Lopodunum (Ladenburg) zum Mittelpunkt des bis dahin rein bäuerlichen unteren Neckarlandes, und die frühdeutsche Zeit, in der die heutigen Dörfer in der Rheinebene entstehen, übernimmt diese Siedelung sowohl wie ihre Bedeutung. Ebenso wie die römischen Gutshöfe findet auch das römische Heidelberg keine Fortsetzung. Die heutige Stadt ist erst im Schutze der mittelalterlichen Burg entstanden und hat anfänglich keinen Anteil


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an der Rheinebene. Die Veröffentlichung von Mahr ( 736) faßt die Untersuchungsergebnisse von demjenigen Fundplatz zusammen, welcher mit seinem reichen Gräberfeld einer archäologischen Stufe den Namen gegeben hat. Sie berücksichtigt neben den Grabfunden auch den hallstattzeitlichen Bergbau, der uns den Reichtum der ersteren an kostbaren Beigaben verstehen lehrt.

Die neueren Arbeiten zur vorgeschichtlichen Ethnographie gehen im Gegensatz zu ihren Vorläufern nicht mehr darauf aus, lediglich die Verbreitungsgrenzen der einzelnen Völker oder der Kulturkreise für die verschiedenen Zeitabschnitte festzulegen. Man sucht jetzt auch zwischen dem archäologischen Stoff zu lesen, sieht ihn in vielen Fällen als den Nachlaß lediglich einer Herrenschicht an und glaubt in bestimmten Erscheinungen die bodenständigen Bestandteile der Bevölkerung zu erkennen, welche von Zeit zu Zeit immer wieder zur Geltung kommen. Die Überlieferung der geschichtlichen Zeit gibt zu erkennen, daß Völker kaum jemals restlos auswandern, sondern in mehr oder weniger großen Resten in ihrer alten Heimat wohnen bleiben. Diese Zurückgebliebenen bilden die Brücke für die landschaftliche Überlieferung von Sprach- und Kulturgut. Das Fehlen archäologischer Zeugnisse für die Besiedelung eines Gebietes in einer bestimmten Zeit darf noch nicht zu dem Schluß führen, die vorher dort nachweisbare Bevölkerung habe es ohne einen Rest verlassen. Findet ein Wechsel der Bewohner statt, so tritt uns archäologisch in der Regel nur die neue Schicht entgegen, während die Hinterlassenschaft des Restes der älteren Schicht weniger in die Augen fällt. Auch die völkerwanderungszeitlichen Germanen des Untermainlandes bilden zunächst nur einen Herrenstand neben der teilweise wohnen gebliebenen provinzialrömischen Bevölkerung. Fast alle Reihengräberfelder dieses Gebietes fallen durch ihre sehr geringe Größe auf; die zwei einzigen größeren aber liegen bezeichnenderweise neben Dörfern vorfränkischer Entstehung. Dieser Gedankengang des einen Aufsatzes von Wolff ( 716) möge als Beispiel einer derartigen Einstellung genügen. Eine andere Arbeit desselben Verfassers ( 756) behandelt das gleiche Gebiet, läßt jedoch die grundsätzliche Erörterung des Problems zugunsten der archäologischen Tatsachen in den Hintergrund treten. Dasselbe ist in dem Aufsatz von Woelcke ( 752) der Fall, welcher die Befunde in einem Teilgebiet der Wetterau behandelt. Die militärischen Anlagen der Römer haben Dörfer der Einheimischen in Frankfurt und bei Heddernheim zerstört. Andere aber blieben bestehen und können als Funde des 1. nachchristlichen Jahrhunderts von denen der vorangegangenen Zeit geschieden werden. Die alteinheimische Töpferware lebt weiter; auch die Bauweise der Hütten bleibt im wesentlichen dieselbe. Auf den nach einheitlichem Plan entstandenen Gutshöfen haben die Einheimischen gearbeitet; aber sie sind weder im Frankfurter Gebiet noch in der ganzen Wetterau nachzuweisen. Nur ganz dürftige Spuren können ihnen zugesprochen werden. Auch die römischen Monumente geben sie uns nicht zu erkennen; denn diese »illiterate« Unterschicht hat den Göttern keine steinernen Denkmäler gesetzt. Bezeichnend ist, daß Weihungen an römische ländliche und landwirtschaftliche Gottheiten fehlen; die ackerbauende Bevölkerung bestand im wesentlichen aus Eingeborenen und hielt sich zurück. Die einheimische Kultur ist also von der römischen Herrschaft nicht vernichtet oder aufgesogen worden. In einem großzügigen Aufsatz versucht in derselben Art Unverzagt ( 748) nachzuweisen, daß sich im südwestlichen Deutschland ein bodenständiges


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Bevölkerungselement immer wieder Geltung verschafft. Es komme in der lineargeometrisch verzierenden Hallstattbevölkerung zum Ausdruck; der von den Kelten entwickelte La Tène-Stil verdrängte diese Hallstattkunst, welche in einigen Alpentälern weiterlebe und mit dem Untergang der keltischen Macht wieder Geltung erlange. Die Fortsetzung dieser Ornamentik der späten La Tène-Zeit sei in der Rädchensigillata der spätrömischen Periode zu finden; die Lücke zwischen beiden erkläre sich dadurch, daß von der Mitte des 2. nachchristlichen Jahrhunderts an hellenistisch-römische Techniken und Gefäßformen die geometrische Kunst zeitweilig zurückdrängten. »In den Grundzügen ihres Wesens behauptet, geht die Hallstattbevölkerung aus diesem tausendjährigen Ringen siegreich hervor, ein eindrucksvolles Beispiel für die zähe Erhaltung eines geschlossenen, bodenständigen Kulturkreises.« Man wird diesem Wurf die Anerkennung auch dann nicht versagen, wenn man ihm nicht ganz folgen kann. Es sei die Tatsache eines wiederholten Wechsels geometrisch-einheimischer und südländisch beeinflußter, figürlicher Kunst nicht bestritten; aber es ist vielleicht erst noch die Frage zu beantworten, ob diese geometrische Kunst der Ausdruck eines bodenständigen Elementes, also eines Volkes sein muß, oder ob sie sich nicht ebensogut anderwärts findet und dann etwa als die Begleiterscheinung eines bestimmten Kulturniveaus aufgefaßt werden kann. Jedenfalls hat die südwestdeutsche Archäologie mit dieser Problemstellung ein weites Arbeitsgebiet vor sich. Wie die Ergebnisse im einzelnen herausgearbeitet werden müssen, lehrt ein Aufsatz von Aubin ( 753), welcher sich zwar auf die Rheinprovinz beschränkt, aber weit über ihre Grenzen hinaus Bedeutung hat. Ein Teilproblem, nämlich die Frage des ersten Auftretens der Germanen am Niederrhein, wird von Stampfuß ( 717) behandelt.

Die Neuerscheinungen über die Römerzeit der Rheinlande können kurz behandelt werden, da sie weder methodisch noch inhaltlich so bedeutsam sind wie die eben besprochene Literatur. Das Verhältnis des deutschen Altertums zur römischen Kultur wird von Koepp ( 757) dargestellt. Letztere war, obwohl schon nicht mehr eigentlich römisch, dem Einheimischen gegenüber immer noch überlegen genug, um es zu unterdrücken oder in entlegene Winkel zu drängen. Das Verhältnis des deutschen Mittelalters zu ihr ist landschaftlich sehr verschieden ausgeprägt; Zusammenhänge sind zwar nicht spärlich vorhanden, aber sie betreffen oftmals nur Erscheinungen sehr äußerlicher Art und gehen auch nur selten so tief, wie der erste Eindruck glauben macht. Die Veröffentlichung der Igeler Säule ( 750), seit Jahrzehnten erwartet, gibt wesentlich mehr als die Behandlung nur des Monumentes; veranschaulicht dieses doch die Vielseitigkeit und das Niveau des gesamten provinzialrömischen Lebens. Wie fast jedes Jahr, so haben auch diesmal die Probleme der Varusschlacht ( 757) und des Lagers Aliso ( 761) zu Untersuchungen angeregt, welche den Stand der heutigen Kenntnis veranschaulichen.

Angeregt durch die Untersuchungen von Dopsch hat die Forschung die Bearbeitung des archäologischen Nachlasses aus der Merowingerzeit sehr gefördert. Eine Einführung in die Problemstellung findet man bei Reinecke ( 742); auch Veeck ( 744) gibt Leitlinien und weist der gründlichen Auswertung der Reihengräberfunde neue Wege. Die Darstellung Schumachers ( 546) sucht das ganze Rheingebiet zu umfassen, läßt aber über den topographischen Gesichtspunkten, welche in ihrer Fülle fast erdrücken, die geschichtlichen


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vielleicht etwas zu sehr in den Hintergrund treten. Musterbeispiele der monographischen Bearbeitung eines Ortes sind die beiden Arbeiten über Regensburg von Heuwieser und Steinmetz ( 741, 740), welche dank ihrer feinsten Kleinarbeit und dem vortrefflichen Zusammenspiel archäologischer und schriftlicher Quellen ein trotz mancher Schwierigkeiten gut abgerundetes Bild geben. Eine Einzelfrage, und zwar diejenige des Christentums der in den Reihengräbern Bestatteten und die Ablösung dieser Friedhöfe durch diejenigen bei den Kirchen, behandelt Reinecke ( 743). Im ganzen bleibt zu wünschen, daß auch dieser Archäologie der Merowingerzeit alle Typologie und Chronologie nur Mittel zu einem höheren Zweck sei. Hoffentlich wird sie durch eine engere Fühlungnahme mit den Schriftquellen dieser Zeit recht bald zu einer wirklich geschichtlichen Auffassung geführt. [E. Wahle.]


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