§ 14. Die Epoche der Völkerwanderung.

(L. Schmidt.)

Much ( 726) bringt neue Erklärungen zu einzelnen Stellen des angelsächsischen Gedichtes, das Reminiszenzen aus der Völkerwanderungszeit bewahrt hat. Die hier erwähnten Hundinge und Myrginge seien den Langobarden gleichzusetzen, die sagenberühmte Schlacht am Fifeldor sei also zwischen Langobarden und Angeln, und zwar im 4. Jahrhundert ausgefochten worden, die Sage von der Hunnenschlacht beziehe sich ursprünglich auf die auch von Paulus Diaconus erzählten Kämpfe zwischen Langobarden und Hunnen (Bulgaren) u. a. m. Viel Scharfsinn ist hier auf eine durchaus unsichere Sache verwendet; die den Auszug der Langobarden ins Jahr 379 setzende, später interpolierte und gänzlich wertlose Angabe in der Chronik des Prosper wird sogar für nicht unbeachtlich erklärt. --Schünemann ( 780) bekämpft die These von Homan (Die ungar. Hunnentradition und Hunnensage. Budapest 1925), daß die Ungarn schon aus ihrer Urheimat das historische Bewußtsein mitgebracht hätten, daß sie die Nachkommen der Hunnen seien, und daß ihr leitendes Geschlecht, die späteren Arpaden, von Attila herstammten. --Dopsch ( 734)


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bringt eine übersichtliche Zusammenstellung der Ergebnisse seines Buches »Wirtschaftliche und soziale Grundlagen der europäischen Kulturentwicklung. 2. Aufl. 1923«, über die die Akten noch nicht geschlossen sind. Wenn er die sog. Katastrophentheorie mit Recht ablehnt, so geht er auf der anderen Seite in der Bewertung der römischen Kultureinflüsse zu weit. Daß die Orte auf Weiler zum großen Teil nicht an römische anknüpfen, sondern erst in der Ausbauzeit angelegt sind, kann jetzt als erwiesen gelten. --Baynes ( 782) behandelt die strittige Chronologie der 533/534 an Amalasuntha geschickten kaiserlichen Gesandtschaften. --Gitti ( 779) macht beachtenswerte Gründe dafür geltend, daß die Kaiserin Eudoxia tatsächlich den Wandalenkönig Geiserich eingeladen habe, nach Rom zu kommen.

Braungarts Werk über die Nordgermanen ( 715) ist ein Auszug aus der hinterlassenen Handschrift und ein Seitenstück zu dem 1914 erschienenen zweibändigen Werk desselben Verfassers: »Die Südgermanen«, unter denen die Bojer, Vindelizier, Räter, Noriker, Taurisker verstanden sind. Braungart will die Formen der Ackergeräte und der Ackerbereitung bei den einzelnen Stämmen (Alemannen, Schwaben, Sueven, Franken, Chatten, Hermunduren, Thüringer, Friesen, Skandinavier) auf ethnographische Unterschiede der ältesten Zeit zurückführen, verfolgt also ähnliche Ziele wie die Hausbauforschung usw. Einzelnes mag berechtigt sein, in der Hauptsache aber ist die Arbeit völlig verfehlt. Die historischen Abschnitte wimmeln von Irrtümern, die Literaturangaben sind fehlerhaft (Gradnauer statt Gradmann, Feßler statt Peßler u. a.).

Neckel: Altgermanische Kultur ( 720) ist entstanden aus Vorträgen über altnordische Kultur, die durch Berücksichtigung auch des nicht-nordischen Germaniens erweitert sind. Das Buch behandelt nach einleitenden Bemerkungen das alte Germanien, seine Natur und Grenzen, die germanische Ursprungssage, Stammeskunde, Gesellschaft und Staat, Religion, Dichtung. Es leidet an der einseitigen Auffassung, daß die Schilderungen der nordischen Quellen der Heidenzeit ohne weiteres auch für die Zustände der altgermanischen Zeit Geltung haben müßten. So kommt der Verfasser zu falschen Schlüssen, z. B. daß der Grund und Boden schon frühzeitig Privateigentum gewesen, daß den Kern des Volkes die »Adelbauern« bildeten, kein besonderer Vorzugsadel vorhanden war.

Schmidt ( 781) berichtigt eine Anzahl von Irrtümern in der Abhandlung von Diculescu (Mannus 3. Ergänzungsbd. und Mannus-Bibliothek Nr. 34). -- Derselbe Autor ( 1552) begründet gegen Mommsen und Hartmann die Anschauung, daß die gotischen Vorstände der Provinzen und Städte Italiens Zivilbeamte waren, die den römischen Provinzialstatthaltern und Stadtcomites entsprachen; sie waren Verwaltungsbeamte und Richter im Frieden für die nicht mobilisierten Goten und die die Goten und Römer gemeinsam betreffenden Angelegenheiten. Gotische Comites, die zugleich Militär- und Zivilbeamte waren, gab es nur in den Grenzprovinzen.

Derselbe Autor ( 732) faßt die Ergebnisse der neueren Forschung für weitere Kreise zusammen unter Verzicht auf Polemik, aber mit Angabe der Quellen und der wichtigsten Literatur (im Anhang). Der Stoff ist in sechs Hauptabschnitte eingeteilt. I. Der Name Germanen. II. Die Vorfahren der Germanen. III. Die Germanen bis zum Ausgang der Bronzezeit. IV. Die vorrömische Eisenzeit. V. Das Zeitalter der römischen Angriffskriege. VI. Die Völkerwanderung.


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Stefan ( 1771) beschreibt in Ergänzung zu Brunšmid (Strena Buliciana S. 671--673) eine Anzahl von Münzen der Prägstätte Sirmium, jetzt zum größten Teil im Museum Agram: drei ostgotische kleine Silbermünzen mit dem Monogramm des Ostgotenkönigs Theoderich und sieben gepidische Silbermünzen (sechs mit dem Monogramm des Königs Kunimund, eine siebente wahrscheinlich mit dem des Königs Turisint). Daß schon König Ardarich Goldmünzen geprägt habe, ist unwahrscheinlich und nicht zu erweisen (statt Ardariciani in der Lex Burg. ist zu lesen Alariciani, nach dem Westgotenkönig Alarich II.).

W. Schulz ( 767a) behandelt übersichtlich auf Grund der Bodenfunde die Geschichte der Hermunduren, die im 1. Jahrhundert n. Chr. vorwiegend im heutigen Anhalt, vom 2. Jahrhundert an auch in Thüringen ansässig waren, im 3. Jahrhundert durch Zuwanderung von Angeln und Warnen aus dem Norden verstärkt wurden und mit diesen den neuen Stamm der Thüringer bildeten, deren Hauptstadt anfänglich vielleicht im Mansfelder Seekreis (Bösenburg, Besenstadt, nach dem König Bisinus) lag, später Weimar war.

Ein unveränderter Neudruck des noch heute nicht völlig veralteten, unentbehrlichen Werkes von K. Zeuss wurde im Berichtjahr vorgelegt ( 725).


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