I. Quellen.

Für die Zeit, da die Geschichte der germanischen Eroberer Britanniens sich von der der Festlandgermanen löst, steht unter den wenigen keltischen Quellen nach Gildas die seltsame, aber durch die erste Erwähnung König Arthurs so einflußreiche Kompilation des Nennius im Vordergrunde. Seit der Ausgabe Mommsens galt die ursprüngliche Historia Brittonum als das Werk eines unbekannten Verfassers aus dem 7. Jahrhundert, Nennius nur als ein späterer Überarbeiter. Demgegenüber zeigt F. Liebermann († 1925) in der letzten Arbeit seines so jäh abgeschlossenen Forscherlebens ( 784), daß Nennius, ein Kymre (so Max Förster, War Nennius ein Ire?, in 193, der Finke-Festgabe, S. 36--42), doch der Verfasser des Werkes gewesen ist, von dem er mehrere Ausgaben besorgt hat, und daß er im ersten Drittel des 9. Jahrhunderts geschrieben hat und hie und da von Beda abhängig ist.

In das Frankenreich selbst führt der Aufsatz von L. Halphen über Gregor von Tours als Geschichtschreiber Chlodwigs ( 785), dessen Schwächen hier stark hervorgehoben werden, seine Voreingenommenheit für den ersten christlichen Frankenkönig, die erbaulichen und legendenhaften Züge seiner Darstellung, die im einzelnen mit literarisch geschulter Einbildungskraft erfolgte Ausmalung der Erzählungen. Wie auch in seinen Wunderbüchern Gutgläubigkeit und das Bestreben, die Wahrheit zu sagen, sich mit Leichtgläubigkeit und Kritiklosigkeit verbinden und seinen Berichten so ein verschiedenes Maß von Glaubwürdigkeit zukommt, lehren die Ausführungen von H. Delehaye über die alten Sammlungen von Heiligenwundern ( 784a). Gregor kennt unter Chlodwigs Vorgängern noch nicht Faramund, der erst im Liber historiae Francorum von 726 begegnet, dessen geschichtliches Dasein man aber durch irische Quellen hat bestätigt sehen wollen; daß diese jedoch dafür nicht in Betracht kommen, zeigt J. Vendryes (Pharamond, roi de France, dans la tradition irlandaise, in den Mélanges Lot (195, S. 743--767), wobei er der


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bestrittenen Annahme noch zu weit entgegenkommt: in die irischen Quellen hat man die Namen Faramund und Franken ohne genügenden Grund hineinverbessert.

Auch der Aufsatz von Fr. Poxrucker über die Quellen zur Geschichte des hl. Maximilian ( 786) arbeitet stark mit fragwürdigen Vermutungen über die frühchristliche Zeit der Ostalpen, wenn er aus der geringwertigen Vita Maximiliani von wahrscheinlich 1291 das Dasein einer Legende des frühen 9. Jahrhunderts erschließen will, und steht so zurück hinter der umsichtigen Selbstbeschränkung des ihm unbekannten Buches von J. Zeiller (Les origines chrétiennes dans les provinces danubiennes de l'Empire romain [Bibliothèque des Écoles françaises d'Athènes et de Rome 112], 1918, S. 64 f.) und hinter der methodischen Kritik, die P. E. Martin in seiner Arbeit über die Anfänge des Klosters Disentis ( 2159) an der Passio Placidi geübt hat. Die Freisinger Bischofschronik in deutscher Sprache, deren erste Hälfte bis 1158 B. Arnold aus dem Nachlaß von J. Schlecht veröffentlicht hat ( 788), ist eine Kompilation des früheren 17. Jahrhunderts und hier nur zu erwähnen wegen der eingehenden Erläuterungen der Herausgeber, die gelegentlich nützlich sein können. Für die Kritik von Legenden im allgemeinen verdient auch an dieser Stelle das stoffreiche Buch von Fr. Lanzoni hervorgehoben zu werden, das neben den Büchern etwa von Delehaye und Günter schon durch den weitergesteckten Rahmen seine Stelle findet (Studi e testi 43: Genesi svolgimento e tramonto delle leggende storiche, Roma, Tipografia Vaticana, 304 S.).

Mit der frühkarolingischen Annalistik beschäftigen sich die viel Unsicheres und Bestreitbares enthaltenden, an sein älteres Buch anknüpfenden Ausführungen von J. R. Dieterich über die Geschichtschreibung des Klosters Reichenau ( 790, 2077) und die sich an Giorgi anschließenden Bemerkungen von S. Tafel bei Lindsay ( 386, S. 55 f.) über die kurzen Annales Lugdunenses. Ferner wird in den von der Bibliotheksgeschichte ausgehenden Fuldaer Studien von Paul Lehmann ( 395) die Entstehung der Annales Fuldenses antiquissimi durch eindringende Untersuchung der gesamten Überlieferung über Sickel und Kurze hinaus aufgehellt, und die Art der darin wie in den Annales Corbeienses benutzten Northumbrischen Ostertafeln von 703/704 deutlich gemacht (von neugewonnenen Einzelheiten verzeichne ich das Geburtsjahr des Hrabanus Maurus 780). Der ebenfalls Fulda geltende Wunsch von F. Flaskamp ( 2023) auf eine in der Tat wünschenswerte Neuausgabe von Eigils Vita Sturmi wird vielleicht in absehbarer Zeit Erfüllung finden.

Einhards Translatio Marcellini et Petri hat nicht nur wegen der Person ihres Verfassers vielfach Beachtung gefunden, sondern auch durch ihren Inhalt als Quelle der Kultur- und Ortsgeschichte. So lag es nahe, diese Schrift auch weiteren Kreisen durch eine deutsche Übersetzung zugänglich zu machen; Karl Esselborn's auch von kurzen Anmerkungen begleitete Übertragung ( 792) wird so sicherlich vielen Anklang finden (die Verbesserung einer Stelle, die Fr. L. Ganshof zu der Ausgabe von Waitz mit Recht vorgeschlagen hat, Bulletin Du Cange II, 89--91, hat Esselborn unabhängig von ihm vorgenommen). Die zugehörige Einleitung, die auch über Einhards Leben und übrige Werke unterrichtet, ist 1927 als Sonderabdruck aus dem Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde, N.F. 15, erschienen (Karl Esselborn, Einhards Leben und Werke, Darmstadt, Histor. Verein für Hessen, 65 S.); ihr ist eine


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Verdeutschung der rhythmischen Passio Marcellini et Petri in Prosa beigegeben sowie von Einhards Brief an Lupus über die Verehrung des Kreuzes. Die von dem Verfasser noch vermißte Schrift Einhards über die Psalmen (S. 44 f.) ist neuerdings in Vercelli aufgefunden worden (s. Neues Archiv 44, 202).

Den einst von E. Dümmler begonnenen 6. Band der Epistolae der Mon. Germ. hat E. Perels ( 795) mit den Briefen Papst Hadrians II. (867--872) nach 23 Jahren zum glücklichen Abschluß gebracht. Waren die Briefe auch sämtlich schon bekannt, so ist ihre Benutzung doch jetzt durch die Heranziehung der Handschriften und die Erläuterungen des Herausgebers auf sichere Grundlagen gestellt; Perels' Ausgabe der Briefe Nikolaus' I. (1912) findet so für den Ausgang Lothars II. und den Kampf um sein Erbe ihre erwünschte Fortsetzung (W. Holtzmann, Historische Zeitschrift 134, 1926, 565 f., weist nach, daß Brief 27, S. 733, nicht an Ludwig den Deutschen gerichtet sein kann, sondern nur an einen geistlichen Würdenträger, vielleicht den Erzbischof von Mainz).


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