II. Darstellungen.

Von Darstellungen des ganzen Zeitraums liegt nur der dritte Band der Siedlungs- und Kulturgeschichte der Rheinlande von K. Schumacher vor ( 546), also weder räumlich noch sachlich eine Gesamtgeschichte des Frankenreichs, zumal die Kulturgeschichte dem folgenden Bande vorbehalten ist. Aber wie in dieser Übergangszeit die Rheinlande aus einem Grenzgebiet des römischen Imperiums zu einem Kernland des Frankenreichs geworden sind, so wird hier in dem weiten und dehnbaren Rahmen der Siedlungsgeschichte doch auch die politische und kirchliche Geschichte vielfach berührt, indem der Verfasser bemüht ist, die schriftlichen Nachrichten samt den Ortsnamen in Beziehung zu den Bodenfunden zu setzen, und gerade auf der handlichen Darbietung einer reichen Auswahl archäologischen Stoffes beruht wohl der Hauptwert des Bandes. Daß dabei vieles zweifelhaft und umstritten ist, liegt in der Art der Quellen begründet, wie ich denn z. B. den -- immerhin vorsichtigen -- Versuchen, alemannische und burgundische Hinterlassenschaft gegeneinander abzugrenzen, mit wenig Vertrauen gegenüberstehe, und auch bei der Mitteilung der schriftlichen Überlieferungen wird man manchmal gut daran tun, auf die Quellen selbst zurückzugehen. So liegt kein Grund vor zu einem Fragezeichen (S. 46) bei der Angabe Gregors von Tours, daß der Ribuarierkönig Sigibert gegen die Alemannen bei Zülpich gekämpft hat (auch über die Deutung des Ortsnamens kann kein Zweifel sein), während andererseits Gregor den Alemannensieg Chlodwigs keineswegs dorthin verlegt (S. 47); es sollte auch nicht mehr behauptet werden, daß dieser sich Prokonsul genannt habe (Fremersdorf, S. 158), und ich weiß nicht, wie das im 11. Jahrhundert gegründete Kloster Siegburg unter die Abteien des Frankenreichs geraten ist (S. 268) -- aber trotz dieser und anderer Versehen kann das Buch auf seinem eigentlichen Gebiete gute Dienste leisten.

Von den Stammlanden fränkischen Volkstums führt zu der Eroberungspolitik des Reichsgründers Chlodwig der Versuch des ausgezeichneten englischen Historikers J. B. Bury († 1927), dem vielerörterten Brief des Bischofs Remigius von Reims an den König (MG. Epist. III, 113) eine neue Deutung zu geben (The end of Roman rule in north Gaule: The Cambridge historical journal I, 1923/25, S. 197--201). Hat man bisher darüber gestritten, ob der Brief bereits Chlodwigs Christentum voraussetze oder an ihn vor der


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Taufe geschrieben sein könne, so tritt Bury wohl mit allzu großer Sicherheit für die erste Annahme ein und setzt das Schreiben darum nicht vor 496. Wenn man ferner die Worte »administrationem vos Secundae Belgicae (so verbessert auch er das überlieferte 'secundum bellice') suscepisse« teils auf den Regierungsantritt des Königs bezogen hat, teils auf die Übernahme der Herrschaft im Gebiet des Syagrius nach dessen Niederlage, so nimmt Bury an, daß Chlodwig dort zunächst die römische Verwaltung unverändert gelassen und erst nach Jahren durch die spätere fränkische Verwaltungsorganisation ersetzt habe, und er sieht in dieser demnach nicht vor 496 erfolgten Änderung den Anlaß zu dem Schreiben, eine Deutung, die mir kaum möglich erscheint. Handelt es sich hier um die vorübergehende Fortdauer römischer Einrichtungen, so beschäftigt sich H. Fischer ( 735) mit dem Fortleben des Glaubens an das Dasein des römischen Imperiums als einer höheren politischen Macht unter den ersten Merowingern, indem er die Bedeutung dieses Glaubens wohl zu hoch einschätzt, wenn er Chlodwig und seinen Söhnen den Gedanken zuschreibt, wenigstens äußerlich im Namen des römischen (d. h. damals des oströmischen) Kaisers zu herrschen. Auch spielt wieder die schlechte Lesart »proconsul« im späten längeren Prolog der Lex Salica eine Rolle, wird das stolze Selbständigkeitsbewußtsein Theudeberts I. zu Unrecht abgeschwächt dargestellt, und es ist bei der Vita Treverii übersehen, daß sie ein Plagiat der Vita Johannis des Jonas von Susa darstellt, dessen Worte das Gegenteil von dem besagen, was Fischer beweisen will (SS. R. Merov. III, 504, 513).

In die Anfänge des fränkischen Staatswesens führt auch die Arbeit von P. Cloché über die Bischofswahlen unter den Merowingern ( 2110), also über einen mehrfach behandelten Stoff. So werden denn hier auch weniger wesentlich neue Ergebnisse geboten als bei der Einschätzung der an den Bischofswahlen beteiligten Mächte gleichsam die Accente verschoben, und zwar erscheint der Einfluß des Königtums auf die Besetzung der Bischofstühle hier mit Recht von Anfang an größer als etwa bei Vacandard, das königliche »Einsetzungsrecht«, wie Weise es in seiner dem Verfasser nicht zugänglichen Schrift genannt hat (auch die Arbeiten von H. v. Schubert sind nicht berücksichtigt).

L. Barrau-Dihigo ( 801) vergleicht die aus späteren Kompilationen bekannten arabischen Berichte über den Feldzug Karls des Großen nach Spanien im Jahre 778 untereinander und mit den fränkischen Quellen, und glaubt deren Einfluß auf die arabischen Darstellungen feststellen zu können. Trotzdem dieser Feldzug nicht zum Ziele geführt hat, ist bekanntlich später unter Karl nach längeren Kämpfen die spanische Mark begründet worden, der Keim für das zukünftige Katalonien, dessen Entstehung das Dasein eines landschaftlichen Sonderbewußtseins zur Voraussetzung hat; den ersten Spuren einer solchen geistigen Grundlage Kataloniens, wie sie schon unter Ludwig dem Frommen und Karl dem Kahlen sich andeuten, geht der um die Geschichte der spanisch-französischen Grenzgebiete auch sonst verdiente J. Calmette nach ( 806).

Die Zeit der Normannenzüge, die auch dem Frankenreich so furchtbar geworden sind, hat eine für weitere Kreise bestimmte, nicht ungeschickte neue Darstellung durch Rolf Nordenstreng gefunden (Die Züge der Wikinger. Aus dem Schwedischen übersetzt von L. Meyn. Leipzig, Quelle & Meyer, 221 S.).


S.229

Die Tausendjahrfeier zur Erinnerung an die seit 925 ununterbrochene und, abgesehen vom Elsaß, nur durch die französische Revolution und Napoleon gestörte Verbindung der gesamten Rheinlande mit dem übrigen Deutschland hat eine Fülle von Gelegenheitsschriften und -reden hervorgerufen ( 253 ff.), in denen meist auch die wechselvollen Schicksale des durch den Vertrag von Verdun begründeten Mittelreichs und die Schwankungen der deutschen Westgrenze von 843 bis 925 mehr oder weniger ausführlich dargestellt werden. In diesem Zusammenhang erörtert W. Levison ( 260), wie weit der Rhein nach 843, zuletzt 911 bis 925 jene Grenze gebildet hat; während die vorherrschende Ansicht die Grenze schon bei Unkel vom Strome nach Osten ausbiegen läßt, kommt er zu dem Ergebnis, daß das ganze ostrheinische Gebiet auch weiter unterhalb bis zur Ruhrmündung wahrscheinlich dauernd ein Teil des ostfränkischen Reiches und so auch in dieser Übergangszeit niemals von Deutschland getrennt gewesen ist.


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