I. Quellen.

In den Veröffentlichungen des Jahres 1925 ist die Wende des ersten Jahrtausends besonders berücksichtigt. Die aus Tegernsee stammende und großenteils vom Mönche Froumund (um 1000) herrührende Brief- und Gedichtsammlung einer Münchener Handschrift mußte man sich bisher an mehreren Stellen zusammensuchen. So ist es denn recht dankenswert, daß K. Strecker ( 810) zum erstenmal die Sammlung als Ganzes in einer handlichen Ausgabe zugänglich gemacht hat; hier ist nicht nur der eigentliche Codex Froumundi herausgegeben, der dem letzten Jahrzehnt des 10. und dem ersten des 11. Jahrhunderts angehört, sondern auch der spätere Teil der Handschrift, der mit einzelnen Stücken bis über 1060 hinabreicht. Der Band hat B. Schmeidler ( 811) sogleich die Möglichkeit zu dem Nachweis gegeben, daß auch die nicht unter Froumunds Namen gehenden Briefe des ersten Teils nach Ausweis der Stilgleichheit mit einigen Ausnahmen von Froumund für andere verfaßt sind, und er gewinnt daraus neue, wenn auch teilweise unsichere Erkenntnisse für dessen Lebensgeschichte und die Zeit der Briefe.

Auch die neun Briefe, die ein Oströmer Leo von einer Gesandtschaftsreise zu Kaiser Otto III. 997 und 998 geschrieben hat, waren bereits einmal gedruckt, aber in einer wenig zugänglichen athenischen Monatsschrift. So sind sie durch die neue Ausgabe von P. E. Schramm ( 831) für die deutsche Forschung eigentlich erst erschlossen worden. Die teilweise schlecht und trümmerhaft überlieferten, vielfach nur andeutenden Briefe betreffen namentlich das Gegenpapsttum des Johannes (XVI.) Philagathos. In einem anderen Aufsatz ( 832) beschäftigt sich Schramm mit einem bekannteren Briefbuch derselben Zeit, dem Gerberts von Reims, und mit dessen Beziehungen zu Otto, indem er die Briefe von 997 genauer innerhalb des Jahres festlegt und für die Zeitgeschichte verwertet.

In den Kreis Ottos III. führt durch die angebliche Verbindung ihres Helden mit Romuald von Camaldoli auch die unter dem Namen Ratberts gehende zweite Vita des hl. Bononius, Abtes von Locedio im Sprengel von Vercelli († 1026), die nach Gerhard Schwartz vielmehr erst im 18. Jahrhundert


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von dem Abt Guido Grandi gefälscht worden ist. Dagegen tritt A. Falce ( 809), wie schon vorher, für die Echtheit der Quelle ein durch Mitteilungen aus den Papieren von Grandi, die aber nicht entscheidend sind, und gerade mit Hilfe von Grandis Hinterlassenschaft wird sich der Beweis der Unechtheit voraussichtlich noch verstärken und sichern lassen.

Eine der wichtigsten erzählenden Quellen der späteren Ottonenzeit, die Annalen von Quedlinburg, hat eine sehr förderliche Untersuchung durch Robert Holtzmann gefunden ( 811a). Er berichtet eingehend über die einzige, erst im 16. Jahrhundert geschriebene Handschrift, untersucht die ausgeschriebenen Vorlagen, vor allem die Hersfeld-Hildesheimer Annalen, und grenzt die daraus abgeleiteten Berichte gegen die eigenen Nachrichten des Verfassers ab, zeigt an der Einheit des Stils, daß die ganzen Jahrbücher einer Feder ihren Ursprung verdanken, daß sie von 1008 an im allgemeinen unmittelbar nach den Ereignissen niedergeschrieben sind und nach Ausweis der Ableitungen bis 1030 reichten, während sie in der Handschrift unvollständig 1025 abbrechen.

Mit Wipo, dem Biographen Konrads II., beschäftigt sich die Dissertation von G. M. Stahl, geb. Grund ( 2436). Sie arbeitet die durch mittelalterliche Weltanschauung bestimmten Züge Wipos heraus, in denen nicht sowohl der Zweck der Berichterstattung hervortrete wie »ein moralpädagogisches Ziel«, das »Bestreben, erbaulich zu wirken«; seine Gesta Chuonradi erscheinen unter diesem Gesichtspunkt nicht ohne Übertreibung als ein »Erbauungsbuch« (vgl. die Besprechung von R. Heuberger, Mitt. österr. Inst. 41, 1926, 441--444). Demgegenüber stehen Fragen der Quellenanalyse im Vordergrund bei J. R. Dieterich ( 790, 2077), in dessen Übersicht über die Geschichtschreibung des Klosters Reichenau nach der karolingischen Annalistik die Weltchronik Hermanns und ihr Verhältnis zu den verwandten Quellen am eingehendsten behandelt werden. Dieterich schätzt bekanntlich die Bedeutung Hermanns höher ein, als es gemeinhin geschieht, und bestreitet die Annahme einer von ihm unabhängigen, aber benutzten, kurz vorher in Reichenau verfaßten schwäbischen Weltchronik, deren Dasein zuletzt H. Breßlau und (von Dieterich nicht erwähnt) R. Holtzmann (Neues Archiv 35, 55--104) eingehend begründet haben, die darin auch eine Quelle Wipos sehen. Dieterich hält an seinen älteren Aufstellungen fest, ohne natürlich in diesem Zusammenhang eine wirkliche Widerlegung seiner Gegner versuchen zu können.

In ein anderes süddeutsches Kloster, nach Hirsau, führen die Quellen zur Geschichte des hl. Aurelius, die der Bollandist H. Delehaye unter den Heiligenleben des 9. und 10. November in dem 4. Band der Acta sanctorum Novembris (Brüssel 1925, S. 128--142) bearbeitet hat. Aurelius war ein orientalischer Bischof, der 475 in Mailand gestorben war und dessen Reste von dort um 830 durch den aus Schwaben stammenden Bischof Noting von Vercelli nach Deutschland kamen, wo ihm in Hirsau eine Kirche geweiht wurde. Hier hat man noch im 9. Jahrhundert die schon früher von den Bollandisten veröffentlichte 1. Vita Aurelii (S. 134--137) verfaßt, eine Legende mit einem kurzen Bericht über die Translation; ungedruckt war dagegen bisher außer Prolog und Schluß die 2. Vita (S. 137--141), die der Abt Williramm von Ebersberg († 1085) Wilhelm von Hirsau (1069--1091) gewidmet hat, der allerdings nur literarische Bedeutung zukommt, nicht zum wenigsten wegen


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der Person ihres berühmten Verfassers. Delehaye hat seiner Ausgabe auch das 1. Kapitel der Historia Hirsaugiensis monasterii (SS. XIV, 254 f.) aus dem Codex Hirsaugiensis beigegeben.

Von der Chronica monasterii Casinensis des Leo von Ostia weist Paul Lehmann ( 400) ein Bruchstück (SS. VII, 651 f.) im Haag nach von einer um 1100 geschriebenen Handschrift aus Stavelot, von der andere Blätter in London und Paris zum Vorschein gekommen sind. Er vermutet, daß der Band durch Abt Wibald von Corvey und Stavelot, der 1137 auch Montecassino geleitet hat, in den Norden gekommen sei, und erörtert in diesem Zusammenhang überhaupt den Austausch von Büchern zwischen Deutschland und dem Gebiet Beneventanischer Schrift.

Die aus einer Abschrift des Mönches Petrus Guillelmus von St. Gilles (vgl. über ihn auch Levison, SS. R. Merov. V, 496 ff.) bekannte Bearbeitung und Fortsetzung des Liber Pontificalis bis 1130 stellt nicht die ursprüngliche Gestalt dar; vielmehr hat man längst erkannt und zuletzt Duchesne dargelegt, daß hier ein während des Schismas zwischen Innocenz II. und Anaklet II. vom Standpunkt der Anakletianer aus verfaßter Text von einem Innocentianer überarbeitet worden ist. Aber weder Duchesne noch Mommsen war es geglückt, die Vorlage aufzufinden, die wider alles Erwarten ein spanischer Forscher, J. M. March, 1911 in der Bibliothek des Domkapitels von Tortosa entdeckt hat. Die damals angekündigte Ausgabe liegt nun vor ( 1979). March teilt die Lebensbeschreibungen von Paschalis II. bis zu Honorius II. vollständig mit, von den vorhergehenden Teilen die wesentlichen Abweichungen gegenüber dem Text des Peter Wilhelm, mit eingehenden Erläuterungen und einer umfangreichen Einleitung. Dabei ist noch nicht das letzte Wort über die Frage gesprochen, ob der Kardinal Pandulf nur die letzten drei Viten geschrieben hat oder auch früher das Leben Paschalis' II., was der Verfasser gegen Duchesne bestreitet, dessen letzter Aufsatz über den Gegenstand in den Mélanges d'archéologie et d'histoire 38 ( 1920), 181--193, nicht berücksichtigt ist (doch vgl. jetzt March in den Estudios eclesiásticos VI, Madrid 1927, 258--280). Einen wesentlichen Gewinn für unsere Erkenntnis bedeutet die neue Gestalt der Vita Honorii, die, weit ausführlicher als der früher bekannte Text, vor allem deutlicher zeigt, wie nahe man schon 1124, nicht erst 1130, einem Schisma gewesen ist.

Wichtige Fragen der staufischen Geschichtschreibung behandelt ein Aufsatz von E. Ottmar ( 820). R. Holtzmann hatte 1922 aus dem Vergleich des von Monaci veröffentlichten Carmen de Frederico I. imperatore aus Bergamo mit den Gesta Friderici Ottos von Freising und Rahewins, mit Gunthers Ligurinus und Burchard von Ursberg das Dasein einer ihnen gemeinsamen, teils unmittelbar, teils mittelbar benutzten Quelle erschlossen, einer offiziösen Darstellung des ersten Jahrzehnts von Friedrichs Regierung aus der kaiserlichen Kanzlei, in der er den Anfang einer »Staufischen Hofhistoriographie« unter dem Einfluß Reinalds von Dassel zu erkennen glaubte. Daß hier manche Annahmen und Folgerungen unsicher und nicht streng beweisbar sind, war unverkennbar, und so hebt nun Ottmar vor allem die Unterschiede der vier Quellen scharf hervor mit dem Ergebnis, daß das Dasein einer »gemeinsamen, schon geformten Vorlage« unwahrscheinlich sei; ohne daß er das Vorliegen von Ähnlichkeiten und die Benutzung der gleichen amtlichen oder halbamtlichen


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Schriftstücke in mehr als einem der genannten Geschichtswerke bestreitet, geht die Lösung Holtzmanns nach ihm zu weit und vereinfacht die Fülle der möglichen Quellenbeziehungen mehr, als es durch den Tatbestand wahrscheinlich gemacht wird.

Die Werke Gottfrieds von Viterbo, den man in gewissem Sinne auch zu den Staufischen Hofhistoriographen rechnen kann, haben meist nur literarische Bedeutung und sind daher von Waitz (SS. XXII) nur teilweise abgedruckt worden. Bei Gottfrieds großem Einfluß auf die folgenden Jahrhunderte ist die Arbeit von E. Schulz ( 819) recht dankenswert, der mit Beachtung auch der von Waitz weggelassenen Teile, mit Unterscheidung der verschiedenen Fassungen und Bearbeitungen, von Entwürfen und Reinschriften der Entstehung von Gottfrieds Werken genauer nachgegangen ist. Gleich Waitz hält er an seiner Verfasserschaft auch für die Gesta Heinrici VI. fest, die man im Anschluß an Scheffer-Boichorst Gottfried meist abgesprochen hat; die Gründe sind beachtenswert, wenn mir auch nicht alle Schwierigkeiten beseitigt scheinen.

Eine für die Geschichte des Grenzgebietes deutsch-französischen Volkstums bei Calais, aber auch darüber hinaus kulturgeschichtlich wichtige Quelle, die Geschichte der Grafen von Guînes, die von Lambert von Ardres um 1200 verfaßt sein will, hatte W. Erben 1922 als erst um 1400 gefälscht nachzuweisen versucht. Dagegen tritt Fr. L. Ganshof ( 822) mit guten Gründen wieder für die Echtheit dieses lebensvollen Werkes ein, und auch Erben hat im Neuen Archiv 46 ( 1926), 621 f., die Berechtigung eines Gegengrundes anerkannt, wenn er auch im übrigen die Beweisführung von Ganshof nicht als ausreichend ansieht und zu neuer Untersuchung auffordert. Kurz vorher hatte er bereits, als er die literarische Art des Werkes in weiterem Rahmen kennzeichnete (Über die Erwähnung eigener Erlebnisse bei Geschichtschreibern des Mittelalters, in den Mitteil. des österr. Inst. 41, 1926, 18 ff.), ebenfalls die Entscheidung zwischen 1200 und 1400 als nicht gesichert anerkannt. Von belgischen Quellen der Stauferzeit hat W. W. Rockwell die Miracula Cornelii papae aus dem Prämonstratenserstift Ninove bei Gent, die er aus der nach Amerika verschlagenen Handschrift zuerst vollständig in einer Göttinger Dissertation 1914 veröffentlicht hatte, durch eine Neuausgabe ( 2163) allgemeiner zugänglich gemacht. H. Delehaye macht aus einer Brüsseler Handschrift eine Aufzeichnung über drei Konversen des Zisterzienserklosters Villers in Brabant, Arnold, Hermann und Nikolaus, bekannt (Acta sanctorum Novembris IV, 277 bis 279), eine Quelle der Gesta sanctorum Villariensium, bei deren Ausgabe Waitz den von ihm nicht gesehenen Text unrichtig beurteilt hat (SS. XXV, 194). [W. Levison.]


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