a) Allgemeines.

In einem Bonner Habilitationsvortrag hat M. Braubach ( 826) den bisherigen Verlauf der neuerdings wieder lebhaft erörterten Kontroverse über die mittelalterliche Kaiserpolitik kurz skizziert und selber mit Geschick auf der Ficker-Schäferschen Seite Stellung genommen. Die entscheidenden Fragen der politischen Lage (vgl. auch W. Kienast [ 877] und das 1927 erschienene Buch von Belows über die italienische Kaiserpolitik) kommen freilich reichlich knapp weg, und ich persönlich hätte auch gern des Verfassers Stellungnahme zu der von mir gestellten Frage des vordringenden Romanismus kennengelernt. Wie Schäfer und Hampe hält auch Braubach besonders die staufische Königswahl von 1138 für unheilvoll,


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doch scheint mir dabei die welfische Machtstellung Heinrichs des Stolzen erheblich in ihrer inneren Festigkeit überschätzt zu werden.

Von den Arbeiten von Eduard Eichmann über Wesen und Hergang der römischen Kaiserkrönung fällt in das Berichtsjahr eine Untersuchung über die Topographie ( 1568), die den Weg vom Monte Mario bis St. Peter, die Vorgänge im Innern der Peterskirche und den Krönungszug zum Lateran schildert. Für den Kaiserkrönungsordo Cencius II, der nach ihm von 962 bis zum 12. Jahrhundert in Geltung war, hat er 1924 in den Miscellanea Ehrle II die Ergebnisse seiner früheren Arbeiten zusammengefaßt und dabei vor dem Irrtum gewarnt, »als ob immer alles genau so gehalten worden sei, sicut in ordine continetur«. -- In einer anderen Arbeit zeigt Eichmann ( 1569), daß die sog. römische Königskrönungsformel vielmehr in Deutschland entstanden sein dürfte. Sie steht in engem Zusammenhang mit der wohl 983 in Aachen zuerst gebrauchten alten deutschen Königskrönungsformel und mag als deren Vorlage unter Benutzung einer älteren, kürzeren Fassung zwischen 962 und 983 entstanden sein.

Aus der zahlreichen Literatur zur rheinischen Jahrtausendfeier können an dieser Stelle nur einige Arbeiten genannt werden, die sich näher und besonders mit den in unseren Zeitraum fallenden Ereignissen der Reichsgeschichte beschäftigen, während im übrigen auf den territorialen Abschnitt über die Rheinlande § 63 zu verweisen ist. Klar und eindringlich entwickelt Paul Wentzcke ( 265) seine Auffassung von der besonderen Bedeutung des Jahres 925. Wilhelm Levison ( 260) behandelt eingehend die tatsächlichen Vorgänge, vornehmlich, aber nicht ausschließlich, von 843 bis 925, die kürzer auch von Wilhelm Erben ( 264) dargestellt sind, und begründet eine neue Auffassung von der Ostgrenze des Mittelreiches seit 843, die er von oberhalb Bacharach an nicht nur bis Unkel, sondern abwärts weiter bis zur Ruhrmündung fast überall mit dem Rhein zusammenfallen und erst dann auf das östliche Ufer übertreten läßt. Daß es sich im Jahre 925 nicht um die nationale Zugehörigkeit der schon lange deutschen Rheinlande, sondern nur um ihre politische Stellung, den endgültigen Zusammenschluß mit dem Ostreich, das dadurch in wahrem Sinne zu dem Deutschen Reich wurde, handelt, wird von Levison wie auch von A. Schulte ( 254) besonders nachdrücklich unterstrichen.

Wie in diesen Erörterungen die entscheidende Bedeutung Lotharingiens für die Entwicklung und den Bestand des deutschen Reiches und Volkes gründlich beleuchtet ist, so wird auch weiter an den Geschicken der ebenfalls aus dem Mittelreiche hervorgegangenen burgundischen Lande an Jura und Rhone starker Anteil genommen. Sie bilden, je nachdem der östliche oder der westliche Einfluß in ihnen vorherrscht, eine starke Flankendeckung oder eine gefährliche Bedrohung der deutschen Stellung zwischen Rhein und Maas und in Italien. Die mutige Zusammenfassung, in der R. Grieser ( 828) die Rolle des Arelats in der europäischen Politik von den Ottonen bis auf Karl IV. darzustellen unternimmt, ist darum im ganzen mit Dank zu begrüßen und wird auch ohne Vollständigkeit doch Nutzen bringen.

Für die innere Entwicklung treten die großen Stammesgebiete und die Frage nach ihrer Bedeutung für das Reich und der Berechtigung ihrer Sonderbestrebungen wieder in den Vordergrund. Ohne Frage kann eine solche Betrachtung


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fruchtbare Gesichtspunkte herausstellen, wenn es auch zweifelhaft erscheint, ob die Erörterung schließlich zu einer grundstürzenden Umwertung des Urteils über die Reichspolitik führen wird. Hierher gehört anscheinend der uns leider nicht zugängliche Aufsatz von B. Schmeidler ( 827) über Franken (vgl. Neues Archiv 47, 283).

Den Hauptinhalt der Arbeit von H. Philippsen ( 1842) bilden Ausführungen über alte Befestigungsanlagen an der Schlei bei Schleswig-Haddeby und weiter abwärts, über die nur ein Sonderfachmann mit genauer Ortskenntnis urteilen kann. Schleswig und Hedeby sind nach ihm nicht zwei ursprünglich verschiedene Orte, nur ließ der steigende Verkehr den bequemeren Hafen am Südufer gegenüber entstehen, der auf lange mit der nördlichen Siedlung, dem jetzigen Schleswig, eine Einheit bildete, schließlich freilich allein den Namen Haddeby bewahrte.

Die innere Einstellung der Tschechen zum Kaisertum legt J. B. Novák ( 853) mit mancher treffenden Bemerkung im einzelnen dar. Vom 10. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts besteht, nachdem die Schwierigkeiten des Anfangs überwunden sind, keinerlei Gegensatz gegen den Kaiser als solchen. Die Tschechen wollen lieber dem Reich unterstehen als anderen Slawen. Ihre Fürsten treiben im allgemeinen kaiserliche Politik, und in böhmischen Angelegenheiten gilt ein Eingreifen des Kaisers nicht an sich als unberechtigt. Aber der Kampf der Staufer mit der Kirche und ihr Sturz erschüttern den Glauben an die Ewigkeit des Imperiums. Unter der mächtigen Przemyslidenherrschaft des späteren 13. Jahrhunderts ändert sich das Urteil über das Reich von Grund aus; stark wird die Macht des eigenen Staates betont. Voll zum Durchbruch gekommen ist diese veränderte Einstellung zu dem jetzt als deutsch und den Tschechen feindlich empfundenen Imperium in der ersten tschechisch geschriebenen Chronik (des Dalimil), die nun auch überall die Vergangenheit in diesem neuen Lichte sieht. Sie zeigt, wie die Gegenwirkung gegen das Imperium die nationale Bewegung genährt hat. Für die tschechische Politik sieht Novák nunmehr nur die Wahl, entweder dem eigenen König die Kaiserkrone aufzusetzen, wie es in dem Höhepunkt des mittelalterlichen böhmischen Reiches unter Karl IV. geschah, oder dem Imperium mit Mißtrauen oder offenbarer Feindschaft zu begegnen. Den letzteren Weg ist das tschechische Volk seit der hussitischen Bewegung gegangen.

Die durch das verdienstliche Buch von Šišić über die älteste Geschichte der Kroaten veranlaßte Abhandlung von Ludmil Hauptmann ( 806) über die ältere kroatische Geschichte (bis 1102) kommt auch für diesen Zeitraum noch in Betracht. Zur Nachprüfung regen seine Bemerkungen über die Verbindung Adalberos von Kärnten mit Kroaten und Bulgaren (so erklärt er die Myrmidones der Lorscher Briefsammlung) 1035 an. Es sei, so meint er, der große Gedanke des von ihm hoch eingeschätzten Stefans I. von Kroatien gewesen, »den adriatischen Knoten durch einen karantanisch-kroatisch-bulgarischen Bund zu zerhauen«. Die deutsche Adria-Politik des früheren Mittelalters verdiente wohl nähere Betrachtung.

Über die bei uns viel zu wenig bekannte und schwer zugängliche slawische Literatur zur Geschichte des deutschen Nordostens und der slawischen Grenzstaaten des Reiches unterrichtet eingehend in Fortsetzung eines bereits 1924 erschienenen Berichtes H. F. Schmid ( 585), der damit eine außerordentlich


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fühlbare Lücke ausfüllt. Besonders sind die ausführlichen Erörterungen über die umfangreiche und offenbar wertvolle, aber doch wohl sehr der Kritik bedürfende Arbeit von D. N. Jegorov über die Kolonisation Mecklenburgs im 12. und 13. Jahrhundert (mit Faksimile des Ratzeburger Zehntregisters) und die Studien von R. Tymeniecki über die Rechts- und Sozialgeschichte der Pommern und Polaben (in Pommern und Mecklenburg) hervorzuheben.

Die Übersicht über Rußland und die Deutschen von Friedrich Braun ( 854) reicht vom 11. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts. Er unterscheidet drei Abschnitte und erörtert nach klärenden Bemerkungen über die russischen Familiennamen und manchem Hinweis auch auf nichtdeutsche Ausländer in Rußland zuletzt die Frage, inwieweit für den altrussischen, d. h. vorpetrinischen Adel deutsche Herkunft wahrscheinlich gemacht werden kann, eine Frage, die er nur in sehr wenigen Fällen (darunter die Romanow und die Tolstoj) mit Wahrscheinlichkeit bejahen möchte. In diesen Fällen würde die Einwanderung in den zweiten Zeitraum, den der Abschnürung Rußlands vom Westen und Norden (etwa 1200--1450), fallen. Für die Zeit vorher werden die wenigen Nachrichten über politische Verbindungen und besonders die drei fürstlichen Heiraten des 11. Jahrhunderts besprochen, Handel und Verkehr und ihre kulturellen Auswirkungen nur kurz gestreift. Die ältere, fleißige Arbeit von Ediger über den gleichen Gegenstand bis zum 12. Jahrhundert (Dissert. Halle 1911) ist dem Verfasser anscheinend entgangen. Hingewiesen sei hier auch auf die naturgemäß für unsere Zeit weit ergiebigere Arbeit Brauns über russisch-skandinavische Beziehungen in den Jahrhunderten nach Rurik: »Das historische Rußland im nordischen Schrifttum des X.--XIV. Jahrhunderts« in der Festschrift für E. Mogk (Halle, Niemeyer, 1924), S. 150--196. Der Höhepunkt dieser Beziehungen liegt danach völkisch im 10., politisch-dynastisch in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts, dann flauen sie schnell ab. Sophie, die Gemahlin Waldemars I. von Dänemark, deren Herkunft einst viel umstritten wurde, nennt er eine Tochter des Volodarj Glěbovič aus der Polotsker Linie des Hauses Rurik.

Die Regesten der oströmischen Kaiserurkunden von Franz Dölger ( 180, vgl. auch meine Anzeige Gnomon 1, 354--366) sind für uns um so wichtiger, als sie auch die Deperdita in größtem Umfang einbeziehen, darunter auch die Friedensschlüsse und die Gesandtschaften der Kaiser (aber nicht auch fremde Gesandtschaften nach Byzanz als solche), weil bei diesen Ausstellung kaiserlicher Schreiben oder Urkunden angenommen werden kann. Denn Dölger zieht seinen Rahmen enger als die Neubearbeitung von Böhmers Regesta imperii und andere neuere Regestenwerke. Er will grundsätzlich reine Kanzleiregesten als Vorarbeit für die Ausgabe der oströmischen Kaiserurkunden geben und schließt darum Nachrichten nichturkundlicher Quellen aus, soweit nicht ein Schreiben oder ein schriftlicher Befehl des Kaisers in ihnen ausdrücklich erwähnt wird oder aus ihnen mit Sicherheit erschlossen werden kann. Er gibt so freilich allein keine Grundlage für die Geschichte des oströmischen Reiches, auch nicht für die persönliche Geschichte der Kaiser wie die Regesta imperii. Sein Werk ist aber ohne Zweifel ein außerordentlich dankenswerter Wegweiser durch ein weit zerstreutes, buntscheckiges und äußerst trümmerhaftes Material. Obwohl insbesondere der abendländische Stoff dem Bearbeiter offenbar weniger lag und der zweite Teil (1025--1204) in bezug auf Anlage und


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Technik im wesentlichen dem ein Jahr früher erschienenen ersten Teil (565 bis 1025) gleicht, kann der Nutzen des mühevollen Werkes nicht zweifelhaft sein.


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