II. Politische Geschichte.

Die allgemeine politische Geschichte des deutschen Reiches im späteren Mittelalter stellt ein Arbeitsfeld dar, das in jüngster Zeit nur wenig angebaut, ja man darf sagen einigermaßen vernachlässigt worden ist. Soweit sich die historische Forschungsarbeit den Jahrhunderten nach dem Zusammenbruch des staufischen Imperiums überhaupt zugewendet hat, herrscht fast überall der territorialgeschichtliche Gesichtspunkt vor. So ist der hier zu erstattende Bericht nicht gerade reichhaltig und muß sich zum guten Teil damit begnügen, diejenigen Ergebnisse dieser territorialgeschichtlichen Forschung hervorzuheben, die geeignet sind, auch auf allgemeine Zusammenhänge der Reichsgeschichte ein neues und schärferes Licht zu werfen.

Von den territorialgeschichtlichen Quellenveröffentlichungen enthalten in dieser Beziehung wertvollen Stoff vor allem die Regesten der Bischöfe von Straßburg ( 184). Die hier zu erwähnenden Lieferungen umfassen die Jahre 1244--1273 und bieten so die Möglichkeit, an Hand des darin gesammelten urkundlichen und chronikalischen Materials die Haltung der Straßburger Bischöfe während des Interregnums, ihre Beziehungen zu Wilhelm von Holland


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und Richard von Cornwall sowie ihre Bestrebungen, die Schwäche der Reichsgewalt zur Usurpation von elsässischem Reichsgut auszunutzen, im einzelnen bequem zu verfolgen. Unter dem Bischof Walther von Geroldseck (1260--63) gewinnen in der großen Fehde mit der Stadt Straßburg, dem sog. Bellum Waltherianum, auch die territorialen Ereignisse eine weitergreifende, die allgemeine Reichsgeschichte berührende Bedeutung; ebenso wie dann die Beziehungen von Walthers Nachfolger Heinrich IV. von Geroldseck (1263--73) zu Rudolf von Habsburg ein besonderes Interesse zu beanspruchen vermögen. Für alle diese Fragen bringen die Regesten, wie zu erwarten, zwar kein neues, bisher unbekanntes Material, wohl aber enthalten die sehr sorgfältigen und ausführlichen Erläuterungen im einzelnen eine ganze Reihe von Feststellungen, die unsere Kenntnis der erwähnten Vorgänge bereichern und berichtigen. Dagegen ist für die Fortsetzung der Regesten bereits ein glücklicher, für die Reichsgeschichte wichtiger Fund zutage gekommen, den Manfred Krebs vorweg veröffentlicht hat ( 880). Es handelt sich um einen, bisher nur nach Zitaten bekannten, im Jahre 1274 abgeschlossenen Vertrag Rudolfs von Habsburg mit dem Bischof Konrad III. von Straßburg, der ein wichtiges Zwischenglied bildet zwischen dem von Friedrich II. 1236 geschlossenen, 1255 von Wilhelm von Holland bestätigten Vergleich einerseits und den späteren Abmachungen Adolfs und Heinrichs VII. mit der Straßburger Kirche andererseits. Die beigegebenen Erläuterungen sichern die Urkunde gegen den in Anbetracht des Fundortes -- die Papiere Grandidiers -- naheliegenden Verdacht der Fälschung und bestimmen ihre Bedeutung dahin, daß Rudolf den Vergleich von 1236 in einigen Punkten zugunsten der Straßburger Kirche abänderte, sich dadurch aber im übrigen zu der Revindikation des während des Interregnums verlorengegangenen elsässischen Reichsgutes, die er in dieser Zeit betrieb, die stillschweigende Zustimmung des Bischofs sicherte. Endlich sei hier von territorialgeschichtlichen Arbeiten noch die sorgfältige Untersuchung von E. Heinze über die sächsische Pfalzgrafschaft ( 848) genannt. Für die Reichsgeschichte des späteren Mittelalters von Bedeutung ist darin der Nachweis, daß die alte, auf Otto I. zurückgehende sächsische Pfalzgrafschaft, die seit 1247 in der Hand der Markgrafen von Meißen war und als Territorium Lauchstädt und sein Gebiet umfaßte, kurz nach 1350 sich auflöste. Dagegen entstand eine neue sächsische Pfalzgrafschaft und damit ein neues Reichsfürstentum dadurch, daß die ehemalige Königspfalz Allstedt sich seit der Mitte des 13. Jahrhunderts vom Reich löste, Reichslehen wurde und zwischen 1348 und 1354 durch Karl IV. als Pfalzgrafschaft Sachsen an die Herzöge von Sachsen kam. Der Grund für diese Umwandlung ist offenbar darin zu suchen, daß man sich in dieser Zeit des grundlegenden Unterschiedes zwischen Pfalz bzw. Pfalzherrschaft und Pfalzgrafschaft nicht mehr bewußt war.

Die Beziehungen der Zentralgewalt zu den außerdeutschen Reichslanden kommen an zwei Stellen zur Sprache. Zunächst ist auch hier das Buch von Rudolf Grieser über das Arelat ( 828) in Betracht zu ziehen, das die äußeren Geschicke der gemeinhin als arelatisches Königreich bezeichneten Lande bis zu dem Zeitpunkt verfolgt, wo mit der Übertragung des Reichsvikariats an den französischen Thronfolger durch Karl IV. im Jahre 1378 das Reich sich praktisch aus diesen Gebieten zurückzog. Was der Verfasser bietet, ist eine im allgemeinen recht brauchbare Verarbeitung des gedruckt vorliegenden


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Materials, ohne daß, von Einzelheiten abgesehen, unsere Kenntnis dabei wesentlich erweitert würde. An Hand einer undatierten, bisher falsch eingereihten Urkunde Rudolfs von Habsburg habe ich selbst ( 881) gezeigt, daß dieser Ende 1275 im Begriff stand, die Reichsrechte in Toscana wieder wahrnehmen zu lassen und zu diesem Zweck bereits zwei Rektoren ernannt hatte. Da damit das toskanische Reichsvikariat Karls von Anjou hinfällig geworden wäre, hängt es offenbar mit diesen Vorgängen zusammen, daß die angiovinische Kardinalspartei nun plötzlich eine Trübung der Beziehungen zwischen Gregor X. und Rudolf herbeiführte, indem sie den Papst veranlaßte, Ansprüche auf die Romagna zu erheben. Der rasche Tod Gregors X. veränderte dann die Situation so völlig, daß die schon ernannten Rektoren zur Ausübung ihres Amtes kaum mehr gekommen sein werden.


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