II. Von 1648--1701.

Die eigentliche Ausbildung und Stabilisierung der stehenden Heere fällt für die meisten Staaten Europas in die Zeit nach dem Dreißigjährigen Kriege. Daß ihre Anfänge zum Teil weit früher liegen, zeigt E. Heischmann für Österreich in einer auf breiter archivalischer Grundlage beruhenden Studie ( 982). Nicht nur ist die Idee der »continua militia« bereits seit Anfang des 16. Jahrhunderts zunächst im Zusammenhang mit der Verteidigung der gegen die Türken errichteten »Grenze«, später aber unabhängig davon in einer Reihe von Schriften und Gutachten entwickelt worden, vielmehr haben die Habsburger auch durch Anträge beim Reichstag und in Verhandlungen mit den österreichischen und böhmischen Ständen in der zweiten Hälfte des 16. und in den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts ernsthaft versucht, diese Idee zu verwirklichen. Es lassen sich zudem eine Reihe von Reformen in der österreichischen Heeresverfassung um das Jahr 1600 feststellen, die als erste Anläufe zur Schaffung des miles perpetuus bezeichnet werden können.

Die Türkennot war es vor allem, die in Österreich den Gedanken des stehenden Heeres aufkommen ließ. Sie war auch im 17. Jahrhundert noch nicht gebannt, in der Belagerung Wiens 1683 fand sie vielmehr erst ihren Höhepunkt. Über diesen denkwürdigen Vorgang bringt F. H. Marshall eine eigenartige, bisher unbekannte Quelle zur Veröffentlichung ( 986). Es handelt sich um die griechische Übersetzung einer noch im Jahre 1683 erschienenen italienischen Flugschrift, die der im Dienste des Fürsten der Walachei stehende Kreter Jeremias Cacavelas 1686 anfertigte. Während das italienische Original sich in der Nationalbibliothek zu Venedig befindet, war Cacavelas' Manuskript in den Besitz des Britischen Museums gelangt. Marshall gibt außer Einführung und Register den griechischen Text mit Glossar und eine mit kritischen Anmerkungen versehene englische Übertragung. Trotzdem die italienischen Autoren sich hüten, die Führer der Christen irgendwie zu kritisieren, und trotz einzelner Ungenauigkeiten hat der Bericht, der auf sehr guten Informationen beruhen muß, doch bedeutenden historischen Wert.

Während in den Kämpfen gegen die Türken der Kaiserstaat an der Donau seine Machtstellung neu begründete, erstand ihm im Norden Deutschlands, in Brandenburg, dank der Tätigkeit des Großen Kurfürsten ein gefährlicher Rivale. Das Leben eines treuen Helfers Friedrich Wilhelms, des aus einer ursprünglich flandrischen Familie stammenden Geheimrats Johann v. Hoverbeck, schildert M. Hein auf Grund eingehenden Aktenstudiums und erschöpfender Verwertung der Literatur ( 984). Hoverbeck war als junger Mann noch in den Dienst des Kurfürsten Georg Wilhelm getreten, schon von diesem wurde er als Diplomat in Polen verwandt. Beim Regierungsantritt Friedrich Wilhelms


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galt er bereits als der beste Kenner der polnischen Verhältnisse, er erschien dann in der Folgezeit immer wieder als Vertreter des Kurfürsten in Warschau. Im Nordischen Kriege war er es, der in Verhandlungen mit dem bekannten kaiserlichen Diplomaten Lisola den Übergang Brandenburgs von der schwedischen auf die polnische Seite bewerkstelligte, später hat er insbesondere bei den Königswahlen Michael Wisniowieckis und Johann Sobieskis eine bedeutende, wenn auch nicht immer glückliche Rolle gespielt. Bis zu seinem im Jahre 1682 erfolgten Tode war sein Einfluß auf die polnische Politik Friedrich Wilhelms, die wir in ihren einzelnen Phasen deutlich verfolgen können, nicht gering. Leider vermißt man in dem verdienstvollen Werk eine zusammenfassende Würdigung des anscheinend politisch recht befähigten und tatkräftigen Mannes.

Die östliche Politik der Habsburger und der Hohenzollern hatte in gleicher Weise mit dem Druck von Westen, der überragenden Stellung, die Ludwig XIV. in Europa und auch in Deutschland einnahm, zu rechnen. An seinen Hof führen uns zwei neue Arbeiten über seine berühmte deutsche Schwägerin, Liselotte von der Pfalz, deren viel gewürdigte und viel umstrittene Persönlichkeit doch noch immer Stoff zu Forschung und Darstellung bietet. Ein höchst anziehendes Bild von ihr entwirft M. Strich ( 996), der ja schon früher eine Spezialstudie über Liselotte und Ludwig XIV. veröffentlicht hat. Seine neue Biographie über die Pfälzerin wendet sich an weitere Kreise, sie verzichtet daher auf jeden wissenschaftlichen Apparat, beruht aber auf einer genauen Kenntnis des gesamten reichhaltigen Quellenmaterials, das mit Geschick gemeistert wird. Treffend ist das Milieu gezeichnet, in dem sich dies Leben abspielt: die kleinen deutschen Höfe zu Heidelberg und Herrenhausen, an denen der von Lebensfreude übersprudelnde Wildfang aufwuchs, und dann Versailles-Paris, der gesellschaftliche Mittelpunkt der damaligen Welt, in dem die Herzogin von Orléans trotz der Bewunderung für den Sonnenkönig doch ihre deutsche Heimat nicht vergaß. Bei aller liebevollen Sympathie für die urwüchsige, gescheite Frau, die inmitten eines verderbten Treibens sich ihre Natürlichkeit bewahrte, bleibt des Verfassers Urteil gerecht: er verkennt und verschweigt die Schattenseiten ihres Wesens nicht, insbesondere ihren stolzen Hochmut, den sie in dem haßerfüllten Kampf gegen die Madame de Maintenon mit wenig vornehmen Formen zu vereinen wußte. -- Den Beziehungen, die Liselotte zu Hessen unterhielt, geht C. Knetsch auf Grund ihrer zahlreichen gedruckt vorliegenden Korrespondenzen und eigener Nachforschungen in den hessischen Archiven nach ( 997). Liselottens unglückliche Mutter Charlotte stammte aus dem Hause der Landgrafen von Hessen-Cassel. Trotzdem die Eltern sich in Unfrieden getrennt hatten und der Mutter schon früh jede Möglichkeit der Einwirkung auf die Tochter genommen worden war, brachte diese doch zeitlebens ihren hessischen Verwandten besondere Freundschaft entgegen: sie freute sich auf ihre Besuche in Paris und war ihnen vielfach behilflich. Sorgsam hat Knetsch im Anhang die Briefe der Herzogin an Angehörige der hessischen Familie, soweit sie zu ermitteln waren, zusammengestellt; bei den bisher ungedruckten Stücken handelt es sich allerdings meist um belanglose Glückwunsch- und Kondolenzschreiben. Als Ausnahme sei ein Brief an den Landgrafen Karl vom 8. August 1720 erwähnt, der ein charakteristisches Urteil über den Hochmut der Franzosen enthält.


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Beiträge zu der Geschichte der diplomatischen und militärischen Offensive Ludwigs XIV. gegen Deutschland und ihrer Abwehr bieten einige kleinere Aufsätze. H. Cramer bringt wichtige Verträge aus der Zeit des holländischen Krieges zum Abdruck, deren Originale sich im Fürstenbergschen Archiv zu Herdringen in Westfalen befinden ( 987): ein Abkommen zwischen dem Paderborner Fürstbischof Ferdinand v. Fürstenberg und Ludwig vom 7. April 1672 und ein unter französischer Vermittlung erfolgtes Bündnis zwischen Ferdinand und dem Münsterschen Bischof Christoph Bernhard von Galen vom selben Tag, eine Defensivallianz zwischen Ferdinand und dem Kaiser vom 9. April, die Wiener Militärkonvention vom 15. Dezember 1674, durch die Christoph Bernhard die französische mit der kaiserlichen Partei vertauschte, und endlich den Sonderfrieden, den der Paderborner am 20. Mai 1678 mit Frankreich schloß. Eine Episode aus demselben Krieg beleuchtet H. Welschinger: die Kämpfe um Trier im Sommer 1675 ( 988). Er versucht eine Ehrenrettung des französischen Marschalls Créquy, der, nicht ohne eigene Schuld an der Konzer Brücke geschlagen, sich in das von den Verbündeten belagerte Trier warf und hier sich heldenhaft bis zum Äußersten verteidigte. Gegenüber neuerlichen Zweifeln des Frhr. v. Dankelman erhärtet C. Jany seine früheren Ausführungen, wonach die angeblichen brandenburgischen Hilfstruppen Wilhelms von Oranien bei der Unternehmung nach England 1688 in Wirklichkeit aus dem holländischen Regiment Brandenburg bestanden, und gibt eine kurze Übersicht über die Geschichte dieses Regiments ( 992).


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