II. Memoirenliteratur.

Quellenerschließung und Forschung zu einzelnen Abschnitten unserer Epoche haben sich ganz überwiegend den Fragen der Außenpolitik zugewandt. Das Jahr 1925 hat über die inneren Verhältnisse der deutschen Regierung keine Publikationen gebracht, die sich mit der Memoirenernte der vorhergehenden Jahre (Waldersee, Eulenburg, Kiderlen-Wächter, Zedlitz-Trützschler) vergleichen ließen. Die Erinnerungen, die der Sohn des dritten Reichskanzlers, Alexander von Hohenlohe ( 1296), erscheinen ließ, sind am wertvollsten als Beitrag zur Geschichte Elsaß-Lothringens, mit dem der Verfasser sich durch Neigung und eigene dienstliche Wirksamkeit verbunden fühlt. Bei starker Kritik sind doch auch die guten Seiten der deutschen Verwaltung, Gerechtigkeit und materielle Förderung, anerkannt. Die Tätigkeit der leitenden deutschen Persönlichkeiten von Manteuffel bis Koeller wird auf Grund eigener persönlicher Kenntnis des Verfassers glossiert. Als zweiter geschichtlich wertvoller Ertrag des Buches ist die liebevolle und doch durchaus kritische Charakteristik seines Vaters zu bewerten, dem er während seiner Reichskanzlerzeit als persönlicher Helfer zur Seite stand; sie ist ein eindringlicher Versuch, der komplizierten Psyche des alternden Hohenlohe gerecht


S.301

zu werden. Im übrigen enthalten die Memoiren vornehmlich psychologisch interessante Beiträge zur Kenntnis einzelner Persönlichkeiten, von denen Bismarck, Holstein, Eulenburg und Wilhelm II. in erster Reihe stehen. Inhaltlich mehr Bestätigung schon bekannter Dinge als Neues bietend, sind sie von Reiz durch ihre literarisch glänzende Form. Der Quellenwert der Memoiren läßt sich ohne Mühe von den politischen Tendenzen loslösen, die der Prinz besonders am Schluß des Buches hervortreten läßt, obwohl ihn diese gelegentlich zu krassen Verzeichnungen hinreißen. -- Die Erinnerungen des Oberhofmarschalls Frhr. v. Reischach ( 1301) stammen aus der gleichen höfischen Welt wie die skandalreichen Aufzeichnungen Zedlitz-Trützschlers. Der loyale Wunsch, die Treupflicht gegen den ehemaligen Herrn zu achten, hat seine Memoiren jedoch stark abblassen lassen. Die Erzählung bewegt sich überwiegend auf dem Gebiet der äußeren Formen des höfischen Lebens. Reischach hat als Hofmarschall der Kaiserin Friedrich in jahrelanger enger Fühlung mit dieser gestanden. Sein Versuch, sie gegen die an ihr geübte Kritik zu verteidigen, ist nicht in dem Umfang geglückt, wie er wohl gehofft hat. Die von ihm abgedruckten Briefe der Kaiserin zeigen immerhin, daß Reischachs Hinweis auf den Widerspruchsgeist seiner Herrin als Erklärung ihrer in Deutschland verletzenden Vorliebe für englisches Wesen psychologisch zu ihrem Verständnis berücksichtigt werden muß. Die Einseitigkeit dieser Vorliebe wird jedoch im ganzen auch durch dies Material erneut bestätigt. Im übrigen enthält das kleine Buch eine Reihe verstreuter wichtiger Einzelzüge, so den Bericht über eine Unterredung mit Eduard VII. im Jahre 1907 und mit Bethmann-Hollweg am 9. Januar 1917 nach der Beschlußfassung über die Eröffnung des uneingeschränkten U-Bootkrieges. Das Urteil des Verfassers über die höfische Umgebung Wilhelms II. ist von einer wohlwollenden Milde, die starke kritische Reserven nötig macht. -- Aus den Aufzeichnungen des badischen Gesandten in Berlin und Bundesratsbevollmächtigten v. Jagemann ( 1297) müssen die historisch ertragbringenden Bestandteile einigermaßen mühsam herausgeholt werden, da sie in großer Ausdehnung bis zu recht belanglosen Intimitäten des rein persönlichen Lebens herabsteigen. Sie führen in die nüchterne Arbeit des höheren Beamtentums am Ausbau des Reiches ein und verfolgen mit maßvoll konservativer, aber immer bedenklicherer Kritik die allmähliche Verstärkung des unitarischen Elements im Rahmen der Reichsverfassung. Den Höhepunkt des Buches bedeutet der Konflikt des Verfassers mit Bülow über die Zugeständnisse, die der Reichskanzler den Parteien machte, um die Annahme der Zollvorlage von 1903 zu erreichen. Jagemanns Kritik an der opportunistischen Schwäche der Bülowschen Innenpolitik fügt sich ergänzend in das Bild ein, das die diplomatischen Akten von seiner Staatsleitung gewinnen ließen. -- In kleineren Arbeiten von Mendelssohn-Bartholdy und W. Andreas sind schließlich die beiden wichtigsten Memoirenwerke des Jahres 1924 einer kritischen Prüfung unterzogen worden. Mendelssohn- Bartholdy ( 1295) hat wichtige Bedenken gegen die quellenkritische Bedeutung des Materials erhoben, auf dem Hallers Eulenburg-Biographie aufbaut und Eulenburgs politische Träumereien sowie seine Botschaftertätigkeit in Wien einer scharfen Kritik unterworfen. Andreas ( 1299) zeichnete ein umfassendes Bild des Menschen und Politikers Kiderlen, das sich weit von der enthusiastischen Bewunderung E. Jaekhs für seinen Helden entfernte. Insbesondere hat er den

S.302

Höhepunkt der Kiderlenschen Laufbahn, die Agadirkrise von 1911, einer Prüfung unterzogen, die Kiderlens Politik die Verfolgung an sich berechtigter Ziele zugesteht, aber scharf betont, daß sie durch Fehlgriffe in der Wahl ihrer Mittel, die letzten Endes der tief in seinem Wesen wurzelnden burschikosen Derbheit und selbst Taktlosigkeit entsprangen, notwendig mit einer Niederlage endete.


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)