III. Der Landkrieg.

Zur militärischen Geschichte des Krieges brachte das Jahr 1925 das Erscheinen der ersten Bände des Reichsarchivswerkes ( 1442) über den Krieg, die Offensive im Westen bis zum 27. August und die Ostoperationen bis Mitte September umfassend. Von französischer Kritik ist gerügt worden, daß die Publikation sich nicht in der Hauptsache mit einer Darbietung der Dokumente begnügt habe, sondern den Versuch einer ernsthaften darstellenden Geschichte des Krieges macht. Erkennt man aber die Grundlage dieser Darstellung, die Verankerung in den Anschauungen der Schlieffenschule, überhaupt als zulässig an, so wird sich nicht leugnen lassen, daß es eine anerkennenswerte, maßvoll besonnene und auch durchaus kritische Leistung bedeutet. Die eigentlichen Schwerpunkte der Ereignisse, der Entschluß zur Offensive in Lothringen, die Mängel der Führung in Belgien und die Entsendung zweier Armeekorps aus den Kräften des rechten Flügels nach dem Osten sind nachdrücklich herausgearbeitet. Das Quellenfundament nach den Akten des Reichsarchivs und den Aussagen der Beteiligten ist durchaus solide, wenn auch nicht durch die an sich wünschenswerten Einzelbelege vergegenwärtigt. In der Berücksichtigung der Ereignisse auf der Gegenseite, die jedoch klar von dem Entwicklungsgang im deutschen Lager getrennt sind, wird eine ruhige Beurteilung ebenfalls nur einen Vorzug des Werkes sehen können. Es hat denn auch in der militärischen Kritik, aus der eine Besprechung Gröners ( 1446) hervorragt, überwiegend Anerkennung gefunden. Bei der Bedeutung der behandelten Fragen konnte jedoch Widerspruch nicht ausbleiben. Am bedeutsamsten sind bisher die Einwendungen Wetzells ( 1443/ 1444, der die Verantwortlichkeiten anders zu verteilen sucht und Moltke zuungunsten des Kronprinzen Rupprecht, Bülow auf Kosten Klucks entlasten möchte. -- Für den weiteren Verlauf des Landkrieges ist eine vorläufige deutsche Darstellung in dem großen Sammelwerk Schwartes ( 1449) zum Abschluß gekommen. Der Teil III, 3, vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende führend, ist in seinem Werte je nach den einzelnen Mitarbeitern nicht gleichmäßig. Die Ausführungen über die politische Geschichte des Zeitraumes sind übermäßig vereinfachend und unbefriedigend. In den militärischen Kapiteln sind jedoch wertvolle Abschnitte


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enthalten, so die Darstellung der Diskussion über Verteidigung oder Ausweichen und Gegenstoß, die auf deutscher Seite der französischen Offensive vom Frühjahr 1917 vorherging. Die Erschöpfung der deutschen Armee durch die Abwehrschlachten des gleichen Jahres, deren Ernst durch die Höhe der feindlichen Verluste nicht beseitigt wurde, ist von allen Bearbeitern gleichmäßig betont. Die Kapitel von Borries und Zwehl über die Ereignisse des Jahres 1918 sind selbständig nach den Akten des Reichsarchivs bearbeitet und verdienen auch neben der klassischen Arbeit Kuhls vielfach, so über das Werden des Offensivplanes im einzelnen, Beachtung. Zwehl verhält sich skeptisch gegen die französische Neigung, Fochs Offensive einen großangelegten strategischen Plan unterzulegen, sieht in ihr im großen und ganzen vielmehr nur eine auf die quantitative Übermacht gestützte reine Parallelschlacht und erblickt in der Behauptung, daß der Waffenstillstand die Ausführung eines von Lothringen ausgehenden Cannaevorstoßes abgeschnitten habe, ein Gebilde der Phantasie. -- Der württembergische General v. Moser ( 1450) hat die strategische Kritik seiner früheren Bücher in einer auf allgemeine Faßlichkeit berechneten Arbeit teils erweitert, teils in den subjektivsten Partien etwas gemäßigt. Er vertritt nicht mehr so hemmungslos wie früher die These, daß im Frühjahr 1915 eine Westoffensive gegen die englische Armee zu fordern gewesen sei. Beachtenswert ist die Kritik, die er an der Zermürbungsstrategie Falkenhayns übt, und die starke Beachtung der fortschreitenden Erschöpfung des deutschen Soldaten in den Jahren 1916/17. In größerer Fülle stehen daneben aber auch jetzt Ausführungen, die nicht genügend mit den tatsächlichen Gegebenheiten rechnen. Es ist bezeichnend, daß Moser die mangelhafte Zusammenarbeit mit den österreichischen Verbündeten kritisiert, ohne die politischen Spannungen zu berücksichtigen, die eine hegemonische Stellung der deutschen Heerführung verhinderten. Seine Kritik an der Offensive von 1918 nähert sich verhältnismäßig stark den Anschauungen Delbrücks, ohne jedoch dessen Psychologie Ludendorffs im entferntesten zu übernehmen. Die abschließende Würdigung dieses Generals nicht als eines genialen Feldherrn, wohl aber als des »großen Feldhauptmannes« des Weltkrieges von einer an die ganz Großen der Kriegsgeschichte gemahnenden Energie und Willenskraft, zeigt vielmehr den ernsten Wunsch, seiner Bedeutung gerecht zu werden.

Durch den Tod Conrad v. Hötzendorfs, von dem aus diesem Anlaß W. Schüßler ( 1461) eine warme, aber auch die Kritik nicht vergessende Charakterskizze gegeben hat, ist das wichtigste österreichische Werk zur Geschichte des Weltkrieges zum Torso gemacht worden. Der letzte, nach Conrads Tode aus dem Nachlaß erschienene Band ( 1460) behandelt in der bereits feststehenden, breiten dokumentarischen Anlage die drei letzten Monate des Jahres 1914. Er zeigt, wie die Verstimmung des österreichischen Feldherrn gegen den deutschen Verbündeten, im Ausdruck oft tief ungerecht, immer tiefere Wurzeln schlägt, und beleuchtet sein Verhältnis zu der 2. O.H.L. sowie zu den ihm näher stehenden deutschen Ostführern, von denen Hindenburg achtungsvoll, Ludendorff mit spürbarer Betonung seiner Schroffheit charakterisiert werden. Auch Conrads Beziehungen zu den politischen und militärischen Stellen in Wien und zu der ungarischen Regierung werden vielfach berührt. Die Differenzen mit Tisza über den Schutz Ungarns gegen Rumänien und die Selbständigkeit, mit der die Operationen gegen Serbien zum Teil unter dem


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Einfluß politischer Prestigebedürfnisse von Wien her geleitet wurden, zeigt, daß auch die Macht der Conradschen Heeresleitung durchaus nicht so ausgedehnt war, wie dies mehrfach von österreichischer Seite behauptet wird.

Im Berichtsjahr 1925 ist auch der erste Band des französischen Generalstabswerkes über den Krieg ( 1452) erschienen, der dem Verfasser jedoch leider noch nicht erreichbar gewesen ist. Nach französischer Angabe handelt es sich im wesentlichen um eine Dokumentenveröffentlichung mit sehr knappem, einleitendem und verbindendem Text in der Form, die für die kriegshistorischen Arbeiten dieser Stelle bereits vor dem Kriege zu fester Tradition geworden war. -- Von dem großen Kriegswerk des Generals Palat ist der zehnte, die deutsche Offensive gegen Verdun ( 1507) behandelnde Teil erschienen. Palats Darstellung ist für die deutsche Seite dieser Kämpfe bereits durch Zwehls Falkenhayn überholt; er hat noch keinen Einblick in Umfang und Tragweite der Auseinandersetzungen gehabt, die unter den deutschen Führungsstellen über diese Offensive geführt sind. Sehr wertvoll durch umfassende Benutzung der reichen französischen Literatur ist dagegen seine Darstellung für die Geschichte der französischen Führerentschlüsse, insbesondere über die Gründe, aus denen Joffre trotz immer stärker sich häufender Warnungen die deutsche Offensive nicht vor Verdun erwartete. Er hat bis zuletzt auf Grund allgemeiner strategischer Erwägungen angenommen, daß Deutschland die Offensive von 1915 gegen Rußland fortsetzen würde, um zunächst diesen Gegner zu beseitigen. Zur Würdigung der umstrittenen Fortsetzung des deutschen Angriffs, nachdem der Anfangserfolg nicht durchschlagend gewesen war, ist darauf hinzuweisen, daß Palat die Gefahr der französischen Lage Anfang Juni fast noch höher einschätzt, als die Bedrohung Verduns nach den ersten Angriffstagen. Pétain hat Anfang Juni erneut den Plan einer Räumung des rechten Maasufers erwogen und ist dieses Mal durch Joffres und Nivelles Einspruch in der Verteidigung festgehalten worden.

Begleiterscheinungen des militärischen Ringens behandeln zwei französische Werke über die deutsche Besatzung in Frankreich und das Elsaß im Kriege. Das erstere Werk von Gromaire ( 1455) beruht auf der amtlichen französischen Nachkriegspublikation zu dieser Frage und zahlreichen mündlichen Auskünften der betroffenen Bevölkerung, die nun freilich unkontrollierbares Eigentum des Verfassers sind und ihrer ganzen Natur nach nur als ein sehr vorsichtig zu behandelndes Material angesehen werden können. Außerordentlich stoffreich entrollt das Buch, wie nicht anders zu erwarten, ein vielfach erschütterndes Bild von den Leiden der Bevölkerung im besetzten Gebiet. Indessen ist es historisch dadurch entwertet, daß alle Anforderungen des deutschen Besatzungsregimes, auch die durch die Notwendigkeiten eines in seiner Art ganz neuen Krieges gebotenen, in Bausch und Bogen als Material zu einer kompakten Greuelanklage verwendet werden, außerdem Exzeß und allgemeiner Druck so sichtlich ineinandergeworfen werden, daß das in den jeweilig schwärzesten Farben gehaltene Bild als Ganzes unbedingt verfehlt ist. Man wird das Buch, das noch eine längere Karenzfrist für nötig hält, ehe der Deutsche, dem die Fähigkeit dazu in herablassender Weise nicht ganz abgesprochen wird, sich zur Höhe der westlichen Zivilisationsvölker entwickelt, nur als Beleg für die Anklagen nehmen können, die man in Frankreich gegen die deutsche Besatzung hat und zu haben meint, und daraus das Maß der


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Notwendigkeit ersehen, die für die jetzt erfolgende deutsche Publikation zur Kriegsgreuelfrage vorlag. -- Das Buch Spindlers ( 1537) bietet das ausführliche Tagebuch eines französisch denkenden Elsässers aus den Kriegsjahren. Voll greifbarer systematischer Abneigung gegen alles Deutsche, dazu, wie der Schluß zeigt, noch mit der Tendenz geschrieben, die beginnende elsässische Ernüchterung und Enttäuschung über die französische Verwaltung zu dämpfen, muß dem starken Band dank seiner Fülle plastischer Einzelheiten doch Quellenwert als Spiegel der inneren Entwicklung des Elsässers in den Jahren 1914 bis 1918 zuerkannt werden. Es ist vielfach lehrreich für die Gründe, aus denen im Laufe des Krieges sich die anfänglich begeisterte Begrüßung der französischen Annexion im Elsaß vorbereitet hat.

Die kriegsgeschichtliche Arbeit von englischer und russischer Seite steht an Ausdehnung und Bedeutung vorläufig hinter der französischen zurück.

Der Organisator der englischen Kriegsarmeen, Kitchener, hat in Germain ( 1503/1504) einen glühenden Bewunderer gefunden, dessen Buch trotz krassestem, aber lehrreichem Chauvinismus doch die historische Bedeutung Kitcheners für die Überwindung der ersten schweren Kriegsjahre durch die Entente mit gerechtem Nachdruck gegen englische Verkennung klarstellt. -- Mit dem General Danilow ( 1502) hat auch eine der führenden Persönlichkeiten der russischen Armee die Apologie ihrer Tätigkeit im Kriege geschrieben. Danilow behandelt eingehend die Frage der russischen Kriegsvorbereitungen, sucht auch seinerseits die Ansicht von der Kriegsbereitschaft Rußlands einzuschränken und betont, daß das sog. »Große Heeresprogramm« von 1913, dem er den Vorwurf ungenügenden Durchdachtseins macht, bei Kriegsausbruch noch Theorie gewesen sei und sofort aufgegeben werden mußte. Er behandelt weiter eingehend den russischen Operationsplan. Seine Darstellung der Kriegsvorgänge ist bemüht, die Grenzen des Einflusses des Oberkommandos gegenüber den Armeegruppenführern zu unterstreichen, um so einen Teil der Verantwortung für die russischen Mißerfolge auf sie abzuwälzen. Insbesondere bemüht er sich, festzustellen, daß die Entscheidung für den Karpathenangriff im Winter 1914/15 nicht durch den Oberkommandierenden, sondern durch den General Iwanow erzwungen worden sei. Mit vollem Recht betont er den großen Dienst, den Rußland seinen Verbündeten durch die Fesselung immer stärkerer deutscher Kräfte an seiner Front erwiesen hat.


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