1. Preußen.

Die Dissertation von Steiger ( 1659) versucht unter sorgfältiger Ausnutzung der gedruckten Quellenwerke eine Gegenüberstellung der rein theoretisch formulierten Anschauungen Friedrichs des Großen vom Staate und des Staatsbildes, das der Anblick seiner Verwaltungspraxis darbietet. (Die Formulierung des Titels entspricht also nicht ganz dem tatsächlichen Inhalt.) Das Ergebnis solcher Gegenüberstellung kann


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kaum noch Überraschendes bringen: Friedrich sei beherrscht durch die zeitgemäße Überzeugung von gewissen unveräußerlichen Menschenrechten. Aus dem Prinzip der Gleichheit leite er die Stellung des Fürsten als des ersten Dieners im Staate ab. Bei der Durchführung dieser beiden Prinzipien im Staate handele es sich aber nur um die Gleichheit des Rechtes gemäß den Leistungen des Einzelnen für den Staat und um die Freiheit auf geistigem Gebiete -- so würden diese Menschenrechte durch die Notwendigkeit des Staates modifiziert, dem als einem ideellen Wesen alle, auch der König, unterworfen seien, dessen schon dem theoretischen Begriff nach Wesenbestimmendes aber der Monarch ist, und dessen Lebensgesetz hoch über allen Individualrechten steht. Die Praxis zeige dann die Bewährung dieser theoretisch gewonnenen Ansichten: Die Notwendigkeiten der Erhaltung des Staates, beschlossen im Machtgedanken, und die Unreife der Menschen diesen Notwendigkeiten gegenüber drängen in der Praxis die Theorie der aufklärerischen Individualrechte völlig zurück und zwingen, an dem Prinzip der persönlichen Herrschaft und den alten sozialen Gliederungen festzuhalten. -- Die Anomalie des Aufeinandertreffens des vollentwickelten preußischen Absolutismus und eines Territoriums, das durch eine völlig singulär durchgebildete Ständeherrschaft charakterisiert ist -- Ostfrieslands --, ist der Gegenstand der auf breiter archivalischer Grundlage ruhenden Untersuchung von Hinrichs ( 1660). Der erste Teil, der die Entwicklung der ostfriesischen Ständeherrschaft schildert, gehört in einen anderen Zusammenhang. Hier interessieren dagegen die folgenden Kapitel, die zunächst nur die Zeit von 1743--1748 schildern, aber bis 1756 fortgeführt werden sollen. Sie berichten über die Besitzergreifung Ostfrieslands durch Preußen und die vorläufige Verfassungs- und Verwaltungseinrichtung durch Samuel von Cocceji, durch die die Macht der von Emden geführten »alten Stände« neu befestigt, aber schon die erste Grundlage für die spätere absolutistische Organisation gelegt wurde, obwohl die Gesamtmasse der ständischen Privilegien und der ständischen Verwaltung (auch der Steuerverwaltung) bestätigt werden muß. Die ersten vier Jahre der preußischen Regierung in der neuen Provinz sind dann eine Zeit der Konflikte, Kompromisse und Reibungen der neuen preußischen Behörden mit den Ständen. Da die neue »Regierung« unter Leitung des Vertrauensmannes der allmächtigen Stände, Homfelds, stand, so ergibt sich hier ein besonders charakteristischer Fall jenes Gegensatzes zwischen den aus der territorialen Sonderstellung der älteren, ständischen Territorien entwickelten Behördenformen und den neuen, zentralistisch gerichteten gesamtstaatlichen Behörden. Dieser Gegensatz liegt dem Kampfe zugrunde, den in diesen Jahren die Kriegs- und Domänenkammer unter Bügels Führung gegen die Stände zu führen hatte und zugleich gegen den ostfriesischen Kanzler und heimlichen Führer der Stände, Homfeld. Alle Versuche Bügels, eine neue, absolutistisch und merkantilistisch gerichtete Landesverfassung durchzuführen, scheitern an dem Widerstand Homfelds und der Stände, und in der Tat konnte die Ungeheuerlichkeit einer solchen ständischen Staats- und Steuerverwaltung innerhalb des absoluten Beamtenstaates solange nicht gebrochen werden, als der König seine Beamten an die strikte Beobachtung der überalterten ostfriesischen Landesverfassung band. So blieb für Bügel keine andere Möglichkeit, als durch Ausnutzung der Gegensätze innerhalb der Stände einen Umschwung herbeizuführen. Den Umsturz der Ständeverfassung und die Reorganisation der Finanz- und Justizverwaltung sollen die

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folgenden Kapitel darstellen. --Hallmanns Untersuchung über die letztwillige Verfügung im Hause Brandenburg ( 1657) beruht ganz auf v. Caemmerers ausgezeichneter Ausgabe der Testamente. Leider ist dessen Arbeit infolge des Kriegstodes des Verfassers in ihrem darstellenden Teil Torso geblieben. Die letzten Kapitel sind nur in knappen Stichworten skizziert, und die geplante große rechtsgeschichtliche Einleitung blieb ungeschrieben. Hallmanns Arbeit versucht eine Abgrenzung der rechtsgeschichtlichen und staatsrechtlichen Form der Testamente aus dem im Laufe der Geschichte abgewandelten Inhalt der für die Entwicklung des Staatsbegriffs im Hause Brandenburg so überaus wichtigen letztwilligen Verfügungen (der »väterlichen Disposition«, des »letzten Willens« und der nachreformatorischen Testamente). Obwohl bei v. Caemmerer für die Zeit vom Geraschen Hausvertrag an nur die Stichwortskizze vorliegt, wird man nicht behaupten können, daß Hallmann erheblich über ihn hinausgekommen ist. -- Dagegen ist die Arbeit von Heymann ( 1134) als eine höchst bedeutsame Ergänzung und Fortführung zu v. Caemmerers Werk zu werten. Sie ist entstanden im Anschluß an Heymanns Beteiligung an den Hohenzollernschen Auseinandersetzungsfragen. Der Verfasser druckt erstmalig das ganze Testamentswerk Friedrich Wilhelms III., das ja nie als Ganzes vollzogen und nur in einer Reihe juristisch verschieden charakterisierter Teiltestamente hinterlassen war, ab und unterzieht es einer eindringenden juristischen Untersuchung, ebenso wie die Ausführungs- und Anerkennungsakte. Er kommt zu dem Ergebnis, daß das Testament schon wie es in seinen einzelnen Teilen vorliegt, vollends aber infolge der Anerkennung der Rechtsnachfolger als vollkommen gültig anzuerkennen sein mußte. Das Testamentswerk entstammt durchaus dem Geiste des im Zeitalter des Absolutismus im preußischen Königshause entwickelten Privatfürstenrechts und ist also zunächst von diesem aus zu beurteilen. --Zur Bonsen ( 1661) veröffentlicht eine biographische Aufzeichnung des Vaters Heinrich v. Sybels, der als Assessor bei der Münsterschen Regierung 1805 Referent in jenem berüchtigten Prozeß der v. d. Recke war, welcher Gegenstand des letzten Aktes preußischer Kabinettsjustiz gewesen ist. Man lernt die ganze Schwere dieses Falles von absolutistischer Rechtsbeugung und seine bösen Nachwirkungen in der Stimmung der westfälischen Bevölkerung gegen Preußen kennen. -- Erwähnt sei noch eine Ergänzung von Hein ( 1686) zu Kerns Deutschen Hofordnungen des 16. und 17. Jahrhunderts, über dessen Arbeiten in Königsberg, wie der Verfasser meint, »leider kein guter Stern geleuchtet hat«. Von Wichtigkeit ist nur die im Anhang abgedruckte Hofordnung Georg Friedrichs vom 14. März 1584, die Kern nicht zugänglich gewesen ist.


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