V. Liberale Parteien.

Die wichtigste Erscheinung zur Geschichte des Liberalismus dieses Jahres ist der von Julius Heyderhoff bearbeitete 1. Band (1859--70) der Wentzckeschen Sammlung politischer Briefe aus dem Nachlaß liberaler Parteiführer ( 1695). Sie entstand aus dem Bedürfnis, angesichts des völligen Fehlens von Protokollen der Fraktionssitzungen und sonstigen Parteipapieren eine Grundlage für die in Angriff genommene Geschichte der nationalliberalen Partei zu schaffen. Es ist Paul Wentzcke hervorragend gelungen, die zum großen Teil noch in Privatbesitz befindlichen Briefe der führenden Parteimitglieder aufzuspüren. Besonders glücklich traf es sich, daß gerade bei den wichtigsten miteinander korrespondierenden Persönlichkeiten die Nachlässe der Briefempfänger wie der Briefschreiber ermittelt wurden und sich so durch Wiedergabe von Frage und Antwort die Zusammenhänge fast vollständig wiederherstellen ließen. So ist mit der Briefsammlung als einem geschlossenen Ganzen für die Kämpfe und Entwicklung innerhalb der liberalen Partei im entscheidenden Jahrzehnt des deutschen Einheitskampfes eine ausgezeichnete Quelle geschaffen. Der Übergang liberalen Einflusses von der Fortschrittspartei auf die neu gebildete nationalliberale Partei tritt in ihr scharf in Erscheinung. In dem vorliegenden Bande stellen die Nachlässe Baumgarten, Sybel, Treitschke den Kern dar. Dazu kommen u. a. die Nachlässe Simson, Freytag, des Danziger Anwalts Gustav Lipke, in dem sich die Briefe Twestens fanden, sowie die süddeutschen Nachlässe Robert Mohl und Hölder und, am Schluß dieser Zeit schon in den Vordergrund tretend, Eduard Laskers ausgedehnter Briefwechsel. Heyderhoffs flüssig geschriebene Einführungen bringen scharf gezeichnete Charakteristiken der Briefschreiber als Politiker.

Einen weiteren beachtenswerten Beitrag zu den inneren Kämpfen des Liberalismus dieser Zeit bringt Hans Neumann, »Franz Ziegler und die Politik der liberalen Oppositionsparteien« ( 1694). Der Aufsatz arbeitet die Punkte heraus, die es dieser selbständigen Persönlichkeit so schwer machten, sich einer Partei einzugliedern: radikalste liberale Forderungen, verbunden mit nationaler Staatspolitik im Sinne Bismarcks, Forderung sozialer Hebung des Arbeiterstandes durch Produktivassoziationen im Sinne Lassalles, Abneigung


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gegen Vertretung wirtschaftlicher Interessen in der Parteipolitik, wie sie seiner Ansicht nach die Nationalliberalen pflegten. Ziegler erscheint als ein Realpolitiker, der in keine Parteischablone paßte und, wie er selbst gesagt haben soll, aus dem Holz geschnitzt war, aus dem man nicht Geheime Räte, sondern Minister mache.


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