II. Frühes Mittelalter.

Im Hinblick auf Max Webers scharfe Gegenüberstellung von verkehrswirtschaftlicher Küstenkultur und verkehrsarm-naturalwirtschaftlicher Binnenkultur im orbis antiquus gibt H. Aubin ( 1770) einen Abriß der Wirtschaftsentwicklung Galliens und Germaniens in römischer Zeit. Dank ihrer Aufgeschlossenheit durch zahlreiche Wasserwege und der frühen Durchbildung des Landtransportwesens haben diese beiden Provinzen in Ausgestaltung des inneren und äußeren Handels wie der ihn speisenden Gewerbe (Wollweberei, Bronzeguß, Töpferei) und Landwirtschaftszweige (Wein) eine Verkehrswirtschaft entwickelt, welche strukturell jener des Hochmittelalters gleichkommt. Sie bieten damit das Beispiel, wie auch durch die antike Wirtschaft der Binnenlandcharakter überwunden werden konnte, dem Weber eine naturnotwendig eintretende entscheidende Wirkung für den Untergang der antiken


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Kultur zuschreiben wollte. Das hier entworfene Bild des gallischen und germanischen Straßennetzes ergänzt Wopfner ( 534) für eine Ostalpenroute, indem er zugleich die politische und kirchliche Geographie des Landes in der Übergangszeit vom Altertum zum Mittelalter aufhellt.

Auf der anderen Seite prüft Schramm ( 1769) die germanischen Grundlagen des deutschen Wirtschaftslebens auf das in ihnen erreichte Maß von wirtschaftlichem Austausch. Ist aber eine aus einigen allgemeinen Werken zusammengelesene Widerlegung der »geschlossenen Hauswirtschaft« Büchers wirklich noch notwendig? Höchst erwünscht wäre eine genaue Verarbeitung des gesamten archäologischen Materials, die aber steht immer noch aus.

An dritter Stelle, für das frühe Mittelalter, ist die Frage nach dem Maße von Verkehrswirtschaft von Dopsch aufgeworfen worden.

In einer Nachlese zu Dopschs bekanntem Werke sucht Jordan ( 1772) die nordfranzösischen Reichenauer Glossen für die Wirtschaftsgeschichte auszuschöpfen. Es spiegle sich darin die Veränderung der inneren Stellungnahme der einbrechenden Franken zu dem äußerlich noch erhaltenen römischen Geld- und Kreditwesen. Dankbar für manche feine Beobachtung, bemerkt man doch, daß die Schlüssigkeit der rein wortgeschichtlichen Argumente für die wirtschaftsgeschichtliche Erkenntnis stark überschätzt wird; wenn man etwa die Behauptung liest, daß dem Leihewesen für die Merowingerzeit eine »ungeheure Bedeutung« zukomme, spürt man den Einfluß von Dopschs These.

Für die Erörterung des gleichfalls von Dopsch angeschnittenen Kontinuitätsproblems zieht Heimpel ( 1809) erfolgreich die Beobachtungen einer Siedlungskunde heran, welche nicht bei dem Nachweis der Konstanz im allgemeinen stehen bleibt, sondern zur Feststellung bezeichnender topographischer Verschiebungen innerhalb derselben vordringt.

Die drei Epochen des mittelalterlichen Ostseehandels, wie sie sich in der Geschichte Gotlands spiegeln, des normännischen, des deutschen mit dem Stützpunkt Wisby und des deutschen über Wisby hinweg werden auf den wenigen Seiten von J. Kretzschmar ( 1794) in ihrem äußeren Verlaufe gut umrissen. In diesen Rahmen fügen sich Seegers ( 1832) genaue Zusammenstellungen über die Westfalen auf dem Handelswege Schleswig- Gotland-Livland (bzw. Nowgorod). Sie bilden Teile einer Arbeit, welche vornehmlich den Anteil der kleinen Städte an dem Handelsbetrieb Westfalens herausarbeiten und diese kleinen Städte als allmählich erwachsene Zentren ihrer ländlichen Umgebung zur Geltung bringen will. -- Unsere Kenntnis von der Entwicklung der Handelsbücher fördert Rörig ( 1781) an der Hand eines bisher nur andeutungsweise bekannten und falsch beurteilten Handelsbuches der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts aus Lübeck. Es hat der Abrechnung zweier Schwäger gedient, welche sich öfter in Geschäften vertraten. Die hauswirtschaftlichen Eintragungen darin beruhen nicht, wie C. Mollwo gemeint hat, darauf, daß es einen primitiven Typ darstellt, sondern haben ihren besonderen Grund, und Handlungsbücher sind in Lübeck bis zur zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts zurückzuverfolgen. Reich an Nachrichten über Kommissionsgeschäfte, erheischt das Büchlein auch deshalb Beachtung, weil es über die Beziehungen eines städtischen Grundherrn zu pflichtigen Bauern berichtet, welche über die Pachtzahlungen hinaus zu gegenseitigen Kaufgeschäften gediehen sind, wobei Verschuldung der Bauern an den Kaufmann bemerkt wird. Reich sind auch die


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Erläuterungen an Einblicken in Vermögensverhältnisse städtischer Familien, welche den Übergang vom Kaufmannsberuf zum Rentnerdasein erkennen lassen. Einen Baustein zur Agrargeschichte Oberdeutschlands bietet Siebert ( 1820), einen überaus wertvollen Einblick in die gewerbliche Leistungsfähigkeit aber einer Grundherrschaft des 11. Jahrhunderts in bisher kaum erreichter Genauigkeit Heimpel ( 1809) für S. Emeran-Regensburg in bezug auf die bäuerlichen Tuchlieferungen. Was er sonst über das Regensburger Gewerbe für das frühere Mittelalter feststellen konnte, bleibt dagegen bei dieser vorwiegenden Handelsstadt hinter den Einblicken in andere Städte zurück.

Wopfners Urkundensammlung ( 1722) beginnt eine empfindliche Lücke zu schließen, welche in der Reihe unserer Hilfsmittel für den akademischen Unterricht klaffte. Neben die bekannten vorzüglichen Quellenbücher aus dem Gebiete der Rechts- und Verfassungsgeschichte, von denen Keutgens für die Wirtschaftsgeschichte wenigstens der Städte manches bot, tritt jetzt ein gleichwertiges Werk für jene des flachen Landes. Das 1. Heft reicht von der Germanenzeit bis zum Ausgang der Karolingischen Epoche, das zweite bis 1300, beide bilden aber nur durchlaufende Teile des Gesamtwerkes. Aus Schriftstellern (Caesar und Tacitus), Gesetzen (Salica, Baioariorum), Ordensregeln, Capitularien, Weistümern, Urkunden, Formelbüchern und Urbaren sind darin in annähernd 200 Nummern Beispiele für möglichst alle beachtenswerten agrarhistorischen Erscheinungen -- soweit sie sich eben in kurzen Quellenstellen fassen lassen -- und zugleich für die Quellengattungen zusammengetragen. Vornehmlich für den Gebrauch in Seminaren bestimmt, darf die Sammlung doch auch von der Forschung nicht übersehen werden, weil sie von Stücken, welche nur in älteren Drucken vorliegen, neu überprüfte Lesungen bietet. [Aubin.]


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