III. Späteres Mittelalter.

Allgemeines. Die Beschäftigung mit der spätmittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte und mit ihrer frühkapitalistischen Fortentwicklung bis zum Dreißigjährigen Kriege darf als rührig bezeichnet werden. Es fragt sich sogar, ob nicht manchmal des Guten zu viel geschieht und ob die unübersichtliche Gestaltung des lokalen Schrifttums nicht oft hemmend wirkt. Es wird noch lange dauern, bis die nur in Maschinenschrift in wenigen Exemplaren vorhandenen Dissertationen von der Forschung wirklich verarbeitet worden sind. Einige, wie Heimpel ( 1809, als Buch erschienen Stuttgart 1926) und Hohls ( 1831), (gegenüber dem Manuskript in etwas zusammengefaßter Form erschienen in den Hans. Gesch.bll., 1926, 51. Jg.) sind verdientermaßen später noch zum Druck befördert. Auch die Berliner Dissertation Seegers ( 1832) vermochte 1926 vollständig im Buchhandel zu erscheinen.

Gewerbewesen. Für die Einzelforschung, namentlich im älteren Gewerbewesen, erweist sich die seit 1920 vorliegende Zusammenfassung älterer Arbeiten v. Belows unter dem Titel »Probleme der Wirtschaftsgeschichte« ( 1715) als fester Stützpunkt. Die Gewerbegeschichte ( 1723 ff.) wird ständig um neue Monographien vermehrt. Als beste Frucht des Berichtsjahres erscheint mir Heimpels Regensburger Gewerbewesen (s. oben); in der Buchform enthält es einen Beitrag von Fr. Bastian über das Textilgewerbe der bekanntlich hochwichtigen Donaustadt. Hervorheben möchten wir sodann Fr. Techens erschöpfende Studie über »Die Böttcher in den Wendischen


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Städten« ( 1743). Doch scheint es uns ratsam zu sein, jetzt erst einmal die zur Genüge bekannten organisatorisch-verfassungsgeschichtlichen Seiten des älteren Gewerbewesens zurückzustellen vor den wirtschaftlichen Momenten: Mehr Wirtschafts-, weniger Zunftgeschichte sollte geboten werden. Für die hier zu behandelnden Übergänge zum Frühkapitalismus wenigstens ist nicht so sehr die normale städtische Zunft von Interesse als die Frage, wie sich die Gewerbe zum vordringenden Verlag und Unternehmerbetrieb gestellt haben. Bekanntlich ist das Beharrungsvermögen der Gilden usw. recht stark gewesen, und zwar auch dann, wenn das Gewerbe selbst, z. B. das Brauwesen (1737 Dortmund, 1744 Hannover, 1746 Goslar), an sich auf eine raschere Anpassung an den Kapitalismus hätte schließen lassen.

Handelsgeschichte. Erfreulich erscheint, namentlich auch vom Standpunkt der Handelsgeschichte aus, daß einzelne Handelswaren jetzt mit größerem Nachdruck in ihrer Bedeutung herausgehoben werden als früher. G. Aubins Schule ist hier zu nennen, welche die deutsche Leinwandherstellung und ihren Vertrieb in den Vordergrund rückte. Aubins speziellstes Arbeitsgebiet, die Beziehungen Nürnberger Verleger zu ostdeutschen Leinenproduktionsstätten (Sachsen, Lausitz, Böhmen), ist jetzt monographisch behandelt (A. Kunze, Hall. Diss., 1877). Hohls Diss. (1831, vgl. über den Druck oben) bemüht sich, ein zusammenfassendes Bild über den gesamten norddeutschen Leinwandhandel im Mittelalter zu geben (vgl. 1723, Leineweber in Nördlingen). Die Tuchmacherei und Weberei wurden für Basel ( 1728), Trier ( 1732), Montjoie ( 1734), Salzhandel und -produktion für Halle ( 1758) dargestellt; vgl. auch 1791 über das englische Salzmonopol 1563--71. Einen Rohstoff, und zwar das Bau- und Nutzholz, die zu exportierenden Balken, Bretter, Eichenbohlen stellt auch der Norweger A. Bugge ( 1787) in den Vordergrund, zunächst bis 1544. Das Buch ist hier aufzuführen, weil es auch die Hansezeit umfaßt; gegenüber Bugges Behauptungen über Holzausfuhr in der Wikinger Periode z. B. nach Friesland ist aber größte Vorsicht am Platze (vgl. Heckscher, Hist. Tidskrift, Stockh. 1927, S. 196). Wir benutzen diese Gelegenheit, auf zwei norwegische Städtegeschichten hinzuweisen, die in Deutschland besser beachtet sein sollten: Des früh verstorbenen Helge Gjessings Tunsbergs Historie i Middelalderen til 1536, Kristiania (Oslo) 1913, 182 S., und die zweibändige Geschichte der Hauptstadt Norwegens von Edv. Bull, herausgegeben zum 300jährigen Jubiläum 1924 und mit dem zweiten Bande (1927 erschienen) bis 1740 reichend. Wer weiß, daß Tunsberg (Tönsberg, am Eingang des Christianiafjords gelegen) ein bevorzugter Handelsplatz der Hanse und besonders Rostocks war, wird sich nicht wundern, ganze Kapitel hansischer Geschichte bei Gjessing anzutreffen. Hier mögen auch die beiden Hamburger Dissertationen von Bohling und Schumacher ( 1795, 1796) über hansisch-nordische Verhältnisse des 15. Jahrhunderts erwähnt sein, sowie Häpkes Versuch ( 1798), die Handelspolitik der Wasas Deutschland gegenüber zu skizzieren. Dieser Überblick, im Rahmen eines kleines Sammelbandes über »Schwedens Staats- und Wirtschaftsleben«, bekam sein Seitenstück, als Häpke auf Grund der Akten im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv den Beziehungen zwischen Reich, Wirtschaft und Hanse im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert nachging ( 1797). Es ergab sich, daß die wirtschaftspolitischen Einwirkungen von Reich und Reichstag in den Fragen der Münz-, Gewerbe-, Rohstoffpolitik weit stärker


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waren, als man bisher, ohne eigentliche Nachforschungen, gläubig hingenommen hatte. In diese Zusammenhänge gehört die von E. Marcks angeregte Dissertation von J. R. Marcus ( 1792), die gegenüber den Übertreibungen der Vorkriegszeit nachweist, daß auch bei der handelspolitischen Invasion Deutschlands durch die Merchant Adventurers mit Wasser gekocht wurde. Weder herrschte in England die angebliche eiserne Konsequenz, bei der Krone, Staatsmänner und Merchant Adventurers wie ein Uhrwerk zusammenarbeiteten, noch war die Suspension des Reichstagsvotums von 1582 bei uns von einer katastrophalen Wirkung.

Geld- und Münzwesen. Das neuerwachte Interesse am Geld- und Münzwesen ( 1767, vor allem 1823 und passim) ist gewiß willkommen zu heißen. Nur steht man gelegentlich etwas skeptisch dem großen Fleiße gegenüber: Haben die Autoren auch wirklich das so ungeheuer schwierige Gebiet der Wissenschaft vom Gelde mit seinen ganz eigenartigen Gesetzen erfaßt? -- Die berufsmäßigen Geldleiher (Lombarden) sind namentlich von Belgiern beobachtet: Sowohl über das wichtige Arras, einem Handelsmittelpunkt im frühreifen Nordfrankreich, wie über Kortrijk liegen besondere Studien (Bigwood1779, Sabbe1778) vor. Bigwood hat schon vorher über »die juristische und wirtschaftliche Verfassung des Geldhandels in Belgien« (Brüssel 1920) gearbeitet. -- Eine programmatische Skizze bietet J. Strieder ( 1786), indem er weitere Arbeiten zur Geschichte der größeren Finanzmänner ankündigt, die als Geldgeber deutscher Territorialstaaten (Bayern) fungiert haben. Begreiflich, daß diese Forschungen eng mit der Geschichte der Juden in Deutschland zusammengehören. Übrigens erlebten Strieders kapitalistische Organisationsformen ( 1785) im Berichtsjahre eine zweite Auflage.

Bergbau. Hier möge auch ein Hinweis auf die bergbaugeschichtlichen Arbeiten Platz finden, die für die deutsche Wirtschaftsgeschichte mit ihren erheblichen bergbaulichen Leistungen vom 10. bis 16. Jahrhundert besonders wichtig sind. Diesmal ist die Ernte quantitativ nicht eben groß. Nur zwei kürzere Arbeiten im Rahmen der fleißigen österreichischen Landesgeschichte aus Niederösterreich und Vorarlberg (Geyer,1802, und St. Müller,1806) finden wir verzeichnet. Die Gebirgswirtschaft mit Waldnutzung, Glashütten und als Fundort von gewerblich wichtigen Erden (Porzellan) ist mehrfach (Harz, Erzgebirge 1747--49) vertreten. Doch können hier schon weitere Fortschritte über das Berichtsjahr hinaus angekündigt werden.

Handelstechnik. Hinsichtlich der Technik des älteren Handels ist zunächst ein Blick auf Al. Schultes Standardwerk über die Ravensburger Gesellschaft angebracht (erschienen 1923, hier 1780), die ein hochinteressantes Mittelglied zwischen Mittelalter und Neuzeit darstellt. Entsprossen aus mehreren Familiengesellschaften aus den Städten Konstanz, Ravensburg, Buchhorn am Bodensee bringt sie es zu einem ausgedehnten Handelsverkehr über das Rhonethal mit Ostspanien, und zwar auf der Grundlage der Leinwandausfuhr aus der Gegend des Schwäbischen Meeres. Der Reichtum der mitgeteilten Archivalien an technischen Angaben zur Warenkunde usw. ist noch keineswegs erschöpft. Man kann an dem Werk in Zukunft nicht vorbeigehen.

Zum Berichtsjahr selbst gehört dann F. Rörigs kommentierte Ausgabe des Handlungsbuchs von Herm. Warendorp und Joh. Clingenberg aus dem Lübecker Staatsarchiv, das man früher in seiner Bedeutung für die Handelsgeschichte


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weniger zu würdigen verstanden hatte ( 1781). Eine wesentliche Studie über die Anfänge der kaufmännischen Buchführung im Deutschland des 13. Jahrhunderts ist beigegeben. Die tiefgründigen genealogischen Forschungen stehen im Zusammenhang mit Rörigs sonstigen wirtschaftsgeschichtlichen Studien auf Grundlage der lübischen Überlieferung (vgl. 1837 Markt zu Lübeck, erschienen 1922, ferner 1793 Anwendung seiner Forschungen auf die allgemeine Hansegeschichte um 1350, vgl. auch die Gutachten Rörigs in einem Fischereiprozeß des lübischen Staates gegen Mecklenburg mit der Entgegnung von W. Strecker,1739--41). Im Anschluß daran gedenken wir der genealogischen Untersuchungen über den wirtschaftlichen Aufbau des städtischen Patriziats: Hat es sein Vermögen der Grundrente oder dem Handel zu verdanken? In eingehender Sachkenntnis entscheidet sich L. v. Winterfeld für Köln für das letztere, also für Handelsgewinn ( 1824), dazu E. v. Ranke 1799 in populär-wissenschaftlicher Form über Kölns hansische Handelsblüte; gleichfalls auf Kölner Archivmaterial beruht ihre anregende Skizze ( 1784), worin sie eine Nachprüfung der sittlichen Bindungen fordert, die bei Handelsgeschäften anerkannt waren. Damals wie heute ist das Geschäftsleben oft Wege gegangen, die recht selbständig neben den kirchlich anerkannten Normen verliefen.

Handelsgeschichte einzelner Landschaften. Versuchen wir endlich einen Umblick auf die verschiedenen Landschaften, so fällt uns eine Studie über das Rheinland von Br. Kuske in die Augen ( 1730); nach jahrzehntelanger Tätigkeit auf dem Gebiet der rheinischen Wirtschaftsgeschichte hat er ja eine hohe Virtuosität erreicht. Wir stellen dazu die Arbeiten des Belgiers Goris ( 1782, 1788), der endlich einmal trotz der ungünstigen, von ihm auch stark gerügten Archivverhältnisse der Stadt Antwerpen den Handel der Scheldestadt zur Blütezeit im 16. Jahrhundert nachdrücklich zu untersuchen unternimmt. Gilt sein umfangreiches Werk auch nicht den Deutschen an der Schelde, sondern den Romanen von 1488--1567, d. h. bis zum Beginn der großen niederländischen Unruhen, so werden wir sein Buch als Seitenstück zur Geschichte der Ober- und Niederdeutschen am damaligen Weltmarkt begrüßen. Beachtenswert erscheint die beigegebene biographische Notiz über den Florentiner Ludwig Guicciardini, bekannt als Verfasser der »Beschreibung aller Niederlande«. Dies Buch, erschienen am Vorabend der spanisch-niederländischen Wirren, ist ja in seiner Panegyrik der Niederlande die unendlich oft ausgeschriebene Quelle für alle Historiker des großen Aufstandes geworden, die ganz gewohnheitsmäßig die traurige Zeit der Verwüstung seit 1566 mit einem Überblick über die blendende Kulturblüte zu Guicciardinis Zeit einleiteten. Daß die Ausschreiber manchmal recht schief sehen, mag anderen Orts nachgewiesen werden (über Antwerpen vgl. auch 1790).

Von Niederrhein und Schelde führte der Handelsweg im 16. Jahrhundert bekanntlich oft genug nach Frankfurt am Main, dessen Einfluß auf die Umgebung, auf den ganzen deutschen Westen und Süden und weit nach Mitteldeutschland hinein man sich mit jedem Jahrzehnt im Wachsen begriffen vorzustellen hat. Dietz' Frankfurter Handelsgeschichte schreitet rüstig fort ( 1736), was wir unter Zurückstellung gewisser Bedenken und Wünsche gern feststellen. Die andere große Messestadt Leipzig hat in dem gut geschriebenen, kurzgefaßten Buche von Kroker (†) eine hübsche Monographie ihres Handels erhalten ( 1751). Wenig günstig wird dagegen das umfangreiche Werk über Magdeburgs wirtschaftliche


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Vergangenheit beurteilt, das die Industrie- und Handelskammer der aufstrebenden Stadt, mit einer Einführung von W. Stieda versehen, herausgegeben hat ( 1752, vgl. 1754, ferner 1753 Denkschrift zur Hundertjahrfeier der Industrie- und Handelskammer, auch 1755/56). Umfangreiche, ad hoc bearbeitete »Geschichten« haben doch etwas sehr Bedenkliches. Die Auswahl der Mitarbeiter mit häufig verschiedenem Studiengang bringt ungleiche Leistungen ganz von selbst mit sich, und ein kurzer Termin, wie ihn eine Erinnerungsfeier oft fordert, läßt dann die Arbeiten nicht ganz ausreifen. -- Eine größere Einheitlichkeit ist erzielt in dem von Bauer und W. Millack herausgegebenen Sammelwerk über Danzigs Handel in Vergangenheit und Gegenwart ( 1761a, dazu Häpke, Hans. Gesch.bl., 30. Jg. 1925, S. 308). Hier sind im ganzen zehn Mitarbeiter mit je einem landschaftlich abgegrenzten Thema betraut worden. So finden wir dargestellt etwa Danzigs Beziehungen zur Hanse (Keyser), zu Osteuropa (Recke), Iberien (Rühle). -- Endlich sei noch der gehaltvollen Eheberg-Festgabe zu gedenken (1717--196). Hier hat G. Aubin die Entwicklung von München und Lübeck geschildert, die er -- für Lübeck nicht ganz exakt -- beide auf Heinrichs des Löwen Gründertätigkeit zurückführt. Aber nicht in der Ermittlung von Einzelheiten aus der Frühzeit der beiden Städte liegt der besondere Wert, sondern in einer historischsoziologischen Wanderung durch die Jahrhunderte: Lübeck, die freie Reichsstadt, kann sich ganz den Interessen ihres Außenhandels und des gewerblichen Mittelstandes widmen, München wird die Residenz, die von allem profitiert, was ihr die Dynastie hat geben können. Ihr Wirtschaftsleben rankt sich seit dem Ausgang des Mittelalters an höfischen Kunstbedürfnissen empor, sie stellt dem Hof im 17. und 18. Jahrhundert die Kunstgewerbler, sie wird endlich Kunst- und Fremdenstadt nationalen und internationalen Gepräges. [Häpke.]


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