I. Kapitalistische Entwicklung.

An den Anfang sei ihrer allgemeinen und grundsätzlichen Bedeutung halber die Besprechung einer Besprechung gesetzt. Denn indem Theodor Mayer, Prag, ( 1719) sich mit drei der wesentlichsten wirtschaftsgeschichtlichen Werke der letzten Jahre auseinandersetzt, weist er zugleich Richtung und Maßstäbe für die Behandlung dieses Wissenschaftszweiges überhaupt auf. Gegen Max Webers Wirtschaftsgeschichte werden bei aller Anerkennung ihrer besonderen Vorzüge -- ausgezeichnete Beobachtung, glückliche Einordnung, treffende Problemstellung -- starke grundsätzliche Einwände erhoben: daß den historischen Tatsachen öfters Gewalt angetan wird, daß Beispiele von den verschiedensten Zeiten und Ländern hergeholt werden, daß zu sehr von der Gegenwart, ihren Fragen und auch Schlagwörtern ausgegangen wird, daß der Politiker zuweilen den Gelehrten verdrängt, und daß Gedanken nicht zu Ende geführt werden. Namentlich das Wesen des Kapitalismus und der Zunft ist, wie im einzelnen nachgewiesen wird, nicht voll erfaßt. An Kötzschkes Allgem. Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters, die ganz induktiv vorgehend sich von gewagten Konstruktionen freihält und ein ausgezeichnetes Nachschlagewerk zumal für die älteren Zeitpartien darstellt, wird dagegen die nationalökonomische


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Grundlegung als nicht genügend empfunden und die allgemeine Einteilung, vor allem die allzu geringe Berücksichtigung des späteren Mittelalters sowie auch eine übermäßige Beschwerung mit rechtsgeschichtlichem Stoff bemängelt. Als ein Muster wirtschaftsgeschichtlicher Darstellung sieht M. Aloys Schultes dreibändige Geschichte der großen Ravensburger Handelsgesellschaft (1380--1530) an: hier wird an einem, allerdings besonders hervorstechenden Beispiel das Wesen des spätmittelalterlichen Handels, seiner Organisation und seiner Leistungen völlig einwandfrei und lebendig dargelegt und so manche Begriffsbestimmung der deduzierenden Wirtschaftsforschung berichtigt oder umgestoßen. In solchen auf eingehender Forschung begründeten, mit wirklichem Leben gefüllten Monographien sieht M. wohl mit Recht die erwünschtesten, ja unerläßlichen Vorarbeiten künftiger Zusammenfassung.

Strieder ( 1785) hat die zweite Auflage seines bekannten Werkes unverändert und nur vermehrt durch drei Nachträge (S. 489--523) hinausgehen lassen. Diese Nachträge behandeln: 1. Ein bisher unbekanntes Syndikat, 1548 abgeschlossen zwischen den Firmen Fugger und Manlich oder zwischen dem Tiroler und dem ungarischen Kupfer, denn die Manlich hatten das von den Fuggern aufgegebene Neusohler Kupferkaufmonopol übernommen; das Syndikat von 1548 verdankt sein Dasein einer schweren Depression auf dem Kupfermarkt und der Finanznot Ferdinands I., der dadurch die Preise zu halten, den Wert seines Regals vor Minderung zu schützen gedachte. 2. Die Stellung der Fugger zu dem großen Plan eines mitteleuropäischen Zinnkartells und -monopols des Konrad Mayer, das am Widerstand der sächsischen Zinngewerke gescheitert ist. Aus den Augsburger Prozeßakten Fugger gegen Mayer und Erben (wegen der Darlehen an diese) ist nun festgestellt, daß Anton Fugger nach und nach bis 600 000 fl. in das böhmische Zinnunternehmen hineingesteckt und größtenteils verloren hat, und es wird sehr wahrscheinlich gemacht, daß Mayer nur Strohmann für Fugger war, der mit dem reichsgesetzlich verbotenen Monopol nicht offen hervortreten wollte. Somit wäre eines der riskantesten und kapitalgewaltigsten und wohl das verlustreichste Spekulationsunternehmen des 16. Jahrhunderts mit Fuggerschem Kapital geführt worden; bemerkenswert ist, daß das Haus die gewaltige Einbuße hat verwinden können. 3. Einige Ergänzungen zur Geschichte des Idrianer Quecksilbermonopols: der Vertrag, den Erzherzog Karl mit einer Augsburger Gesellschaft 1566 schloß. Er war für ersteren sehr gewinnreich, für die Kaufleute aber äußerst ungünstig, da infolge von Quecksilberfunden, die 1565 in Peru gemacht wurden, die Preise sanken und der Absatz sich verringerte. Die Firma brach daher 1574 zusammen, obwohl sie sich zur Stützung noch mit anderen Augsburger Kaufleuten zusammengetan hatte.

Den im vorstehenden Werke schon betonten Zusammenhang zwischen der für das Werden der modernen Staaten typischen Begleiterscheinung der ständigen Finanznöte und dem Aufkommen des modernen Kapitalismus behandelt eine besondere kurze, aber groß angelegte Skizze Strieders ( 1786). Dieser sieht die Stammväter unserer Industriekapitäne nicht in den italienischen Kaufherren und Dirigenten von Hausindustriellen der frühen Renaissancezeit, sondern in dem deutschen Großkaufmann, der um die Wende zum 16. Jahrhundert seine Kapitalien dem Bergbau und Hüttenwesen zur Verfügung stellt und die große organisatorische Aufgabe übernimmt, die Produktion und den


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Handel mit Bergwerkserzeugnissen dem Bedarf der damaligen Weltwirtschaft gemäß zu regeln. Nur indem die Interessen dieser ersten Großindustriellen sich mit den Lebensbedürfnissen des werdenden Staates und der Weltkirche verbanden, konnten sie sich gegen den Geist des Mittelalters durchsetzen. Kirche und Staat konnten für ihre Macht- und Kriegszwecke den Kaufmann nicht entbehren. Wie stark die fürstlichen Anleihegeschäfte, im besonderen die Monopole aus Vergebung der Bergbau-Regale, die »Erzkäufe«, im 16. Jahrhundert auf die Entwicklung einer Hochfinanz eingewirkt haben, ist bekannt, der Einfluß der Finanznot auf die Ausbildung der Kartelle schon erwähnt. Als die christlichen Geldgeber durch die finanzielle Mißwirtschaft der Staatslenker und durch Staatsbankerotte größtenteils ruiniert waren, anderseits die Finanznot durch Hofverschwendung und lange Kriege drängender wurde, zog das Fürstentum anfangs ungern, dann immer offener im 17. und 18. Jahrhundert jüdische Bankiers heran. Mit dem Eindringen in das Kronfinanzgeschäft schufen sich die Juden die Plattform, von der aus sie allmählich auch in die übrigen Zweige der Wirtschaft zu gelangen vermochten. Der jüdische Hofbankier des 18. Jahrhunderts, geboren aus der Finanznot des Staates, ist der Schrittmacher für die Gleichstellung der Juden in wirtschaftlicher Beziehung geworden.

Diese Entwicklung beleuchtet auch die kleine Studie von Max Freudenthal ( 2560). Die Zeit der Hoffaktoren ist das Jahrhundert nach dem Ende des 30jährigen Krieges, die Zeit des fürstlichen Absolutismus und des Aufschwungs von Zwischenhandel und Geldhandel, d. h. der jüdischen Erwerbszeige. Die bedeutendsten dieser jüdischen Hoffaktoren, zuweilen ganzer Dynastien, und ihre oft dramatischen Werdegänge mit ihrem Wechsel von großem Aufstieg und jähem Sturz werden kurz skizziert: die Gomperz, Jost Liepmann und Berend Lehmann in Brandenburg und Sachsen, die Model und Fränkel in Ansbach, Josef Süß-Oppenheimer in Württemberg (»Jud Süß«), Samson Wertheimer und Samuel Oppenheimer am kaiserlichen Hof, der Dessauer Wulff, dem die verwandten Mendelssohns ihre Niederlassung verdanken, Aaron Oppenheimer in Frankfurt, Stammvater der Meyerbeers. Sie alle, so hoch sie auch stiegen, blieben ihrem Glauben treu, traten stets für ihre Glaubensgenossen ein und suchten ihnen, soweit es möglich war, aufzuhelfen, sie pflanzten die Anfänge gehobener Kultur und literarischer Bildung in das Ghettodasein.

Eine ältere, schon in der städtischen Blütezeit verbreitete Form der Unternehmung, das Verlagssystem, betrachtet eine Arbeit von Kunze ( 1877), die nur in der Annahme fehlgeht, als liefere sie erst den Nachweis für ein besonders frühes Auftreten dieser Wirtschaftsorganisation und der bewußten Arbeit für den Fernexport. Es handelt sich darum, daß die Nürnberger, um den oberdeutschen Leinwandstädten Konkurrenz zu machen, wohl seit Ende des 15. Jahrhunderts sächsische Rohleinwand massenhaft kauften, sie färbten, veredelten und so weitervertrieben. Um die Wende des 17. Jahrhunderts wurden sie in Sachsen durch Hamburger, englische und Leipziger Häuser verdrängt, dagegen hielten sie ihre später als jene aufgenommenen Verlagsbeziehungen zu den Oberlausitzer und nordböhmischen Webereien bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts. Diejenigen zu den Leinwebern der böhmischen Herrschaften Friedland und Reichenberg werden näher untersucht. Die Verleger schlossen kollektive Lieferungsverträge mit den Zünften und hatten natürlich das Heft in der Hand; auch die Grundherren waren dabei beteiligt und machten ihre


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Kreditgeschäfte mit den Nürnbergern, die auf diese Weise auch die Kriegsunternehmungen des Grafen Gallas finanzierten.

Ein anderer Beitrag zur Zunftgeschichte, von Sommer ( 1830), weist gleichfalls -- aus den Prozeßakten des Reichskammergerichts im Wetzlarer Archiv -- nach, wie die Überlegenheit des Händlers über den Handwerker oder, was dasselbe ist, des Kapitals über die Arbeit, schon in alter Zeit eine wirtschaftlich bedingte Tatsache war, gegen die alle Zunftordnungen und alle Streitigkeiten um die Auslegung von gesetzlichen Bestimmungen nicht ankommen konnten. Eine Gleichberechtigung im Handel und in der Arbeit war tatsächlich nicht zu erreichen, und dadurch ging auch die Zunftverfassung im Solinger Klingenhandwerk bis Ende des 17. Jahrhunderts in Trümmer.

In die Niedergangszeit Nürnbergs führt auch eine die Bankgeschichte betreffende Abhandlung von Sachs ( 1875). Im Beginn des 17. Jahrhunderts sind die ersten reinen Depositen- und Girobanken, die also nicht mit prekären Staatsfinanz- und Warengeschäften verbunden waren, entstanden: Amsterdam 1609, Hamburg 1619. Schon 1621 wurde auch in Nürnberg ein Banco publico gegründet, um in den münzverwirrten Zeiten richtige Geldzahlungen zu gewährleisten. Es war eine kommunale Einrichtung, mit Bank- und Depotzwang für Posten von 200 fl. an. Die Bank bestand zwar bis 1827, hatte aber nur wenige Jahrzehnte, im 17. Jahrhundert, tatsächliche Bedeutung. Das lag vorwiegend daran, daß das einst so beherrschende Nürnberg im Geld- und Wechselgeschäft gegen die Nordseestädte und großen Messen nichts darstellte, und die Nürnberger selbst in solchen Geschäften sich dahin wenden mußten. Es wird hierbei auch die früher aufgestellte Behauptung widerlegt, als sei die erste deutsche Bank in Nürnberg, und zwar 1498, durch kaiserliches Privileg entstanden; die darin zugestandene »Wechselbank« war nur ein Leih- und Pfandhaus oder Mons Pietatis.

In den drei Jahrzehnten, die seit dem Erscheinen von Ehrenbergs gründlichem Buch, Hamburg und England im Zeitalter der Königin Elisabeth ( 1896), verflossen sind, hat sich eine neue Bearbeitung des Stoffes als erforderlich erwiesen, da inzwischen die Fortsetzung der großen englischen Aktenpublikationen und das Erscheinen der Kölner und Danziger Inventare das Blickfeld erheblich erweitert haben. So wird jener Stoff -- der große englisch-hansische Konflikt -- in einer Einzelschrift von Marcus ( 1792) erneut behandelt, wobei das Thema zeitlich enger abgegrenzt wird, da die englische Aktenpublikation der Calendars of State Papers nur bis 1585 gediehen ist, sachlich aber erweitert worden ist. Allerdings, wenn der Titel von Beziehungen zwischen England und Deutschland spricht, so handelt es sich doch auch hier nur um den hansischen Streit, und Deutschland kommt im übrigen nur so weit in Betracht, als Reichstag und Kaiser in diesen hineingezogen worden sind. Aber die Fortschritte in der Aktenveröffentlichung haben es doch auch ermöglicht, die Antriebe und Einflüsse auf beiden Seiten in ihrem Zusammenhang mit der allgemeinen europäischen Politik näher zu erkennen. Es zeigt sich deutlich, daß die Hansen ihre Möglichkeiten überschätzten, sonst hätten sie ohne Kampf zwar nicht ihre frühere Ausnahmestellung, aber die Gleichberechtigung mit den englischen Bürgern behaupten können, während das endliche Ergebnis ihres hartnäckigen Kampfes um unhaltbare Privilegien der Verlust jeden Anspruchs war. Die hansische Stellung war um so schwächer, als der Bund in sich selbst nicht


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einig war, die territorialen Gewalten (Ostfriesland, Polen) gegen ihn operierten, der Kaiser zu entschiedener Unterstützung der deutschen Ansprüche nicht zu bewegen war. Die englische Krone in ihrer ungleich günstigeren Stellung, als Vertreterin der nationalen und wirtschaftlichen Landesinteressen, von ihrem Lande, vor allem den Kaufleuten, einhellig unterstützt, konnte sich eine Politik ruhigen Abwartens gestatten; doch wird glaubhaft gemacht, daß die Rücksicht auf die gefahrdrohende europäische Lage sie von einem energischeren Vorgehen gegen die Hansen abgehalten habe. Die Darstellung bricht mit dem Waffenstillstand von 1585 ab; noch hatte keiner von beiden Teilen nachgegeben, aber die Zukunft gehörte offensichtlich den Engländern. Dem hansischen Bürgertum aber muß man, zumal vom deutschen Standpunkte aus, Hochachtung zollen für den Mut, den Stolz und die Ausdauer, mit dem es um sein zweifelloses, wenn auch nicht zeitgemäßes Recht kämpfte.


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