IV. Städte und Länder.

Die große Frankfurter Handelsgeschichte von A. Dietz ist durch den Band IV ( 1736), die Jahre von 1620 bis 1714 und teilweise bis 1792 umfassend, vermehrt worden. Ein gut Stück allgemeiner Wirtschaftsgeschichte spiegelt sich in der Geschichte eines solchen weitspannenden Handels- und Messeplatzes wider, das tritt besonders beim Eisenhandel (S. 259 ff.) hervor, doch auch sonst in den Schilderungen der einzelnen Handelszweige, wobei allerdings zu wünschen wäre, daß sie nicht in zwei Abschnitte (3 und 5, 1632--90 und 1690--1792) zeitlich getrennt worden wären, denn ein Grund für dieses störende Auseinanderreißen ist nicht zu erkennen. Einen breiten Raum nimmt die Geschichte der wesentlichen Handelshäuser ein, worunter auffallend viele fremde sich befinden. Denn wie den spanischen Religionskriegen in Belgien im 16. Jahrhundert, so verdankt Frankfurt auch den Kriegen des 17. Jahrhunderts, zumal den französischen Eroberungskriegen, starken Zuzug und nachhaltige Vorteile. Im 17. Jahrhundert strömen vor allem Straßburger, Metzer, Franzosen (Protestanten), Schweizer zu, daneben zahlreiche Italiener vom Comersee, von denen die Brentano, Guaita, Cetto besonders zu Reichtum und Ansehen gelangten; bürgerliche Gleichstellung erlangten sie allerdings erst seit 1705. Wir finden hier auch die Anfänge des jüdischen Großkapitals und die Frankfurter Hofjuden; deren Aufzählung (S. 169, 171) ist übrigens nicht vollständig. Erwünscht wäre hier eine Auseinandersetzung, wie dieser starke Fremdenzustrom sich mit der herrschenden Zunftverfassung abfand und ob, wie anzunehmen, die größeren Handelsgewinne außerhalb der Zünfte gemacht wurden. Bei den zahlreichen Bankhäusern versteht sich das allerdings von selbst. Auf eines sei noch aufmerksam gemacht: Mezzolane -- nicht Metzolane -- bedeuten nicht Metzer Waren (S. 89), sondern ist eine im 17. und 18. Jahrhundert allgemein verbreitete Bezeichnung für leichte Halbwollenstoffe (ital. mezzo lana).

Wenig ergiebig ist eine die Frankfurter Wirtschaftspolitik (Gewerbe, Handel, Verkehr und Agrarwesen) im 18. Jahrhundert behandelnde Arbeit von


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Rosenbaum ( 1897). Der Verfasser hätte aus seinem Quellenmaterial weit mehr herausholen können, wenn er einen geübteren Blick für die wirtschaftlichen Vorgänge mitgebracht und das Typische und Bemerkenswerte aus dem Unwesentlichen und Selbstverständlichen herauszuheben vermocht hätte. Es werden zu viele kleinliche Verordnungen wiedergegeben; der Erhebung von Chausseegeld z. B. sind sechs Seiten gewidmet, dagegen werden die Frankfurter Messen überhaupt nicht erwähnt. Der Unterschied zwischen Handwerk und Industrie wird (S. 75) irrig dahin erklärt, daß jenes mit Werkzeugen, diese zum Teil mit Hilfe von Maschinen arbeite; das Wesentliche ist doch wohl, daß dort der Betriebsleiter selbst mitarbeitet, in der Industrie aber Leitung und Handarbeit getrennt ist. Was die städtische Wirtschaftspolitik selbst betrifft, so ist die Gewerbepolitik durch die starke Rücksichtnahme auf die Zünfte sehr eingeengt, während territorialstaatliche Regierungen sich schon mehr darüber erheben konnten. Die Stadt fördert nicht industrielle Fortschritte und Neuanlagen, sondern lehnt sie oft ängstlich ab -- so bekämpfen Frankfurt und Köln die Bandmühlen, während Brandenburg und Hessen ihre Einführung trotz kaiserlicher Edikte sogar begünstigen --; gleichfalls mit Rücksicht auf das Zunfthandwerk verweist Frankfurt industrielle Unternehmungen auf Dörfer, während in Preußen gleichzeitig die Gewerbebetriebe aus den Dörfern in die Städte gejagt werden, der Akzise wegen. Handelspolitisch sah Frankreich seinen Vorteil im freien Verkehr, daher bekämpft es die Stapelrechte, die Mainz und Köln auf dem Rhein geltend machen; der Handel Fremder mit Fremden ist außer den Jahrmärkten allerdings auch in Frankfurt verboten. Die Ängstlichkeit des kleinen Stadtstaats zeigt sich auch darin, daß gegen die unbefugte Neugründung der Mainzer Messen nur Einsprüche erhoben, aber keine Abwehrmaßnahmen getroffen wurden.

Ein Gegenbild zeigt die Wirtschaftspolitik im benachbarten Kurmainz, der eine recht gediegene Untersuchung von Scholl ( 1891) gewidmet ist. Am bemerkenswertesten ist die Episode der Regierung des Kurfürsten Johann Friedrich Karl v. Ostein (1743--1763), der als eine Ausnahme unter den geistlichen Fürsten, eine sehr tatkräftige, ausgesprochen merkantilistische Wirtschaftspolitik betrieb. Er versuchte, um die Handelsbilanz zu heben, den Frankfurtern ihren Handel zu entziehen und ihn seiner Stadt Mainz zuzuwenden, die trotz ihrer günstigen Lage nur Weinhandel und Spedition hatte. Die wesentlichste Maßnahme war, daß in Mainz eine Messe angelegt (Dezember 1747) und der Besuch der Frankfurter verboten wurde, was jedoch erfolglos blieb. Auch die durch Propaganda, Vergünstigungen und Konzessionen ins Leben gerufenen Industrien -- besonders Glas und Porzellan -- zeigten sich nicht recht lebensfähig. Es fehlten ja in den geistlichen Staaten der Antrieb und die Kontinuität. So zeigt sich vorwiegend Stagnation. Das Gewerbeleben litt unter den Übeln der längst verknöcherten Zunftverfassung, der Rheinhandel unter dem Übermaß von Zöllen, den Stapelrechten mit Umladezwang und den Monopolen privilegierter Schiffergilden.

Der Mainzer Messe ist noch eine besondere Untersuchung von Kirnberger ( 1890), nach den Akten der Mainzer Stadtbibliothek, gewidmet. Danach waren diese Messen, Neubelebung der zwei mittelalterlichen Jahresmessen, während ihres beinahe 50jährigen Bestehens durchaus nicht unbedeutend. Die leitende Absicht ihres kurfürstlichen Gründers soll gewesen


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sein, dadurch wieder einen Großhandel in Mainz zum Leben zu bringen, was auch nicht ohne Erfolg geblieben ist.

Geringfügig sind die Ergebnisse einer Untersuchung über die Gewerbepolitik der Hanauer Grafen von Schreiber ( 1900), da diese Politik, wie nachgewiesen wird, weder systematisch noch energisch noch besonders erfolgreich gewesen ist. Das einzig Bemerkenswerte ist die Aufnahme der belgischen Religionsflüchtlinge, denen ihre erste Zuflucht in Frankfurt durch lutherische Unduldsamkeit verleidet wurde, und die Gründung von Neuhanau, 1597--1628, als einer reinen Gewerbestadt, wie Frankenthal ( 1552) und Mannheim ( 1607). Die Arbeit gründet sich auf Marburger und Hanauer Akten.

Eines der gelungensten wirtschaftspolitischen Experimente des Merkantilismus, worüber eine vortreffliche Studie von Goldfarb ( 1889) vorliegt, war die Gründung von Karlsruhe, 1715--1720. Eine fürstliche Laune verurteilte die bisherige Hauptstadt Durlach zur Kleinstadt und gab der um ein Jagdschloß im Haardtwald angelegten Neusiedlung, wohin der Hof, die Staatsbehörden und das dazugehörige Militär verlegt wurden, die Bedingungen des Aufstiegs zur Großstadt. Es war eine »Spekulation auf Menschen«, das Wachstum des Staates hatte das der jungen Hauptstadt zur Folge. Wirtschaftliche Momente fehlten zunächst, es war eine rechte Konsumentenstadt, in der an gewerblichen Unternehmungen zunächst das entstand, was für eine solche Ansammlung von Verbrauchern nötig war, d. h. vielerlei, doch nur kleine Betriebe, natürlich viele Luxusmanufakturen. Emigrantenzuzug und die Napoleonische Zeit mit der Erweiterung des Staates und den großen Truppenansammlungen brachten Hochkonjunktur mit Gründungen, Spekulation und Preissteigerung; die Stadt zählte 1815 schon über 15 000 Einwohner. Dann kam eine Zeit gediegenen wirtschaftlichen Vorwärtsstrebens. Der Ort hatte nur sehr bescheidene natürliche Vorteile: die Nähe des Rheins und des nördlichen Schwarzwaldes, dessen Holzausfuhr über Karlsruhe ging, sonst gab es keine Rohstoffe in der Nähe. Dampfschiffahrt und Eisenbahn seit den dreißiger Jahren schufen günstigere Bedingungen, dazu kam die rege Förderung durch tatkräftige Landesherren, das treffliche Wirken des Gewerbevereins, der Ausbau der Wasserverbindung und eigener Rheinhäfen. Karlsruhe ist Industriestadt geworden, obwohl Vorbedingungen dafür so gut wie ganz fehlen, allerdings kann die dort entstehende Industrie nur in Qualitätsarbeit und Spezialitäten, nicht in Massenwaren wettbewerbsfähig sein.

In großzügiger Weise hat es die Industrie- und Handelskammer zu Magdeburg unternommen, die Wirtschaftsgeschichte ihrer Stadt aufzuhellen ( 1752). Unter Leitung von W. Stieda und in dessen volkswirtschaftlichem Seminar sind Untersuchungen über einzelne Wirtschaftszweige aus der Vergangenheit Magdeburgs entstanden und in einem handlichen Bande zusammengefaßt 1925 erschienen; ein zweiter Band ist in diesem Jahre herausgekommen, ein dritter soll folgen. Wir haben uns hier nur mit den Abhandlungen des ersten Bandes, soweit sie die Zeit des Merkantilismus betreffen, zu befassen.

Dahin gehört der weitaus größte Teil von Ernst Hammer, Tuchhandel und Tuchindustrie in M., wobei jedoch von letzterer nur das Handwerk bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts behandelt, das Fabrikwesen einer späteren Bearbeitung vorbehalten geblieben ist. H. hat Akten des Staats- und des Stadtarchivs zu Magdeburg sowie des Berliner Geheimen Staatsarchivs benutzt;


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die Literaturverwendung ist etwas ungleichmäßig: Spengler, Preußentum und Sozialismus, gehört doch nicht hierher, anderseits ist die Handels-, Zoll- und Akzisepolitik der Acta Borussica nicht benutzt und somit vieles wiederholt, worauf nur hingewiesen zu werden brauchte. Manches ist schief gesehen, die allgemeinen wirtschaftspolitischen Betrachtungen (S. 258 f., 347) sind so unglücklich gefaßt, daß sie besser unterblieben wären. Die Bemerkung (S. 290) über scharfe Senkung der Schutzzolltarife in den 1790er Jahren trifft nicht zu, ebenso die Folgerung (S. 335), die Vereinigung der Zeugmacher mit den Tuchmachern 1780 bedeute den Niedergang jener, denn diese Maßnahme wurde, auch in Berlin, nur getroffen, um den fortwährenden Streitigkeiten der beiden nah verwandten Gewerbe ein Ende zu machen.

Georg Scholze, »Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Refüge für die Stadt Magdeburg«, bietet zwar keine Erweiterung des schon gedruckten Materials, gibt aber doch in übersichtlicher Zusammenfassung einen lebendigen Eindruck von der großen Bedeutung der französischen, wallonischen und pfälzischen Einwanderer für die einzelnen Gewerbezweige.

Seidenbau und Seidenfabrikation in Magdeburg, ihre Entwicklung und Förderung im 18. und ihr Ende im Beginn des 19. Jahrhunderts schildert eine tüchtige Arbeit von Ferdinand Vester, nach Akten der Staatsarchive zu Magdeburg und Berlin.

Endlich beschreibt Erich Mai die Magdeburger Elbschiffahrt im 18. Jahrhundert; er benutzte dafür die Archive der Stadt und der Handelskammer Magdeburg und das Dresdener, dagegen nicht die Staatsarchive zu Magdeburg und Berlin, auch nicht die Acta Borussica. Die Nachrichten, so über die Elbzölle, hätten sonst wesentlich vollständiger ausfallen können. Im ganzen aber ist das Buch der Magdeburger Handelskammer über seine örtliche Bedeutung hinaus geeignet, unser Wissen von der merkantilistischen Wirtschaftspolitik in mancher Hinsicht zu erweitern.


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