V. Wirtschaftswissenschaft.

Den volkswirtschaftlichen Theorien des merkantilistischen Zeitalters ist eine ebenso gründliche wie lichtvolle Untersuchung gewidmet in dem Buche von Louise Sommer ( 1706). Es werden darin die Staats- und Wirtschaftslehren der typischen Vertreter der österreichischen Kameralistik zunächst des 17. Jahrhunderts -- J. J. Becher, W. v. Schröder, Ph. W. v. Hornigk -- und besonders ausführlich der bedeutenden Systematiker und Vertreter einer ausgebildeten Polizeiwissenschaft im 18. Jahrhundert -- J. H. G. v. Justi und Joseph v. Sonnenfels -- dogmengeschichtlich abgehandelt. Der gedankliche Inhalt des österreichischen Merkantilismus, seine Verbindung mit den geistigen Strömungen der Zeit, und anderseits seine durch die Lage und die Bedürfnisse des eigenen Staatswesens bedingte Eigenart hat damit eine mustergültige Darstellung gefunden. Die Aufgabe einer Dogmengeschichte: die Herkunft der einzelnen Gedanken aufzuzeigen, das Wesenbestimmende hervorzuheben und die Verbindungslinien mit der Zeitgeschichte zu ziehen, ist mit umfassender Beherrschung des Gegenstandes klug und weitblickend gelöst. Auch die deutsche Nationalökonomie in ihrer Stellung zum Physiokratismus und unter dem Einfluß von Kants Rechtslehre wird wenigstens in Kürze gewürdigt. Die tiefschürfende und zugleich durch lichtvolle Darstellung ausgezeichnete Arbeit ist ein wertvoller Beitrag zur Volkswirtschaftslehre, Staatsrechtslehre und Geistesgeschichte jener Zeit.


S.376

Gegen dieses erschöpfende und geistvolle Werk kann die gleichzeitige Einzeluntersuchung von Engel über Sonnenfels ( 1706) sich nicht behaupten. Sie gibt zunächst die Anschauungen des österreichischen Kameralisten lediglich berichtend wieder und untersucht sie in einem zweiten Hauptteil kritisch, ohne jedoch auch hierbei das Niveau der oben angezeigten Arbeit zu erreichen.

Auf preußischem Boden sind zwar die ersten Lehrstühle für Kameralwissenschaft und Volkswirtschaftslehre entstanden, aber stärker als die Leistungen ihrer Inhaber ist das Werk eines Außenseiters, des Berliner Geistlichen J. P. Süßmilch 1742 zuerst erschienene Bevölkerungsstatistik, genannt »Göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts«, eine für ihre Zeit überragende Leistung und sehr scharfsinnige Untersuchung, die aber durch die eigenartige Verbindung mit scholastischer Teleologie und orthodoxer Dogmatik schwer genießbar ist. Daher kann es nur begrüßt werden, daß die vorliegende, recht gute Untersuchung von Karlsson ( 1707a) die Ergebnisse jenes eigenartigen selbständigen Forschers der Nachwelt wieder näherbringt. Sehr brauchbar ist auch eine einleitende Übersicht über die Geschichte der Statistik, die seit etwa 1660 wissenschaftlich betrieben wurde, bis auf Süßmilch.

In einer ganz ausgezeichneten, geistvollen kritischen Untersuchung von Karmann ( 1708) werden die agrarwirtschaftlichen Anschauungen der großen Theoretiker des späteren 18. Jahrhunderts in Beziehung gesetzt und hierbei vor allem festgestellt, daß Smith weit eher als ein Vertreter der agrarischen Weltanschauung zu gelten habe denn als Herold des Kapitalismus oder gar Industrialismus, daß er Quesnay, dem Begründer des physiokratischen Systems, sehr nahe steht und ähnlich wie dieser, abweichend von Locke, von der Landwirtschaft als Grundlage ausgeht. Erst Spätere, vor allem Ricardo, haben die Smithsche Lehre zum Industrialismus weiterentwickelt und den agrarischen Einschlag seines Systems überdeckt, so daß die enge Verwandtschaft zwischen ihm und Quesnay nicht mehr beachtet wurde. Im einzelnen sind natürlich erhebliche Unterschiede: Quesnay hat den agrarischen Großbetrieb, Smith den kleinen Grundeigentümer im Auge, jener fordert hohe Getreidepreise, besonders durch Aufhebung der Ausfuhrverbote und inneren Zollschranken, dieser niedrige Preise, damit die Volkswirtschaft billig arbeiten kann, ohne daß das Realeinkommen des Pächters geringer wird, denn das Sinken des Einkommens wird durch Steigen der Kaufkraft ausgeglichen. Durchaus verschieden ist auch die Wirkung beider Lehren: Smith ist der große Apostel der liberalen Wirtschaftslehre geworden, die physiokratische Theorie blieb auf einen beschränkten Kreis und auf eine kurze Zeitdauer beschränkt. Bei der vortrefflichen Arbeit ist nur zu beklagen, daß die Abschrift nicht durchgesehen ist und daß somit eine Unmenge von Schreibfehlern stehengeblieben ist.

In den Kreis der seit Troetsch und Max Weber lebendig gewordenen Untersuchungen über den Zusammenhang von Wirtschaft mit Religion und Ethik gehört die Schrift von Herbert Hammer ( 1930), eine wertvolle, kluge und sorgfältige Arbeit, die auf einer offenbar recht mühseligen Benutzung handschriftlichen Materials, der Geschäftsbücher und -briefe der Firma Dürninger, des Unitäts- und des Herrnhuter Gemein-Archivs -- neben reicher Literatur -- beruht. Mit feinem psychologischem Einfühlungsvermögen und bemerkenswerter Reife wird hier das Problem herausgeschält, wie grüblerische Religiosität und mystische Neigung sich mit klug rechnendem, tatenfrohem Händler- und Unternehmersinn


S.377

in einer Person vereinigt, wie diese heterogenen Anlagen sich gegenseitig beeinflussen und wie sie auf die Umwelt einwirken. Der religiös gedämpfte kapitalistische Geist dieses einzigartigen Kaufmanns löste auch das Fabrikenproblem ohne Ausbeutung und Proletarisierung. Zutreffend wird als ein allgemeines Ergebnis festgestellt, daß im Herrnhutertum die Triebkräfte zum Geist des Kapitalismus nicht so sehr aus einer asketischen Einstellung herrühren, daß hier vielmehr das »Glückseligkeitsgefühl« Kräfte freisetzt, die sich auf dem Wege geregelter Arbeit und bewußter Zielstrebigkeit auswirken.

Zwei kleine Aufsätze beschäftigen sich gleichfalls mit derartigen Fragen. E. v. Ranke ( 1784) bringt Beispiele für den Stand der Kaufmannsmoral im 16. Jahrhundert, der bekanntlich von Luther und anderen Zeitgenossen sehr niedrig eingeschätzt worden ist. Ranke fragt weitergehend nach dem Stande der Moral überhaupt, für die es bislang an systematischer Feststellung noch fehlt, und will als Maßstab den Stand des Verantwortungsbewußtseins, besonders gegenüber der Gemeinschaft -- Berufsehre, Standesgefühl, Unterhaltspflicht, nationale Ehre usw. -- angesehen wissen. Erst wenn das quellenmäßig untersucht sei, könne darangegangen werden, die Frage nach dem Einfluß der religiösen Bekenntnisse auf die Wirtschaftsmoral aufzuhellen.

R. Koebner ( 1860) nimmt die ökonomische Fabel aus Justus Mösers Patriotischen Phantasien vom Kamelottwirker von K. -- wie ein pietistischer oder sektiererischer Wirker in einem verwahrlosten Städtchen, seine Lehre und sein Geschäft zugleich fördernd, unter den Bewohnern Frömmigkeit und Arbeitsamkeit verbreitet und so inneres und äußeres Heil bringt, sich und dem Ort zu Segen und Nutzen -- unter die Lupe systematischer Untersuchung. Auch das Beispiel der mennonitischen von der Leyen mit ihrer Seidenindustrie in Krefeld wird herangezogen und die Beziehungen zu M. Webers Theorie von der Verbindung des asketischen Protestantismus mit rationaler Berufstüchtigkeit hergestellt.

Es seien schließlich zwei Schlesien betreffende Aufsätze angeführt, V. Loewe ( 1947) gibt einen Beitrag zu der durch Grünhagen bekämpften These Brentanos, daß der grundherrliche Charakter des schlesischen hausindustriellen Leinengewerbes Reformen im 18. Jahrhundert gehindert habe. In der Tat ist der von den armen Webern erhobene grundherrliche Bleich- und Stuhlzins, obwohl die Regierung ihn schon im 18. Jahrhundert für unbillig hielt, erst 1850 aufgehoben worden, weil man sich scheute, den einflußreichen Grundherren zu nahe zu treten. Die Not der Weber ist zwar nicht durch diese Auflage verursacht worden, das geschah vorwiegend durch die Abhängigkeit von den Garn- und Leinwandhändlern und die Schutzlosigkeit mangels einer Organisation, aber für Leute, die in ständigem Hungerelend lebten, mußte auch jener Zins von 1 Taler jährlich eine unerträgliche Last sein.

F. Eschrich ( 1946) schildert, was in österreichischer und besonders in preußischer Zeit geschehen ist, um in Schlesien brauchbare Grundlagen für die Landbesteuerung zu schaffen. Während eine zwanzigjährige österreichische Katastrierungsarbeit ohne praktisches Ergebnis blieb, hat preußische Tatkraft 1742--1750 das ganze Werk durchgeführt, allerdings nicht selbständig, sondern vornehmlich auf eben jene österreichischen Vorarbeiten gestützt, auch nicht zuverlässig, sondern für Statistik und Agrargeschichte nur Annäherungswerte bietend.


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)