III. Einzelne Perioden.

Das Interesse der Forschung konzentrierte sich bei weitem am stärksten auf die Gipfelperiode der Papstgeschichte vom 11. bis 13. Jahrhundert. A. Fliche, der die Periode der Reformzeit bereits in zahlreichen Arbeiten mit viel Fleiß und Gelehrsamkeit, aber leider auch mit nicht einwandfreier Kritik und einseitig klerikaler Einstellung behandelt hat, widmete der Wahl Gregors VII. eine erneute Untersuchung ( 1986). Die Darstellung des Commentarius electionis und der Briefe stellt er als vollgültige Zeugnisse aus dem Originalregister nebeneinander und weist die Behauptung Bonizos von einer hervorragenden Rolle des Hugo Candidus ab. Aber man vermißt eine Erklärung dafür, wie zwei so verschieden lautende Versionen zu Recht nebeneinander bestehen können. (Ich habe sie in meinem Aufsatz »Gregor VII. in seinen Briefen«, Hist. Zeitschr. 130, 3. F., 34, 1924, S. 1 ff., den F. noch nicht kannte, zu geben versucht.) Die Frage nach der Bestätigung der Wahl durch Heinrich IV. beantwortet F. mit Ja, allzu bestimmt auf die fragwürdige Autorität Lamberts hin. -- In den literarischen Investiturstreit hinein führt die Studie von F. Schneider ( 1990): Eine antipäpstliche Fälschung des Investiturstreits. Er analysiert in sauberer quellenkritischer und historisch-geographischer Arbeit die eine der bekannten Fälschungen Leos VIII. für Otto d. Gr., die cessio donationum, und weist, weit über die ungenügende Ausgabe von Weiland in MG. Const. I. hinaus, die Personen- und die Besitzliste teils als ein mit Fleiß und Mühe aus dem Liber pontificalis (und zwar einer den Handschriften E 1 und 6 nahestehenden Form) zusammengestoppeltes Mosaik, teils als mit aktuellem Interesse aus süditalisch-normannischen Gebieten, mittelitalischen Reichsabteien und mit Ravenna strittigen Burgen des Grafenhauses der Guidi hergestelltes Besitzprogramm einer ravennatischen Territorialpolitik großen Stils nach. Der Fälscher gehörte dem Kreise Wiberts aus Ravenna an und ist wahrscheinlich niemand anders als Petrus Crassus, auf den bereits J. Ficker mit genialem Spürsinn hinwies.


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W. Holtzmann ( 1991) bringt »Studien zur Orientpolitik des Reformpapsttums und zur Entstehung des ersten Kreuzzugs«. Dem dürftigen Quellenmaterial werden mit vorsichtiger und scharfsinniger Kombinatorik wertvolle sichere oder doch Wahrscheinlichkeits-Resultate abgewonnen. H. scheidet wohl mit Recht schärfer als bisher den Plan einer kirchlichen Union mit dem Osten, den nach dem Bruch von 1054 schon Alexander II. aufgegriffen, Gregor VII. und Urban II. gleich ihren Nachfolgern weiterverfolgt haben, von dem Kreuzzugsplan Urbans II., der mit jenem älteren Plan zusammentrifft. Eine dritte Entwicklungslinie, die sich damit vielfach berührt, bilden die Bündnispläne mit dem griechischen Kaisertum, die sowohl von gregorianischer wie von kaiserlichwibertistischer Seite betrieben wurden. Für letztere wichtig ist vor allem die überzeugende Interpretation des Schreibens Johanns (II.) von Kiew an Papst Clemens (Wibert).

Ch. Bémont ( 1992) handelt von der Bulle Hadrians IV. »Laudabiliter« betr. Irland, ohne das eigentliche kritische Problem, nämlich die diplomatische Echtheit der von Scheffer-Boichorst (Mitt. d. Inst. f. österr. Gesch., Erg.-Bd. IV) und auf ihm fußend von Thatcher (The University of Chicago Decennial publications, 1903) als Stilübung beurteilten Urkunde zu fördern, da er diese Frage ausdrücklich ausschaltet. Es ist ihm überdies die wesentlich tiefer schürfende Arbeit von A. Eggers in Hist. Studien, hrsg. von E. Ebering, H. 151, 1922, entgangen, welche eine (über den Rahmen dieses Berichts weit hinausgehende) eingehende neue Diskussion der Echtheitsfrage und des ganzen historischen Problems, wobei die Argumente Scheffer-Boichorsts und die dagegen erhobenen Einwände gegeneinander abzuwägen sein werden, notwendig macht.

P. Kehr ( 1993) publiziert unter dem Titel »Zur Geschichte Victors IV.« einen neu gefundenen Brief dieses Papstes an den Grafen Raimund v. Provence und verbreitet durch scharfsinnige und eindringende Interpretation desselben weithin neues Licht über das staufische Gegenpapsttum gegen Alexander III., und insbesondere über seinen ersten Träger. Wie die Anrede an Raimunds Gemahlin als consanguinea mea zeigt, muß Victor international-aristokratische verwandtschaftliche Beziehungen besessen haben, deren Wichtigkeit für das Verständnis der mittelalterlichen, insbesondere auch der Papstgeschichte erst neuerdings stärker berücksichtigt und gewürdigt wird. K. verfolgt das Geschlecht Victors, die Grafen von Monticelli, durch die urkundliche Überlieferung, aus welcher als besonders wichtig die Belehnung durch Barbarossa mit einer Territorialherrschaft in und um Terni, mitten im Kirchenstaat, hervortritt, bis hin zu dem ruhmlosen Niedergang des Geschlechts um 1200. Er macht es endlich wahrscheinlich, daß die Monticelli ein Zweig der Tuskulanergrafen waren, und daß der Beiname Maledictus, mit welchem Victor IV. selbst und sein Vater Octavian in den alexandrinisch gesinnten Quellen bezeichnet werden, sich auf eben dies verfluchte Geschlecht bezieht.

In die Zeiten des Endkampfs zwischen Imperium und Sacerdotium führt K. Hampe ( 1998), indem er eine Denkschrift Gregors von Montelongo an das Kardinalskollegium über die finanzielle Zerrüttung seines Patriarchats Aquileja aus dem Jahre 1252 aus einer Formelsammlung des Pommersfelder Codex 189 ans Licht zieht; sie bietet neben hohem wirtschaftsgeschichtlichen Interesse auch verfassungs- und territorialgeschichtlich Neues.

Aus spätmittelalterlicher Zeit sind schließlich noch zwei Arbeiten zu


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nennen. Von der problematischen Gestalt des Kardinals Napoleone Orsini gibt C. A. Willemsen ( 2002) ein wohl etwas zu panegyrisches Charakterbild (zugleich das Schlußkapitel einer größeren Biographie über ihn). Hebung des Kardinalats und Rückführung der Kurie nach Italien waren nach W. die beiden Ziele Orsinis, deren Verfolgung er in praktisch wenig glücklicher Weise zuerst im Bunde mit Philipp d. Schönen, dann mit Jacob II. von Aragon, schließlich mit Ludwig d. Baiern gegen Clemens V. und Johann XXII. betrieb. -- E. Göller ( 2008) handelt über »Hadrian VI. und den Ämterkauf an der römischen Kurie«. Ausgehend von einem im vatikan. Archiv unter Instrumenta Miscellanea 4801 erhaltenen Register der Ämterkäufe für die Zeit vom 22. September 1522 bis 21. September 1523 (das als Beilage abgedruckt ist), schildert er einleitend die Entwicklung dieses Mißbrauchs aus bescheidenen Anfängen unter Bonifaz IX. bis zur höchsten Steigerung unter Leo X., deckt die Ursachen in der Notwendigkeit der Erschließung immer neuer Finanzquellen für die militärisch-politischen Unternehmungen der Kurie auf und gibt einen Überblick über die in älterer Zeit vergeblichen Reformgutachten und -pläne, die dann unter Hadrian VI. gipfelten, aber erst nach seinem kurzen Pontifikat zur wirklichen Durchsetzung gelangten.

Mit vollkommener Sach- und Ortskenntnis handelt E. Eichmann ( 1568 u. 1569) von der Topographie der Kaiserkrönung, wozu die Quellen von den Ordines bei Cencius bis hin zur Krönung Friedrichs III. erschöpfend herangezogen sind. Als Ort der ersten Begrüßung »1 Meile vor der Stadt« stellt er die Kirche S. Lazzaro de' Lebbrosi an der alten von M. Mario kommenden Via triumphalis, als Ort des Eintritts in den Mauerring der Leostadt die Porta Collina samt der nahen Kirche S. Maria Transpadana (an der Piazza Pio) fest. Auch die Stelle des Empfangs in S. Peter (vor dem Atrium, nachmals innerhalb bei S. Maria de'Turri), des scrutinium (auf der Porphyrrota nächst der Porta argentea), der Salbung und Krönung (am Hauptaltar über der confessio S. Petri und an dem Seitenaltar des h. Mauritius, nachmals beide an letzterer Stelle), der Krönungsmesse (am Hauptaltar) und des Zuges zum Lateran (auf dem üblichen Wege, den auch der Papst von St. Peter zum Lateran zu nehmen pflegte) werden mit reichem Material von Belegen genau festgestellt.

Ebenda untersucht Eichmann die sogenannte Römische Königskrönungsformel. Die Vermutung von Waitz, der nur erst 2 Handschriften kannte und als R bezeichnete, ging fehl; sämtliche Überlieferungen stammen aus deutschem Reichsgebiet und sprechen für deutschen Ursprung, eine ältere Form (aus Ottobon. lat. 256 von E. neu ediert) aus Burgund aus dem 9./10. Jahrhundert. Diese, verwandt mit R, ist die von Waitz mit D bezeichnete Formel, wie eine Gegenüberstellung der Texte lehrt. D weist auf Entstehung in den rheinischen Gebieten und ist etwas jünger als R, da bereits auf das Kaisertum Bezug genommen wird, also nach 962, aber vor 985 (Krönung Ottos III.) entstanden. Von R gibt es daneben mehrere abweichende (jüngere) Fassungen. Bruchstücke einer ältesten Formel in Clm 6430 dürften mit Morin als altfränkisch und im 9. Jahrhundert nach Ostfranken herübergewandert anzusprechen sein. Eine direkte Beziehung von R zur Krönung Ottos I. 936, die Widukind nach einer Formel beschreibt, besteht nicht, R muß sich also nach 936 entwickelt haben und vor 983 durch D abgelöst worden sein.


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