III. Wiedertäufer. Spiritualisten.

Dem radikaleren Typus der Reformation in der Täuferbewegung und im Spiritualismus der Reformationszeit wird theologischerseits häufig noch immer nicht genügende Aufmerksamkeit geschenkt, oder ihm wird zu schnell Polemik unter kirchlichkonfessionellem Gesichtspunkt zuteil. Letzteres ist freilich auch mitbedingt durch die Lobsprüche, die diesen Bewegungen von anderer Seite oft vorschnell gespendet werden. Das gilt nicht bloß von Thomas Münzer, dem »Theologen der Revolution«, wie ihn Ernst Bloch 1922 verherrlichte und in ähnlichem Geiste Alfr. Ehrentreich in seiner Auswahl von Schriften Münzers (Hamburg, Hanseatische Verlagsanstalt, 1925. 139 S.), sondern zum Teil auch von den Spiritualisten in der Schilderung von Jones ( 2240). Die Frage der Toleranz bzw. Intoleranz gegenüber jenen radikaleren Bewegungen führt auch Evans ( 2318) in seiner Studie über die Nürnberger Spiritualisten und Anabaptisten 1524--28 und darüber hinaus über das Geschick der Straßburger, Thüringer und Schweizer Täufer zu schiefen Urteilen über Luthers Schuld an dem scharfen Vorgehen. Hier wird an wertvollen Fragestellungen und Erkenntnissen wie denen Walther Sohms (Territorium und Reformation, 1915) vorübergegangen, obwohl man erst mit deren Hilfe Problematik und Tragik des werdenden protestantischen Konfessionsstaats in ihrer Tiefe erfassen und sehen kann, wie darin die Konfessionalisierungsbewegung auch über Luthers Kirchbauideen hinauswuchs. Um so mehr ist dann Zimmermanns Münzerbiographie ( 941) mit ihrer objektiven Einschätzung der damaligen geschichtlichen Kräfte zu begrüßen, obwohl bei ihm der Theologe Münzer und seine eigenartige Mystik als der tragende Grund auch seines Handelns (vgl. K. Müllers Kirchengeschichte II, 1, S. 310 ff.) nicht genug zur Geltung kommt. Das Mennoniten jubiläum des Jahres 1925 hat die Gedenkschrift 2295 mit ihren wertvollen Einzelstudien veranlaßt. Auf eine


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in der Lübecker Stadtbibliothek seit kurzem vorhandene Lübecker plattdeutsche, von Bugenhagen bevorwortete Schrift über die Münsterer Bewegung vom Jahre 1532, die bisher nur im Londoner Britischen Museum nachgewiesen war, hat Jannasch (Ztschr. f. Kircheng. 1925, S. 428 f.) aufmerksam gemacht. Corrells Schrift ( 2333) mit ihrer soziologischen Charakteristik des gesamten Täufertums hat nicht nur für die schweizerischen Täufermennoniten, denen sie zunächst gilt, Wert, sondern verfolgt die Gesamtausbreitung der Bewegung und ihre durch die Verfolgungen veranlaßte wirtschaftlichkolonisatorische Tätigkeit, die ihre zeitliche Parallele -- C. führt bis in die Neuzeit hinein -- an der Ausbreitung der alten und der erneuerten Brüderunität hat. Anderseits freilich gräbt C., wie ihm W. Koehler mit Recht vorwirft (Theol. Lit.ztg. 1926, S. 89), ideengeschichtlich nicht tief genug, wenn er den Zusammenhang mit Münzer, Karlstadt und der Zwickauer Bewegung nicht nur nicht sieht, sondern geradezu leugnet. Hier muß Koehlers eigener Beitrag zur Mennoniten-Gedenkschrift ( 2295), über die Züricher Täufer, zur Richtigstellung herangezogen werden, wo auch der ursprüngliche Anteil des Enthusiasmus an der Gestaltung der Bewegung neben den ethisch-gesetzlichen Bergpredigtmotiven richtiger erkannt ist. Mit Recht hat daher ja auch Jones ( 2240) führende Täufergestalten, wie Bünderlin, Entfelder u. a., in seine Darstellung der »geistigen Reformation«, wie sie im unglücklich formulierten Titel der nun vorliegenden Verdeutschung des längst vorteilhaft bekannten englischen Werkes (Spiritual Reformers) genannt werden, einbezogen. Diese deutsche Übersetzung mit ihrer Darstellung Schwenckfelds, Weigels, Jakob Böhmes und anderer festländischer Gestalten neben den englischen Spiritualisten wird gewiß, auch durch ihre Lücken, die deutsche Forschung anregen können. Diese ist ja neuerlich hinsichtlich Jakob Böhmes bei dessen Todesjubiläum 1924 einen guten Schritt vorwärtsgekommen. Unter religions- und theologiegeschichtlichen Gesichtspunkten verdient aus der Reihe der Festschriften die Schrift Bornkamms ( 2289) eine besondere Hervorhebung, da sie Böhme eine ideengeschichtliche Untersuchung mit besonderem Interesse an den etwaigen Lutherschen Elementen in seiner Frömmigkeit und Spekulation widmet. Im Blick auf B.s Christologie und seine Gedanken über Wiedergeburt und Rechtfertigung, Gemeinschaft, Ethik, Geschichte deckt B. das Nebeneinander und Gegeneinander Lutherscher und mystischer Züge in Böhme auf und erweist so zugleich seinen Zusammenhang mit dem vom 16. Jahrhundert her laufenden protestantischen Spiritualismus älterer Zeit (nicht bloß Schwenckfelds), in dem sich ja auch Luthersche Ideen mit der Gegnerschaft gegen den »historischen« Glauben Luthers und gegen die Luthersche Rechtfertigungslehre mischen. Darin, daß Böhme nicht, wie es etwa unter den neueren Biographen Ph. Hankamer besonders stark herausgearbeitet hat, »ein Beginn von kaum erhörter Ursprünglichkeit« ist, wird man Bornkamm unbedingt Recht geben müssen.


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