VI. Orthodoxie. Unionsbestrebungen.

Die Zeit der Orthodoxie bedarf trotz der Vorarbeiten Tholucks noch einer gründlichen Erforschung, so daß man sich über jede territoriale Einzelstudie, wie Fritz ( 2338) oder Loewenfeld ( 2395), über Quellenhinweise wie den v. Danckelmans ( 2303), oder Quellenauszüge, wie Buchners Zeitungsexzerpte ( 2526), freuen muß. Von den Genannten erstrebt Fritz auf Grund der württembergischen Materialien ein Zeitbild von 1600--1675 bis zum Eindringen des Spenerschen Pietismus und zeichnet im vorliegenden Jahrgang zunächst auf Grund besonders der Predigt- und Erbauungsliteratur die geistige und religiöse Welt des Pfarrers der orthodoxen Zeit, wobei auch schon die konfessionelle Streittheologie zur Geltung kommt. Wenn einmal das Gesamtbild der Orthodoxie gezeichnet werden wird, werden auch Wotschkes seit Jahren publizierte Briefmaterialien als wertvolle Grundlage verwertet werden müssen (zu 2384 und 2416 treten in diesem Jahre noch die schlesischen Briefe Scharffs an den letzten großen orthodoxen Führer E. S. Cyprian, im Correspondenzbl. f. Gesch. d. evg. Kirche Schlesiens 18, H. 1, und die Briefe des preußischen Feldpropstes Lampert Gedicke 1724--30 an Cyprian, im Jb. f. Brandenb. KG.). Denn sie führen über das Persönliche hinaus in die Einzelvorgänge der lokalen und territorialen Geschichte hinein; so Nr. 2416 hinsichtlich der Lage des Luthertums in Prag zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges; 2384 betreffs der Hamburger Pietistenkämpfe des beginnenden 18. Jahrhunderts; Scharffs Briefe hinsichtlich katholischer Bedrückungen, Herrnhuterpropaganda, friderizianischer Religionspolitik und deren Auswirkung in Schlesien; Gedickes Briefe hinsichtlich des Widerstandes gegen die Unionsideen des Königs und die pietistischen Einflüsse. Daß die oft subjektiven, oft auch lokal isolierten Urteile der Briefschreiber nicht einfach als historische Urteile übernommen werden können, ist selbstverständlich; das macht aber die Materialien nicht wertlos. Eine ausführliche Biographie einer führenden Theologengestalt der Zeit, die freilich durch ihre Unions bestrebungen mit der katholischen Kirche stärkste Proteste ausgelöst hat, des hannoverschen Abtes Molanus, hat Weidemann ( 2374) begonnen. Geht er in diesem ersten Band auf Molans Unionsverhandlungen noch nicht ein, so bietet seine Schilderung der konsistorialen Verwaltungstätigkeit Molans, der Kämpfe um die Selbständigkeit des Konsistoriums gegenüber dem landesherrlichen Zugreifen, der polizeilichen Kampfmittel gegen sittlich-religiöse Mißstände, der Frontstellung gegen den beginnenden Pietismus u. dgl. um so mehr ein Zeitbild aus der Orthodoxie. Um die katholisierenden Unionsbemühungen der Zeit handelt es sich in Kiefls Leibnizstudie ( 2176), die in ihrer Neuauflage hinsichtlich Leibniz' Stellung zum Christentum mit Recht viel günstiger urteilt als in der ersten Auflage, der man aber darin Recht geben wird, daß Leibniz die inneren Ursachen der religiösen Spaltung nicht gebührend stark gewürdigt hat. Auf die von katholischer Seite her seit 1658 (Bittschrift bei Gelegenheit der Kaiserwahl in Frankfurt a. M) mehrfach unternommenen Unionsversuche des Jesuiten Jakob Masenius weist Dechent ( 2177) auf Grund einer Gegenschrift des Regensburger Superintendenten Joh. Hnr. Ursinus vom Jahre 1665 hin. Auf


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die andere Linie der Unionsbestrebungen der Zeit, die Geschichte der innerprotestantischen Unionsidee, gehört Flaskamps Studie über den Großen Kurfürsten ( 2300), den er selbst hinter seinen Geheimen Rat Otto v. Schwerin zurücktreten läßt und dem er sogar eine Bedeutung in der Unionsbewegung abstreitet. Das Bild wird aber dadurch falsch, daß Fl. die kurfürstlichen Verbote der Kanzelpolemik und der Streittheologie und seine Politik der Religionsgespräche nicht genau genug beachtet, sondern auf die Selbstverständlichkeit den Ton legt, daß der (reformierte) Kurfürst »die Reformierten förderte, die Lutheraner zurückdrängte«, ohne zu bedenken, inwieweit dies durch den Widerstand der lutherischen Orthodoxie seines Landes gegen den Calvinismus und die Irenik mit bedingt war.


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