§ 45. Humanismus.

(P. Joachimsen.)

Die Forschungen auf dem Gebiet des Humanismus und der Renaissance, sowohl im allgemeinen wie besonders in Deutschland, stehen seit langem unter dem Zeichen theoretischer Erörterungen, einer Diskussion, welche die genannten Begriffe als Bezeichnung geschichtlicher Bewegungen zu umgrenzen und festzulegen sucht. Der stärkste Anstoß ist dabei bekanntlich von den Arbeiten von Konrad Burdach ausgegangen. Er hat die bis dahin wichtigste, wenn auch längst nicht mehr allein herrschende Auffassung Jakob Burckhardts, wonach die Renaissance als eine Gegenbewegung des weltlichen italienischen Geistes gegen die geistliche Kultur des Mittelalters aufzufassen sei, bekämpft und ihr eine andere entgegengesetzt. Diese ist von ihm zuerst 1891 in einem Aufsatz des Centralblatts für Bibliothekswesen vorgelegt und seitdem in einer Reihe von kleineren und größeren Abhandlungen ausgeführt worden. Die grundlegenden Aufsätze und eine Anzahl anderer, sie ergänzender, hat er jetzt in einem Neudruck vereinigt ( 198). Burdach vertritt die Auffassung, daß Renaissance und Humanismus, die er als Wechselbegriffe ansehen möchte, nicht als eine Erneuerung des heidnisch-antiken Geistes und ebensowenig als eine national-aufklärerische Entgegensetzung gegen die religiöse Tendenz des Mittelalters gefaßt werden dürfen, sie entstehen vielmehr aus einer Umwandlung der enthusiastischen Religiosität, die sich als allgemeine Bewegung an Franz von Assisi anschließt, aber über ihn hinaus bis in die Anfänge des 12. Jahrhunderts zurückverfolgt werden kann, zu einer Kulturbewegung. Diese Umwandlung wird in Italien durch Dante, Petrarca und Cola da Rienzo repräsentiert, von diesen beiden nach Böhmen übertragen und erzeugt dort unter Karl IV. und seinem Kanzler Johann von Neumarkt eine Renaissancebewegung, aus der sich der spätere deutsche Humanismus herleiten läßt.

Diese Auffassung, die Burdach selbst zwar zunächst nur im Zusammenhang mit früheren Studien über den Ursprung und die Geschichte der neuhochdeutschen Schriftsprache vorgetragen und also literarhistorisch begründet, aber dann mit umfassender Gelehrsamkeit über alle Kulturgebiete und mit Ausblick über große Zeiträume hin verfolgt hat, ist von weittragender Wirkung gewesen. Burdach selbst hat auf ihr ein ganzes Corpus von Quellen und Darstellungen aufgebaut, deren Titel »Vom Mittelalter zur Reformation« bereits eine zweite Seite seiner Forschungen aufzeigt. Es soll der Weg gezeigt werden, der in Deutschland von der mittelalterlichen Bildung zur Bildung der Reformation geführt hat. Hierüber wird im nächsten Jahresbericht eingehender zu handeln sein, wo neue Stücke des noch nicht vollendeten Gesamtwerks zu besprechen sind. -- In dieses Berichtsjahr gehört die Ergänzung, die sein Schüler und Mitarbeiter Paul Piur durch die Herausgabe von Petrarcas »Liber sine titulo« geliefert hat ( 2466a). Er enthält die 19 Briefe, die Petrarca zu einem Sonderheft seines Opus epistolarum vereinigt hat und die seinen Zorn über die verweltlichte Kurie von Avignon ausdrücken. Piur hat diese Briefe auf Grund umfassender Handschriftenkenntnis in musterhafter Weise kritisch ediert und erläutert. Voraus geht eine Einleitung, welche die Ideen Petrarcas im Sinne Burdachs aus der Weltuntergangserwartung und dem


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Welterneuerungsglauben abzuleiten sucht, die nun in Italien die geistige Wiedergeburt geschaffen haben, die wir Renaissance nennen.

Es muß auch nach diesen mit gewichtiger Gelehrsamkeit gestützten Ausführungen ungewiß bleiben, ob so unzweifelhaft mittelalterliche Geistesströmungen die Bewegung der Renaissance als eine Kulturbewegung von besonderer Art, die zur Neuzeit führen soll, wirklich erklären können. In dieser Richtung bewegen sich die Einwände von Brandi ( 2469 und 2471) und von mir (Zeitwende, 1915). Brandi weist auf die zahlreichen »Renaissancezüge« im Mittelalter selbst hin, die eine Typenbildung schwierig machen, und sucht besonders die Meinung zu erhärten, daß Rienzo noch einen durchaus mittelalterlichen Typus repräsentiere und jedenfalls nicht auf eine Stufe mit Dante und Petrarca als Begründer der Renaissance, wie man sie auch fassen wolle, gestellt werden könne. Dem Humanismus weist Brandi die besondere Rolle zu, die Antike unter den philologischen Begriff des Verstehens gestellt und damit das nachfühlende Verständnis der alten wie der eigenen Klassiker begründet zu haben. Die Antike leistet den Völkern, die sie humanistisch aufnehmen, vor allem den Italienern und den Deutschen, den Dienst, daß sie »zu sich selbst kommen«. Ich habe, ältere Ausführungen wiederholend und schärfer formulierend, versucht, der alten These Burckhardts einen neuen Sinn zu geben und damit zwischen Renaissance und Humanismus schärfer zu unterscheiden, vor allem aber auch der Reformation als Kulturbewegung ihr eigenes Recht zu sichern und sie als grundverschieden von der Renaissance zu erweisen, die eben durchaus weltlich-aufklärerische Bewegung bleibt.

Einen gewichtigen Bundesgenossen erhält diese Verteidigung der älteren Auffassung der Renaissance durch den vierten Band von Robert Davidsohns »Geschichte von Florenz« ( 2467). Dieses groß angelegte Werk gibt bekanntlich im Rahmen einer Stadtgeschichte ein umfassendes Weltbild, in dem kaum eine der großen Fragen des Mittelalters, soweit sie auf italienischem Boden ausgetragen sind, unberührt bleibt. Davidsohns Arbeit hat ihren besonderen Charakter in einer wohl einzig dastehenden Verbindung von minutiösester Detailforschung und Detailkenntnis mit universalhistorischen Gesichtspunkten. Das kommt besonders dem vorliegenden Band zugute, in dem Davidsohn die Frühzeit der Florentiner Kultur, d. h. das Zeitalter Dantes, allerdings mit häufigen Vorgriffen und Rückblicken, schildert. Die beiden bis jetzt erschienenen Halbbände geben zunächst ein Bild von der Verfassung und Verwaltung der Stadt mit Einbeziehung des sozialen Aufbaus, auf dem die staatlichen Einrichtungen ruhen, und dann eine weit gespannte Übersicht über die Organisation von Gewerbe, Handel und Verkehr. Ein noch ausstehender III. Teil soll das geistige Leben behandeln; dieser wird also für die in diesem Bericht erörterten Fragen besonders wichtig werden. Doch ist Davidsohns Stellung zu den von mir bezeichneten Problemen bereits in dem, was vorliegt, völlig klar. Die Florentiner Renaissance hängt in allen Punkten mit der Staufischen Kultur Unteritaliens zusammen, wie sie sich durch Kaiser Friedrich II. gestaltet hat. Sie ist also, wie diese, in der Hauptsache aufklärerisch und ghibellinisch. Dazu kommt dann der römische Einfluß, der aber nichts mit spiritualistischen Tendenzen zu tun hat, und der französische, endlich der Einfluß Bolognas. Dies alles wird vereinigt und zu einer neuen Kultur geformt durch den skeptischen und kritischen bürgerlichen Geist von Florenz, dessen Wirkungen wir auf allen Gebieten


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des öffentlichen Lebens sehen. -- Für den politischen und sozialen Aufbau des Florentiner Gemeinwesens möchte Davidsohn die vor allem von Doren vertretene These abweisen, daß Florenz als die typische Zunftstadt bezeichnet werden dürfe. Die priori delle arti sind keine Vertreter der Zünfte, sondern Vertreter des popolo, und Florenz ist eine typische Mittelstandsdemokratie, deren Geschichte ein großes Ringen wider die Übermacht von Geburt, Stellung und Reichtum ist. Gegen diese Auffassung hat Walter Lenel (Hist. Zs. Bd. 134, S. 413 ff.) gewichtige Einwände erhoben und sie durch einzelne Stellen der Schilderung Davidsohns selbst gestützt. In der Tat tritt auch bei Davidsohn die große Bedeutung des Kapitalismus für die soziale und politische Entwicklung deutlich hervor, und es ist vielleicht ein Hauptmangel seiner Darstellung, daß in ihr der sogenannte Zunftkapitalismus und seine Stellung zum Handels- und Industriekapitalismus nirgendwo prinzipiell gewürdigt ist, obgleich sich dafür an zahlreichen Stellen ausgezeichnetes Material findet. Das ist auch für unseren Zusammenhang wichtig, da Davidsohn den Einfluß des aufkommenden kapitalistischen Geistes auf die Renaissance nicht bestreitet, vielmehr nachdrücklich auf die Umformung des Volkstums, des herrschenden Geistes durch kommerzielle Einwirkungen hinweist (II, 177). Jedenfalls dürfte ein Buch wie diese Geschichte von Florenz zeigen, daß die Renaissance als Kulturbewegung nur von einer genauen Erforschung der überaus verwickelten sozialen und politischen Vorgänge in den großen Stadtstaaten Italiens aus begriffen werden kann. Die literarischen Erzeugnisse sind dann von hier aus zu erklären, nicht umgekehrt.

Einen Versuch, einer bekannten literarischen Quelle das kulturgeschichtlich Wertvolle abzugewinnen, hat A. von Martin an den Viten des Vespasiano da Bisticci gemacht ( 2468). Was er seinerzeit in liebevoller Versenkung in Salutati gegeben hatte, sucht er hier für eine Quelle von wesentlich engerer geistiger Einstellung, aber von intimerem Reize zu tun. P. Schubring, der 1914 eine Auswahl der Viten für die schöne Sammlung von Marie Herzfeld, Das Zeitalter der Renaissance, verdeutscht hat, nennt Vespasiano eine Eckermann-Natur und meint, der Reiz seiner Lebensbeschreibungen liege vor allem darin, daß man einen Quattrocentisten über Quattrocentisten urteilen hört. Diese mehr literarischen Gesichtspunkte hat Martin durch eine Analyse ergänzt, welche die typologischen Gesichtspunkte hervorkehrt und vor allem das Mittelalterliche und das Renaissancemäßige bei Vespasiano unterscheidet. Auch hier wird der »complexe« Charakter der Menschen wie der Zeit deutlich.

Eine weitere Klärung der umstrittenen Fragen, die sich an die Anfänge des italienischen Humanismus knüpfen, dürfen wir von dem Fortgang einer groß angelegten Petrarca-Biographie von Tatham ( 2466b) erwarten. Der I. Band ist in unserem Berichtsjahr erschienen. Hier wird das Leben und die Geschichte Petrarcas in den Zusammenhang seiner Zeit gestellt, so daß Lebensgeschichte und Zeitgeschichte in parallelem Gang entwickelt werden. Da der erste Band nur bis 1342 führt, so beschäftigt er sich noch nicht eigentlich mit dem Humanisten, sondern hauptsächlich mit dem Lyriker Petrarca, doch ist auch dieser Teil für den Humanismus wichtig, da Tatham bei der Erklärung des Canzoniere, früherer Forschung folgend, in weitem Umfange die humanistisch gefärbten Selbstbekenntnisse Petrarcas heranzieht und auch über seine Naturliebe und seinen Freundeskreis ausführlich handelt.


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Mit dem Verhältnis von Renaissance und Reformation, besonders unter dem Gesichtspunkt ihrer Bedeutung für die Neuzeit, hat sich 1913 Ernst Troeltsch in einem Aufsatz der Hist. Zs. beschäftigt. Dieser Aufsatz liegt jetzt, durch handschriftliche Zusätze ergänzt, in den von Hans Baron gesammelten Aufsätzen von Troeltsch »Zur Geistesgeschichte und Religionssoziologie« vor ( 204). Troeltsch wollte den Gegensatz beider Bewegungen, den er mit Recht für evident hält, einerseits in ihrem Verhältnis zur Gemeinschaftsbildung, andererseits in ihrem Ursprung, hier aus der antiken Geisteskultur, dort aus der prophetisch-christlichen Gedankenwelt, finden. Die sich hier auftuenden Fragen sind von dem Herausgeber Baron selbständig weiter erörtert worden, einmal in einem Literaturbericht, der sehr gut und verständig über die wichtigsten Erscheinungen zur Renaissance in Italien von etwa 1913 an unterrichtet (Archiv f. Kulturgesch. 17, 226--256), und dann in einem zweiten Literaturbericht ( 2473), der den Streitfragen über den Ursprung des deutschen Humanismus und seiner religiösen Reformbestrebungen nachgeht. Hier ist die wichtigste Streitfrage die, ob man, wie die älteren Forscher und vor allem Dilthey getan haben, die besondere Richtung auf eine Wiederherstellung des Christentums, wie sie dann siegreich bei Erasmus hervortritt, als Nachwirkung des Florentiner Platonismus, vermittelt etwa durch die Oxford-Reformers, betrachten dürfe, oder ob, wie Hermelink zeigen wollte, diese Richtung aus einheimischer Wurzel, vor allem aus der devotio moderna der Brüder vom gemeinsamen Leben zu erklären ist. Das Urteil hierüber hängt zunächst von einer gründlicheren Kenntnis des Florentiner Platonismus ab. Aus den Forschungen hierüber fällt in das Berichtsjahr ein Aufsatz von J. Pusino, der die religionsphilosophischen Gedanken der beiden Häupter der Schule, Ficinos und Picos, schärfer als bisher zu fassen und zu unterscheiden sucht (Zeitschr. f. Kirchengesch. 1925, S. 504--543). Er geht von der These aus, daß die Renaissance wenigstens in ihrer florentinischen Ausprägung die Tendenz zeigt, die mittelalterlichen Gegensätze von Askese und Weltfreudigkeit zunächst zu steigern, dann aber zu einer optimistischen Religion als moralischer Umwandlung des Christentums zu formen. Dabei erscheinen als wichtigste Fragen die einer natürlichen Religion und des besonderen Verhältnisses des Christentums zu einer solchen, dann die des Verhältnisses von Vernunft und Offenbarung, vor allem bezogen auf das Problem der Willensfreiheit, und die der Harmonie des Weltalls, gesehen durch den Begriff der Schönheit Gottes. In der Behandlung dieser Fragen unterscheidet sich Ficino von Pico. Während Ficino bei einer Art von aufklärerischer Stufenfolge der religiösen Erkenntnis endet, die dem Christentum nur die höchste Stelle in einer Folge von mehr oder weniger vollkommenen religiösen Erkenntnisweisen zuspricht, bleibt bei Pico ein Dualismus zwischen religiöser Erkenntnis, die hauptsächlich innere Erfahrung ist, und optimistischer Bejahung der natürlichen Kräfte des Menschen bestehen. Neben der Aussöhnung einer solchen innerlichen Christlichkeit mit der Lebensbejahung steht dann als zweite Aufgabe bei Fico der Ausgleich dieser Christianitas mit dem überlieferten Allgemeinwissen. Damit würden die wichtigsten Wirkungen des Florentiner Platonismus, vor allem die auf Thomas Morus, Colet, Erasmus und Zwingli, für Pico zu beanspruchen sein. Für Ficino bliebe der universale Theismus übrig, den in Deutschland am besten Mutian vertritt.

Weiter führen in dieser Frage Untersuchungen über den Einfluß der Brüder


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vom gemeinsamen Leben und der devotio moderna auf die humanistische Religiosität des Nordens. Hier tritt jetzt besonders die Persönlichkeit von Wessel Gansfort stärker hervor. Sein Biograph van Rhijn hat in zwei kleineren Aufsätzen Ergänzungen für sein Leben und für die Würdigung seiner Bedeutung gegeben ( 2261). In der Arbeit über Goswin van Halen, den wir jetzt auch als Biographen Rudolph Agricolas und im Verkehr mit Melanchthon kennen, wird vor allem der humanistisch-theologische Freundeskreis Wessels gut geschildert. Der zweite Aufsatz nutzt die Ergebnisse von Gerhard Ritters Studien zur Spätscholastik aus und sucht die Stellung Wessels in dem Streit der »beiden Wege« näher zu bestimmen. Klar wird, daß auch der biblische Humanismus, den Wessel vertritt, mit der Reformation Luthers nichts zu tun hat. Die andere Frage, wie weit dieser Humanismus aus einheimisch-religiösem und wie weit er aus italienisch-humanistischen Elementen abzuleiten ist, bleibt offen; die These Hermelinks wird abgelehnt. Hier darf ich wohl gleich auf den über das Berichtsjahr hinausführenden Vortrag G. Ritters auf dem Breslauer Historikertag, Oktober 1926, hinweisen (jetzt Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, Jahrgang 5, Heft 2), der das Problem schärfer präzisiert und für den Humanismus mit Recht nur die Formung ursprünglich religiöser Elemente in Anspruch nimmt.

Für die weitere Entwicklung des biblischen Humanismus in Deutschland ist Trithemius wichtig. Eine von mir angeregte Dissertation von Lotte Cromwell ( 2474) sucht zu zeigen, wie sich bei Trithemius die Gedanken der devotio moderna, der alten und der Gersonschen Mystik, des Nicolaus von Cues und des italienischen Platonismus durch die Beziehung auf das Klosterideal verengen und umbilden.

Unter allgemein geistesgeschichtlichen Gesichtspunkten hat H. Adolph ( 2475) die Beziehungen von Protestantismus und Renaissance untersucht. Er möchte feststellen, in welchem Verhältnis diese beiden Mächte -- Adolph versteht unter Renaissance die humanistisch geformte Renaissancekultur -- in den verschiedenen Perioden des deutschen Geisteslebens gestanden haben. Er unterscheidet dabei eine frühe Zeit, das 16. und 17. Jahrhundert, wo beide trotz teilweiser innerer Wesensverwandtschaft doch deutlich geschieden sind, eine Mittelstufe, das 18. und 19. Jahrhundert, wo sich in theologischem Rationalismus und in der Geniebewegung starke Annäherungen vollziehen, endlich die neueste Zeit, wo sich wiederum eine Trennung anbahnt, beschleunigt einerseits durch die Selbstbesinnung des Protestantismus und andererseits durch die Abwendung von dem totgelaufenen Subjektivismus der Renaissancekultur. Damit wird die Frage auf das moderne Problem des Verhältnisses von Kulturwerten und religiöser Erfahrung bezogen. Die einzelnen Ausführungen des Verfassers sind scharfsinnig und oft anregend, doch läßt sich das Gewaltsame und Konstruierte mancher seiner Entwicklungslinien nicht verkennen.

Von allgemeinen Darstellungen der Geschichte des deutschen Humanismus liegt nur der 2. Band der Arbeit von K. P. Hasse vor ( 2470). Hasse setzt sich nur teilweise wissenschaftliche Ziele, in der Hauptsache ist es ihm um die Verdeutlichung der Gedankenwelt einiger führender Geister des Humanismus zu tun, die ihn nach seinem besonderen Studiengebiet vor anderen interessieren. Der vorliegende Band behandelt in vier Abschnitten: Faustisches; Die Umgestaltung des astronomischen Weltbildes; Schulmänner, Lateindichter und


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Geschichtschreiber des 16. Jahrhunderts; Die Kunst. Von diesen Abschnitten ist nur der erste und der zweite einigermaßen brauchbar. Die hier gebotene Analyse der Gedankenwelt des Paracelsus und die Erörterungen über Kopernikus und sein Verhältnis zu den allgemeinen humanistischen Theorien wird man mit Nutzen lesen, tieferes Eingehen auf die Probleme freilich auch hier vergebens suchen.

Unter den Monographien zur Geschichte des deutschen Humanismus ist nach seinem Gegenstand und seinem Umfang am wichtigsten das zweite Huttenbuch Kalkoffs ( 2480). (Nr. 2481 ist Popularisierung der Ergebnisse von K.s Huttenforschung, Nr. 2482 weitere Ausführung des Kap. 2 des 2. Huttenbuchs, ohne neue Ergebnisse für den Humanismus.) Kalkoff setzt hier den 1920 begonnenen Versuch fort, gegenüber der romantischen und ultramontanen Legende, die sich um Hutten gezogen hat, den geschichtlichen Hutten herauszuarbeiten. Das Ergebnis ist, daß Hutten weder nach Charaktereigenschaften noch nach seiner literarischen Bildung, noch nach seiner Religiosität den Anspruch behaupten kann, als ein Führer des nationalen Humanismus oder gar als ein Helfer Luthers bei dem Reformationswerk zu gelten. Schon bei dem ersten Buch war sichtbar, daß Kalkoff von einer Reihe vorgefaßter Meinungen ausgeht und weniger eine neue Biographie als eine kritische Durchmusterung der einzelnen Aktionen bieten will, an denen Hutten beteiligt war, und die Kalkoff in ihrer ganzen Breite auch dort vorlegt, wo sie mit Hutten selbst wenig, mit seiner literarischen Bedeutung aber gar nichts zu tun haben. Dasselbe ist in dem zweiten, hier zu besprechenden Buch der Fall, insbesondere ist für den Humanisten Hutten nur das zweite und dritte Kapitel wichtig, in dem Kalkoff Huttens Leben als fahrender Schüler und Poet und den Humanismus an der Universität Mainz zur Zeit Huttens schildert. In diesem letzten Abschnitt wird eine sehr eingehende, als Zusammenfassung der bisherigen Forschung wertvolle Darstellung des Mainzer Humanismus gegeben, für Hutten selbst aber ist daraus nichts zu entnehmen. Die Stärke des Buches liegt überhaupt, wie bei früheren Arbeiten Kalkoffs, in der Herausarbeitung des historisch-politischen Details, mit dem aber für die von Kalkoff beabsichtigte Umformung des Huttenbildes sehr wenig gewonnen wird. Ich kann also auch dem günstigeren Urteil, das Otto Clemen über das zweite Buch Kalkoffs im Vergleich mit dem ersten gefällt hat (Theol. Lit.-Ztg. 50, 301 ff., u. Dte. Lit.-Ztg. 1925, Sp. 3017), nicht zustimmen und verweise für die Einzelheiten auf meine ausführliche Besprechung in der Hist. Zs. Bd. 136, Heft 2.

Die Schlußabschnitte des ersten Huttenbuchs Kalkoffs hat unterdessen W. Kaegi einer gründlichen Revision unterzogen ( 2478) und die hier wichtigen Fragen quellenmäßig und besonnen erörtert. Er schildert zunächst, um für das Verhältnis Huttens zu Erasmus eine Unterlage zu gewinnen, die äußeren Begebenheiten bis zu dem Streit beider, dann die innere Auflösung ihres Freundschaftsverhältnisses, die aus der Verschiedenheit der Charaktere abgeleitet wird, endlich den Verlauf des Streits selbst. Hier ist Wertvolles über den Charakter der literarischen Freundschaften der Humanisten überhaupt und des Erasmus im besonderen gesagt, auch die Umwandlung der früheren literarischpolemischen Ideen Huttens in den phantastischen Plan des Pfaffenkrieges, die ihn mit Erasmus völlig auseinanderbringen mußte, wird einleuchtend erklärt.

Der Anteil, den die deutschen Humanisten an der anonymen und


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pseudonymen Flugschriftenliteratur der Reformationszeit gehabt haben, ist seit langem Gegenstand eifriger und mehr oder weniger glücklicher Forschung gewesen. Besonderes Aufsehen hat die 1923 erschienene Schrift von Paul Merker, Der Verfasser des Eccius dedolatus und anderer Reformationsdialoge erregt, in der einem bisher ziemlich unbekannten Straßburger Literaten, Nicolaus Gerbel, eine ganze Reihe solcher Flugschriften beigelegt werden. Es sind die beiden gegen Murner gerichteten Satiren Defensio christianorum de cruce und Murnerus Leviathan, dazu die Auctio Lutheromastigum, ferner drei Satiren gegen Eck Eccius dedolatus, Decoctio, Eckius Monachus, dann die unter dem Pseudonym L. Abydenus Corallus Junior ausgegangenen Dialogi septem festive candidi, die Oratio ad Carolum pro Hutteno et Luthero, endlich ein Teil der Epistolae obscurorum virorum. Die Argumente Merkers werden in der Hauptsache zustimmend von Scholtè und Ellinger referiert ( 2472 und 2483). Dennoch kann nur der kleinste Teil der Ergebnisse Merkers für gesichert gelten. Otto Clemen hat (Theol. Lit.-Ztg. 1923, Sp. 442 ff.) die Zuweisung des Eccius dedolatus mit überzeugenden Gründen beanstandet, für die Epistolae obscurorum virorum ist die Frage der Verfasserschaft durch Aloys Boemer jetzt wohl endgültig geklärt (s. die neue Ausgabe, Heidelberg 1924). Die Dialogi septem festive candidi und die anderen in diesen Kreis gehörigen Schriften müssen wohl Crotus Rubeanus bleiben, dem Brecht sie zugeschrieben hat. So bleibt für Gerbel kaum etwas mehr als die Murner-Polemik übrig.

Mit einem Thema, das ebenfalls, wie so vieles zur Geschichte des Humanismus, von Burdach in den Vordergrund gerückt worden ist, beschäftigt sich W. Stammler ( 2476). Er geht der Übersetzungsliteratur der Humanisten nach, charakterisiert die strenge Nachahmung des Lateins durch die Wyle- Schule und die freiere, besonders in Heidelberg vertretene Richtung. Eingehend wird an den verschiedenen Versuchen der Livius-Übersetzung gezeigt, welche Bedeutung diese Übersetzungsliteratur für die Gestaltung der deutschen Schriftsprache überhaupt gehabt hat.

Im ganzen dürfte dieser Bericht zeigen, daß die Fülle der Probleme, welche Humanismus und Renaissance bergen, noch vielen weiteren Arbeiten Raum läßt. Diese Arbeiten sind dadurch erschwert, daß sie eine Vereinigung von philologischen, literarhistorischen, historischen, zum Teil auch theologischen Kenntnissen verlangen, die nicht häufig getroffen wird. Doch sehen wir überall Fortschritte und hoffnungsvolle Ansätze.


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