§ 48. Pressewesen.

(Fr. Andreae.)

Dem heutigen Entwicklungsstadium eines so jungen Spezialzweiges unserer Geschichtswissenschaft, wie der Zeitungsgeschichte, entspricht es, daß der Hauptanteil der Betätigung auf diesem Gebiet auf monographische Arbeiten entfällt. Nachdem der erste Versuch zu einer umfassenden geschichtlichen Gesamtdarstellung des deutschen Zeitungswesens, wie ihn L. Salomon um 1900 unternahm, nicht zuletzt deswegen so wenig geglückt war, weil ihm die Einzelforschung noch nicht genügend vorgearbeitet hatte, galt es, in dieser Beziehung bisher Verabsäumtes erst einmal nachzuholen. Allerdings mehrt sich auch heute angesichts der Fülle von Einzeldarstellungen, welche der Aufschwung der Zeitungsforschung in den beiden letzten Jahrzehnten gezeitigt hat, das Verlangen nach übersichtlicherer Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse. Solche Zusammenfassungen namentlich der umfangreichen lokalgeschichtlichen Zeitungsliteratur unter regionalen Gesichtspunkten sind heute


S.484

schon sehr wohl möglich; wenigstens für die zeitungsgeschichtlich am besten durchforschten Örtlichkeiten. Für die rheinischen, die dabei mit an erster Stelle stehen, hat sich dankenswerterweise einer der besten Kenner rheinischer Geschichte, J. Hashagen, dieser Aufgabe unterzogen ( 2623). Sein Büchlein gibt bei knappster Zusammendrängung des reichen und vielgestaltigen Stoffes eine gut orientierende, auch das Lokalkolorit der verschiedenen Zeitungszentren zur Geltung bringende Ansicht vom Werden und Wesen des politischen und belletristischen Zeitungswesens in den Rheinlanden bis zur Bewilligung der Preßfreiheit.

Im übrigen war die zeitungsgeschichtliche Produktion des Berichtsjahres weder sehr zahlreich noch durch hervorragende Leistungen ausgezeichnet. Die Jubiläumsfestschrift der »Königsberger Allgemeinen Zeitung« ( 2627) enthält keine Darstellung der Geschichte dieses Blattes, sondern eine Sammlung von Beiträgen, die in erster Linie der Hausreklame, in zweiter der ostpreußischen Kulturpropaganda dienen. -- Eine ausgebildete »Zeitungsbiographie« hat dagegen E. Widdecke in seiner »Geschichte der Haude und Spenerschen Zeitung (1734--1874)« gegeben ( 2624). Es wäre besser gewesen, diese Arbeit nicht einem Anfänger anzuvertrauen, denn die Darstellung der Geschichte einer so alten und bedeutenden Zeitung setzt ein Maß an kultur- und geistesgeschichtlicher Bildung voraus, wie sie der durchschnittliche Student in der Regel nicht besitzt. Den offensichtlichen Mängeln dieser fleißigen und mühevollen Arbeit stehen aber auch Vorzüge gegenüber. Hervorgehoben sei besonders das Interesse für die formgeschichtliche Seite der Arbeit (vgl. z. B. die Ausführungen über den Zeitungsstil). -- Die Arbeit F. Eggelings über das Halberstädter Zeitungswesen ( 2626) -- ebenfalls eine Dissertation -- hat ihre nicht gerade bedeutende Aufgabe in ansprechender Weise gelöst. Doch hätte das eigenartige Kulturmilieu H.s im 18. Jahrhundert noch feiner herausgearbeitet werden sollen. -- Daß auch auf einem von der historischen Forschung schon so viel beackerten Gebiete wie unserem ältesten Zeitungswesen noch überraschende Funde möglich sind, zeigt die Mitteilung des Leipziger Bibliotheksdirektors J. Hofmann über die Erwerbung einer sogenannten »Neuen Zeitung« aus dem Jahre 1518 ( 2625), die ihrem Alter nach unter den in Deutschland erhaltenen Stücken an achter Stelle steht und die nachweislich älteste Zeitung ist, die in Leipzig gedruckt wurde.

Wenn auch die Sammlung von Zeitungsausschnitten, die E. Buchner veranstaltete ( 2526), in erster Linie der Ergötzung kuriositätenfroher Leser dienen sollen, so wird sie doch auch der Wissenschaftler als handliche Aufbereitung eines verstreuten und schwer zugänglichen Quellenstoffes willkommen heißen. Natürlich wird er so wenig wie B. selbst die Reichweite dieser stark subjektiven Auswahlbände überschätzen.

Zum Schluß sei noch auf eine Arbeit aus der Schule Kurt Breysigs hingewiesen, die an einem lehrreichen Beispiel zeigt, in welcher Weise und mit welchem Erfolge der von der Geschichtsforschung noch wenig berührte Gehalt unserer älteren Zeitschriftenliteratur für die Erkenntnis und die Darstellung sozialpolitischer und sozialgeschichtlicher Denkweisen und Ideenverläufe fruchtbar gemacht werden kann. In einer stoffreichen, sorgsamen und feinfühligen Untersuchung hat Johanna Schultze ( 1643) die »Auseinandersetzung zwischen Adel und Bürgertum« in den deutschen Zeitschriften der


S.485

letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts verfolgt. Ihr Ausgangspunkt ist das Jahr 1773, in dem mit Wielands »Merkur« der neue Typus der »staatsbürgerlichen« Journale aufkommt. Ihr Endpunkt ist 1806, wo die deutschen Zeitschriften unter die Kontrolle der französischen Zensur geraten. Innerhalb dieser Periode zieht J. Sch. einen Querschnitt durch die staatsbürgerliche Journalliteratur, um zunächst in zwei interessanten statistischen Tabellen die Verteilung dieser Zeitschriftengattung über die einzelnen Jahre und über die einzelnen Städte darzulegen. Dann werden mit erfreulicher Gründlichkeit die Herausgeber und Mitarbeiter der Journale nach den Gesichtspunkten ihrer geographischen und sozialen Herkunft, ihres Alters, Bildungsganges, Aufenthaltsortes und ihrer beruflichen oder sonstigen Tätigkeit untersucht, gesondert und zu Gruppen zusammengestellt. Endlich wird unter fortwährender Benutzung der so gebildeten Gruppen eine ausführliche Darstellung der einzelnen staats- und gesellschaftstheoretischen Probleme gegeben, die den Inhalt dieser Auseinandersetzung bildeten, wobei auch die besondere Gefühlsnote des Zeitalters berücksichtigt wird. Auf diese Weise entsteht ein sehr anschauliches, dramatisch bewegtes Bild eines geistigen Kampfes, bei dem aber auch die hinter den einzelnen Denkweisen und Ideen stehenden Menschen als lebendige Faktoren stets sichtbar bleiben.


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)