II. Der Staat Friedrichs des Großen. 1740--1786.

Von den großen Aktenpublikationen zur preußischen Geschichte schreitet die Ausgabe der Politischen Korrespondenz ( 1040), die in den Händen von


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G. B. Volz liegt, am stetigsten vorwärts; der im Berichtsjahre erschienene Band umfaßt das Jahr 1777 und bringt des Interessanten genug. Klar umrissen erscheint die Stellung König Friedrichs im System der europäischen Mächte. Sie beruht nach wie vor auf der Allianz mit Rußland, die am 1. April auf 8 Jahre erneuert wird, nicht ohne Schwierigkeiten, da die Kaiserin Katharina »peu d'empressement« für den Abschluß bezeigt. Wenige Tage später garantieren sich Preußen und Rußland ihre beiderseitigen Erwerbungen in Polen, dessen noch immer nicht behobene Grenzirrungen mit Preußen endlich am 16. Juli unter russischer Vermittlung durch eine neue Konvention beigelegt werden. Wünschenswert scheint es dem Könige, durch Heranziehung Frankreichs das Russenbündnis zu einem Dreibund zu erweitern. Auf seine Anregung erscheint zunächst ein französischer Vertreter, General Jaucourt, in Preußen, mit dem in ungezwungener Aussprache die Grundlagen eines besseren Einverständnisses zwischen Preußen und Frankreich festgestellt werden sollen. Von dem Kriege Englands mit seinen amerikanischen Kolonien bleibt Preußen unberührt. Unter Berufung auf seine schlechten Erfahrungen im Siebenjährigen Kriege verweigert der König Bündnis und Hilfstruppen, ja er schlägt es sogar ab, den Subsidientruppen der deutschen Kleinstaaten, deren Entsendung er mit scharfen Worten verurteilt, den Durchmarsch durch preußisches Gebiet zu gestatten. Doch wird auf der andern Seite eine engere Verbindung mit den aufständischen Amerikanern vermieden; in der Frage der Anerkennung ihrer Unabhängigkeit läßt der König Frankreich den Vortritt, und das Angebot eines Handels- und Freundschaftsvertrages vermag ihm nur ein »Festina lente!« zu entlocken. Das Gegenstück der russischen Allianz ist das schlechte Verhältnis zu Österreich, das durch beiderseitige Rüstungen sich mehr und mehr spannt: »Nous ne sommes pas en guerre ouverte, mais en guerre d'intrigues!« Das Jahr 1777 wird bedeutungsvoll beschlossen durch die tödliche Erkrankung des Kurfürsten Maximilian Joseph v. Bayern, ein Ereignis, dessen ernste Folgen der König klar voraussieht. -- Von der Serie »Behördenorganisation« der Acta Borussica ( 1658) liegt nun der XII. Band vollständig vor, nachdem sein Erscheinen durch den Tod des ersten Herausgebers M. Haß und durch die Schwierigkeiten der Kriegs- und Nachkriegsjahre stark behindert worden war. Den bewegten äußeren Schicksalen des Bandes entspricht sein Inhalt, der von Preußens Staatsverwaltung in den ersten Jahren des Siebenjährigen Krieges berichtet. Es ist die Zeit äußerster Anspannung der Kräfte, nicht ruhigen Ausbaus. Die Außenprovinzen sind vom Feinde besetzt oder bedroht, Schlesien gefährdet, Halberstadt und Magdeburg den Streifzügen des Gegners ausgesetzt. Seit 1757 ist Geldern-Mörs und Cleve, seit 1758 Preußen der Einwirkung der Zentralverwaltung entzogen; doch auch für die Kernlande des Staates muß sich die Tätigkeit der Ministerien darauf beschränken, die laufenden Verwaltungsaufgaben zu erledigen und die Kriegslasten nach Möglichkeit zu mildern, so etwa durch den Erlaß von Moratorien. Aktiven Widerstand der Bewohner, Teilnahme der Bevölkerung am Existenzkampf des Staates zu organisieren, lag nicht im Sinne der Zeit, und Ansätze zur Bildung von Milizen verkümmerten bald. Alle staatlichen Energien gehen vom König aus: er leitet auch im Felde die gesamte Finanzwirtschaft, regelt das Arbeiten der Behörden, richtet im eroberten Sachsen die preußische Verwaltung ein, die dem von Borcke geleiteten Feld-Kriegsdirektorium übergeben wird, ihre entscheidenden Impulse aber stets

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vom König selbst erhält. Für das preußische Beamtentum, das durch Suspension seiner Besoldungen hart betroffen wird, wie für den ganzen Staat darf als Ergebnis festgestellt werden, daß sie dem Druck der ersten Kriegsjahre, wenn auch nicht tatkräftige Gegenwirkung, so doch Treue und zähen Widerstand entgegengestellt haben. --

An Lebensbeschreibungen des großen Königs ist im Berichtsjahre eine reiche, wenn auch freilich nicht wesentlich fördernde Produktion zu verzeichnen, deren Anlaß in Bewegungen und Bedürfnissen mehr politischer als wissenschaftlicher Art zu suchen ist. Wenn seit dem Zusammenbruch Deutschlands König Friedrich für weite Kreise der eigentliche nationale Heros geworden ist, Symbol unerschütterlichen Durchhaltens, Unterpfand künftigen Aufstiegs, so hat das nicht geschehen können, ohne daß dabei wesentliche Züge des geschichtlichen Bildes verdunkelt worden sind: der Philosoph von Sanssouci scheint zurückzutreten hinter »Fridericus Rex«! Unter diesem Titel liegt in 4. und 5. Auflage auch H. v. Petersdorffs schöne Biographie ( 1022) vor, die neuen Lobes nicht bedarf. Sie ist durch vermehrte Beigabe prächtiger Illustrationen unter Mitwirkung C. F. Försters zu einem wahren Bilderkompendium der friderizianischen Geschichte geworden. Besonders hingewiesen sei auf das hier wiedergegebene, bisher vergeblich gesuchte Porträt des Ministers vom Hagen, das im Auftrage des Königs von der Malerin Therbusch gemalt und im Audienzzimmer des Generaldirektoriums »in hübschem Rahmen« aufgehängt wurde. -- Eine weitere, von H. F. Helmolt ( 1020) herrührende Biographie zeichnet sich durch Frische und Lebendigkeit der Darstellung aus, die nicht chronologisch erzählend verfährt, sondern mehr systematisch den einzelnen Wesensseiten und Tätigkeitsgebieten Friedrichs nachgeht. So ersteht das gewohnte, in seinen Zügen nicht gerade vertiefte Bild des Königs. -- Wir wenden uns zu W. Hegemanns ( 1023) Anti-Fridericus, der eine große Abrechnung mit der gesamten preußischen Historiographie sein will. Das Buch referiert die Gespräche eines Amerikaners von feiner und fast universaler Bildung mit einer Reihe von Freunden, unter denen keine Geringeren als Thomas Mann, Georg Brandes und Wilamowitz-Moellendorff erscheinen, und bekennt sich unverhüllt zu der Tendenz, Friedrich den Großen als nationalen Heros aus der deutschen Geschichte zu tilgen. Indem von Stimmen der Zeitgenossen und der Nachwelt nur die mißgünstigen ins Feld geführt werden -- den absprechenden Äußerungen Goethes z. B. ließen sich ebenso viele Zeugnisse der Verehrung gegenüberstellen! --, gelingt es dem belesenen Amerikaner, den König als Feldherrn, Diplomaten, Staatsmann und Mensch von seinem Piedestal zu zerren und von ihm nur einen mittelguten Musiker übrigzulassen, der schlechte Verse machte, von Kriegführung nichts verstand, eine sinnlose Politik betrieb und den größten Teil seiner Zeit bei Tisch verbrachte. Es erweist sich so aufs neue lediglich das eine, daß man von falschen und unhistorischen Gesichtspunkten zu den gleichen falschen Ergebnissen gelangt wie Onno Klopp und andere. Das muß im Falle Hegemann um so mehr bedauert werden, als sein Buch ungewöhnliche literarische Qualitäten besitzt. Besonders mag anerkannt werden, daß die uns Deutschen so wenig geläufige Kunstform des Dialogs mit außerordentlicher Kultur gehandhabt worden ist. --

Die Reihe der Spezialuntersuchungen beginnen wir mit M. Wertheimers ( 2497) Dissertation über den Einfluß Friedrichs des Großen auf Voltaire. Das


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glücklich gewählte Thema ist von der Verfasserin, die sich vor allem auf die Koser-Droysensche Ausgabe des Briefwechsels stützt und dessen staatstheoretischen Gehalt analysiert, erfolgreich behandelt worden. Die Rezeption auf seiten Voltaires, die Sakmann bereits angedeutet hatte, tritt stark und eindrucksvoll hervor: sein Staatsideal hat sich unter dem Eindruck der großen Herrscherpersönlichkeit Friedrichs und ihres Wirkens mancherlei utopistischer Elemente entledigt und hat sich den Bedürfnissen der Staatsraison geöffnet. Es wäre zu wünschen, daß M. Wertheimers Arbeit, wenn auch in verkürztem Umfange und von unmäßigem Zitatenballast befreit, durch den Druck der Allgemeinheit zugänglich gemacht würde. -- Von Friedrich dem Großen als Büchersammler und Bücherfreund berichtet B. Krieger ( 1028 f.), seine früheren Ausführungen zusammenfassend und hie und da ergänzend. -- Zur Jugendgeschichte des Königs war im Vorjahre als wichtige Bereicherung des Quellenstoffs der I. Band des Briefwechsels mit der Bayreuther Schwester zu verzeichnen. A. v. Gleichen-Rußwurm ( 1024) hat ihn für seine neue Biographie der Markgräfin Wilhelmine nicht ausgeschöpft, hat sich vielmehr eng an die vielberufenen Memoiren angeschlossen, die er als Psychologe und Kenner des weiblichen Herzens richtig ausdeuten zu können vermeint. Dieser fruchtlose Versuch wäre hier nicht zu erwähnen, wenn nicht der Verfasser bisher unbekanntes Material aus seinem Greifensteiner Familienarchiv hätte heranziehen können, durch das namentlich die mit dem Verhältnis des Markgrafen zu Wilhelmines Hofdame, Wilh. Dor. v. d. Marwitz, zusammenhängenden Probleme einer Klärung entgegengeführt zu werden scheinen. -- Dem Gebiet der auswärtigen Politik gehört eine Dissertation von D. Lühr ( 1039) über die Gesandten Friedrichs am russischen und englischen Hofe in den Jahren 1762--1772 an. Neben den allgemeinen Bedenken, die schon oben gegenüber derartigen Untersuchungen geltend gemacht worden sind, muß in diesem Falle betont werden, daß die Verfasserin doch zum mindesten die Berichte aller Diplomaten, denen ihre Arbeit galt, hätte kennen müssen. Da sie sich aber nur an das gedruckte Material gehalten hat, kann sie die Tätigkeit der preußischen Vertreter in London lediglich nach den Weisungen des Königs und Bruchstücken der Relationen beurteilen, wie sie die »Politische Korrespondenz« enthält. So können eigentlich nur die Ausführungen über v. d. Goltz und den Grafen Solms-Sonnewalde, deren Berichte aus Petersburg in größerem Umfange gedruckt verliegen, Interesse erwecken. Namentlich Solms wird eingehend behandelt und in seinen Fähigkeiten richtig eingeschätzt. Freilich entsteht nur ein Teilbild, da ja Solms über die von der Verfasserin gesteckte Grenze hinaus (bis 1779) auf seinem Petersburger Posten verblieb.

Das früher so eifrig bebaute Gebiet der inneren Verwaltung Preußens unter Friedrich dem Großen liegt seit dem Zusammenbruch fast völlig brach. Unter den wenigen Arbeiten aus dem Berichtsjahre ist an erster Stelle die breit angelegte Untersuchung von C. Hinrichs ( 1660) zu erwähnen. Der Verfasser führt in knapper Zusammenfassung die frühere Wirtschafts-, Sozial- und Verfassungsgeschichte Ostfrieslands (bis zum Jahre 1744) vor, die durch das Überspringen der religiösen und staatstheoretischen Gedanken aus den westlichen Ländern und durch die Auswirkung der europäischen Machtkämpfe um die Wende des 16. und 17. Jahrhunderts ein über das Territoriale hinausreichendes Interesse beanspruchen darf. Das durch besondere Gunst der Verhältnisse rasch


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emporgeblühte Emden verstand es, mit Hilfe des Adels und der westlichen Marschämter, unterstützt von den benachbarten Generalstaaten, in zähem Kampfe dem Fürstenhaus der Cirksena Position nach Position zu entreißen und es schließlich in einer Reihe von Akkorden und Vergleichen zur Unterwerfung unter das ständige Joch zu zwingen. Das Ideal des ständischen Staates findet nun in Ostfriesland seine reinste Verkörperung. Als dann nach dem Aussterben der Cirksena Friedrich II. mit Hilfe der Stände seine Sukzessionsansprüche erfolgreich durchführt, ist die absolute Monarchie vor die Notwendigkeit gestellt, mit einem Gemeinwesen von völlig ständischem Charakter fertig zu werden. Sie hat in den ersten 4 Jahren nach der Besitznahme -- nur soweit reicht bisher die Hinrichssche Arbeit -- die Machtstellung der Stände im allgemeinen unangetastet gelassen und nur vorsichtig einige Verbesserungen und Neuerungen durchzuführen gesucht. Es stellt sich aber bald heraus, daß gütliche Zusammenarbeit mit den übermächtigen Ständen nicht möglich, eine Beseitigung der ständischen Mißwirtschaft auf dem Wege der Reform nicht durchführbar ist. Die anregende Untersuchung bringt für die Zeit bis 1748 zahlreiche neue Einzelheiten bei, da sie nicht nur auf dem gedruckten Material beruht, sondern auch die bisher unbenutzten Akten des Emder Ratsarchivs verwertet, die wichtige Einblicke in die Arcana der ständischen Politik gewähren. -- R. Steigers ( 1659) Versuch, Friedrichs Verwaltungstätigkeit, freilich mit Einschränkung auf die Jahre 1740--1756, nach Theorie und Praxis zu schildern und zu vergleichen, wird man als gelungen bezeichnen dürfen. Daß sich freilich letzten Endes Theorie und Praxis zu decken scheinen, war vorauszusehen, da das »Politische Testament«, auf dem die Ausführungen über die Theorie beruhen, doch wesentlich den Ertrag der Praxis fixieren will (communiquer à la postérité ce que j'ai appris par expérience) oder, wie es der Verfasser ausdrückt, eine »durch die Erfahrungen der Praxis geläuterte Theorie« enthält. Eine andere Frage ist, ob und wie weit die friderizianische Staatsverwaltung mit ihren Grundsätzen in die allgemeinen philosophischen Anschauungen des Königs hineinpaßt, wie der in der Verwaltung dominierende Gedanke des Machtstaates sich mit den humanitären Idealen der Aufklärung verträgt. -- Der lebendige Anteil des Königs an der »Aufnahme« seiner Länder zeigt sich nirgends schöner als in dem bekannten Bericht des Amtmanns Fromme über die Besichtigungsreise in die Rhin- und Dossekolonien. Zu diesem Bericht bringt ein reizvoller Aufsatz von O. Tschirch ( 1030), der die Akten des Generaldirektoriums heranzieht, eine Reihe von Ergänzungen, die zugleich Frommes Erzählung bestätigen. -- Zur Heeresgeschichte können wir nur eine Untersuchung C. Janys ( 1031) erwähnen, der mit außerordentlich glücklicher Methodik die Verfasser dreier anonymer Bücher über Friedrich den Großen und sein Heer ermittelt und so den Maßstab gewinnt, mit dem sich der Quellenwert dieser Schriften abschätzen läßt. Es zeigt sich dabei, daß die oft benutzten »Briefe eines alten Preußischen Offiziers, verschiedene Charakterzüge Friedrichs des Großen betreffend«, die den Major v. Kaltenborn zum Verfasser haben, nur für die Jahre 1772--1780 als zuverlässig gelten können.


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