§ 51. Posen.

(M. Laubert.)

A. Lattermann setzte seine ausgezeichnete, auch den Inhalt öfter kurz erläuternde Bibliographie ( 43) an gleicher Stelle Heft 8 S. 105--30 für 1925 fort. Zur Siedlungsgeschichte bringt Bechtel ( 599) eine allerdings ohne Benutzung der polnischen Literatur geführte Untersuchung über den Weg der Kolonisation und dessen Zusammenhang mit dem mittelalterlichen Handel Großpolens, dem er wie Dopsch starken Einfluß auf die deutsche Einwanderung zuschreibt. Weiter betont er den Typus der Stadt-Landsiedelung, das Streben nach


S.503

autarker Stadtsiedelung im Bücherschen Sinn durch Einbeziehung dörflicher Anlagen in die Interessensphäre neuer Städte. Zum Schluß versucht er die Entstehung der Gutsherrschaft klarzulegen. Schütze ( 600) beendet seine Posener Landeskunde und berücksichtigt bereits die Bevölkerungsverschiebungen durch das polnische Verdrängungsverfahren der letzten Jahre. Leider wird der Nationalität der Stadtbevölkerung nicht Rechnung getragen, und die Angaben von 1797 beruhen nicht auf einem mysteriösen Radebeck, sondern auf Holsche. Kronthal ( 1138) plaudert, seine verdienstvolle Publikationstätigkeit abschließend, von der Warte vielseitiger Bildung ohne strenge Innehaltung des Themas aus dem reichen Schatz persönlicher Erlebnisse und langen Sammeleifers und bietet nicht nur dem Wissenschaftler, sondern auch dem Politiker zum Abschied mancherlei Anregung. Laubert zeigt an der Hand der Akten ( 1136), wie die mit Staatskredit 1821 gegründete Posener Landschaft als fast rein polnisches Organ nicht nur wirtschaftlich den Gegner stärkte, sondern auch unausgesetzt als politisches Instrument im staatsfeindlichen Sinn mißbraucht wurde, ferner ( 1943), wie die bauernfeindliche Tendenz der vor der altpreußischen Gesetzgebung besorgten Szlachta die Regierung zwang, noch einmal durch ein Ausnahmegesetz für Posen das Bauernlegen bis zum Erlaß des Regulierungsedikts von 1823 zu unterbinden, womit sie das Element vor der Vernichtung bewahrte, das später den nationalen Kampf in erster Linie entschied. In Nr. 588 erörtert er das ethnographische Verhältnis in den preußischen Ostprovinzen und untersucht auf Grund der Abstimmungen und anderer Merkmale die politische Einstellung der Bewohner mit dem Ergebnis, daß bei freier Willensäußerung sich eine überwältigende Mehrheit für das Verbleiben bei Deutschland erklärt haben würde. Im Schlußkapitel werden die Fälschungsmethoden auf polnischer Seite bloßgelegt.

Das Schwergewicht der Posener provinzialgeschichtlichen Forschung ist naturgemäß auf die polnische Seite übergegangen, die sich in der Kronika Miasta Poznania (seit 1923, = K.M.P.), den Histor. Jahrbüchern (Roczniki historyczne, seit 1925, = R.H.) und für nicht mit dem Feigenblatt wissenschaftlichen Verantwortungsgefühls geschmückte Auslassungen in der Westwarte (Strażnica Zachodnia, seit 1922, = S.Z.) passende Ablagerungsstätten geschaffen hat und eifrig bemüht ist, die Zufallserwerbungen der Pariser Vorstadtfrieden auch geistig zu erobern und mit Beschlag zu belegen, so daß sie deutsche Arbeiten geradezu ärgerlich als Eingriff in ihre Rechte empfindet (vgl. Wojtkowski in K.M.P. III, 181 ff., über die neuesten deutschen Veröffentlichungen aus dem Gebiet der Posener und großpolnischen Geschichte und Zawidzki über Einrichtungen, Grundlagen und Zwecke der deutschen Kulturbewegung in Polen, S.Z. III, 244 ff.). Neben ernsten Forschungsergebnissen werden natürlich viele dilettantenhafte Reklameaufsätze gebracht (z. B. Zaleski, K.M.P. I, 209 ff., über die Ergebnisse der preußischen Verwaltung in Posen, wonach diese kulturell, ökonomisch und politisch gänzlich unfruchtbar war und -- um ein Beispiel zu erwähnen -- den wirtschaftlichen Glanz Großpolens vernichtete, so die [nebenbei nur von Deutschen betriebene] Tuchmacherei durch eine den Wiener Verträgen zuwiderlaufende Grenzsperre und langjährigen Handelskrieg gegen Rußland!).

Eine Gesamtdarstellung der Geschichte Großpolens stellt die in R.H. I, 1--287, abgedruckte, dem 4. polnischen Historikertag in


S.504

Posen als Festgabe gewidmete Vortragsreihe dar ( 2761). Hier kehrt Kostrzewski die Theorie von Slawen als Trägern der Lausitzischen Urnenfelderkultur weniger schroff als in früheren Arbeiten hervor; Tymieniecki mißt Großpolen als »Wiege des polnischen Staats« wegen seiner größeren Bevölkerungsdichte und als Stammland der Piasten entscheidende Bedeutung zu und verteidigt die Eigenwüchsigkeit Polens unter Ausschaltung normannischer Einflüsse und der sie begründenden Sagengeschichte (andererseits führt K. Krotoski: Geschichtliche Nachklänge in der Erzählung von Popiel und Piast [Kwartalnik histor. 33--69] die Staatsgründung auf von Kijew nach dem Goplosee zurückweichende Normannen zurück, während Bujak [R. H. 290--96] die Frage noch nicht für spruchreif hält). Tyc stellt in dem »Kampf um die Westmark« die Oder als natürliche und geschichtliche Grenze und Polens Ansprüche auf das Küstengebiet als Selbstverständlichkeit hin -- der Name Kaschuben wird sorgsam umgangen --, so daß ihm Sarmatien als das nur unter schweren Opfern seine Unabhängigkeit erkaufende Angriffsobjekt deutschen Expansionsdranges erscheint. Allerdings spinnt er dabei die sattsam bekannte, auch von Erich Schmidt hervorgehobene Tatsache breit aus, daß bei den führenden Männern in Polen ihr früh aufkeimender Nationalhaß mit ihrer Gewinnsucht in Widerstreit lag und diese sie doch zur Förderung deutscher Kolonisation und deutschen Rechts antrieb. (Die Tendenz beider Aufsätze unverhüllt bei Tymieniecki: Der deutsche Drang nach dem Osten und seine Ursachen in der Vergangenheit, S.Z. II, Bd. III, 193--207.) Gerecht würdigt die starken deutschen Einflüsse, namentlich an der Lubrańskischen Akademie in Posen, T. Grabowski für die Zeit von Humanismus und Renaissance (Chr. Hegendorfer, Heidenstein, Kuchlerus). Wl. Konopczynski hebt für die Zeit der Adelsherrschaft hervor, daß der im Vergleich mit den Ostprovinzen, dem polnischen Kolonialgebiet, wenig differenzierte großpolnische Adel es an Opfermut und Unternehmungsgeist fehlen ließ und deshalb abermals die Einwanderung der durch die Reformation mobil gemachten deutschen Kolonistenmassen begünstigte, »da sie besser wirtschafteten (bo lepiej gospodarowali)«. Die ganz unzutreffende Behauptung, in Westpreußen und dem Netzedistrikt habe 1772 die deutsch-evangelische Bevölkerung nur 28% ausgemacht und in letzterem seien von 789 Gemeinden 176 rein deutsch und 142 gemischt gewesen, ist bei dem Fehlen jedes Beweises wertlos. Aber sogar für das am schwächsten berührte Posen erinnert K. an das Wort des Franzosen Parendier, er habe auf einer viertägigen Reise niemals polnisch reden gehört. In der Epoche der Reformanläufe und Unabhängigkeitskämpfe weist B. Dembiński dem Land keine führende Rolle zu, sondern betont die eigensüchtigen Absichten der Szlachta und erkennt an, daß in Hoyms Unterscheidung zwischen Adel einerseits, Bürger und Bauern andererseits, die den Übergang an Preußen willkommen hießen, ein guter Teil schmerzlicher Wahrheit für Polen lag (S. 115). Im Einklang hiermit steht es, daß nach Skałkowskis Darlegungen in der Napoleonischen Epoche Anhänglichkeit an Preußen und geringe Neigung zur Übernahme der von den Deutschen geräumten Verwaltungsstellen zutage trat, so daß man sich vor der irrtümlichen Auffassung hüten muß, als habe der große Einmarsch der Franzosen einen Ausbruch nationaler Leidenschaft und einen Aufstand entfacht (S. 128). Bei dem kaiserlichen Ausbeutungssystem im Herzogtum Warschau sehnte sich

S.505

gar mancher nach der goldenen Zeit vor 1806 zurück. Wojtkowski bezeugt der preußischen Regierung, daß sie nach 1815 alle Schichten durch Wohltaten zu gewinnen versuchte und die den Polen 1815 eingeräumten Rechte in Schule, Verwaltung und Gericht bis zum Aufstand von 1830 gewahrt hat. Leider versagt auch er sich Entstellungen nicht (es seien Freiwillige aus Schlesien zu den Aufständischen geeilt, man habe 1832 das Polnische aus Verwaltung und Gericht entfernt, die den Empörern auferlegten Geldstrafen hätten diese zum Verkauf ihrer Güter an den Fiskus gezwungen, alles aktenmäßig längst widerlegte Behauptungen). Frl. W. Knapowska offenbart für die Zeit nach 1848 die polnischen Gegenbestrebungen zur Schaffung eines Staats im Staate und die besonders bei auswärtigen Verwickelungen blühende Verschwörertätigkeit. Z. Zaleski erhebt natürlich für die Zeit nach Bismarcks Sturz gegen Preußen die üblichen Anklagen, hält aber einen Vergleich mit der Gegenwart für überflüssig und deutet nur zum Schluß die heute im Posenschen herrschende Erbitterung und Enttäuschung unverhüllt an. Bemerkenswert ist sein Eingeständnis (S. 208), daß im Lauf der Jahrhunderte eine weit größere Zahl Deutscher polonisiert worden ist als umgekehrt, worin die beste Widerlegung aller Anklagen wegen brutaler Germanisationsmaßnahmen liegt. Den Schluß bildet eine leider häufig nur die Autorennamen aufzählende Übersicht über das deutsche und polnische Schrifttum zur Geschichte Großpolens von dem Posener Archivdirektor K. Kaczmarczyk ( 2748).

Dieser hat ferner, Warschauers Spuren folgend, die Posener Ratsakten von 1434--70 veröffentlicht ( 2740), wonach im Einklang mit den Namen der handelnden Personen die Amtssprache so gut wie ausschließlich deutsch oder lateinisch war. -- Eine allgemeine Geschichte des Posener Marktes und eine spezielle seiner Häuser und ihrer Bewohner seit 1430 gibt Maria Wicherkiewicz, geb. Sławska ( 2760). -- Wichtig ist ein kleiner Aufsatz Wojtkowskis über die Rolle Posens und Großpolens im nationalen Leben (K.M.P. 129--48), der die alte Feindschaft der Polen gegen die Deutschen zugibt, weil diese durch ihre zahlreichen Talente (rozlicznych zalet, S. 130) jene als Ratgeber der Fürsten verdrängten, ebenso den Mißbrauch der Kirche zu politischen Zwecken (S. 136: Identifizierung des Polentums mit dem Katholizismus war bisher das Mittel, um im polnischen Volk das Nationalgefühl zu verbreiten und zu stärken). Auch des antisemitischen Einschlags der polnischen Bewegung wird gedacht (schon 1848 Aufruf der Liga polska zum Boykott gegen Deutsche und Israeliten). -- Zur Wirtschafts- und Siedelungsgeschichte sind die beiden wichtigsten Neuerscheinungen O. Langes: Die Anlage der Städte des eigentlichen Großpolen zu deutschem Recht im Mittelalter ( 2750) und Rutkowskis Untersuchung über die Bodenreform in Polen im 18. Jahrhundert ( 2757) an der Hand der in den Posener Kämmereidörfern durchgeführten Maßnahmen.

Endlich sei auf kriegsgeschichtlichem Feld einer Untersuchung Skałkowskis über den General Dąbrowski, Sohn einer Lettow-Vorbeck, vor seinem Zug nach Großpolen i. J. 1794 (D. przed wyprawą do Wielkopolski 1794 r., Posen, 44 S.) und eines Sammelwerks über den Aufstand von 1918/19 gedacht (Gedenkbuch d. großpoln. Aufstands -- Księga Pamiatkowa Powstania Wielkopolskiego, Bromberg), das in einer Reihe von Einzelaufsätzen verschiedene Episoden nach persönlichen Eindrücken der Verfasser schildert.


S.506

Der Jugend eines Schülers von Schulpforta und Dresden, Joh. Daniel Jaenisch, eines Polyhistors im 18. Jahrhundert von deutsch-evangelischer Abstammung aus Birnbaum, hat Sophie Birkenmajer liebevoll nachgespürt ( 2741). -- Mit dem Posener Gymnasialdirektor Sam. Kaulfuß und seinem wandelbaren Charakter setzt sich Wojtkowski auseinander ( 2763), wozu ich im Herbst d. J. im zweiten Band meiner Posener Studien Stellung nehmen werde.


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)