II. Quellen und Darstellungen nach der Reihe der Ereignisse.

Da G. Waitz' klassisches zweibändiges Werk über die ältere schleswig-holsteinische Geschichte vergriffen, außerdem für einen weiteren Leserkreis zu ausführlich ist und an einer gewissen Unübersichtlichkeit leidet, ist Th. Lorentzens mehr volkstümliche Darstellung ( 325) Schleswig-Holsteins im Mittelalter um so eher willkommen, zumal sie auf eigenem gründlichem Studium der mittelalterlichen Geschichtschreiber, Rimbert, Adam von Bremen, Helmold, Saxo usw., sowie auf mancherlei eigenen Beobachtungen beruht. Mit Recht hat Lorentzen dabei die bedeutenden Gestalten der ersten Schauenburger Grafen in ein helleres Licht gestellt, als dies bisher geschehen ist: ihre für die deutsche Geschichte entscheidende kolonisatorische Tätigkeit, die Erschließung des wendischen Wagriens (Ostholsteins) für die deutsche Kultur und für das Christentum, wie sie namentlich von dem zielbewußten Adolf II., dem Lehnsmann Heinrichs des Löwen, durchgeführt wurde, aber auch den durch sie


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begonnenen Siegeszug des Deutschtums nach dem dänischen Norden, die Anbahnung der engen Verbindung des deutschen Reichslandes Holstein mit dem dänischen Kronland Schleswig.

Was die Ansiedlung schwedischer Wikinger an der Schlei und ihre Kämpfe mit den Dänen im 9. Jahrhundert betrifft, so schließt sich Lorentzen im großen und ganzen den Ergebnissen an, zu denen H. Philippsen ( 1842) durch eingehende örtliche und quellenkritische Untersuchungen gekommen ist. War bisher von S. Müller und F. Knorr die Ansicht vertreten worden, an der Schlei hätten damals zwei Städte, das dänische Schleswig am Nord- und das schwedische Haithabu am Südufer, bestanden, so geht Philippsens Annahme dahin, Haithabu habe nördlich und nur vorübergehend südlich der Schlei gelegen und sei demnach mit Schleswig identisch. So hätte auch die südlich der Schlei zutage geförderte Anlage der »Oldenburg«, in der man bisher das alte Haithabu zu finden glaubte, nur das Bollwerk zur Verteidigung der gegenüberliegenden Stadt gebildet. Beide Namen, Schleswig und Haithabu, wären also zeitweilig nebeneinander gebraucht worden, bis schließlich der ursprüngliche Name Schleswig das Übergewicht erlangte.

Für die Jahre 1355 bis 1375, d. h. also für die Zeit des großen Ringens zwischen den mit der Hanse verbündeten holsteinischen Grafen und König Waldemar Atterdag von Dänemark, liegt in dem 2. Teil des von V. Pauls ( 186) sorgfältig und umsichtig bearbeiteten IV. Bandes des Schleswig-Holsteinischen Urkundenbuches ein umfassendes Quellenmaterial vor. Es sind allerdings überwiegend lokal- und personalhistorische Vorgänge, die in den über 900, teils in extenso, teils im Auszug, wiedergegebenen oder auch nur verzeichneten Urkunden ihren Niederschlag finden, Verhältnisse des Adels, der Klöster, Kirchspiele, Stände usw., aber die großen politischen Beziehungen, die durch C. E. F. Reinhardts und D. Schäfers Werke geklärt sind, werden doch, z. B. durch die Abmachungen der Holsteiner mit den näheren oder weiteren Nachbarn, mit Lübeck, König Erich von Schweden, den Herzögen von Mecklenburg und Stettin, durch die Verträge mit Waldemar Atterdag, genauer beleuchtet und belegt. Interessant sind u. a. Vereinbarungen und Korrespondenzen zwischen Heinrich dem Eisernen und König Eduard III. von England, in dessen Diensten der holsteinische Graf eine Zeitlang stand, auch das gelegentliche Eingreifen des Kaisers, Karls IV., sogar in lokale holsteinische Streitfragen.

Über die ersten Spuren einer systematischen Anordnung des schauenburgischen Grafenarchivs im 15. Jahrhundert hat H. Kochendörffer ( 84) neue Aufschlüsse und damit einen bemerkenswerten Beitrag zur deutschdänischen Archivgeschichte geben können. Seine Ausführungen gründen sich zunächst auf das älteste im Dänischen Reichsarchiv zu Kopenhagen aufbewahrte Verzeichnis, ein Fragment aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, sodann auf ein umfangreiches Register aus dessen Ende. Beide bringen Angaben über Urkunden, die zum größten Teil bekannt sind. Diese Verzeichnisse wie auch das von G. Hille bereits veröffentlichte Registrum Christiani I. und zwei andere Registranten bilden nun die Vorläufer der späteren großen entscheidenden Repertorien des die Schriftstücke der gemeinsamen Landesregierung enthaltenden »Gemeinschaftlichen Archivs«, die 1533 (von Friedrichs I. Kanzler Wolfgang von Uttenhofen), 1598 (von den Königlichen Räten Abel Berner und Georg Heidenreich und den Herzoglich Gottorper Räten Nikolaus Junge und Johann


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Friedrich) und 1671 (von Johann Moth und Burkhard Niederstett) angefertigt wurden: erst nach ihnen richtete sich wieder das 1733 von Eschel Lohmann verfaßte, bekannteste und wichtigste Repertorium.

Unsere Kenntnis von den Zuständen des deutsch-dänischen Nordens im 16. Jahrhundert erfährt durch P. Langendorfs ( 966a) ausführliche Biographie Hans des Jüngeren, des Stammvaters der Sonderburger und damit auch der Augustenburger Linie des oldenburgischen Hauses, eine erfreuliche Bereicherung. Langendorf, der vor allem aus teilweise bisher unbenutztem Material der Archive zu Kopenhagen, Kiel, Lübeck, Deutsch-Nienhof und Dresden schöpfen konnte, hat die eigenartige staatsrechtliche Stellung des Herzogs als eines bloß »abgeteilten Herrn«, nicht eines »regierenden«, d. h. an der gemeinsamen Landesregierung beteiligten Fürsten, dargestellt und somit Erslevs Forschungen in glücklicher Weise ergänzt. Der vergebliche Kampf des Sonderburgers, dessen Erbrecht anerkannt war, mit den Ständen der Herzogtümer um die Huldigung, die allein ihm die Teilnahme an der gemeinschaftlichen Landesregierung hätte verschaffen können, ermöglicht mancherlei Parallelen zu den Ständekämpfen in sonstigen deutschen und außerdeutschen Territorien des 16. Jahrhunderts; auch gibt die damals schon zutage tretende scharfe Rivalität zwischen dem Sonderburger und dem Gottorper Herzog Hinweise auf die späteren dynastischen Verwicklungen im oldenburgischen Hause, die mit der Herausbildung der schleswig-holsteinischen Frage des 19. Jahrhunderts in enger Verbindung stehen. Ein typisches Bild der bereits merkantilistische Züge tragenden agrar- und wirtschaftspolitischen Tätigkeit eines absolutistisch vorgehenden gewinnsüchtigen Kleinfürsten des 16. Jahrhunderts bietet schließlich Langendorfs Schilderung von Hans des Jüngeren Verwaltung in seinem winzigen, für ihn »abgeteilten« Hoheitsgebiet.

Die Vorgeschichte, besonders die geistigen und politischen Grundlagen der schleswig-holsteinischen Erhebung und damit die Entstehung des deutschen Nationalgefühls in Schleswig-Holstein hat Otto Brandt ( 1046) eingehend untersucht, und in diesen Problemkreis führt uns die ebenfalls auf ungedruckten Quellen, aber auch auf der reichen zeitgenössischen Literatur fußende, sich durch besonnenes Urteil auszeichnende Arbeit W. Klüvers ( 1149), die zum ersten Male die politische Gedankenwelt und die publizistische Tätigkeit des Kieler Arztes und Professors Franz Hermann Hegewisch, eines der Vorkämpfer für die Freiheit der Herzogtümer, behandelt. Nicht ohne Anerkennung der konservativ-ständischen Ideale, wie sie zu Beginn des 18. Jahrhunderts von der schleswig-holsteinischen Ritterschaft verfochten wurden, fühlte sich Hegewisch, zugleich ein unbedingter Bewunderer der englischen Verfassung, doch in seiner mehr rationalistisch-theoretischen Einstellung zu den konstitutionellen Forderungen der französischen Verfassungsbewegung hingezogen. So konnte er zwischen der konservativen Richtung der Ritterschaft und der scharf liberaldemokratischen eines Lornsen und Olshausen vermitteln und einem gemäßigten Liberalismus durch Wort und Schrift den Boden bereiten. Die gleichzeitige dänisch-nationalistische Politik gegenüber den Herzogtümern hat auch sein nationaldeutsches Empfinden so gestärkt, daß er schließlich, obwohl alter Gesamtstaatler, ein von Dänemark getrenntes Schleswig-Holstein unter der Herrschaft des ihm persönlich nahestehenden Augustenburgers und im engen Anschluß an Deutschland erstrebte, wenn er auch die Lösung möglichst ohne


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Gewalt gewünscht hat. Die zahlreichen Fäden, die von der allgemeinen deutschen ideengeschichtlichen Entwicklung der damaligen Zeit zu Hegewisch hinleiten, hat Klüver mit besonderem Geschick aufgedeckt.

Klüver hat bereits für seine Arbeit auch die Briefe Uwe Jens Lornsens an seinen Freund Hegewisch benutzen können, die nunmehr in einer von V. Pauls ( 1150) besorgten Ausgabe vorliegen. Ihr Inhalt ist vor allem durch K.Jansens ältere, aber immer noch grundlegende Lornsenbiographie im wesentlichen bekannt. Immerhin ist es äußerst lehrreich, diese unmittelbaren Selbstzeugnisse des leidenschaftlichen schleswig-holsteinischen Liberalen und deutschen Patrioten aus seiner Friedrichsorter und Rendsburger Festungshaft (1831/32) sowie aus Sylt (1832/33) und später aus Südamerika (1834/37) zu lesen: wie er, der einst (1830) den Ruf nach einer Verfassung nach belgischem Muster hatte erschallen lassen, nun erst die Kenntnis der schleswig-holsteinischen Landesrechte sich erwirbt und ihrer großen Bedeutung für die Verfassungsfrage der Heimat inne wird, wie er mit scharfer Kritik es den »älteren Liberalen«, Dahlmann, Welcker usw., fast verübelt, daß sie diese Landesrechte viel zu wenig während des Verfassungskampfes ins Feld geführt hätten. Schon verkündigt er in seinen Briefen als sein Ziel die Einheit Deutschlands unter preußischer Führung, während er für Dänemark eine Union mit den skandinavischen Reichen fordert, damit Schleswig-Holstein auf diese Weise unabhängig von Kopenhagen und um so fester mit Deutschland verbunden werde. Auch den Gedanken einer Abtretung der Ämter Hadersleben, Lügumkloster und Apenrade an Dänemark spricht er aus, also den später von der Provisorischen Regierung aufgegriffenen und überhaupt in den weiteren Verhandlungen bis auf die Gegenwart wirksamen Plan einer Teilung Schleswigs.

Eine Ergänzung seiner früheren Forschungen zur dänischen Sprachpolitik im Herzogtum Schleswig in den fünfziger Jahren bildet H. Hjelholts Untersuchung ( 1189) über die Schleswigsche Ständeversammlung 1860. Derselbe Mann, der als der Schöpfer der früheren Sprachverordnungen bezeichnet werden muß, T. A. J. Regenburg, hat auch damals als treibende Kraft, trotz aller Proteste der schleswigschen Stände, an der Durchführung der dänischen Sprachpolitik festgehalten. H. hat vor allem die Parteiverhältnisse der Ständeversammlung charakterisiert, ist allerdings dabei weit stärker auf die dänische Minderheit als auf die deutsche Mehrheit eingegangen.

Die Bestände des für die schleswig-holsteinische Bewegung bedeutsamen Primkenauer Archivs sind bisher nach ihrer weitaus größten Masse der geschichtlichen Forschung unbekannt geblieben. Wohl konnten H. Schulz und J. H. Gebauer vereinzelte Korrespondenzen der Herzöge Friedrich Christian, Christian August und Friedrich VIII. von Augustenburg für die von ihnen verfaßten Biographien benutzen, auch Teile davon veröffentlichen, aber die große Menge von Briefen schleswig-holsteinischer Politiker, vor allem die großen Aktensammlungen militärischer und politischer Art, so die Akten der sog. Herzoglichen Landesregierung von 1863--1866, sind noch keineswegs durchforscht. E. Graber ( 85, 190) hat mit seiner verdienstlichen Übersicht des Primkenauer Archivs den ersten Wegweiser für dessen künftige Bearbeitung geschaffen.

Der zweite Band der von Aage Friis veröffentlichten großen Aktensammlung zur nordschleswigschen Frage ( 1191) bezieht sich in der Hauptsache


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auf das Ende der 1867 begonnenen, dann aber erfolglosen deutsch-dänischen Verhandlungen zwecks Abstimmung in Nordschleswig sowie die Haltung Dänemarks während des deutsch-französischen Krieges. Es ist besonders die Politik des bedeutenden Direktors im dänischen Außenministerium P. Vedel, die durch die dänischen Akten eine wichtige neue Beleuchtung erfährt: sein zähes Festhalten an der Neutralität trotz der starken Lockungen Frankreichs (Gesandtschaft des Herzogs von Cadore), vor denen allerdings England und Rußland die dänische Regierung aufs nachdrücklichste warnten. Friis hat diese Vorgänge noch in einer eigenen Darstellung (1923 erschienen) geschildert. Leider ist, gerade im Vergleich zu der umfassenden, musterhaft gearbeiteten dänischen Aktenpublikation, die im Auftrage des deutschen Auswärtigen Amtes veranstaltete Sammlung der deutschen Akten zur nordschleswigschen Frage ( 1192) keineswegs ausreichend. Daher ist an dieser Edition, namentlich an ihrer Einleitung, in historischen Fachblättern (H. Z. 133; Zeitschr. d. Gesellsch. f. Schl.-Holst. Gesch. 55) scharfe Kritik geübt worden. Doch soll nicht verkannt werden, daß wertvolle Aktenstücke (z. B. die Papiere betr. Lothar Buchers Verhandlungen mit Quaade 1868 oder der Brief König Wilhelms I. an Zar Alexander II. vom 8. Januar 1870) sich darin finden. Aber der Wert dieser Sammlung kann erst dann zur Geltung kommen, wenn diese Dokumente des Auswärtigen Amtes durch eine Ausgabe nicht nur von weiteren Akten dieser Behörde, sondern auch von solchen anderer Behörden, wie des Preußischen Ministeriums des Innern und des Oberpräsidiums der Provinz Schleswig-Holstein entscheidend vervollständigt werden.


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