§ 56. Die drei Hansestädte.

(G. Fink.)

Das Berichtsjahr bereichert die Geschichtsliteratur von zwei Hansestädten um eine Gesamtdarstellung. Der sehr knapp zusammengedrängte, dabei aber in klaren Linien gehaltene Bremer Überblick von Hermann Entholt ( 321), der sich an einen ganz breiten Leserkreis wendet, war bald vergriffen und bedurfte einer Neuauflage. Dem Zwecke der Anregung zu eingehenderem Studium dient die neu beigegebene Literaturübersicht. Wesentlich umfangreicher ist der Hamburger »Abriß« von Heinrich Reincke ( 319). Er verdient diese Bezeichnung eigentlich nur für die Frühgeschichte und die Hansezeit, deren Behandlung nicht mehr als den siebenten Teil des Ganzen ausmacht. Mit der Aufnahme der Merchant adventurers und dem Bruch mit der Hanse wird die Darstellung breiter. Das Buch ist mit Glück als Volksbuch abgefaßt und verzichtet deshalb auf gelehrten Apparat wie auf jede Polemik. Durch keine äußere Stoffeinteilung gehemmt, weiß der Verfasser in liebenswürdigem Erzählerton ein farbiges Bild der Hamburger Geschichte zu entrollen und es durch gute kulturelle Schilderungen abzurunden.

Das früheste der neubehandelten Einzelereignisse ist der sogenannte Lüneburger Prälatenkrieg, über den seit dem Lüneburger Aufsatz von Francke (1882--83) und den Anmerkungen von F. Bruns zur lübischen Ratschronik erst jetzt wieder eine Arbeit erschien. Hans Feldtmann ( 915) legt den Ton auf den Anteil Hamburgs, das nächst Lüneburg und Lübeck am meisten betroffen war, und dessen Rat auf der einen wie sein Domkapitel auf der anderen Seite zu den führenden Kräften im Streit gehörte. Die reich mit Quellen- und Literaturangaben ausgestattete Abhandlung darf auf allgemeinere


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Beachtung rechnen, weil sie einen Ausschnitt aus zwei großen historischen Vorgängen bietet: aus dem Kampf zwischen weltlicher und geistlicher Macht und aus den bürgerlichen Unruhen des 15. Jahrhunderts. Die Darstellung arbeitet das Ineinandergreifen der verschiedenen Fäden klar heraus. -- Der Mangel an seekriegsgeschichtlichen Einzeluntersuchungen verleiht der aufschlußreichen Lübecker Arbeit von Herbert Kloth ( 966) erhöhte Bedeutung. Daß sich über Lübecks letzten Seekrieg im Lübecker Staatsarchiv reiches Material zusammensuchen ließ und aus den großen nordischen Werken von Zettersten und Garde noch ergänzt werden konnte, setzte den Verfasser in die Lage, die Kriegführung nach ihrer organisatorischen, nautisch-technischen, strategischen, taktischen und wirtschaftlichen Seite mehr oder weniger eingehend zu untersuchen und ein wertvolles Ganzes zu geben, das hoffentlich zu weiteren ähnlichen Leistungen anspornt. Mehr auf das Politisch-rechtshistorische eingestellt ist de Hamburger Aufsatz von Alfred Dreyer ( 972), der das Ringen mit Christian IV. um die Stromhoheit behandelt. Wenn sich Hamburg nach zähem Kampf mit dem Schwerte wie mit der Feder und nach Ausnutzung von mancherlei Glücksfällen des Dreißigjährigen Krieges am Ende 1645 zu einem formalen Verzicht auf sein Recht entschloß, so geschah das mit Rücksicht auf den geschädigten Verkehr und um den Preis, daß tatsächlich der Däne den leidigen Glückstädter Zoll beseitigte und der Hansestadt auf der Unterelbe freie Hand ließ. König Christian buchte jedenfalls den Ausgang auf das dänische Verlustkonto. -- Die hamburgische Geschichte seit 1814 fand eine gründliche Darstellung in dem zweibändigen Werk von Ernst Baasch ( 1109). Der Verfasser sucht die wichtigsten für die Entwicklung in Betracht kommenden Momente zu erfassen. Demgemäß teilt er seinen Stoff innerhalb der beiden Hauptabschnitte -- vor und nach 1867 -- im wesentlichen in Längsschnitte. Dabei hält das Politische dem Wirtschaftlichen die Wage, während Kulturelles in kürzeren Übersichten behandelt wird. Das Ziel, »ein Bild mächtig aufstrebenden Lebens zu geben, einer Entwicklung, die trotz aller Hemmnisse und Schwierigkeiten ... den Eindruck eines ersprießlichen Zusammenwirkens staatlicher und privater Organe, Bestrebungen und Gedanken erweckt«, kann nur für den 1. Band als erreicht bezeichnet werden. Die persönliche Färbung mancher Schilderungen erhöht mitunter nicht gering das Lebendigwerden des Stoffs, wirkt aber, namentlich wo es sich um zeitlich näherstehende Zusammenhänge handelt, durch die Härte der Urteile auch bisweilen peinlich. Der erste Teil wird von Erich Wiskemann ( 1110) eingehend in einem Aufsatz gewürdigt, der die Wirksamkeit der treibenden Kräfte in jenen 50 Jahren hamburgischer Geschichte in straffen Zügen vor Augen stellt. Ein kleiner Beitrag von A. Heskel ( 1157) behandelt die diplomatischen Schritte Hamburgs bei der Reichsverweserwahl von 1848 bis zur endlichen Übergabe des Glückwunschschreibens. Für unser neuestes Erleben ist es von Interesse, daß Erzherzog Johann sich damals für eine Abstimmung der schleswigschen Gemeinden über ihre nationale Zugehörigkeit aussprach.

In der Rechtsgeschichte kann Lübeck mit zwei größeren Untersuchungen von Fritz Rörig ( 1740 und 1741) aufwarten, die einem Hoheits- und Fischereiprozeß mit Mecklenburg über die Verhältnisse in der Lübecker Bucht ihre Entstehung verdanken. Ihr absoluter Wert für die Geschichtsforschung liegt darin, daß der Gutachter die Anwendbarkeit allgemeiner


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Völkerrechtsnormen auf die besonderen Verhältnisse der Bucht verneint und die Geltung örtlichen zwischenstaatlichen Gewohnheitsrechts historisch entwickelt. Er unterscheidet zwischen öffentlich-rechtlichen Dienstbarkeiten an der oldenburgisch-holsteinischen und wohlerworbenen Rechten an der mecklenburgischen Küste. Den rechtlichen Begriff der Reede als lübeckisches Hoheitsgebiet und als Teil von »der Stadt Strömen« klar umrissen und von der nautischen Reede unterschieden zu haben, ist Rörigs Verdienst. Die wirtschaftlichen Interessen der Seestadt führten noch vor dem 16. Jahrhundert zur Entwicklung dieser Gebietshoheit. Auch für das Fischereiregal auf der Reede legt Rörig den Nachdruck auf die gewohnheitsrechtliche Entwicklung. Das zweite Gutachten vertieft und erweitert als Erwiderung auf mecklenburgische Einwendungen die Ergebnisse des ersten. Eingehender wird darin der Umfang der Rechte Mecklenburgs auf dem Wasserstreifen zwischen seiner Küste und der nautischen Reede untersucht, der nach Rörigs Ausführungen rechtlich nicht als mecklenburgisches Küstengewässer, sondern als lübeckisches Strandmeer anzusprechen ist.

Aus seinen Studien über die älteste Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Lübecks bietet Fritz Rörig ferner zwei Einzelfrüchte. Die eine Arbeit ( 459) beleuchtet im Rahmen eines Vortrags den wichtigen Grundzug, daß von Anfang an stets der Fernhandel der Träger von Lübecks Leben war -- auch des politischen Lebens, indem nämlich der wirtschaftlich Erfolgreiche durch Wahl in den Rat an der staatlichen Verantwortlichkeit beteiligt wurde. Der Niedergang der alten Familien in der Krise zu Ende des 13. Jahrhunderts und das Emporkommen von Persönlichkeiten wie Bertram Morneweg beweisen, wie rücksichtslos folgerichtig der Aufstrebende den Stillstehenden ablöste. -- Indem Rörig ( 1781) den Text des bislang als ältestes festgestellten deutschen Kaufmannsbuches (aus den Jahren 1330--50) herausgibt und ihn aus anderen Quellen ergänzt und erklärt, entwirft er anschauliche Bildnisse der Kaufleute Hermann Warendorp und Johann Clingenberg, deren Abrechnungen während gegenseitiger Vertretung die Aufzeichnungen des kleinen Buches gelten, und stellt an den Geschicken ihrer Häuser dar, wie Großkaufleute mit weitverzweigten Handelsverbindungen und Reedereigeschäften in das Grundbesitzer- und Rentnerleben hinübergleiten, ihre Familien aber in dem neuen Lebenskreise bald erlöschen. -- Zwei weitere Arbeiten zur lübeckischen Wirtschaftsgeschichte haben die kritische Zeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum Gegenstand. Die gründliche Untersuchung von Friedrich Voeltzer ( 1910), die in der Hauptsache aus umfangreichen Archivquellen (Akten, Presseberichten und Geschäftspapieren) gearbeitet ist, klärt an dem Beispiel Lübecks die Frage der Kontinentalsperre in ihrer Wirkung überhaupt -- und dies um so einleuchtender, als uns heute die eigenen Erfahrungen aus Wirtschaftskrieg und Okkupation zur Seite stehen. Lübeck war dem Wechsel der Kriegsereignisse wie den Auswirkungen der vielerlei handelspolitischen Maßnahmen in der napoleonischen Zeit so stark ausgesetzt, daß die Untersuchung keinen günstigeren Boden hätte wählen können. Eben noch durch die Elbblockade, die der Stadt einen großen Teil des Hamburger und Bremer Handels zuführte, zu ungeahnter Blüte gebracht, sah sich Lübeck durch die Stillegung der Ostseeschiffahrt jäh vom Leben abgeschnürt, dazu den Launen und schamlosen Durchstechereien der französischen Funktionäre preisgegeben. Die besonderen Verhältnisse


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machten es unmöglich, den Warenbeschlagnahmungen irgendwie wirksam zu begegnen oder von dem Lizenzwesen nennenswerten Gebrauch zu machen. Napoleons Universalpolitik betrachtete die niedergehende Stadt wie ein geopfertes Detachement -- daran änderten auch die Reformen nach der Einverleibung nichts. Daß die Stadt privaten Kredit in Anspruch nehmen mußte und Matthäus Rodde in vaterländischem Geiste mit der ganzen Kraft seines Hauses einsprang, führte schließlich dazu, daß das Finanzwesen aus den Händen der Stadtkasse völlig in die Roddes hinüberglitt und die Verhältnisse dem Helfer über den Kopf wuchsen. Roddes Konkurs -- dies ist eine besonders beachtliche Feststellung der Arbeit -- bildete mit einer Panik an der Pariser Börse den ersten Anlaß für die französische Wirtschaftskrise, die im Oktober 1810 einsetzte. Voeltzer beleuchtet die trostlose Lübecker Wirtschaftskurve durch beigegebenes statistisches Material wie durch Schilderung ihrer Auswirkungen auf sozialem Gebiet und skizziert endlich die ersten Ansätze zum Wiederaufstieg nach der unerfreulichen Reaktion, die der Befreiung auf dem Fuße folgte. Die staatswissenschaftliche Dissertation von Nora Rasmussen ( 1911), die den Werdegang dieses Wiederaufstiegs und Lübecks späteren Anschluß an das zeitgemäße Wirtschaftssystem behandelt, faßt wesentlich die Ergebnisse vorhandener Darstellungen von einzelnen Zusammenhängen mit ergänzenden eigenen Aktenstudien in einheitlichem Rahmen zusammen. Sie liegt nur in wenigen Maschinenschriften vor. -- Mit der Basis des Hamburg- Harburgischen Wirtschaftslebens beschäftigt sich eine historisch-topographische Untersuchung von Otto Höch ( 1906), die mit Hilfe von Quellenmaterial und Sprachvergleichung Klarheit in die Beurteilung des Wesens, der Zusammenhänge und Veränderungen von Teilen des örtlichen Wassernetzes bringt. Hamburg legt ferner die Rotgießergeschichte von Konrad Hüseler ( 1738) vor. Mit der neuzeitlichen Bezeichnung »Rotgießer« will der Verfasser nur vom Zinngießer unterscheiden. Die Grenze zwischen Apengeter und Grapengeter findet er fließend und als Charakteristikum des Rotgießers die Verwendung der Lehmform, wie sie der Apengeter gebrauchte. Die Veröffentlichung behandelt kurz das Arbeitsgebiet, sodann Aufbau, Verfassung und Entwicklung des Amts, wie dessen Beziehungen nach außen, auch die technischen Beeinflussungen mit auswärtigen Rotgießern (Celle, Braunschweig, Hildesheim, Nürnberg). Zum Schluß wird eine Liste von 201 Gießern gegeben. -- Die Arbeiten von Hertz ( 1908) und Baasch ( 1907) über das Hamburger Handelshaus Godeffroy finden sich S. 378 besprochen.

Auf dem Gebiet der Kulturgeschichte zieht Gustav Aubin ( 322) in Vortragsform einen überraschenden Vergleich zwischen Lübeck und München. Den Ausgangspunkt bildet die Bedeutung der Person Heinrichs des Löwen für beide Städte. Als das wesentlich Gemeinsame kennzeichnet Aubin »die Einheit, die hinter der Vielheit steht«. Der Kern der mancherlei Verschiedenheiten und Gegensätze ist -- kurz umrissen --: Lübeck, die typische Ausprägung der älteren Organisationsform, des selbständigen, bürgerlich bestimmten Gemeinwesens, mit entsprechend früher Blüte -- München, der Mittelpunkt des jüngeren zusammenfassenden Organismus, des Staates, daher erst nach Lübecks Rückgang kräftig aufgeblüht. Gewisse Unstimmigkeiten, die in den feinsinnigen Ausführungen nicht fehlen, erklären sich daraus, daß die neueren Feststellungen Rörigs zu Lübecks Frühgeschichte mit ihren grundsätzlichen


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Folgerungen noch nicht berücksichtigt sind. -- Ein geschultes Urteil, wie es diese Arbeit auszeichnet, wäre auch für das schwere Thema der Dissertation von Käthe Neumann ( 2164) erforderlich gewesen. Deren Untersuchung bietet aus einer Fülle von Quellen- und darstellender Literatur reiches Material zur kirchlich-religiösen Kultur Lübecks am Ausgang des Mittelalters, behandelt aber nicht das gesamte geistige Leben. Der geistigen Verfassung des lübischen Kaufmanns wird sie nicht gerecht. Lübecks kulturelle Entwicklung hat doch gewiß nicht jeder Eigenart entbehrt oder gar ein »halb höfisches« Gepräge gezeigt, ehe der Einfluß der Bettelorden wirksam wurde! -- Die Arbeit von Hermann Hofmeister ( 1909) stellt einen Beitrag zur Lübecker Judenfrage dar. Die temperamentvollen Gesinnungsäußerungen des Verfassers schädigen nicht den aktenmäßigen Nachweis, daß das Eindringen des jüdischen Elements vom 17. Jahrhundert an unter nachgiebiger Haltung des Rates sehr gegen den Willen der Bevölkerung erfolgte, und daß der Geist des Widerstandes erst nach dem Sieg zusammensank, den im 19. Jahrhundert die Judenemanzipation mit Hilfe ihres geschäftigen Anwalts Dr. Buchholz erfocht. Die Gründe, welche für die Politik des Senates bestimmend waren, werden nicht geprüft. -- Ein Kulturbild des 17. Jahrhunderts formt Hermann Entholt ( 991), indem er aus dem bedeutendsten Nachlaß des Bremer Staatsarchivs, dem der beiden Syndiker Johann Wachmann, Oheim und Neffen, das Tagebuch des Älteren wählt, welches mit dem Zeitraum von 1592--1657 ein volles Menschenleben umfaßt, und daraus Einblicke in den Lebensstil der Bremer Oberschicht gibt. Unter den vielerlei Reiseerlebnissen führen Gesandtschaften zu den westfälischen Friedensverhandlungen, zum Frankfurter Fürstentag wie zum Regensburger Kurfürstentag und an den Wiener Kaiserhof. -- Für Hamburg sind zwei Sondergebiete bearbeitet. Konrad Hüseler ( 517) veröffentlicht mit seinen 1005 hamburgischen Hausmarken eine reiche, wenn auch keineswegs erschöpfende Materialsammlung. Für die Anordnung hat sich offenbar keine befriedigendere Lösung geboten als die zeitliche Folge, allerdings durch ein Namenregister ergänzt. Die Einleitung beschränkt sich auf Beobachtungen, die an den aufgeführten Stücken gemacht wurden, z. B. über das Verhältnis von Wappen, Hausmarke und Warenmarke. Ferner sei hier eine Erklärung der hamburgischen Straßennamen genannt, die Hermann Joachim im 5. Sonderheft der statistischen Mitteilungen über den hamburgischen Staat in aller Kürze gibt. Nicht nur in den älteren Straßenbezeichnungen liegt ein gutes Stück Geschichte, sondern auch in vielen neueren, die verdienstlicherweise neben den Namen bedeutsamer Persönlichkeiten manchen alten Flurnamen der Nachwelt überliefern.

Von der allgemeinen Geistesgeschichte zur Kirchengeschichte hinüber leiten zwei Arbeiten über die Liebestätigkeit in Bremen. Die vorreformatorische Caritas behandelt Hermann Lange ( 2165) in einem Buch, das Vollständigkeit anstrebt. Es ergibt sich wesentlich aus dem Quellenstoff, daß die eingehendste Betrachtung den Organen, den Einrichtungen der Liebestätigkeit gilt. Indem der Verfasser sie aus dem kirchlichen und bürgerlichen Leben heraus entwickelt, widmet er den verfassungsmäßigen Voraussetzungen viel Aufmerksamkeit und holt aus grundsätzlichem Interesse dabei manchmal weiter aus, als es wünschenwert erscheint. Die kirchlich-theologische Blickrichtung äußert sich in einem pragmatischen Einschlag. Indessen erfährt die bürgerliche


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Caritas eine gerechte Würdigung. Wo Lange abbricht, setzt Franziskus Petri ( 2386) mit seiner Schrift zum 400jährigen Bestehen der Liebfrauen- Diakonie ein. Sie behandelt, wie ihr Untertitel besagt, die gesamte evangelische Liebestätigkeit Bremens. Denn die Diakonie des Liebfrauen-Kirchspiels war mit den jüngeren Diakonien der übrigen aufs engste verwachsen und bildete mit diesen zusammen jahrhundertelang das einzige Organ der öffentlichen Armenpflege. Anfangs ganz von der Geistlichkeit geleitet, später vom Rate abhängig, wußte die Diakonie durch alle Wandlungen hindurch maßgebenden Einfluß zu bewahren und ist erst seit 1878 auf die rein kirchliche Liebestätigkeit beschränkt. Die stattliche quellenmäßige Arbeit Petris zeigt in schöner Übersichtlichkeit die gesamte Entwicklung auf: die Herausführung aus der vorreformatorischen Liebestätigkeit durch die Kirchenordnung von 1534, die Diakonie als Mittelpunkt des Generalarmenwesens im 17. Jahrhundert, dann als Verwalterin des »Stadtbremischen Armeninstituts« und endlich ihre Wirksamkeit nach der Trennung vom Institut. Die Widerspiegelungen der Zeitströmungen im Verhalten der Bevölkerung zur Fürsorgetätigkeit machen die Diakonie zu einem beachtlichen Ausschnitt der bremischen Geistesgeschichte. -- In den von Theodor Wotschke ( 2384) veröffentlichten Briefen des Hamburger Theologen Erdmann Neumeister aus den Jahren 1718--1741 berichtet der lutherische Eiferer in seinem flüssigen Stil dem orthodoxen Gothaer Kirchenrat und Vizepräsidenten Cyprian über die kirchlichen Ereignisse im Norden und seine literarischen Fehden gegen Calvinisten und Pietisten. Die lebendigen Schilderungen werden vom Herausgeber durch allerhand Anmerkungen, namentlich aus Edzardis Briefen, erläutert. -- Die deutschkatholische Gemeinde in Hamburg, deren Geschicke Rudolf Kayser ( 2231) aus den Akten darstellt, wurde 1846 von Ronge selber gegründet, erst unter dem Einfluß der 1848er Bewegung staatlich anerkannt und bereits 1853 nach Vorgang Preußens vom Senat aus politischen Gründen wieder aufgelöst. Im Schulwesen ist sie von einiger Bedeutung gewesen. Auf ihren stark von weiblichen Elementen beeinflußten, mehr humanitären als religiösen Geist gehen verschiedene Hamburger Anstalten für Ausbildung und gemeinnützige Betätigung von Frauen zurück. -- Die lübeckische Kirchengeschichte endlich wird durch einen eindrucksvollen Überblick über die Geschichte der evangelischreformierten Gemeinde aus der Feder ihres derzeitigen Pastors Otto A. Bode ( 2385) vertreten. Zweierlei ist an der Arbeit bemerkenswert -- zur Person des Verfassers: die schöne Gerechtigkeit, die er dem seinem Bekenntnis gegenüber jahrhundertelang geübten Geiste der Unduldsamkeit angedeihen läßt, und zur Sache: die kulturelle Bedeutung, welche die kleine Gemeinde durch ihre führenden Geistlichen, besonders Butendach und Johannes Geibel, den Vater des Dichters, für Lübeck gehabt hat.


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