VI. Wirtschaftsgeschichte.

Über Umfang und Geschichte des Landbesitzes des Bistums Merseburg -- nicht nur der Merseburger Bischöfe, wie fälschlicherweise im Thema gesagt wird -- unterrichtet die Dissertation von H. P. Illner ( 1843), der aber leider die zeitliche Grenze seiner Arbeit in das Jahr 1357, bis zu welchem Zeitpunkt das urkundliche Material gedruckt vorliegt, verlegt. Denn gerade erst in der Folgezeit setzt die Masse der Lehnsurkunden ein, die für die hier behandelte Materie das reichste und wichtigste Material liefern. Bedauerlich ist auch das Nichteingehen auf die sich aus dem Stoff aufdrängenden Probleme, wie z. B. das der Scheidung des bischöflichen und kapitularischen Mensalgutes. Im übrigen stellt J. fest, daß der Merseburger Grundbesitz sich in der Hauptsache um Merseburg selbst gruppiert, daß aber auch in der weiteren Umgebung umfangreicher Streubesitz nachweisbar ist. Zur Illustrierung des Gesagten ist am Schluß eine Karte beigegeben. -- Einen Überblick über die Grundherrschaft eines kleineren geistlichen Instituts, des 1138 gegründeten Zisterzienserklosters Pforta, gibt W. Richter ( 1845). Allerdings beschränkt er sich keineswegs auf eine Aufzählung und Geschichte der einzelnen Besitzungen, sondern er behandelt auch ausführlich die Organisation der Gutswirtschaft selbst, und zwar den Gutsbetrieb, die Arten der Bodennutzung, die Viehzucht, die landwirtschaftlichen Nebenbetriebe, Lage der Bauernschaft usw. Die Darstellung ist aufgebaut auf dem Erbbuch Pfortas aus dem Jahre 1551, stellt also, abgesehen von dem als Einleitung gebrachten allgemeinen geschichtlichen Überblick, lediglich einen Querschnitt dar.


S.550

Eine besondere Förderung ihrer Wirtschaftsgeschichte hat im Berichtsjahr die Stadt Magdeburg durch die Arbeiten Stiedas und seiner Schüler, die zum großen Teil in »Magdeburgs Wirtschaftsleben«, Bd. 1, vereinigt sind, erfahren. Stieda ( 1752) selbst behandelt das Projekt zur Errichtung einer Handelskammer und Börse in Magdeburg zur westfälischen Zeit, das jedoch trotz größter Bemühungen der Kaufmannschaft erst in den Jahren 1824 und 1825 zur Ausführung kommen sollte. -- E. F. Müller ( 1754) gibt eine zusammenfassende Darstellung über die Magdeburger Gewerbegeschichte bis zum Jahre 1631, die insofern auch für die allgemeine Zunftgeschichte von großer Bedeutung ist, als sich gerade hier mit am frühesten in Deutschland Innungen nachweisen lassen (Schuhmacher 1152--92, Gewandschneider 1183, Schilderer und Sattler 1197). -- Einem Spezialgebiet innerhalb der Magdeburger Gewerbegeschichte, und zwar dem Tuchhandel und der Tuchindustrie, widmet E. Hammer ( 1752) seine Arbeit. Der Schwerpunkt seiner Untersuchung ruht auf der Zeit des 17. und 18. Jahrhunderts, wo die schon verfallene mittelalterliche Tuchindustrie infolge der Begünstigung und Förderung durch die Hohenzollern ihre Blütezeit erlebte. -- An dem Aufschwung der Tuchindustrie hatten einen nicht geringen Anteil die Réfugiés, die auf Grund des 1685 erlassenen Potsdamer Edikts nach Magdeburg gekommen waren. G. Scholz ( 1752) weist in seiner Dissertation vor allem auf die von Pierre Valentin begründete Tuchfabrik hin. An anderen Manufakturen, die den Franzosen ihre Entstehung verdanken, sind noch zu nennen die Fayence- und Porzellanfabrik des Philipp Guichard und die großen Strumpfwirkereien und Seidenstrumpfwebereien, deren Einfluß auf das Magdeburger Wirtschaftsleben nicht hoch genug angeschlagen werden kann. -- Auch die durch den Großen Kurfürsten in seinem Staate begründete Seidenindustrie verdankt in Magdeburg erst den Réfugiés ihren eigentlichen Aufschwung. Nach F. Fr. A. Vester ( 1752) ist der schon genannte Pierre Valentin der erste, der sich dieses Industriezweiges annahm. Unter den anderen Unternehmungen nimmt das von Diesing und Haase, das 100 Stühle und 600 Arbeiter beschäftigte, den ersten Platz ein. Nach dem Zusammenbruch Preußens trat durch die Maßnahmen der westfälischen Regierung der Verfall der Seidenindustrie ein, der auch nach 1815 wegen des Vordringens der Krefelder Industrie nicht wieder behoben werden konnte. -- Interessante Aufschlüsse über die Magdeburger Elbschiffahrt, insbesondere über den Schiffahrtsbetrieb, die Elbschiffahrtspolitik, das Stapelrecht und den Elbhandel gibt E. W. A. Mai ( 1932). Wenn auch in der Hauptsache das 18. Jahrhundert behandelt wird, so werden doch auch immerhin die früheren Zeiten eingehend berücksichtigt. Besonders hingewiesen sei auf die Bemerkungen über das Stapelrecht, das mit großer Wahrscheinlichkeit auf einen Vertrag mit Erzbischof Buchard von 1309 zurückgeführt wird. -- Die von M. beiläufig gemachten Ausführungen über die Kaufleute- und Schifferbrüderschaft bringen fast ebensoviel wie die Monographie von F. Moll ( 1756) über den gleichen Gegenstand. Von Wert ist hier nur das, was Verfasser über die Abgrenzung der Kompetenzen der Schifferbrüderschaft gegenüber anderen Innungen, vor allem der der Kaufleute, sagt. -- Gleichfalls mit der Geschichte einer einzelnen Zunft, der der Schröder, beschäftigt sich A. Diestelkamp ( 1755). Lassen sich schon seit dem 13. Jahrhundert Schröder nachweisen, so treten sie uns als Innung im Jahre 1315 entgegen. Der älteste erhaltene Zunftbrief stammt aus dem Jahre 1417 und stellt eine Bestätigung der alten Freiheiten


S.551

dar. -- Aus der anläßlich des 100jährigen Jubiläums der Magdeburger Handelskammer erschienenen Festschrift ( 1753) seien an dieser Stelle die Aufsätze von Leonhard über die Geburtsstunde der Korporation der Kaufmannschaft und über die Entstehung und Entwicklung der Börse hervorgehoben. --

Auch zur Wirtschaftsgeschichte der Stadt Halle liegen zwei staatswissenschaftliche Dissertationen vor. In der einen umreißt O. Hampel ( 1758) die Geschichte der pfännerschaftlichen Saline, der Salzproduktion und des Salzhandels bis zum Jahre 1700. -- Seinen äußerst dürftigen Ausführungen, die ein weiteres Eingehen auf die von ihm behandelte Materie erübrigen, steht die vortreffliche Arbeit von E. Neuß ( 1933) gegenüber, in der mit klaren Strichen ein treffendes Bild von der Entwicklung des noch im 18. Jahrhundert mittelalterlichen Halle zur modernen Großstadt gezeichnet wird. Ausgehend von den wirtschaftlichen Zuständen Halles um 1800 schildert Verfasser unter Heranziehung eines sehr weitschichtigen Quellenmaterials die wirtschaftlichen Lagebedingungen und Lageverhältnisse der Stadt, die die Grundlagen für die Großstadt Halle bildeten, und aus denen heraus Halle sich als Standort der heutigen Braunkohlen-, Maschinen- und Zuckerindustrie entwickelte. Jede dieser Industrien, aber auch andere Zweige der Wirtschaft, wie Gewerbe und Handel, dann die bedeutenden Persönlichkeiten der Industrie und des Handels, wie Riebeck, Lehmann und Wucherer, und schließlich auch die kulturellen Verhältnisse der Stadt erfahren eine so eingehende Behandlung, daß dem Leser ein klarer Begriff von Halles Geschichte im letzten Jahrhundert vermittelt wird. --Th. Schulze ( 1935) setzt eine früher begonnene Publikation fort, indem er aus den Stadthandbüchern der Stadt Zerbst die Namen der in den Jahren 1651--1700 nach Zerbst gezogenen Bürger und der zu Bürgern beförderten Bürgersöhne zusammenstellt. Läßt sich vor dem Dreißigjährigen Kriege ein starkes Fluktuieren der Bevölkerung nachweisen, so ist in der Folgezeit die Seßhaftigkeit stärker geworden, da »die engeren Verhältnisse der Heimat eine sichere Gewähr für das Fortkommen zu bieten schienen«. -- Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Eichsfeldes im 19. Jahrhundert untersucht A. Hartung ( 1924) in seiner sehr gründlichen Dissertation. Nachdem durch das Aufkommen der englischen Großindustrie die Weberei und Wollmanufaktur auf dem Eichsfelde vollkommen vernichtet waren, gelang es, durch Schaffung anderer Industrien der in größter Not befindlichen Bevölkerung neue Existenzmöglichkeit zu schaffen. Neben der Tabakindustrie, die an Umfang die bedeutendste ist, ist es vor allem auch die Papierindustrie (v. Zwehlsche, später Lovissche Papierfabrik), die Metallwarenindustrie (Nadelfabrik), die Industrie der Weiden, und schließlich die Land- und Forstwirtschaft, die wesentlich zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Eichsfelder beitrugen.


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)