§ 6. Urkundenlehre.

(R. Heuberger.)

Auf den gemeinhin befahrenen Gleisen der Urkundenforschung darf der Durchschnittsgelehrte derzeit kaum hoffen, zu neuen wichtigen Entdeckungen zu gelangen. Er wendet sich daher meist lieber lockenderen Zielen zu. Die Verminderung der Anziehungskraft urkunden- und hilfswissenschaftlicher Fragen überhaupt beleuchtet die Tatsache, daß Girys Manuel de diplomatique ( 414) in zweiter Auflage als bloßer Neudruck erscheinen konnte. Mag dies aber unter den angedeuteten Umständen auch gewissermaßen begreiflich scheinen, es ist doch schade, daß die französischen Fachgenossen, die Erben einer großen


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Überlieferung, die Gelegenheit versäumt haben, dieses für die Kenntnis des westeuropäischen Urkundenwesens so wertvolle Handbuch zeitgemäß neu zu bearbeiten und dadurch zu zeigen, inwieweit man im Westen der Vogesen verstanden hat, den Vorsprung der organisierten deutschen Forschung einzuholen. Eine vollwertige Neuauflage des Werkes hätte ein wissenschaftliches Ereignis werden können.

Auch sonst war die Tätigkeit im Bereich der Urkundenforschung wenig rege. Grundfragen und Haupttatsachen der formalen und rechtlichen Entwicklung des Urkundenwesens wurden nur ausnahmsweise berührt. Unsere Anschauung davon erfuhr jedenfalls keine merkliche Umgestaltung. Die erschienenen Arbeiten stammen zum Teil von Anfängern und befassen sich vielfach nur mit Aufhellung von Fälschungen (hierzu auch 422, 428), Erläuterung bestimmter Stücke und sonstigen Einzelfragen. Daß die Herausgabe von Urkunden- und Regestenwerken ( 178--90; vgl. auch u. a. 122, 2069), die Beschäftigung mit dem Archivwesen ( 50--92, 2005) und den Siegeln ( 514--16, 518--19) sowie die sprachwissenschaftliche Untersuchung der Urkunden ( 633a, 654--56) manchen für unser Fach wichtigen Ertrag abwarfen, versteht sich von selbst.

Die reizvollsten, ihrer Lösung harrenden Fragen stellt dem Urkundenforscher die Übergangszeit vom Altertum zum Mittelalter (hierzu im Vorjahr die wichtige Abhandlung K. Brandis, Ravenna und Rom. Neue Beiträge zur Kenntnis der römisch-byzantinischen Urkunde. Archiv f. Urkundenforschung 9, S. 1--38). Nachklänge antiken Brauches lassen sich da wie bei den Urkunden im engeren Sinne so bei den Briefen (zu den Briefen des Mittelalters vgl. u. a. auch 791, 831, 2048/49 und aus dem Vorjahr 832) nachweisen, vor allem auch bei den merkwürdigen Litterae Formatae. Daher ist es zu begrüßen, daß diesen die schon im vorigen Berichtsjahr begonnene fleißige Untersuchung Klara Fabricius' (Die Litterae Formatae im Frühmittelalter, Archiv f. Urkundenforschung 9, 39--86, 168--94) gewidmet ist. An Hand der eingehenden, wenn auch vielleicht nicht immer ganz überzeugenden Darlegungen läßt sich jetzt verfolgen, wie diese nach Ansicht der Verfasserin durch das Konzil von Nizäa eingeführten, ursprünglich nur durch Geheimzeichen, erst später durch Unterschrift, besonders aber durch Bleisiegel ihrer Aussteller beglaubigten, von Bischöfen bzw. Metropoliten an Gleichgestellte gerichteten Empfehlungsschreiben für reisende Geistliche bis zum 6. Jahrhundert in der gesamten, dann besonders in der gallisch-fränkischen und britisch-angelsächsischen Kirche verwendet wurden, im 8. bis 10. Jahrhundert mit den Dimissorien, den Entlassungsschreiben für Geistliche, verschmolzen, die das Bistum wechselten, und im 10. bis 11. Jahrhundert abkamen.

Mit dem Brief- wie dem Urkundenwesen hängen außer den Briefsammlungen (hierzu aus dem Vorjahr 811) die artes dictandi zusammen. War der Einfluß italienischer Lehrbücher dieser Art auf Deutschland bereits von Wattenbach festgestellt worden, so wird eine gleichartige Einwirkung derselben auf Frankreich von Holtzmann durch Untersuchung einer vielleicht in Bologna entstandenen und möglicherweise mit Albertus von Samaria zusammenhängenden ars dictaminis nachgewiesen ( 815), die im Augustinerstift St. Jean zu Sens, vermutlich durch Prior Peter, als Unterrichtsbehelf benutzt und durch Einfügung von Musterbeispielen vermehrt wurde.


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Für die wichtigste der eigentlich mittelalterlichen Urkundengruppen, jene der Papsturkunden (hierzu auch 178, 179, 2003--04), liegt zunächst außer der Arbeit Rivières über die Formel »in partem sollicitudinis« ( 1983) sowie der Abhandlung Benoîts über das Avignoneser Papstarchiv ( 2005) die paläographische Untersuchung Müller-Schölls über die kuriale Kanzleischrift des ausgehenden 11. und des 12. Jahrhunderts ( 405) vor. Besonders fesseln aber die weitgespannten Forschungen Santifallers über die Benutzung des Liber Diurnus in den Papstprivilegien von der Mitte des 8. bis zu der des 11. Jahrhunderts, Forschungen, die laut des vorläufigen Berichts ( 1982) ergaben, daß nur etwas mehr als die Hälfte dieser Urkunden, und zwar meist mehr oder weniger frei, eine beschränkte Anzahl von Formularen dieses Kanzleibuches in der heute vorliegenden Fassung benutzten, während seit Benedikt III. daneben neue, nur zum Teil durch Weiterbildung der alten geschaffene Formulare auftraten, die auf eine Umarbeitung des Liber Diurnus nach der Mitte des 9. Jahrhunderts deuten.

In gewissen Beziehungen zur Papsturkundenlehre stehen einige andere Arbeiten: Zunächst Schneiders gehaltvolle Abhandlung über die unter fleißiger Benutzung des Liber pontificalis 1081/84 im Dienst der Politik Wiberts von Ravenna verfertigte Cessio donationum Leos VIII. ( 1990), eine Untersuchung, die aufschlußreiche Einblicke in Wissen und Arbeitsweise des Fälschers, eines Angehörigen der Ravennater Rechtsschule, eröffnet; dann der Aufsatz Hillings über den schon von Zeumer und Schrörs behandelten Ausdruck »paria litterarum« ( 416), der, wie neue Belege aus der kanonistischen Interpretationsliteratur des 13. Jahrhunderts zeigen, wohl meist auf inhaltlich zusammengehörige Stücke angewendet, aber kaum als terminus technicus gebraucht wurde und vielleicht an die alten litterae a pari erinnerte; vor allem aber die wertvollen, von Abbildungen begleiteten Darlegungen Rests ( 426) über Ablaßurkunden, die, besonders seit 1282, trotz Stellungnahme leitender kirchlicher Kreise dagegen namentlich zu Rom und Avignon seitens einer oft bedeutenden Anzahl von Bischöfen und Erzbischöfen bis 1364 besonders für deutsche, französische und nordische Empfänger ausgestellt und seit etwa 1322 im französischen Geschmack mit immer reicherem Miniaturenschmuck versehen wurden.

Verhältnismäßig starke Beachtung fanden die Herrscherurkunden (hierzu aus dem Vorjahr u. a. 832 sowie F. Reinöhl, Die gefälschten Königsurkunden des Klosters Drübeck, Archiv für Urkundenforschung 9, S. 123--40; L. Bittner, Die Lehre von den völkerrechtlichen Vertragsurkunden [auch Zusammenfassung unter gleichem Titel im Archiv für Urkundenforschung 9, S. 154--60]). Zunächst befassen sich verschiedene Arbeiten mit einzelnen Stücken (hierzu auch 418). F. Schneider ( 417) sucht, teilweise in Übereinstimmung mit Chroust, K. Ariperts II. Urkunde für B. Emilian von Vercelli (Troya 377) im Kern als echt, aber als durch B. Leo verunechtet zu erweisen und ihren ursprünglichen Wortlaut wiederherzustellen. Prou ( 398) behandelt eine Urkunde Karls des Kahlen, Holtzmann bespricht ( 419) ein in Abschrift und teilweiser Nachzeichnung überliefertes, vermutlich echtes Diplom Ludwigs II. und nimmt anmerkungsweise zu Buzzis Arbeit über die Bobbieser Fälschungen, namentlich (ablehnend) zu dessen Angriff auf die Echtheit der Exemptionsurkunde Honorius I. (JE. 2017) Stellung. Sparbers Bemerkungen über die Urkunden Ludwigs IV.


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(Mühlbacher 1997), Konrads II. (DK. II. 103) und Friedrichs I. (St. 4292) für Brixen ( 872) sind nur wegen der sehr verkleinerten Abbildungen dieser Stücke erwähnenswert. Hirsch ( 421) erläutert die in Urschrift und einer durch Einschübe verunechteten Nachzeichnung vorliegende, in letzterer Fassung von Herzog Welf, Friedrich I. und Heinrich VI. bestätigte Urkunde Heinrichs V. für die Kanoniker von Lucca (St. 3188), klärt die Entstehung des Lucceser libro grande di privilegi und dessen Verhältnis zu dem verlorenen älteren Stadtbuch auf und teilt eine abschriftlich überlieferte, bisher unbekannte Urkunde Friedrichs I. für S. Giovanni in Persiceto (bei Bologna) mit (zu Friedrichs I. und II. Urkunden vgl. auch 842, 1560a). Endlich erörtert Hammer ( 535) unter Beigabe von Abbildungen vom Standpunkt der Kunstgeschichte aber auch der Urkundenlehre aus die einzigartige Prachtausfertigung einer die Verleihung der Würde eines eques auratus an den churrätischen Ritter Schir von Prevost verbriefenden Urkunde Karls V., deren Miniaturen die Überreichung des Privilegs durch den Kaiser und den Ausstellungsort (Innsbruck) darstellen. (Zu den Miniaturen in Handschriften urkundlichen Inhalts vgl. auch Mayer, A. L., Spanische Miniaturen des frühen Mittelalters. Mit 3 Abbildungen. [Kunst u. Künstler, Jg. 23, Heft 7, S. 264--267.])

Andere Arbeiten gelten dagegen größeren Gegenständen. Erben rühmt in einem für jeden Paläographen und Urkundenforscher belangreichen Aufsatz ( 415) die Leistungsfähigkeit des Fluroeszenzlichtbildverfahrens für die Lesbarmachung ausgebleichter oder getilgter Schrift, regt an, die palimpsestierten, Rasuren oder sonstige Veränderungen des Schriftbestandes aufweisenden Kaiserurkunden unter Anwendung des neuen Hilfsmittels zu untersuchen, verzeichnet solche Stücke und bespricht unter Mitteilung mancher wertvollen Beobachtung an lehrreichen Beispielen die Tragweite der etwa dabei erreichbaren Erfolge (hierzu auch 181). Von Bedeutung für die Lehre von den Königsurkunden dürfte auch Fairons Abhandlung über die Forstschenkungen des 10. und 11. Jahrhunderts in Lothringen und dem übrigen Deutschland ( 1774) sein. Sthamer ergänzt in Fortsetzung seiner wertvollen Studien über Friedrichs II. sizilische Register ( 423; siehe Jahresberichte 3 [1920], S. 27, Nr. 8) seinen Beweis für die unmittelbare Abhängigkeit der betreffenden Abschnitte der Marseiller Auszüge vom Neapler Registerbruchstück, vertritt die Annahme, jene Sammlung sei auf Grund der kaiserlichen Register, vermutlich nach deren Überführung an Karls I. Hof (1275), in der königlichen Kanzlei entstanden. Weiter beseitigt er, indem er einen fälschenden Zusatz des 14. Jahrhunderts im erhaltenen Register Friedrichs nachweist und drei gleichartige Nachträge in den verlorenen Registern des Kaisers wahrscheinlich macht, Nieses Beleg für das Vorhandensein eines heute verlorengegangenen Generalregisters und deckt, zum Teil in Übereinstimmung mit Carcani, sechs vollendete und zwei begonnene, vermutlich von Neapler Geschichts- und Familienforschern der Frühneuzeit verschuldete Fälschungen im vorhandenen Registerbruchstück auf, das, wie dargelegt wird, um 1600 bereits den einzigen Rest der noch unter Karl II. und Robert wenigstens großenteils vorhandenen Register des Kaisers bildete.

Endlich müssen hier zwei sprachwissenschaftliche Untersuchungen (zum Urkundenlatein vgl. 633a) hervorgehoben werden. Noordijks Schrift über die Sprache der Kaiserurkunden des 15. Jahrhunderts ( 655a) dürfte für die Geschichte


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der Reichskanzlei von Belang sein. Carlies durch die Abbildung einer auf deutschem Boden ausgestellten Urkunde Waldemar Atterdags unterstützte Ausführungen ( 656) dagegen, die den bekannten deutschen Einfluß auf das nordische Urkundenwesen neuerlich beleuchten, zeigen, wie in der dänischen Königskanzlei (zur dänischen Königsurkunde vgl. auch 852), deren Schreiber anfangs wohl meist Deutsche waren, unter dem Einfluß der deutschen Vormachtstellung im Norden und der südwärts gerichteten Beziehungen Dänemarks neben dem Lateinischen das Mittelniederdeutsche seit 1315 vereinzelt, seit den vierziger und besonders den sechziger Jahren des 14. Jahrhunderts immer häufiger bei Ausfertigung solcher Urkunden, namentlich solcher für deutschsprachige Empfänger, verwendet wurde, während dänisch, schwedisch oder norwegisch abgefaßte Königsurkunden erst in den sechziger Jahren desselben Zeitraums allmählich einsetzten. Beschränkt sich auch das über Urkunden- und Kanzleiwesen Gesagte auf Andeutungen, so wäre doch zu wünschen, der Verfasser möge in der Lage sein, seine Untersuchungen über 1430 hinaus, also in die Zeit zu führen, aus der Kanzleibücher erhalten sind, in der die Zahl der mittelniederdeutschen Ausfertigungen noch stieg und in der eine eigene deutsche Kanzlei entstand. (Zur Urkundensprache Niederdeutschlands vgl. auch 654, 655.)

Wendet man sich den sonstigen Urkundengruppen des Mittelalters zu, so kommen hier zunächst die Traditionsbücher in Betracht. An Arbeiten über solche Bücher sind zu nennen: Wagners Aufsatz über die gefälschten Bleidenstadter Traditionen ( 873), die von einer Abbildung begleitete Veröffentlichung einer auf einem Einzelblatt geschriebenen, in den Traditionsbüchern fehlenden Notiz über eine Güterschenkung an das Hochstift Brixen von 1067 durch Redlich ( 836) sowie kurze Mitteilungen über das im 12. Jahrhundert geführte, im 13. und gelegentlich auch noch im 14. Jahrhundert zu Einträgen benutzte Traditionsbuch sowie über die jüngeren Kopialbücher des Chorherrnstiftes Neustift bei Brixen, die Sparber im Rahmen eines dem Archiv dieses Stiftes gewidmeten Aufsatzes ( 67) macht. Zu den für Klöster ausgestellten Urkunden vgl. auch 2067 und 2093. Für das kirchliche Urkundenwesen des Frühmittelalters ist auch 2115 mittelbar von Belang.

Das sonst so beliebte Gebiet der deutschen Bischofs- und Fürstenurkunde ist unter den Erscheinungen des Berichtsjahres nahezu unvertreten (hierzu aus dem Vorjahr 2130). Finsterwalder bespricht zwei Bischofskapitularien des 9. Jahrhunderts ( 2112). Heuberger erläutert zwei in der tirolischen Grafenkanzlei gefertigte Gesandtschaftsanweisungen von 1301 und 1332 ( 901). Hallmanns Ausführungen über die letztwilligen Verfügungen der brandenburgischen Hohenzollern ( 1657) beschäftigen sich fast nur mit Rechtsinhalt und geschichtlicher Bedeutung dieser Stücke; doch begegnet der Urkundenforscher auch hier bekannten Erscheinungen: Abhängigkeitsverhältnis zwischen Vor- und Nachurkunde, Langsamkeit der Entwicklung des Formulars und -- damit zusammenhängend -- einer sehr starken, im einzelnen deutlich erkennbaren Formelhaftigkeit.

Da verschiedene Markgrafen und Herzoge des für das Reich so wichtigen Tuszien deutscher Herkunft waren und da die auch von der deutschen Königsurkunde beeinflußten Urkunden dieser Fürsten schon wiederholt gerade von deutschen Forschern untersucht worden sind, verdient die eingehende Arbeit


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Falces über die im Namen der genannten Machthaber ausgestellten Schriftstücke ( 420) auch die volle Beachtung der deutschen Fachgenossen. Wir erhalten dadurch eine durch manche bisher unbekannte Stücke vervollständigte Zusammenstellung und eingehende Besprechung der erhaltenen tuszischen Fürstenurkunden vom 9. Jahrhundert bis 1027 und von diesem Jahr bis 1196 sowie der fürstlichen Siegel, deren erstes sich bereits auf dem vom Aussteller unterschriebenen Schenkungsbrief Adalberts II. von 888--915, der ältesten, bisher nachweisbaren Siegelurkunde Ober- und Mittelitaliens, befand; vor allem aber auch eine Übersicht über Stellung und Tätigkeit der meist dem öffentlichen Notariat angehörigen und daher auch für andere Parteien arbeitenden Schreiber der markgräflich-herzoglichen Urkunden. Es ergeben sich im einzelnen zahlreiche neue Feststellungen. Es sei etwa auf die Ausführungen über die von den tuszischen Markgrafen und Herzogen ernannten, von diesen gelegentlich zur Ausfertigung ihrer Urkunden herangezogenen Notare des 11. und 12. Jahrhunderts verwiesen, die nach Falce aus einer mit der fürstlichen Kanzlei in Verbindung stehenden Schule hervorgingen, gelegentlich Urkunden ihrer Herren schrieben und, wie gegen Ficker angenommen wird, nur im fürstlichen Machtbereich zur Urkundenfertigung befugt waren, hier aber wegen ihrer Kenntnis des Landesbrauchs den kaiserlichen und Pfalznotaren vorgezogen wurden.

Wie das Gesagte erkennen läßt, ist Falces Untersuchung auch ein Beitrag zur Geschichte des öffentlichen Notariats. Für diese liegt außer der Schrift Chiaudanos ( 425), die zwar in der Hauptsache einem rechts- und handelsgeschichtlichen Gegenstand gilt, daneben aber Nachrichten über zwei der ältesten Genueser Imbreviaturbücher enthält, die Darstellung der Anfänge des deutschen Notariats bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts durch Koechling ( 424) vor. Gelangt dieser auch zu keinen unsere bisherige Auffassung wesentlich beeinflussenden Ergebnissen -- solche sind, wenn überhaupt, nur von Einzelforschungen zu erwarten --, so muß seine Abhandlung doch als fleißige und nützliche Zusammenstellung dessen mit Dank begrüßt werden, was sich derzeit ohne umfänglichere Heranziehung ungedruckten Quellenstoffes über das urkunden- wie kulturgeschichtlich so bedeutsame Eindringen des öffentlichen Schreibertums in Deutschland ermitteln läßt. Zur Geschichte des für das Urkundenwesen so bedeutsamen Offizialats vgl. 2132.

Die bisher erwähnten Urkundengruppen werden mehr oder weniger ausschließlich von Vertretern der Urkundenlehre, etwa auch der Rechtsgeschichte behandelt. Dies beweisen auch die vorstehend genannten Schriften. Geht man aber auf das Akten- und Bücherwesen des Spätmittelalters über, so betritt man gleichzeitig das bevorzugte Arbeitsfeld des Herausgebers örtlicher Quellen sowie des Forschers im Bereich der Orts-, Landes-, Wirtschafts-, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte. Daher wurde auf diesem Gebiete im Berichtsjahr besonders viel geleistet. Da die hierher gehörigen Arbeiten zahlreich sind und da sie mit Rücksicht auf ihre Einstellung und ihren Inhalt im Rahmen anderer Forschungsberichte besprochen werden, genüge hier ein bloßer Hinweis auf sie. Es wurden außer den Kirchenbüchern ( 451) behandelt: Urbare ( 472, 1595, 1804--05, 1851), Steuerregister ( 1815, 1817, 1840), Zolltarife ( 1844; vgl. auch 1803), vor allem aber Stadtbücher ( 654, 1618, 1622, 1630, 1633, 1635, 1833) und verwandte Quellen; so das älteste Urteilsbuch des holsteinischen


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Vierstädtegerichts ( 1681) und das Schöffenbuch eines schlesischen Dorfes, ein Ableger der Görlitzer Stadtbücher ( 1636). Vgl. auch 1781, 2642.

Ein Rückblick auf die hier angedeuteten Forschungsergebnisse erhärtet das eingangs Gesagte. Auch im Bereich der Urkundenlehre, namentlich im Bereich ihres Grenzsaumes gegenüber der Rechts- und Kulturgeschichte, sind noch große Fragen zu lösen. Der wissenschaftliche Ertrag des Jahres 1925 für unser Fach wurde aber weniger durch Inangriffnahme solchen Neulandes als durch Kleinarbeit im Umkreis des wenigstens zum Teil schon beackerten Bodens gewonnen.

Ein Bericht über die Leistungen des Jahres 1925 auf dem Gebiete der Zeitrechnungskunde (vgl. hierzu 430 und betreffs 414 oben S. 162) erübrigt sich, da die einzige einschlägige Erscheinung von etwaiger Bedeutung ( 429) dem Berichterstatter nicht zugänglich war.


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