II. Historische Landeskunde.

Seit den Studien K. Wellers und Gradmanns sind in Württemberg die Versuche, über die Zeit der germanischen Landnahme und die Frühperiode der germanischen Herrschaft in Schwaben, für die uns direktes schriftliches Quellenmaterial kaum zu Gebote steht, durch die Methode der Rückschlüsse aus später bezeugten Zuständen und Verhältnissen rechtlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Natur, aus dem späteren Siedlungsbilde, den Ortsnamen und den Bodenfunden entnommenen archäologischen und sonstigen Überresten ein vollständigeres und lebendigeres Bild zu gewinnen, immer wieder erneuert worden. In dieser Hinsicht hat neuerdings die systematische Aufarbeitung der alemannisch-fränkischen Bodenfunde, insbesondere der Reihengräberfriedhöfe Württembergs, die Walter Veeck, den von Peter Gößler gebotenen Anregungen folgend, in Angriff genommen hat, zu gewissen Ergebnissen geführt, die trotz des vorwiegend archäologischen Interesses dieser Untersuchungen von der Geschichtsforschung nicht unbeachtet gelassen werden dürfen. In dem vorliegenden kurzen Vorbericht ( 744) wird die Möglichkeit, die alemannischen von den fränkischen Bodenfunden grundsätzlich zu scheiden und den Reihengräberfriedhöfen und den ihnen entstammenden Funden ein getreues Spiegelbild des politischen und kulturellen Geschickes der Alemannen in den ersten Jahrhunderten ihrer Entwicklung vom unabhängigen Reitervolk zu einem dem fränkischen Heerbann eingegliederten Fußvolkaufgebot zu entnehmen, eindringend dargelegt. Im Gegensatz zu Bohnen-


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berger ( 674), der als Ortsnamenforscher für fränkischen Ursprung der »-heim«-Orte Alemanniens und damit für die Theorie einer späteren Durchsetzung auch des südlichen Alemanniens durch fränkische Militärkolonien eintritt, weist Veeck in dem erwähnten Bericht sowie in einem kleineren Sonderaufsatz mehr polemischer Natur ( 675) nach, daß nach Ausweis der Reihengräberfriedhöfe sowohl die »-ingen«- wie die »-heim«-Orte im gesamten ursprünglich alemannischen Siedlungslande als altalemannische Siedlungen der frühesten Zeit anzusehen sind, und daß auch nach geschichtlichen, den archäologischen Befund geschickt ergänzenden Zeugnissen, die die weithingehende politische Selbständigkeit des alemannischen Herzogtums auch nach der fränkischen Unterwerfung (i. J. 536) klarlegen, die Annahme einer systematisch durchgeführten fränkischen Kolonialsiedlung in dem alemannisch verbliebenen Rest des Stammgebiets auf recht schwachen Füßen steht. Bohnenberger, der sonst hauptsächlich mit philologischen Beweismitteln arbeitet, sucht seinerseits die für die Auffassung von Landnahme und frühester Siedlung grundsätzlich recht wichtigen standes- und wirtschaftsgeschichtlichen Studien Viktor Ernsts für seine Untersuchungen fruchtbar zu machen und auf Grund der Ernstschen Theorien innerhalb der Gruppe der »-ingen«-Orte, die er im Gegensatz zu den »-heim«-Orten als den Großteil der in der Landnahmezeit von den Alemannen angelegten volksmäßigen Dörfer ansieht, gewisse Untergruppen herauszuheben und zu unterscheiden; die »-weiler«-Orte stellen sich ihm dagegen als minderbedeutende, in mäßig günstigem Gelände gelegene Kleingruppensiedlungen der Alemannen aus späterer Zeit dar.

Unter dem Gesichtswinkel der Standesgeschichte setzt sich der verdiente Erforscher der Rechts- und Wirtschaftsgeschichte des württembergischen Bauernstandes, Th. Knapp ( 1603), der sich diesmal mit der geschichtlichen Entwicklung des schwäbischen Adels befaßt, mit Viktor Ernsts Theorien über den Ursprung des niederen Adels und der Institution der Dinghöfe kritisch auseinander; er bestreitet ihnen auch im Rahmen Schwabens die Allgemeingültigkeit und tritt für die von Ernst scharf bekämpfte grundherrschaftliche Theorie ein. Im Anschluß daran gibt uns K. einen guten Überblick über die Geschicke des schwäbischen Adels bis zur Neuzeit, wobei besonders der Kampf um die Behauptung der nach dem Sturz der Staufer errungenen Reichsunmittelbarkeit gegenüber den benachbarten Landesfürsten und die sich daraus ergebenden Folgen für die wirtschaftlichen wie rechtlichen Verhältnisse der Adligen und für die Verwaltung ihrer Besitzungen hervorgehoben werden.


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