IV. Ortsgeschichte.

Die überaus umfangreiche ortsgeschichtliche Literatur kann hier natürlich nur in ganz strenger Auswahl vorgeführt werden. Wir beginnen mit dem seit dem 14. Jahrhundert im habsburgischen Besitz befindlichen Donaustädtchen Ehingen. Die von dem greisen Oberstudienrat Dr. Hehle herausgegebene Auswahl aus seinen zahlreichen geschichtlichen Studien über die Stadt und ihre Umgegend (Geschichtliche Forschungen über Ehingen und Umgegend. Ehingen, Ortmann 1925) vermittelt in anspruchsloser, nicht immer freilich genügend kritischer Form dankenswert Einblicke in die kriegerischen Schicksale und die innere, kirchliche und kulturelle Geschichte der Stadt; von Wert sind auch die kurzen biographischen Skizzen über den aus Ehingen gebürtigen Humanisten Jacob Locher und den der Umgegend Ehingens enstammenden Astronomen Joh. Stöffler. -- Die Sammlung


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von Aufsätzen des früheren Eßlinger Stadtarchivars P. Eberhardt ( 245) enthält im wesentlichen Beiträge zur historischen Topographie der alten Reichsstadt Eßlingen (Häusergeschichte), neben denen kleine Untersuchungen über geschichtliche Ortssagen und bekanntere Eßlinger Familien u. dergl. zurücktreten. Eine wichtige Ergänzung zu den Forschungen K. O. Müllers und J. Zellers über die ältere Geschichte des heutigen Friedrichshafen, der früheren Reichsstadt Buchhorn, bildet die etwas breit angelegte, aber auf Grund eingehender archivalischer und quellenkritischer Studien durchgeführte rechtsgeschichtliche Abhandlung Ludwig Baurs über die Geschichte des kirchlichen Pfründenwesens in der Reichsstadt Buchhorn ( 2127), die zwar keine erschöpfende Geschichte der Pfarrei Buchhorn geben will, aber einer solchen recht nahe kommt. Die kirchengeschichtlich überaus interessante, recht komplizierte Entwicklung der Pfarrei wird klar herausgearbeitet. Für Heilbronn sind drei gründlich gearbeitete Aufsätze von M. von Rauch zu nennen: 1. »Die Erer in Heilbronn« ( 470a), wo die Geschichte der vom 14. bis zum 16. Jahrhundert in Heilbronn blühenden adligen Familien der Erer, die der Stadt eine Reihe tüchtiger, in der Geschichte hervortretender Bürgermeister geliefert hat, geschildert wird; 2. »Die Heilbronner Kauf- und Ratsherrnfamilie Orth« ( 485a), deren Geschicke uns einen wertvollen Einblick in das wirtschaftliche und geistige Leben der Reichsstadt vermittelt; 3. schließlich berichtet R. uns noch von Geldgeschäften und verwandtschaftlichen Beziehungen Konrad Wimpinas in H. (Bll. württ. Kirchengesch. N. F. 29, 116--120). E. Mack ( 1880 f.) fährt mit der von ihm beliebten, durch Verzettelung der Kräfte und Mangel an sachlicher Verarbeitung nicht gerade vorbildlichen Einzelveröffentlichung von Materialien zur Geschichte Rottweils fort: durch Herausgabe zweier Aktenstücke aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die für die Wirtschaftsgeschichte der Stadt ein gewisses Interesse bieten, ferner durch Wiederabdruck des von dem Rottweiler Stadtarchivar Schultheiß verfaßten Artikels »Rottweil« aus dem 1791/92 zu Ulm erschienenen Röderschen Lexikon von Schwaben. -- Umfangreich und zum Teil recht wertvoll ist die Literatur zur Geschichte der alten Reichsstadt Ulm. Die Frage nach den ältesten geschichtlichen Siedlungen auf dem Boden Ulms, zu der in den eifrigen, leider über zahllose kleine Aufsätze und Artikel zerstreuten topographischen Studien Adolf Kölles treffliche Vorarbeiten vorliegen, hat durch die aufschlußreichen Ergebnisse der Forschungen Max Ernsts über die Beziehungen des Klosters Reichenau zum ältesten Ulm (Mitteilungen des Vereins für Kunst und Altertum in Ulm 23 [1924]) neues Interesse gewonnen. In diesen Zusammenhang gehört auch der Versuch L. Traubs ( 676), den Namen »Ulm« aus einem vermutungsweise erschlossenen alten keltischen Namen des Blauflusses abzuleiten, der von dem Flußlauf auf die an seiner Mündung in die Donau gelegene Siedlung übertragen worden wäre. P. Gößler (Ulm. Oberschwaben. Mitteil. d. Ver. ... 24, 5--22) sucht in einem lehrreichen Überblick über die Geschichte des Ulmer Bodens und seiner Besiedlung von der Bronzezeit bis in die alemannische Epoche von der Seite der Vorgeschichte her die Verbindung mit den wichtigen Feststellungen, die Ernst und Kölle über das Ulm der Merowinger- und Karolingerzeit gemacht haben, herzustellen. Einen wertvollen Beitrag zur mittelalterlichen Verfassungsgeschichte Ulms stellt die eindringende Untersuchung Martin Fehls ( 1602) über den vielerörterten Vogteivertrag

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dar, den Ulm 1255 mit Graf Albrecht IV. von Dillingen abschloß. Im Gegensatz zu der bisherigen Auffassung, daß mit diesem Vertrag sich die stauferfreundliche Stadt nach dem Tode des letzten Staufenkaisers dem stauferfeindlichen Grafen von Dillingen unterworfen und ihm die alten Vogteirechte wieder zugestanden habe, kommt Fehl zu dem gut begründeten Ergebnis, daß in Ulm vor dem Vertrag keinerlei Vogtei bestanden, vielmehr höchstens die im 12. Jahrhundert ausgestorbene pfalzgräfliche Linie der Dillingen als Inhaberin der schwäbischen Pfalzgrafschaft der Vogtei verwandte Rechte in Ulm im Besitz gehabt habe. Fehl sieht in dem Abschluß des Vertrags den Ausfluß einer bewußt arbeitenden Sicherungs- und Territorialpolitik der Stadt, die als die stärkere Partei um den Preis geringer, ihrer Selbständigkeit kaum abträglicher Zugeständnisse den in Ulm und Umgebung reich begüterten Grafen an sich fesselte und durch Einbeziehung des Landgerichts extra civitatem in die Vogteibefugnisse sich einen wesentlichen Einfluß in der weiteren Umgegend und damit die Grundlagen zu einer städtischen Territorialpolitik zu schaffen verstand. Vogtei und Schultheißenamt und das Verhältnis des Ulmer Stadtrechts zum Vogteivertrag werden in grundlegender Weise erörtert. Die Arbeit dürfte den wichtigeren Untersuchungen auf dem Gebiete der städtischen Verfassungsgeschichte zuzurechnen sein. -- Ein Bild von der großen Stadterweiterung und Neubefestigung, die die Stadt Ulm im Zeitalter Ludwigs des Bayern durchführte, entwirft der schon oben rühmend hervorgehobene Erforscher der geschichtlichen Topographie Ulms, Adolf Kölle (»Die große Stadterweiterung des 14. Jahrhunderts« in »Ulmische Blätter für heimatliche Geschichte« 1 [1924/25], S. 20 u. ö.). Dem Ulmer Humanistenkreis gehörte der Deutschordenskaplan Hans Böhm an, dessen 1515 in der Gedichtsammlung »Liber heroicus« veröffentlichten Lobspruch auf Ulm der jüngst verschiedene Ulmer Stadtarchivar Greiner mit einer deutschen Übersetzung und einer einleitenden Abhandlung über Lebensgang und Schriften des 1535 zu Rothenburg o. d. T. verstorbenen Poeten neu zum Abdruck bringt. (»Hans Böhm und sein Loblied auf die Reichsstadt Ulm« in »Ulmische Blätter für heimatliche Geschichte« I [1924/25], S. 2 ff. u. ö.). Über das Schutz- und Trutzbündnis, in dem sich Mai 1533 zur Abwehr der kaiserlichen Bemühungen um eine Erneuerung des 1534 ablaufenden Schwäbischen Bundes Ulm mit Nürnberg und Augsburg auf sieben Jahre zunächst zusammenfand, unterrichtet uns Kurt Weißer. Auch die 1541 zustande gekommene Verlängerung des Bündnisses darf nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß der Versuch dieses Städtebundes, im Gegenspiel zwischen Schmalkaldenern und dem neuen kaiserlich-katholischen Bunde eine eigene, die Neutralität seiner Mitglieder sicherstellende Rolle zu behaupten, nach kurzem Anlauf gescheitert ist und schließlich ein völliges Auseinandergehen der drei Städte in ihrer Politik nicht hat verhindern können. (»Das Bündnis der drei Reichsstädte Ulm, Augsburg und Nürnberg von 1533--1547« in »Ulmer Historische Blätter« 1 [1924/25], Nr. 3 u. 4.) Einen späten, der Periode des Dreißigjährigen Krieges angehörenden Nachzügler der Ulmer Reformationsepoche behandelt S. Eberle (»Ulms Reformationsversuche 1633 und 1634.« Rottenburger Monatsschrift für praktische Theologie 8 [1924/25], S. 44 ff u. 64 ff.) in seiner auf Ulmer Archivalien beruhenden Darstellung des kurzlebigen Versuchs der Stadt, auf ihr 1632 zu Frankfurt mit Gustav Adolf abgeschlossenes Bündnis gestützt, die Säkularisation der ihrer Jurisdiktion

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unterstellten oder in ihrem Gebiet gelegenen Klöster und Kloster- wie Ordensbesitzungen, soweit diese den Anstrengungen der Stadt zum Trotz die Stürme der Reformationszeit überdauert hatten, nachträglich zu erzwingen und in den zugehörigen Kirchen und Dörfern die Reformation durchzuführen. Eine brauchbare und fleißige erste Verarbeitung des im Ulmer Stadtarchiv verwahrten Materials zur Geschichte des Ausganges der Union 1620/21 bietet Hermann Maurer ( 971). Die Urteile und Schlüsse des Verfassers verraten freilich gelegentlich einen gewissen Mangel an richtiger Einschätzung und Abwägung der verschiedenen geschichtlichen Faktoren. Die entscheidende Schuld an dem Mißgeschick eines Bündnisses, dem neben den Städten die bedeutendsten protestantischen Fürsten angehörten, zwei wirtschaftlich niedergehenden, finanziell zerrütteten und in ihrem engsten Daseinskreis unter schwerem politischen Druck stehenden Städten (Ulm, Straßburg) zuweisen zu wollen, bedeutet eine völlige Verkennung der seit dem 14./15. Jahrhundert (wo derartige Urteile eher zu begründen wären) eingetretenen Kräfteverschiebung, die den alten Reichsstädten -- von dem besser gestellten Nürnberg zunächst abgesehen -- die Möglichkeiten zu einer über ihren engsten Interessenkreis hinausgreifenden großzügigen Politik längst verschlossen hatte. Daß der wirtschaftliche Niedergang Ulms tatsächlich schon Jahrzehnte vor dem Dreißigjährigen Krieg eingesetzt hatte und durch den Krieg und seine Folgen höchstens beschleunigt und stärker akzentuiert wurde, weist A. Vorbach in einer auf eingehenden Quellenstudien sich gründenden Arbeit ( 1882) nach, die einen interessanten Beitrag zu der Frage nach den wirtschaftlichen Folgewirkungen des großen Krieges im allgemeinen darstellt. Allerdings wird man sich im Vergleich zu anderen Landstrichen immer vor Augen halten müssen, daß Ulm und sein Gebiet von der Kriegsfurie verhältnismäßig schwach heimgesucht worden ist, und daß daher z. B. aus der Tatsache, daß die Ulmer Gewerbezweige, die noch vor dem Krieg in Blüte gestanden hatten, sich rasch wieder erholten, nicht ohne weiteres Folgerungen allgemeiner Natur abgeleitet werden dürften. Wichtig für unsere Kenntnis der wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklung Ulms ist der von dem verdienten Erforscher der schwäbischen Münzgeschichte G. Schöttle auf Grund langjähriger Studien verfaßte Überblick über die Münz- und Geldgeschichte der Stadt ( 1726) von den Anfängen bis zur Zeit nach dem Weltkrieg. Leider fließt das Quellenmaterial für die besonders interessante mittelalterliche Epoche recht dürftig, so daß der Hauptnachdruck notgedrungen auf der Darstellung der neuzeitlichen Entwicklung liegt. Die Übersicht, die uns Schöttle unter steter Herausarbeitung der Zusammenhänge mit der allgemeinen Entwicklung in Schwaben, im übrigen leider ohne jede nähere Quellenangabe im einzelnen, verschafft, ist als solche recht wertvoll, zumal die Untersuchung auch auf die weiterreichenden finanzpolitischen Maßnahmen der Stadt ausgedehnt ist. Auf mehrere kleinere, aber Neues bietende Aufsätze zur mittelalterlichen Gewerbe- und Zunftgeschichte Ulms von Hans Hasenöhrl (»Die Zunftverfassung im mittelalterlichen Ulm« in »Ulmische Blätter« 1 [1924/25], S. 65 u. ö.; »Das Lohnwesen im alten Ulm« in »Ulmer Historische Blätter« 1 [1924/25], Nr. 9; »Das Lehrlings-, Gesellen- und Meisterwesen im mittelalterlichen Ulm«, ebenda Nr. 12 ff.) sei noch hingewiesen, da sie wohl als Teilabdrucke und Seitenschosse der bisher nur im Maschinendruck vorliegenden Heidelberger Dissertation des Verfassers über die Gewerbepolitik der Stadt Ulm im 14./15. Jahrhundert anzusehen

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sind. Schließlich ist auch eine kleine Schrift von Major a. D. Erbelding ( 1088a) erwähnenswert, die die kriegerischen Ereignisse in und um Ulm während der Kämpfe zwischen Napoleon I. und den Österreichern im Jahre 1805, von Ulmer Lokalinteressen geleitet, behandelt.


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