II. Quellen und Darstellungen.

Auf eine im Staatsarchiv Luzern aufbewahrte Sammlung von Urkunden zur Pfälzer Geschichte macht erneut E. Lind ( 183a) aufmerksam (vgl. Th. Sickel, Über Kaiserurkunden in der Schweiz S. 51; Gött. Nachr. 1904, S. 428). Einst im Besitz der Familie Gatterer wurde die Sammlung nach des jüngeren Gatterer Tod 1838 an das Kloster St. Urban bei Luzern verkauft und kam nach Aufhebung des Klosters an den Kanton. Die älteste der für die pfälzische Ortsgeschichte wichtigen Urkunden ist eine Kaiserurkunde Ludwigs II. vom Jahre 877, die jüngste stammt aus dem Jahre 1274. -- Als letzte Gabe des um die Geschichte des Bistums Freising so hochverdienten Prälaten Dr. Schlecht ( 788) legt der historische Verein Freising den 1. Teil einer Ausgabe der deutschen Freisinger Bischofschronik vor. Die Chronik, die wahrscheinlich am Beginn des 16. Jahrhunderts verfaßt wurde, liegt nur in mehreren voneinander abweichenden Abschriften vor. Der von Schlecht unter Mitwirkung von B. Arnold mit ausführlichem Kommentar veröffentlichte Teil reicht von Korbinian bis zum Tode Bischof Ottos I. ( 1158) und ist einer erst kürzlich aus dem Hauptstaatsarchiv an die Bayerische Staatsbibliothek gekommenen Handschrift (Cgm. 5805) entnommen. (Vgl. auch die Besprechung durch W. Levison oben S. 226.) -- Das Landbuch A des Amtes Bayreuth, das A. Lippert ( 1595) veröffentlicht, wurde als Steuerbuch um 1386 begonnen und bis Ende des 14. Jahrhunderts fortgesetzt. Für den Familienforscher wie für die Ortsnamenurkunde des Bayreuther Landes bietet es reiche Ausbeute. -- B. Schmeidler ( 827) weist auf die Bedeutung Frankens für das deutsche Königtum im Mittelalter hin. Das Herzogtum Franken, das Otto I. für die Krone einzog, war bis ins 13. Jahrhundert der wichtigste Stützpunkt für die Könige, die durch den Besitz dieses im Herzen Deutschlands gelegenen Kronlandes allen anderen Fürsten überlegen waren. Der Investiturstreit war, vom innerdeutschen Standpunkt aus gesehen, ein Kampf um den Besitz


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Frankens. Für das Herzogtum Franken selbst, das sich unter dem Schutz der Könige und ihrer Stellvertreter, der Bischöfe von Bamberg und Würzburg, mächtig ausbreitete, war diese Verbindung von größtem Vorteil. Für das Königtum dagegen bedeutete der Verlust des Herzogtums Franken nach dem Interregnum eine schwere Einbuße. -- Heinrich II. als Förderer der Stifte St. Emmeram, Ober- und Niedermünster in Regensburg schildert ein Aufsatz F. Heidingsfelders ( 834). Dem Stifte St. Emmeram, das unter Abt Ramwold seine Blüte erlebte, bestätigte der Kaiser 1021 seine Besitzungen und Rechte, dagegen war er am Bau der Kirche nicht beteiligt. Durch seine Aufträge an die Regensburger Schreibschulen trug Heinrich II. zur Blüte der Buchmalerei und Goldschmiedekunst bei. Zeuge davon sind eine Reihe herrlicher Miniaturhandschriften, darunter das Evangeliar der Äbtissin Uta von Niedermünster. Die alte Kapelle in Regensburg hat Heinrich 1002 mit königlichen Freiheiten begabt, das dortige Gnadenbild, das mit dem Kaiser in Beziehung gebracht wird, entstammt aber einer späteren Zeit. Zur Stadt Regensburg unterhielt der Kaiser nach seiner Thronbesteigung keine näheren Beziehungen mehr.

Zur vielverhandelten Genealogie der Burggrafen von Nürnberg bringt W. Spielberg ( 444) neue Beiträge. Die im Stiftungsbuch des Zisterzienserklosters Zwetl verzeichnete Schenkung einiger Güter an dieses Kloster durch die Gräfin Sophie von Raabs gehört nicht ins Jahr 1204, wie bisher angenommen wurde, sondern ist um 1220 anzusetzen. -- Über verwandtschaftliche und kulturelle Beziehungen der Wittelsbacher zum aragonisch-sizilischen Königshaus im 14. Jahrhundert handelt H. Finke ( 911) auf Grund einiger Urkunden, die er im Kronarchiv in Barcelona gefunden hat.

Der Jahrhundert-Erinnerung an den Bauernkrieg verdanken wir eine größere Anzahl von Aufsätzen und selbständigen Darstellungen, von denen für unser Gebiet erwähnt seien das Büchlein von Braun ( 944), das die gleichzeitige religiöse Bewegung, mehr wie sonst geschieht, heranzieht. D. Bayerlein ( 945) schildert im Anschluß an die zeitgenössischen Quellen (Lorenz Fries und Martin Cronthal) die Vorgänge in Würzburg, während E. Heuser ( 947) in einem künstlerisch gut ausgestatteten Schriftchen den Bauernaufstand in der Pfalz nach den Berichten Peter Haarers neu erzählt. -- Die Lebensskizze des Pfalzgrafen Wolfgang ( 964) von Zweibrücken hält sich eng an die ausführliche 1893 erschienene Biographie des Prinzen von Karl Menzel. Der heldenmütige Wittelsbacher ist bekanntgeworden durch seinen abenteuerlichen Zug nach Frankreich, den er 1569 zur Unterstützung der Hugenotten unternahm. Pfalzgraf Wolfgang wurde kurz nach Vereinigung seiner Truppen mit den Franzosen von einem typhösen Fieber dahingerafft, sein Leichnam unter großen Schwierigkeiten auf dem Seewege nach Deutschland zurückgebracht. Dem Aufsatz sind mehrere auf den Feldzug in Frankreich bezügliche Aktenstücke und die Kirchenvisitationsordnung für das Herzogtum Zweibrücken von 1560 beigegeben.

Einige Briefe der Prinzessin Auguste Wilhelmine von Zweibrücken, der ersten Gemahlin Max Josefs und Mutter Ludwigs I., an ihre Nichte Therese, Fürstin von Thurn und Taxis, aus den Jahren 1785--1796 veröffentlicht R. Freytag ( 1041). Die vom Herausgeber aus dem Französischen übersetzten


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Briefe enthalten nichts Politisches, gewähren aber einen wohltuenden Einblick in das glückliche Familienleben der früh von Krankheit heimgesuchten Fürstin.

Die auch stilistisch ansprechende Dissertation E. Bauernfeinds ( 2199) schildert die Schicksale des Hochstifts Eichstätt während der Wirren der Revolutionskriege bis zur endgültigen Säkularisation durch Bayern. Den Ansprüchen des seit 1792 benachbarten Preußen stand das kleine geistliche Territorium mit seinen überlebten Einrichtungen ebenso hilflos gegenüber wie den siegreich vordringenden französischen Truppen. Der Fürstbischof verließ das Land, dessen Schuldenlast infolge der Kriegswirren auf fast 2 Mill. fl. anwuchs. Teilnahmslos nahm die Bevölkerung im November 1802 die Besetzung durch Bayern hin, dem das Hochstift durch den Reichsdeputationshauptschluß zufiel. Eine kurze Selbständigkeit erhielt Eichstätt zurück, als es nach langen diplomatischen Verhandlungen 1803 zusammen mit Salzburg dem Großherzog Ferdinand von Toskana als Entschädigung für sein in Italien verlorenes Gebiet zugesprochen wurde. Der aus dem Musterstaat Toskana kommende Minister Manfredini begann alsbald durchgreifende Reformen im Sinne der Aufklärung. Doch bereits 1805, im Frieden von Preßburg, kam das ehemalige Hochstiftsgebiet, nachdem es nochmal die Schrecknisse des Krieges erfahren hatte, endgültig an Bayern. Die auf einem umfangreichen Aktenmaterial aufgebaute Arbeit des inzwischen verstorbenen Verfassers hat die Drucklegung, die vor kurzem erfolgte, wohl verdient.

Die gesetzgeberischen und organisatorischen Maßnahmen Montgelas, die Bayern aus einem föderativen Territorialstaat zum modernen Staat umschufen, macht Ludwig Doeberl ( 2514) zum Gegenstand eingehender Untersuchungen. Montgelas war in Straßburg durch seinen Lehrer Christian Koch mit der französischen Staatsauffassung, der Lehre von der völligen Unabhängigkeit des Staates nach innen und außen, bekanntgeworden, und hatte in München als Mitglied des Illuminatenordens die Ideen der Aufklärung in sich aufgenommen. Nach diesen Grundsätzen suchte er als leitender Minister alle Hemmnisse zu beseitigen, die der vollen Auswirkung der Staatssouveränität im Wege standen, mochten sie ständischer oder kirchlicher Art sein. Für Selbstverwaltungskörper war in seinem Staate kein Platz mehr. So wurde, wie Verfasser im einzelnen nachweist, der Kampf aufgenommen gegen die adligen Grundherren, gegen die Selbständigkeit der politischen Gemeinden, gegen die Kirche und die Reichsritterschaft. Das Jahr 1808 war der Höhepunkt dieser Reformen, bei denen Montgelas von einem Stab gleichgesinnter Mitarbeiter unterstützt wurde. Gleichzeitig setzte aber immer stärker von seiten der Betroffenen der Widerstand ein gegen die sich rücksichtslos über alles historisch Gewordene hinwegsetzende, dem deutschen Wesen innerlich fremde Neuordnung des Staates. Die zweite Hälfte der Regierung Max Josefs zeigt auf allen Gebieten der Gesetzgebung und Verwaltung eine rückläufige Bewegung, nicht zuletzt unter dem Einfluß des von der Romantik berührten Kronprinzen Ludwig, der sich gegen die Montgelas'sche Staatsauffassung wandte. -- In einem Zweige der Staatsverwaltung, dem Postwesen, hat sich, wie A. Heut ( 1878) ausführt, die Idee der Staatssouveränität siegreich durchgesetzt. Gegen die Ausübung des Postregals durch die von den Habsburgern abhängigen Taxis war in Bayern schon immer ein stiller Kampf geführt worden. In den napoleonischen Kriegen, als Bayern an die Seite Frankreichs trat, mußte das


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außerstaatliche Postinstitut erst recht als ein Fremdkörper empfunden werden. Es lag daher ganz in der Richtung der von Montgelas betriebenen Staatspolitik, daß am 20. Dezember 1805 die Einziehung des Postregals verfügt wurde. Die nun erfolgende Überlassung der Administration des Postwesens an die Taxis als königlich bayerisches Thronlehen war nur für eine kurze Übergangszeit gedacht. Um die Bildung eines Bundespostwesens innerhalb des Rheinbundes zu verhüten, nahm Montgelas den bei der Reichspost bestehenden Geheimdienst im Interesse des Wiener Hofes zum Vorwand und hob die 1805 getroffenen Vereinbarungen auf. Am 17. Februar 1808 wurde die Post in Bayern vollständig in staatliche Verwaltung genommen und im Laufe des Jahres neu organisiert. Die Taxis wurden nach langen Verhandlungen mit 60 000 fl. Entschädigung abgefunden. Verfasser hat seinem Buche eine Reihe von Akten beigegeben, von denen besonders die Zessionsakte des Fürsten Taxis vom 28. Februar 1808 und die Konstitutionsakte der Generaldirektion der Post vom 1. März 1808 interessieren, durch welche die bayerische Post auf eine neue Grundlage gestellt wurde.

Für eine gerechtere Beurteilung der Leistungen Bayerns in den Befreiungskriegen tritt Bezzel ( 1100) ein, indem er auf die schwierige Lage, in der sich das Land zu Beginn des Jahres 1813 befand, hinweist. Der Wiederaufbau der in Rußland vernichteten Armee stieß auf Schwierigkeiten, da die neuerworbenen fränkischen Gebiete zu Preußen neigten, während die salzburgischen Gebiete und Tirol österreichisch gesinnt waren. Der König, der Napoleon so viel verdankte, und der in französischen Anschauungen befangene Montgelas konnten sich nur zögernd zu einer Napoleon feindlichen Politik entschließen. Diese Haltung der Regierung, von der nur der deutschgesinnte Kronprinz Ludwig eine Ausnahme machte, wirkte lähmend auf das Volk. In dem noch jungen, aus verschiedenen Volksteilen zusammengesetzten Staat konnte eine Begeisterung wie in dem einheitlicheren Norden nicht aufkommen. Doch fehlte deutsche Gesinnung und vaterländische Begeisterung nicht völlig. Nach dem durch den Vertrag von Ried erfolgten Anschluß an die Verbündeten hemmte die unentschlossene Haltung des benachbarten Württemberg den Vormarsch Wredes. An der Hand neuer bayerischer Akten beleuchtet Verfasser die Intrigen des württembergischen Hofes, den Wrede durch ein Ultimatum zur Entscheidung zwingen mußte. Die gegen Wredes Kriegführung in Frankreich erhobenen Angriffe weist Verfasser als unbegründet zurück. Wrede war ein kluger Führer und ein guter Deutscher, der mit Ernst sich für die Sache der Verbündeten einsetzte.

Einen dankenswerten Beitrag zur Geschichte der süddeutschen Presse im Jahre 1848 bietet die Dissertation von Traub ( 1162). Die in städtischen Bürger- und Beamtenkreisen vielgelesene »Augsburger Abendzeitung« vertrat unter ihrem Verleger J. C. Wirth eine liberal-konservative Politik im Sinne der Ideen Friedrich Rohmers. Die Freunde Rohmers, der bekannte Politiker Karl Brater und der aus Württemberg stammende Dr. Gustav Widenmann waren in den Jahren 1848/49 nacheinander Redakteure der Zeitung. Verfasser verfolgt die Haltung des Blattes während der einzelnen Phasen und Ereignisse der Revolution.

Die Entwicklung Karl Braters zum Führer der kleindeutschen Partei in Bayern unter dem Eindruck des italienischen Krieges von 1859 macht Kurt


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v. Raumer ( 1180) zum Gegenstand einer gedankenreichen Untersuchung. Während die ultramontane Richtung und die großdeutsch gesinnten Kreise auf Unterstützung Österreichs um jeden Preis drängten, vertrat K. Brater in seiner im April 1859 gegründeten »Bayerischen Wochenschrift« die Auffassung, daß der Krieg gegen Napoleon III. nur im Verein mit Preußen geführt werden dürfe. Eine Teilnahme am Krieg habe ferner zur Voraussetzung, daß Österreich sich zu Reformen im liberalen Sinne bereit erkläre. Dann werde der von allen deutschen Stämmen siegreich durchgeführte Krieg von selbst den politischen Zusammenschluß -- die deutsche Einheit -- bringen. Braters publizistische Tätigkeit wurde unterstützt von seinen Freunden Bluntschli und Hermann Baumgarten, während Heinrich v. Sybel publizistisch weniger hervortrat, aber wegen seiner Beziehungen zu preußischen Politikern ein geschätzter Bundesgenosse war. Im Parlament führten den Kampf im liberalen Sinne Marquardt Barth und Josef Völk. Der für Österreich unglückliche Ausgang des Krieges zeigte die Unmöglichkeit der Lösung der deutschen Frage im großdeutschen Sinne. Unter diesem Eindruck rang sich Karl Brater zögernd vom Vertreter des gesamtdeutschen Gedankens zum Anhänger der kleindeutschen Richtung durch. Überzeugt, daß nur eine Agitation großen Stils die deutsche Einheit herbeiführen könne, wurde Brater nun als Leiter der »Bayerischen Wochenschrift« und ihrer Nachfolgerin, der »Süddeutschen Zeitung«, ein Vorkämpfer der Ideen des Nationalvereins, und half im Süden -- besonders in den fränkischen protestantischen Kreisen -- den Boden bereiten für eine Lösung der deutschen Frage im kleindeutschen Sinne.

Die von Brater vertretene politische Richtung wurde in Bayern am schärfsten bekämpft von den katholisch-konservativen Kreisen. Über deren Stellung zur deutschen Frage verbreitet sich A. Doeberl ( 1704). Der von Zander herausgegebene »Volksbote« und die »Historisch-politischen Blätter«, die seit 1852 der aus dem Görreskreis hervorgegangene E. Jörg leitete, traten für den ständisch gegliederten, streng föderalistischen Staat ein. Während des Krimkrieges und im Kriege von 1859 standen diese Blätter entschieden auf seiten Österreichs. In der späteren Zeit richteten sie ihre leidenschaftlichen Angriffe gegen den Nationalverein und die von ihm vertretenen kleindeutschen Ideale.

Eine Ehrenrettung des Prinzen Karl von Bayern, des obersten Befehlshabers der Bundestruppen im Jahre 1866, unternimmt Frauenholz ( 1202). An den Mißerfolgen der bayerischen Truppen trug nicht die Heerführung des Prinzen die Schuld, der ein tüchtiger General, wenn auch kein überragender Feldherr war. Sie sind vielmehr zurückzuführen auf die mangelnde Ausbildung der Truppen, für deren Schlagfertigkeit das sog. Einstehersystem verderblich war, das gerade die Tüchtigen vom Heeresdienst befreite. Den bayerischen Truppen fehlte das Selbstvertrauen und die Siegeszuversicht, die den Gegner auszeichneten. Dem Prinzen waren diese Mängel bekannt, und nur zögernd und mit Sorge übernahm er die Oberleitung. Bei den nichtbayerischen Teilen des Bundesheeres stieß Prinz Karl auf starken Widerstand, der in Eifersucht und Abneigung gegen Bayern seinen Grund hatte. Eine vornehme und weiche Natur wie Prinz Karl vermochte unter diesen Umständen nicht seine Autorität zur Geltung zu bringen und seine Befehle durchzusetzen. So konnte es, wie Verfasser am Verlauf des Feldzuges zeigt, nicht zu einem ehrlichen Zusammenarbeiten


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und zu einem einheitlichen Operationsplan kommen. Die gegen den Prinzen nach dem unglücklichen Ausgang des Krieges erhobenen Beschuldigungen und Verdächtigungen waren daher unverdient. Dem Buche sind eine Reihe neuer, die Vorgeschichte und den Verlauf des Krieges beleuchtenden Aktenstücke beigegeben, darunter Privatbriefe des Prinzen an seinen Bruder König Ludwig I. und seinen Neffen Ludwig II.

M. Doeberl ( 1203) setzt seine Studien zur bayerischen Geschichte im 19. Jahrhundert mit einem weiteren Band fort, der den Eintritt Bayerns ins Deutsche Reich 1870 behandelt. Verfasser stellt an die Spitze seiner Ausführungen den Satz, daß die Politik der bayerischen Regierung aus der damaligen Lage Bayerns erklärt werden müsse und kommt demzufolge in vielen Einzelheiten zu anderen Ergebnissen als die norddeutschen Historiker, die bei ihren Forschungen den gesamtdeutschen Maßstab anlegten. Bayerns Eintritt ins Deutsche Reich erfolgte nur zögernd. Es war das einzige deutsche Land, dem es nach Bismarcks Urteil gelungen war, ein wirkliches Nationalgefühl auszubilden. Die Dynastie fürchtete für ihre Souveränität, die Landtagsmehrheit war ein entschiedener Gegner des Kaisertums der Hohenzollern. So ist es verständlich, daß der leitende bayerische Minister Graf Otto von Bray, der mit diesen Widerständen zu rechnen hatte, sich nur langsam zu einer Politik entschließen konnte, die die deutsche Frage im kleindeutschen Sinne löste. Es ist eines der Hauptverdienste des Doeberlschen Buches, daß es die Bedeutung Brays ins rechte Licht setzt gegenüber der Auffassung bayerischer Kreise (Luise v. Kobell u. a.), die dem König in allen entscheidenden Fragen die Initiative zuschreibt. So drängte Bray nicht nur nach Ausbruch des Krieges auf bedingungslose Erfüllung der Bündnisverträge, er war es auch, der unter dem Eindruck der militärischen Erfolge vom König die Ermächtigung erbat, mit Bismarck über den Anschluß Bayerns an den Norddeutschen Bund in Verhandlungen zu treten. Die Münchener Vorkonferenz vom 22.--27. September, deren Protokolle Doeberl erstmals im vollen Wortlaut mitteilt, bedeutet nicht, wie Ruville und Lorentz behauptet haben, einen Rückfall in partikularistische Tendenzen. Bei den Verhandlungen in Versailles standen sich bayerische und preußische Wünsche zunächst schroff gegenüber, da die bayerische Regierung nicht dem Norddeutschen Bund beitreten, sondern nur auf der Grundlage eines weiteren Bundes verhandeln wollte. Es gelang den bayerischen Unterhändlern nicht, mit ihrer Auffassung durchzudringen. Die Verfassung des Norddeutschen Bundes wurde mit geringen Änderungen die Verfassung des Deutschen Reiches, doch kam Bismarck, der einen freiwilligen, keinen erzwungenen Eintritt Bayerns wünschte, dem Staat durch Einräumung einer Ausnahmestellung innerhalb des Reiches entgegen. Diese Zugeständnisse erleichterten Bray seine Stellungnahme zur Kaiserfrage. Das Kapitel, in dem Verfasser das Kaiserproblem behandelt, gehört zu den eindrucksvollsten des Buches. Es war für den bayerischen Staatsmann keine leichte Aufgabe, den in den höchsten Vorstellungen von seiner Würde lebenden König Ludwig II. dazu zu bewegen, den bekannten, von Bismarck verfaßten Brief an König Wilhelm zu senden, in dem er ihn um Annahme des Kaisertitels bat. Nicht ohne tiefe Bewegung liest man die vom Verfasser mitgeteilten Briefe der Prinzen Luitpold und Otto, in denen sie den König beschwören, nicht zum Totengräber der Dynastie zu werden. Wenn sich Ludwig II. schließlich herbeiließ, seine Zustimmung zu


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geben, so geschah es nur, um zu verhindern, daß ein anderer deutscher Staat die Initiative ergriff. Verfasser weist in einem Schlußkapitel, das »Das Bismarckische Reich und sein Verhältnis zu Bayerns König und Volk« betitelt ist, nochmals auf die weise Mäßigung Bismarcks hin, der durch seine kluge Politik nach 1870 den deutschen Einzelstaaten und ihren Fürsten das Einleben in die neuen Verhältnisse erleichterte. Ludwig II. verehrte in Bismarck den Beschützer der Rechte der Bundesfürsten. Doeberl schließt seine bedeutsamen Ausführungen, für die zum erstenmal die bayerischen Staatsakten in vollem Umfang herangezogen wurden, mit einer warmen Verteidigung des föderalistischen Charakters der alten Reichsverfassung, nicht ohne einen Blick zu werfen auf die jetzt wieder heiß umstrittenen Probleme des Föderalismus und Unitarismus. Wenn Doeberl gerade in diesem Punkt nicht allgemeine Zustimmung gefunden hat (vgl. auch die Anzeige durch W. Mommsen oben S. 288), so liegt hier ein Gegensatz politischer Anschauungen vor, über den sich eine letzte Einigung nicht erzielen lassen wird.


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