III. Geschichtliche Landeskunde.

Eine Reihe von Beiträgen sowohl notwendiger Kleinarbeit als umfassender Überschau müssen in diesem Zusammenhang hier vermerkt werden. Zunächst die aufschlußreiche Studie H. Wopfners ( 534), der sich nicht damit begnügt hat, die um 565 unternommene Alpenreise des Venantius Fortunatus in vielfach neuer Routenziehung zu verfolgen, vielmehr allenthalben auch Exkurse einflicht, so über die mutmaßlichen Gründe des von Venantius gewählten Umweges, über die romanisierten illyrischen Breonen, über die gleichzeitigen Kämpfe zwischen Franken und Byzantinern u. dgl. m., und -- nicht ohne neuerliche (siedlungsgeschichtliche) Zugaben -- mit einem Hinweis auf die Art der Landschaftsschilderung abschließt.

Die Chroniken aus dem niederösterreichischen Waidhofen an der Ybbs, die Thomas Mayr ( 227a) veröffentlicht, gehen auf das Jahr 1795 zurück, stammen von verschiedenen Verfassern und sind durch eigene Aufzeichnungen M.s, die sich »Hungerchronik« nennen, bis auf das Erlebnis des Weltkrieges fortgeführt. (B.)

K. Schiffmann ( 1804) hat nunmehr die im Auftrag der Wiener Akademie der Wissenschaften begonnene Herausgabe der mittelalterlichen Stiftsurbare Oberösterreichs zum Abschluß gebracht. Den ersten drei Teilen, die die Urbare, nach territorialen Gesichtspunkten gegliedert, enthalten, schließt sich der vierte Teil mit zwei Nachträgen (Ranshofen und Traunkirchen), einem Personen- und Ortsnamenregister, einem Glossar und Sachregister an. -- Fr. Sekkers Nachrichten aus der Geschichte der oberösterreichischen Burgen und Schlösser, Städte und Klöster ( 531) sind als Begleittext zur jüngsten Neuausgabe von Vischers Topographie des Landes gedacht und in der Reihenfolge der Kupferstiche aus S.s reichhaltigen historischtopographischen Nachrichtensammlungen geschöpft. Quellenzitate fehlen leider fast ganz. Die Entwicklungsgrundlagen der oberösterreichischen Städte hat S. besonders behandelt ( 530). -- Diesen Veröffentlichungen zusammenfassenden Charakters ist noch E. Baumgartingers Studie ( 227) besonders anzureihen, der darin durch mehr als acht Jahrhunderte die mannigfachen Schicksale, auch die wirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse der ursprünglich Kremsmünster zugehörigen Herrschaft Scharrnstein, westlich der Krems, bis zu deren Wiedererwerbung durch das Stift verfolgt, wobei die eigenartige Entwicklung des Landgerichts mit seinen »Landhuebern« (Beisitzern), Wasser- und Forstrechten besonders betont ist.

Die steirische Landesgeschichte hat in H. Pirchegger einen ebenso vielseitigen Forscher wie gewandten Darsteller gefunden. In Tilles Deutschen Landesgeschichten hat er sie 1920 bis 1283 geführt, 1924 einen knappen Überblick bis zur Gegenwart folgen lassen, dem er nunmehr ( 224) in


S.629

wesentlich reicherer Ausstattung und in verdoppeltem Umfang einen neuen Abriß anreiht. Den Abschnitten über Vor- und Römerzeit, die politische und kulturelle Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit, über Geschichtsquellen, Geschichtsschreibung und Landeskunde sind wertvolle Literaturübersichten beigegeben, die durch zahlreiche Kartenskizzen und eine große mehrfarbige Entwicklungskarte der Steiermark von 955 bis 1500 samt erläuternden Bemerkungen trefflich ergänzt werden. -- Das schön ausgestattete Gedenkbuch für Südsteiermark ( 225) enthält eine Reihe von geschichtlichen (A. A. Klein, »Türkennot«, Fritz Popelka, »Franz Táhy, ein Schloßherr auf Stattenberg im 16. Jahrhundert«), literaturgeschichtlichen (M. Rüpschl, »Untersteirisches aus dem Mittelalter«, F. Pock, »Von der deutschen Presse in Untersteiermark«), kunstgeschichtlichen (H. Egger, W. Suida) und geistesgeschichtlichen (A. Gubo, »Beiträge zur Schulgeschichte«) Beiträgen, die alle, wie es nicht anders möglich ist, den deutschen Charakter des südsteirischen Kulturlebens dartun. (B.)

Nordtirol betreffend kommt E. Klebel ( 866) vermittels eindringlicher, auch die benachbarten bayrisch-schwäbischen Gerichte miteinbeziehender, knapp formulierter historisch-topographischer Einzeluntersuchungen im Verein mit Erwägungen rechtsgeschichtlicher Art zu dem Ergebnis, daß eine welfische, den Staufern vererbte Grafschaft im Oberinntal »doch keine haltlose Annahme« sei. -- Hier sei auch gleich Kuk ( 2193) genannt, der in einer an weitere Kreise sich wendenden Darstellung den in der Tiroler Erhebung von 1809 führenden Männern geistlichen Standes biographische Denkmäler setzt. (B.) -- Erfreulich ist das Interesse für das deutsche Südtirol ( 221), dem eine Vortragsreihe gewidmet wurde. Während Voltelini in knappen Zügen den geschichtlichen Nachweis erbringt, daß die Bayern wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts vom Kessel von Bozen Besitz ergriffen haben und daß das Bistum Trient bis zu seiner Säkularisation 1803 als Bestandteil des Deutschen Reiches galt, und auf den Anteil dieses Landes an der Blüte deutschen Schrifttums hinweist, zeigt W. Winkler »Deutschsüdtirol im Lichte der Statistik«. Die hier auf die Zählungen von 1880, 1890, 1900 und 1910 sich aufbauenden Ziffern lassen über den deutschen Charakter Deutschsüdtirols keinen Zweifel aufkommen. (B.) -- Den Ortsnamen Bozen im besonderen behandelt K. v. Ettmayer ( 667), der geneigt ist, ihn nicht als einen römischen, aus dem Gentilnamen Baudius abgeleiteten, sondern in der bei P. Diaconus erstmalig belegten Form Bauzanum (= Dornenverschanzung) als einen ligurischen zu deuten. -- Bezüglich der wichtigsten Trientiner Chroniken des Mittelalters gibt G. Gerola ( 871) als Vorstudie für einen Ergänzungsband der Scriptores rerum Italicarum eine knappe quellenkritische Übersicht. Neben einer alten Ordo episcoporum von 1039/43 (mit zahlreichen chronikalischen Fortbildungen) und einer auch Trient berührenden Bozener Chronik von der Mitte des 14. Jahrhunderts sei hier besonders auf Hinderbachs autobiographische Notizen sowie auf die Geschichtsschreiber des Roveretanerkrieges Erzherzog Sigismunds von Tirol (1487) hingewiesen.

A. Helboks Regesten zur Geschichte Vorarlbergs und Liechtensteins ( 182) sind gleicherweise ein erster Abschluß und ein vielversprechender Auftakt. Denn die historische Landeskommission hatte zunächst ein Urkundenwerk ins Auge gefaßt, für das H. im 8. Bande des Archivs für


S.630

Geschichte und Landeskunde Vorarlbergs das Programm entwarf. Indes mußte jenes Urkundenwerk zunächst einem Regestenwerke weichen, das, bis 1500 geplant, mit dem Jahre 1260 einen ersten Abschluß gefunden hat. H.s Programm hatte erst das Territorium selbst näher zu umschreiben, ein doppelt schwieriges Beginnen bei einem Lande wie Vorarlberg, das sich erst spät zu leidlicher Einheit entwickelt hat. Dazu kam weiter die Schwierigkeit, daß das Urkundenwesen des Landes bis tief ins 10. Jahrhundert hinein im wesentlichen den eigenartigen Charakter der das römische Urkundenwesen lange forterhaltenden rätoromanischen Urkunde aufweist. Begreiflich, daß ihr bei dieser Sachlage H. im Verein mit R. v. Planta besondere Exkurse widmen mußte. Das Vorwort der 3. Lieferung unterrichtet über Umkreis und Überlieferung der aufgenommenen Stücke, sowie über die Grundzüge der Bearbeitung. Ein Gesamtregister sowie ein Siegelverzeichnis samt Siegeltafeln sind beigegeben. -- Die Genealogie der Grafen von Montfort-Werdenberg hat H. besonders behandelt ( 484). -- Auch A. Ulmers historisch-topographische Beschreibung der vorarlberg-liechtensteinischen Burgen und Edelsitze ( 223) ist eine weitausholende wissenschaftliche Unternehmung, die eine methodische, literarisch und archivalisch wohl unterbaute Zusammenfassung der Geschichte der rund hundert Burgen (Edelsitze) und ihrer Inhaber anstrebt. In diesem Sinne hat U. dem zweiten, beschreibenden Abschnitte, der die ehemalige Burg in der Bregenzer Oberstadt, das Schloß Hohenbregenz auf dem Gebhardsberg und die »Alteburga« auf dem Amberg bei Feldkirch (?) umfaßt, eine ausführliche Einleitung über die vorrömischen und römischen Baureste, sowie über Adel und Adelssitze im allgemeinen vorausgeschickt. -- Ins 19. Jahrhundert führt uns Gsteu ( 1673), der die Schwierigkeiten aufzeigt, die der Absolutismus Franz II. den Vorarlbergern bereitete, als es anläßlich der Wiedervereinigung ihres Landes mit der Monarchie (nach dem bayrischen Zwischenspiel) galt, den Artikel 13 der Bundesakte durchzuführen, d. h. eine landständische Verfassung einzurichten. Zwar wurden 1816 Wahlen ausgeschrieben und vollzogen, aber es fehlte an einer Feststellung der Befugnisse dieser Landstände. Daß es in dieser Hinsicht zu keiner endgültigen Entscheidung kam, dazu trug auch die Furcht bei, die Wiederbelebung der Stände würde den Einfluß der Schweizer Umstürzler im Lande stärken. Dem 1832 gemachten Ansinnen, Vorarlberg mit Tirol auch in der Verfassung zu verbinden, antworteten die Vorarlberger Stände mit einem Nein. (B.)


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)