c) bis 1918.

Mitten in die bewegten Zeiten des Dreißigjährigen Krieges fällt das Leben des aus Sachsen stammenden Tepler Prämonstratensers Zacharias Bandhauer, für dessen Wirksamkeit in Magdeburg und Chotieschau Pietschmann ( 2108) viel Neues beibringt. Besonders bemerkenswert aus dem Schaffen Bandhauers ist eine Darstellung der Zerstörung Magdeburgs durch Tilly, wonach der Feldherr in milderem Lichte erscheint.

Im 19. Jahrhundert überwiegt in der Geschichte der Sudetenländer durchaus der nationale Gedanke. Es bleibt daher stets reizvoll, die Einstellung der einzelnen bedeutenderen Persönlichkeiten hiezu kennenzulernen, da so allein oftmals die Frage der Zugehörigkeit zum deutschen oder tschechischen Volke entschieden werden muß. So hat Novák ( 2786a) das bereits aus den gedruckten Schriften des Fürsten Friedrich Schwarzenberg, des »letzten Landsknechtes«, erfaßbare Bild durch die teilweise Wiedergabe bisher unveröffentlichter Tagebücher und einer Selbstlebensbeschreibung, welche auf Schloß Orlik erliegen, in seiner nationalpolitischen Einstellung eindeutig festgestellt. Dieser Fürst war ein tschechischer Landedelmann reinsten Wassers, der freilich noch eine erhebliche Dosis an ständischen Überzeugungen mit sich trug, so daß er sich auch nicht völlig zum modernen nationalen Gedanken durchzuringen vermochte. Obwohl er nur deutsch schrieb, fühlte er doch im Innern völlig tschechisch, stand er auf dem Boden des historischen böhmischen Staatsrechtes, hielt er den österreichischen Zentralismus für das Verderblichste von der Welt, für den Mord der einzelnen Nationen. Besonders in den unveröffentlichten »Postdiluviana«, die in der Bachschen Ära entstanden, spie er Gift und Galle gegen das zentralisierende Wien und Österreich, aber auch gegen die Deutschen. Er sah in der Germanisation eine große Gefahr, daher lehnte er das deutsche Wesen überhaupt ab. Dennoch besaß er nicht den Mut, auch äußerlich völlig mit dem Deutschtum zu brechen, wohl mit Rücksicht auf seine hochadlige Stellung und aus Achtung vor der Dynastie. Schwarzenberg beurteilt die Zeitereignisse zuweilen sehr scharfsinnig, so daß seine Ansichten für die tiefere Erfassung der fünfziger und sechziger Jahre gute Dienste leisten können. Aus den Reihen der Deutschen ist er entschieden zu streichen. Unangebracht erscheint, daß Novák mit dem letzten Landsknecht einige Lanzen gegen die angeblich hetzerisch veranlagten deutschen Professoren bricht.

Die Gesinnungsfrage hat Mitis (Zahraniční politika 1925), ohne Not in tschechischer Sprache, auch an Kronprinz Rudolf gestellt. Zur Beantwortung der Frage nach dem Verhältnis Rudolfs zur tschechischen Nation vermochte er sich auf den im Wiener Staatsarchiv erliegenden Nachlaß zu stützen. Der Kronprinz wurde schon von klein auf in der tschechischen Sprache planmäßig unterrichtet, zunächst durch Spindler, in reiferen Jahren durch die Historiker Gindely und Jireček, die beide einen tiefen Eindruck auf das rege Gemüt des Knaben machten und die Slawophilie seiner Jugend mitbedingten. Schrieb er auch seinem Vater hie und da tschechische Briefe, so fällt das nicht so ins Gewicht wie seine spätere Liebe zum tschechischen Volke. Gern ließ sich sein jugendliches Gemüt von den Sympathien der Bevölkerung einspinnen, als er nach Prag versetzt wurde. Damals schwebte ihm die Vorherrschaft der Slawen in Österreich nicht als das schlechteste Ziel vor. Als Rudolf jedoch nach Wien


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kam, trieb ihn sein Haß gegen Klerikale und Feudaladel immer mehr in die Arme der liberalen Kreise, und dies waren die Deutschliberalen, so daß er von dieser Seite her immer weiter dem tschechischen Volke entfremdet wurde. In der Rassenfrage huldigte er liberalen Grundsätzen. Gegen die slawischen Ideen und gegen die Tschechen fand er nunmehr scharfe Worte. Die, welche »ein großes, selbständiges tschechisches Staatsgebilde«, sei es unter einem Habsburger oder einem anderen Herrscher, anstrebten, hielt er für »Narren«. Man durfte begierig sein, wie dieser so vielversprechende junge Herrschersohn sich einst durch die Skylla und Charybdis des Nationalitätenkampfes Österreichs hindurchretten werde. Das Schicksal hat ihm diesen Weg erspart.

Wichtige Beiträge für die politische Rührigkeit der Tschechen in den sechziger Jahren liefert Kazbunda ( 2778/79), welcher der berühmt gewordenen und im offiziellen Österreich mit Entsetzen aufgenommenen Moskauer Wallfahrt der Tschechen 1867 und dem Besuche des Prinzen Jérome Napoleon in Prag 1868 (Zahraniční politika 1925) eingehende Darstellungen angedeihen läßt. War im Innern das stete politische Streben der Tschechen auf den Ausgleich gerichtet, so ließen sie nach außen hin keine Gelegenheit ungenützt vorübergehen, um Fäden zu den europäischen Großmächten anzuspinnen, vornehmlich zu Rußland und Frankreich. Für die Stärkung der Beziehungen zu Frankreich arbeitete besonders Rieger, der sich darin von seinem Schwiegervater Palacký aufs beste beraten sah. Rieger wollte durch einen Druck von Frankreich her die österreichische Ausgleichsfrage einer Lösung zutreiben. Schon 1862 war er in London gewesen, 1869 zweimal in Paris, wobei er stets auch Beziehungen zu den polnischen Emigranten unterhielt. 1869 ging er noch einen Schritt weiter, erwirkte sich bei Napoleon III. eine Audienz und überreichte ein Memorandum, in welchem die Föderalisierung Österreichs und die Befriedigung der einzelnen Nationen, voran der Tschechen, verlangt wurde. (Zuletzt gedr. von Hajn in »Vojna a mír«, erschienen in der Sbírka časových věcí, Bd. 5 [1919].) Dieses Memorandum, vertraulich überreicht, kam doch bald zur Kenntnis der Wiener Regierung. Ebenso verfolgte die französische Regierung diese Angelegenheit durch ihren Wiener Gesandten Gramont weiter, der ein »Memoire sur la question tchèque« vom 1. September 1869 ausarbeitete, welches ungemein interessant ist, vor allem deswegen, weil es durchweg im tschechenfeindlichen Sinne gehalten ist und die Forderungen der Tschechen als große Gefahr für Österreich hinstellt, da Frankreich dieses unbedingt erhalten wissen wollte. Daher fanden auch die tschechischen Bestrebungen in Frankreich keinen rechten Widerhall. Das zweite Memorandum ist eine Kundgebung tschechischer Abgeordneter vom 8. Dezember 1870 zugunsten Frankreichs gegen das preußische Deutschland, wogegen sich jedoch sofort Beust stellte. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker wird hier von den Tschechen laut gefordert.

Wie dieses Fordern schließlich politische Wirklichkeit geworden ist, zeigt Masaryk ( 2781) in seinem Erinnerungswerke, das, aus der Feder des geistigen Urhebers und des Begründers der tschechoslowakischen Republik stammend, als erstrangiges Quellenwerk der vollen Beachtung wie der Nachprüfung wert ist. Es ist inzwischen auch ins Deutsche übersetzt worden.


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