VI. Wirtschaftsgeschichte.

Es ist schwer, von Arbeiten, wie die Mendls ( 2782/83) zur mittelalterlichen Stadtwirtschafts- und Sozialgeschichte sind, in wenigen Worten die Ergebnisse zusammenzufassen. Mendl ist einer der wenigen tschechischen Historiker, die sich mit der Wirtschaftsgeschichte der älteren Zeit befassen. Šustas Führerschaft ist dabei stets anzuerkennen. Mendls Arbeiten für das 14. und beginnende 15. Jahrhundert stützen sich zum größten Teil auf Archivalien. Sie besitzen daneben noch den besonderen, durch die Pekař- Schule mit Glück angewandten Vorzug, daß sie die Entwicklung der Sudetenländer in die gesamtmitteleuropäische hineinstellen, wodurch erst eine richtige Wertung und Urteilsbildung möglich wird. Mendl hat sich seine Fragestellung vor allem aus Italien, Frankreich, den Niederlanden und Deutschland geholt, von denen er jedem einen Abschnitt in seiner Arbeit »Die soziale Krise« widmet. Stützt er sich auch dabei selbstverständlich nur auf die vorhandene Literatur, so weiß er sie doch geschickt auszuschöpfen und für seine Zwecke fruchtbar zu machen. Er arbeitet daher in der Art einer vergleichenden Wirtschaftsgeschichte, was für die Rechtsgeschichte ja längst eingebürgert ist und nunmehr durch Kötzschkes Allgemeine Wirtschaftsgeschichte auch hier angebahnt wird.

Mendl stützt seine Arbeiten vor allem auf die genaue Durcharbeitung des allgemeinen, zum Teil gedruckten Quellenmaterials des 14. Jahrhunderts, wobei ihm Šustas Dvě knihy českých dějin eine verläßliche Vorstufe bildeten, dann besonders auf die Steuer- (Losungs-) Bücher von Brünn, Iglau, Znaim, Eger, Budweis, Chrudim und teilweise von Prag, für das er auf einem anderen Wege in einer großangelegten Sonderuntersuchung an die gleichen Probleme wie


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schon 1916/17 in seiner Abhandlung »Hospodařské a sociální poměry v městech pražských v. l. 1378--1434« (Wirtschaftliche und soziale Verhältnisse in den Prager Städten in den Jahren 1378--1434) im Český čas. hist. mit umfassender Quellenkenntnis herantritt. Mendl geht es um dreierlei: 1. um die soziale Struktur der böhmisch-mährischen Städte im 14. Jahrhundert, demnach um die Zusammensetzung, materielle Lage und Beschäftigung der Bevölkerung, 2. um die politische Bedeutung und Auswirkung dieser sozialen Verhältnisse, 3. um die Bedeutung, welche die Lage der städtischen Bevölkerung für die hussitische Bewegung, und umgekehrt das Hussitentum für die soziale Entwicklung der Städte hatte. Nur einige wichtige Ergebnisse seien hier festgehalten. Die Meinung, es habe in den Städten nur eine verhältnismäßig geringe Zahl Besitzloser gegeben, ist falsch. Die Vorstellung vom vorwiegend landwirtschaftlichen Charakter mittelalterlicher Städte ist sehr zu berichtigen zugunsten der Handels- und Gewerbetreibenden. Nur Znaim macht eine Ausnahme. Die Sombartsche Lehre von der Entstehung großer Kapitalien aus akkumulierter Grundrente, die ja Sombart längst selbst aufgegeben hat, lehnt Mendl auch für sein Gebiet ab. Die Besitzverhältnisse der Mietleute und einer großen Zahl selbständiger Wirte sind sehr bescheiden. Im Gegensatz zu den Ergebnissen Büchers für Frankfurt sind z. B. in Brünn unter den Handwerkern 41% vermögenslos. Der städtische Grundbesitz ist durch Steuern und Renten arg überlastet und verschuldet, was Mendl besonders an Prag bis ins einzelne nachweist. Die Armut der Bevölkerung hatte auch rechtliche Folgen. Der Erwerb des Bürgerrechtes wurde an ein bestimmtes Vermögen geknüpft. Die so gern betonte wirtschaftliche Ausgeglichenheit, jene mittelalterliche städtische Ordnung, wo jedem die bürgerliche Nahrung ungefähr gewährleistet war, hat nicht bestanden. Im Gegenteil zeigen die sozialen Kämpfe des 14. Jahrhunderts bereits scharfe Gegensätze zwischen arm und reich, zwischen dem Großteil der Bürgerschaft und dem Patriziat, das tatsächlich, wenn auch nicht rechtlich, vorhanden war und die politische Führung an sich riß. Zuweilen verbündete sich das arme Stadtvolk mit dem Herrscher zur Niederwerfung des Patriziats. Zur ärmeren Bürgerschaft zählen vornehmlich die Handwerker, so daß sich für die soziale Lage des Handwerks auch in der Zeit Karls IV. ein ziemlich trübes Bild ergibt. Das Patriziat verankerte dann seine Stellung besonders durch den Erwerb von Grundbesitz, wodurch der Feudalisierungsvorgang bedeutende Fortschritte machte.

Bei den sozialen Kämpfen, bei denen sich in den Niederlanden besonders die Textilarbeiter hervortaten -- zwischen den Aufständen in den Niederlanden und in Prag ergeben sich gewisse Zusammenhänge --, spielen in den Sudetenländern die Tuchmacher eine gewisse führende Rolle, wenngleich sie nicht das Gesamtbild, wie in den Niederlanden, beherrschen. Hier zeigt sich mehr eine Gleichmäßigkeit in der Verteilung der einzelnen Gewerbe. Auch die Behauptung Büchers, daß in den Städten der Handwerkerstand bei weitem überwogen habe, bestätigt sich nicht, da sich z. B. in Brünn zeigt, daß eine beträchtliche Zahl von Kaufleuten vorhanden gewesen ist. Mendl sucht aus der Zahl der Steuerzahler die Einwohnerzahl zu berechnen und kommt für die Altstadt Prag zu dem ungefähren Ergebnis von 9000, Brünn 8000, Eger 4500, Budweis 2700, alles für die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts. In Brünn lassen sich 85 verschiedene Handwerke, in Prag-Altstadt 77 nachweisen.


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Die Höhe der städtischen Steuern überwog bei weitem den Grundzins, manchmal um das 12--24fache. Für Prag untersucht Mendl die Vermögensverhältnisse vor der Hussitenzeit und kommt zu dem Ergebnis, daß in der Altstadt ein viel größerer Wohlstand in einer Oberschicht vorhanden war, der fast die Hälfte der Bevölkerung als besitzlose Mietleute gegenüberstand, während in der Neustadt die Zahl der Mietleute geringer war. Sie besaß demnach sozial ausgeglichenere Verhältnisse. Dieser Unterschied kam dann auch im verschiedenen Schicksal während der Hussitenstürme zum Ausdruck. In der Neustadt dringen die Handwerker viel rascher in den städtischen Rat ein. Die Verschuldung war nach Mendl in Prag groß. Er folgert nun, daß die Hussitenstürme mit der Aufhebung aller Schulden und Renten in Prag eine wohltätige und wirtschaftliche Errungenschaft gebracht hätten, da dadurch die sozialen Gegensätze erheblich gemildert worden seien. Hier setzt mit Recht die Kritik Pekařs (Česk. časop. hist. XXXII, 147 ff.) ein, welcher die rücksichtslose Enteignung und Mißachtung des Privateigentums durch die Hussiten keineswegs billigt und geltend macht, daß die sozialen Gegensätze nicht ausgeglichen worden sind, daß durch diese Maßnahmen ein großer Teil Armer und Ärmster schwer betroffen wurde, so daß sich großes Elend allenthalben breitgemacht habe. Zugleich haben sich die Umstürzler schamlos am herrenlosen Gut bereichert. Die völlige Beseitigung des Zinsnehmens durch die Hussiten im Sinne des kanonischen Rechtes schuf als Folgeerscheinung, daß nunmehr allein die Juden Geld verliehen und unmäßig hohe Zinsen, manchmal 130%, erhoben. Was Pekař bei dieser Gelegenheit gegen das Loblied Mendls auf die wirtschaftlichen Vorteile der hussitischen Revolution sagt. verdient ob seiner grundsätzlichen Bedeutung wörtliche Wiedergabe. »Ich erkläre mir das Lob Mendls aus dem bei uns geläufigen Kult des Hussitentums, dem alles, was hussitisch ist, vollkommen und ausgezeichnet ist, eines Kultes, der bei uns namentlich in den letzten Jahren unter dem Einfluß bekannter Faktoren einen so unkritischen Charakter angenommen hat, und der auch einen ernsten Forscher manchmal der Freiheit beraubt, die Wahrheit zu erkennen und zu sagen.«

In den allgemeinen finanziellen Zusammenbruch in der Zeit nach dem Weißen Berge führt Oliva ( 2789) trefflich ein, der ein großes Material über den Münzverfall, die allgemeine Teuerung usw. in reicher Menge beibringt. Oftmals wird man an die Inflationszeiten der jetzigen Nachkriegsjahre gemahnt, wenn man etwa hört, daß die Getreidepreise um 2600--4000% gestiegen sind und das Geld entsprechend entwertet wurde. Daß dabei die Stimmung der Bevölkerung nicht rosig war, wie ebenfalls Oliva ( 2787) zeigt, ist begreiflich.

Die Bauernfrage bildete ein Hauptstück der Wohlfahrtspolitik des 18. Jahrhunderts. Die böhmischen Länder nahmen darin eine führende Stellung ein. Stets waren Bemühungen im Gange, dem Bauernstande wieder auf die Beine zu helfen. Zahlreiche Denkschriften und Gutachten wurden dabei eingeholt, die sich auf die gesamte Staatswirtschaft, auf Handel und Industrie ausdehnten, wobei freilich die agrarische Frage stets als Kernfrage im Mittelpunkt stand. Besonders die Jahre 1770--1772 stellten ob eines großen Mißwachses die Not deutlichst vor Augen. Damals griff auch Fürst Karl Egon Fürstenberg, der gerade Oberstburggraf in Prag war, zur Feder und schrieb zwei umfangreiche Memoriale, ebenso der Oberstlandschreiber Freiherr von Astfeld, wie Prokeš ( 2794) ausführt. Fürstenberg war damals auch eine der wichtigsten Persönlichkeiten


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im geistig-politischen Leben Böhmens. In seinen nationalen Anschauungen gehörte er ganz in die Reihen der böhmischen Patrioten. Deutsch schrieb und sprach er, aber auch die Tschechen vernachlässigte er nicht. Ungemein tief war in ihm das soziale Mitgefühl für das niedere Volk verankert. Vertrat er ja auch politisch den Grundsatz, daß die Stimme einer unglücklichen Mehrheit heiliger sein müßte als die Stimme weniger Einzelner, ein Satz, der so ganz der Aufklärung entsprang. 1772 nun schrieb er vier Denkschriften: 1. »Wohlmeinende Gedanken über die sich täglich und augenscheinlich verschlimmernden Umstände des Königreiches Böhmen«, 2. »Kurzer Begriff einer ständischen Leihbanck«, 3. »Unmasgebigste Anmerkungen über das Votum Camerae«, 4. »Von dem Robotwesen«. Ein Hauptübel für die gesamte wirtschaftlich schlechte Lage des Landes sah er in dem unaufhörlichen Abströmen des Geldes aus Böhmen und im Mangel an Umlaufsgeld. Er trachtet die Gründe aufzudecken, zeigt Mittel für die Beschaffung und Verwendung des Kredites, wobei er von der Grundüberzeugung ausgeht, daß der erste Schritt keineswegs zum Vorteil des Handels, sondern zur Erhebung der Landwirtschaft getan werden müßte. Zur Kreditbeschaffung schlug er die Errichtung einer ständischen Leihbank vor, deren Aufbau er darlegt. Vor allem dem Bauer müßten Kredite gewährt werden. Der Verfall von Ackerbau und Viehzucht sei auf die Unwissenheit und den bösen Willen der Herrschaftsbeamten wie des Volkes zurückzuführen. Der schlechte Stand oder die Auflassung der herrschaftlichen Meiereigespanne sei mit für den bäuerlichen Niedergang verantwortlich. Aber auch das Bauernlegen und die Robotentlastungen. Weitere Ursachen sind in der Sorglosigkeit, Unwirtschaftlichkeit und Armut eines Großteiles der Gutsbesitzer und in dem allzugroßen Umfange der Güter, Meierhöfe und Bauerngründe, aber auch in den großen Roboten zu suchen.

Überdies sind die Bauern nicht Eigentümer des Grundes. Für all diese Übelstände schlägt Fürstenberg Abhilfe vor, wobei die Aufklärung von Obrigkeit, Beamten und Volk obenan steht. Fürstenberg hat sich sonst niemals als volkswirtschaftlicher Schriftsteller betätigt, obwohl er, nach diesen Proben zu schließen, das Zeug hierzu gehabt hätte. Aus seinen Denkschriften erhellt, daß er ein Gegner des Sonnenfelsschen österreichischen Wohlfahrtsstaates, dafür ein ergebener, wenngleich gemäßigter Anhänger der physiokratischen Lehre war. Dabei wirkte besonders Hume auf ihn, mochte er sich auch damit in Wien nicht beliebt machen, wo immer die Heiligkeit des Staates und der Staatsnotwendigkeiten über alle naturrechtlichen Erfordernisse erhoben wurde.

Den Reformvorschlägen folgten praktische Versuche. Einer, vor allem in Böhmen durchgeführt, knüpft sich an den Namen Raab, dessen Aufteilungssystem durch Grünberg bereits klargelegt wurde. Einige neue Beiträge hierzu bietet nun Procházka ( 2793), der vor allem auch die Stellung Josefs II. zu dem Werke zu zeichnen versucht. Daß Raab unter ihm nicht mehr die alleinige Rolle spielte, hängt damit zusammen, daß sich Josef nicht auf ein System allein festlegte, sondern in ihrer Mannigfaltigkeit eine Gewähr für eine dauernde Besserung ersah. Procházka untersucht, wo in Böhmen das Raabsche System eingeführt wurde, kommt aber nur zu einem stückhaften Ergebnis, da er die Wiener Akten nicht benutzen konnte. Er schildert den Vorgang bei der Aufteilung, untersucht die rechtliche Natur der Raabisationsverträge und rechnet mit der Möglichkeit einer Übernahme der Emphyteuse des römischen Rechtes.


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Die Wirkungen des neuen Systems verfolgt er genauer an dem Budweiser Material. Ein Vergleich des Raabschen Systems mit der Entwicklung in den übrigen europäischen Ländern ergibt, daß zwar das Gedankengut, das der Reform zugrunde lag, Allgemeingut aller Physiokraten war, daß es aber vor den österreichischen Ländern nur in Savoyen praktisch durchgeführt wurde, freilich ohne daß es dort von längerer Dauer gewesen wäre. Zweifellos bedeutete das System gegenüber den herrschenden Zuständen einen Fortschritt, wenngleich keine dauernde Besserung. In der Viehwirtschaft ist ein Steigen der Rinder- und Pferdezahl, dagegen eine Abnahme der Schafzucht festzustellen. Schließlich bespricht Procházka noch die Raabschen Grundbücher, die bisher noch so gut wie nicht ausgewertet wurden und doch über den Umfang der Bewegung Auskunft geben.

Eine Teilarbeit in dem Bodenreformwerk bildete auch die Teilung der Gemeindeweiden. Damit wurde an ein Erbe, das noch aus der Gründungszeit vieler Gemeinden unversehrt geblieben war, gerührt. Der individualistische Kampf gegen jedes Kollektivum setzte auch hier ein, zumal hier noch die reale oder vermeintlich reale Ursache hinzukam, daß das Vieh auf der gemeinsamen Weide sehr leicht ansteckenden Krankheiten ausgesetzt sei. Die Erscheinung, die Weiden aufzuteilen und in Ackerland umzusetzen, ist in fast allen Ländern West- und Mitteleuropas anzutreffen. Urheber der Weidepatente in Österreich war Graf Philipp Sinzendorf, der bei Maria Theresia und Josef ein bereitwilliges Ohr für seine Vorschläge fand. Niederösterreich bildete diesmal die Versuchsstation. 1768 wurden für die Sudetenländer die entsprechenden Weideteilungspatente erlassen. Zum erstenmal griff die Regierung des aufgeklärten Absolutismus in das innere technische Leben der Landwirtschaft ein. Grundsatz war, die Weiden je nach der Größe des Einzelbesitzes der Gemarkungsgenossen aufzuteilen. Die Erfolge, welche sich die Regierung schon nach zwei Jahren versprach, stellten sich nicht so rasch ein. In Böhmen wurden insgesamt 25 000 Morgen aufgeteilt, und zwar in der Zeit vom Ende des 18. Jahrhunderts bis ins 19. Jahrhundert. Hier fügt Černý ( 2772), der all diese Fragen untersucht, ein wertvolles Verzeichnis für 1770 an, in welchem für alle Kreise Böhmens Einwohner-, Viehzahl, Ausmaß der Weide und ihre etwa schon erfolgte Aufteilung angegeben ist. Bei den Teilungen hat man nach Möglichkeit auch Häusler und Gärtner berücksichtigt. Durch die Teilungen wurde überhaupt die Zahl der kleinen Landwirte bedeutend vermehrt. Die ganze Bewegung war in der Tat zunächst rein obrigkeitlich geleitet, da sich Bauern und Gemeinden gegen das Abweichen von Jahrhunderte alter Gepflogenheit sträubten. Ja die Bauern waren oftmals damit einverstanden, daß die Weiden für herrschaftliches Dominikalland ausgegeben wurden, da dieses verschont blieb. Dadurch gerieten dann oft die Weiden dauernd in herrschaftlichen Besitz. Überdies gab es noch zwei Hintertüren: es wurden Weiden für die Schafe und für das durchziehende Vieh ausgenommen, die dann von den einzelnen Gemeinden so groß belassen wurden, daß der gesamte Erfolg der Regierungspatente hinfällig wurde. Dazu war die Durchführung der Patente äußerst mangelhaft. Wichtig ist, daß die Chalupner die Zusage erhielten, die Weiden würden in gleiche Teile aufgespalten werden.

Im Zusammenhang mit den Weideteilungen wurde zugleich die Hebung der Landwirtschaft erwogen. Vor allem war man bestrebt, den Kleebau zu fördern


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und den Anbau von Futtermitteln anzuregen. Černý gibt überdies eine Reihe statistischer Nachrichten über den Viehstand und seine Entwicklung in Böhmen und Mähren. Er kommt zu dem Ergebnis, daß im 18. Jahrhundert im Verhältnis zur Bevölkerungszahl mehr Vieh gehalten wurde als in unserer Zeit. Dafür war im 18. Jahrhundert das Vieh von schlechterer Qualität. Daher tauchten bereits damals allenthalben Vorschläge zur Veredelung des Viehes auf. Besonders wohltätig erwiesen sich in allen Fragen die landwirtschaftlichen Gesellschaften. Ist zum Beginn des 19. Jahrhunderts ein allgemeiner Viehrückgang zu verzeichnen, dann hing es mit den vielen Kriegen zusammen. Man erwog in dieser Zeit neuerdings, an die Weideteilungen heranzutreten. Aber es fanden sich viele Gegner wie beim Raabschen System. Der Regierungsapparat arbeitete viel zu schleppend, so daß trotz verschiedentlicher Anregungen Franz' I. bis 1848 sich nichts gändert hat, wo ja dann die Weidefrage im Zusammenhang mit der allgemeinen Grundentlastung eine Lösung gefunden hat. Nach diesem Überblick wirkt freilich die Tat Maria Theresias von 1768 wie eine große Geste. Für die Flurgeschichte aber ist wichtig, daß bereits in dieser Zeit, als die einzelnen Flurkarten angelegt worden sind (um 1840), doch ein Teil der Gemeinheitsteilungen durchgeführt gewesen ist, woraus sich ja die ungemein regelmäßigen, kleinen Teilstücke eines Flurplanes von selbst erklären.

Roubík ( 2796) zeigt, wie verbitternd die Aufhebung des josefinischen Robotpatentes durch Leopold II. auf die Bauernschaft wirkte, welche jeden Augenblick ausnützen wollte, ihre Lage wieder zu verbessern. Ob eines von untergeordneten Verwaltungsstellen verursachten Mißverständnisses bei der Übermittlung des Einberufungsschreibens für den böhmischen Landtag von 1792 schickten die Bauern einiger Herrschaften aus Westböhmen Vertreter auf den Landtag, die freilich bald genug umkehrten. Die große, von der Regierung befürchtete Bauernrevolte entstand nicht.

Das böhmische Bergwesen ist bei weitem noch nicht erschöpfend behandelt. Welche Rolle darin gerade das deutsche Erzgebirge, vor allem Joachimsthal, gespielt hat, läßt Lorenz in seinen »Bildern aus Alt-Joachimsthal« farbenprächtig teilweise erstehen. Streift die Arbeit auch bewußt nur das Bergwesen, so ergeben sich doch aus dem Buche eine ganze Reihe äußerst wichtiger Tatsachen. Amerikanisch mutet der rasche Aufstieg der Talstadt an, die mit 18 200 Einwohnern und 900 Zechen die größte Ausdehnung 1534 erreicht hatte. Der Niedergang setzte gleich nach der Mitte des 16. Jahrhunderts ein, das Volk lief auseinander, 1613 wurden nur noch 529 Erwachsene gezählt, welche sich nunmehr mit der Spitzenklöppelei befaßten. Äußerst anziehend sind die kulturgeschichtlichen Bilder, die Joachimsthal als einen Knotenpunkt deutscher Stämme und deutscher Bildung erscheinen lassen. -- Der Entstehung des Kohlenbergbaues in Böhmen geht Mareš (Čas. přátel starožitností 1925) nach. Die älteste Erwähnung stammt von 1463 für das Rakonitz-Kladnoer Gebiet. Im Laufe des 16. Jahrhunderts nimmt der Kohlenbergbau an Umfang zu. 1550 erhielt der Joachimsthaler Hauptmann Bohuslaw Felix Hassenstein von Lobkowitz von Ferdinand ein Kohlenbergbauprivileg für das Saazer, Leitmeritzer und Schlaner Gebiet. Vor allem die aus Sachsen stammenden Brüder Stange nahmen sich seit der Mitte des 16. Jahrhunderts des Kohlenbergbaues sehr an, sie durchforschten Böhmen nach Fundstellen und wußten in einem Bericht von 1591 bereits die Brüxer, Karlsbader, Elbogner, Pilsener und Budweiser


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Kohlenlager als sehr ergiebig anzugeben, obwohl man von diesem Wissen im 16. Jahrhundert keinen Gebrauch machte. Das 17. Jahrhundert verlor fast ganz die Kenntnis von den Kohlenvorkommen. Erst mit dem Beginn des 18. Jahrhunderts ließen sich zuerst die Schwarzenberge, durch einen Engländer angeregt, bewegen, auf ihren Herrschaften Kohlen suchen zu lassen. Einen bedeutenden Aufschwung nahm der Kohlenbergbau nach 1740 besonders bei Teplitz. 1756 wurde das Steinkohlenlager in Buschtěhrad entdeckt, um 1800 bei Kladno bereits allseits nach Kohlen gegraben. Durch den Elbeverkehr wurden die böhmischen Kohlen dann ab 1830 bis Magdeburg geschafft.

Der böhmische Handel hatte seit jeher einen starken Rückhalt an Nürnberg. Es ist bemerkenswert, daß Brabec ( 2771) auch von tschechischer Seite auf die engen Beziehungen Böhmens nach Nürnberg hinweist, die Fäden vom 13. bis ins 16. Jahrhundert auf Grund des vorhandenen Schrifttums verfolgt. Mochten sich auch dann die Handelsmittelpunkte verschieben, so zeigt doch Volf (Sbornik věd státních a právních 1925), daß die engen Bindungen Böhmens an Nürnberg auch im 17. und 18. Jahrhundert noch vorhanden waren, wie das Buchverlagswesen lehrt. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sind eine Reihe wichtiger Buchhändler Nürnbergs nachweisbar, welche böhmische Rechtssammlungen verlegten und überhaupt das Land mit Büchern versorgten. Die wichtigsten waren Johann Zieger und Balthasar Joachim Ender. Der erste bedeutendere einheimische Buchhändler in Prag war dann Karl Franz Rosenmüller. 1732 verlauten die ersten Proteste der Prager Buchhändler gegen die Nürnberger.

Hand in Hand mit dem Emporblühen der Industrie ging die Entstehung der deutsch-böhmischen Arbeiterbewegung, der Strauß ( 1978) bis 1888 eine Darstellung hat angedeihen lassen. Diese läßt freilich für den Fachmann in den älteren Teilen viele Wünsche offen und verrät den Dilettanten, widert überdies durch die übertrieben tendenziöse Färbung an. Daß dennoch einige bedeutendere Arbeiterführer Deutschböhmens aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in helleres Licht gerückt worden sind, sei gern anerkannt.

Zur Bevölkerungsstatistik sowie zur sozialen Schichtung hat Blaschka in seinem Trautenauer Untertanenverzeichnis von 1651 (Jahrb. d. Riesengebirgsver. 1925) nach dem Muster Šimáks für Böhmisch-Aicha einen methodisch wertvollen Beitrag gebracht, der zeigt, wie die statistischen Quellen des 17. Jahrhunderts ausgebeutet und durch Populationsdiagramme veranschaulicht werden können. Überdies sei als wichtiges Kriterium bei der Wertung der Altersangaben hervorgehoben, daß man dabei abgerundete Zahlen, die sich in der Hauptsache nach dem Sexagesimalsystem richten, angegeben findet, die den wirklichen Verhältnissen nur annähernd entsprechen.

Dvořáček ( 2775) bietet eine ungemein wichtige Abhandlung über die Bevölkerungsverhältnisse der Sudetenländer seit der ersten staatlichen, amtlichen Zählung von 1754 bis zur letzten, 1921. Dvořáček bemüht sich, genaue Angaben über die Ergebnisse der einzelnen Zähljahre seit 1754 festzustellen, das bisher veröffentlichte Zahlenmaterial auf Grund seiner archivalischen Arbeiten zu berichtigen und seine Ergebnisse in übersichtlichen Tabellen zusammenzustellen, so daß die einzelnen Zahlen sehr bequem zugänglich sind. Zunächst stellt er die allgemeinen Zahlen für die einzelnen Länder Böhmen, Mähren und Schlesien fest, dann läßt er die wieder an Tabellen veranschaulichte


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Entwicklung der einzelnen Kreise folgen. Die Arbeit hat einen großen Wert für eine ganze Reihe von Disziplinen, nicht zuletzt für die Geschichte, da erst durch die Bevölkerungszahlen und ihr Wachsen viele Probleme der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte ihre reale Unterlage erhalten.


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