IX. Baltische Staaten.

Überblicke über die Geschichte der baltischen Staaten von de Vries (S. 678) und Wulffius ( 2634) kommen zu dem in Deutschland allgemein anerkannten Ergebnis, daß Estlands und Lettlands gesamte politische


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Vergangenheit wie ihre heutige Kultur und Wirtschaft allein auf deutschen Grundlagen beruhen, während Litauen erst in den letzten Jahrhunderten durch Einwanderung von Grundbesitzern, Bauern und Arbeitern mit dem Deutschtum in stärkere ununterbrochene wirtschaftliche und soziale Berührung gekommen sei. --Seraphims ( 2635) Überblick hat besonderen Wert durch die wiederholte Anführung der Chroniken selbst. -- Von Selbsterlebtem und -gehörtem ausgehend, stellt der ehemalige Reichsduma-Abgeordnete Baron Foelckersam ( 2636), nur der Form nach in erster Linie für einen baltischen Kreis, die staatsrechtliche und tatsächliche Machtstellung der Ritterschaft in Regierung, Verwaltung, Agrarwesen, Kirche, Schule, Wohlfahrtspflege, Medizinalwesen und im gesellschaftlichen Leben in ihrer überragenden Bedeutung dar. -- v. Tobiens ( 2638) mit Unterstützung des baltischen Adelkonvents veröffentlichter erster Band über die Geschichte der 1920 gewaltsam aufgelösten Ritterschaft ist die wervollste geschichtliche Leistung von und über Auslanddeutschtum im vorliegenden Berichtsjahr. Das den Kampf der Ritterschaft für Bekenntnis, Muttersprache und selbständiges geistiges und Verfassungsleben behandelnde Buch erhält durch seinen weiten und unvoreingenommenen Blick und die Reife des politischen Urteils Bedeutung für die Erkenntnis der gesamten russischen Innenpolitik der letzten Jahrzehnte. Es ist ein erster Versuch einer zusammenhängenden Darstellung der livländischen Innenpolitik. Aufgebaut ist die Darstellung auf einer Fülle wertvollsten, bisher fast ganz unveröffentlichten handschriftlichen Materials, wovon die Bestände des Ritterschaftsarchivs, die Tagebücher des ehemaligen Landmarschalls Meyendorff, die Immediatberichte des Generals Sinojew und Staël von Holsteins »Materialien« die wichtigsten sind. --Pohrt ( 2637) betont die völlige Wesensgleichheit der großen christlichen Glaubensbewegungen in Livland mit den deutschen und gesteht erst der russischen Zeit einen besonderen baltischen Zug zu. --Johansen ( 2639) weist den allseitigen Einfluß der Deutschen auf die estnische Siedlung nach und arbeitet die Verdienste von Orden, Rigaischem Domkapitel und Zisterziensermönchen um Landesausbau und Innenkolonisation gut heraus. -- Das von Greiffenhagen ( 2640) in extenso zum Abdruck gebrachte Tagebuch Peter von Halles läßt persönliche Beziehungen des estländischen Reformators zu Luther erkennen. --

Einen Ausschnitt aus der baltischen Kleinstadtkultur des ausgehenden 19. Jahrhunderts bringen v. Sehrwalds ( 2641) Erinnerungen. -- Das von Johansen ( 2642) edierte älteste »Wackenbuch« Altlivlands, eine der ersten Aufzeichnungen über Bauernschulden überhaupt, wirft neues Licht auf das allmähliche Herabsinken der fast durchweg estnischen Bauern zu schollengebundenen Pächtern und auf die Nationalitätenverhältnisse des ausgehenden Mittelalters und gibt ein weit anschaulicheres Bild der ländlichen Zustände des 15. Jahrhunderts, als es bisher über Estland zu gewinnen war. -- v. Stackelbergs (S. 677) Veröffentlichung bildet die Fortsetzung zu dem bereits 1898 und 1900 veröffentlichten Akten- und Urkundenschatz des seit dem Jahre 1305 in Dorpat nachzuweisenden bedeutenden baltischen Geschlechts; die streng wissenschaftliche Darstellung ist wichtig für die Geschichte des Ordens und die Genesis der Ordenskolonisation; Exkurse behandeln die Vorgeschichte Ugauniens und die Anfänge deutscher Besiedlung, worin der Nachweis für die niederdeutsche Herkunft der ersten einwandernden Geschlechter und der anfänglichen


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Leiter des Ordens erbracht wird. -- Zu gleichem Ergebnis führt eine Durcharbeitung der von Adelheim ( 2643) modernen Prinzipien entsprechend und in stark erweiterter Fassung herausgegebenen Sammlung von 90 Revaler Ahnentafeln, die (was A. in Zweifel zieht) den 1692 verstorbenen Küster Laurenhy zum Verfasser haben sollen. -- v. Bordelius ( 2644) behandelt die Geschichte des 1572 vom polnischen Grafen Chotkiewitz gegründeten, rein deutschen, sein Magdeburger Recht und deutsche Verwaltung trotz lettischer Einwanderung im 18./19. Jahrhundert bewahrenden Schoden in Litauen. -- Manche kulturgeschichtlichen Aufschlüsse vermittelt, obwohl zum größeren Teil nur für Angehörige von Interesse, das Erinnerungsbuch des deutschbaltischen Korps Rubonia (S. 677).


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