I. Quellenkunde und Sammelwerke.

Das schwer zu erfassende und weitverstreute genealogische Schrifttum bedarf in besonders dringender Weise der bibliographischen Ordnung und Überwachung. Seit dem Berichtsjahr 1925 ist hierfür durch die umsichtigen Arbeiten der »Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte« in Leipzig Wertvolles geleistet worden. Johannes Hohlfeld und Friedrich Wecken veröffentlichen seit Februar 1925 regelmäßig in den »Familiengeschichtlichen Blättern« monatliche Übersichten über die »Neuerscheinungen auf dem Gebiete der Genealogie und verwandter Wissenschaften«, die die Grundlage zu den in den »Mitteilungen« der Zentralstelle erscheinenden Jahresübersichten »Familiengeschichtliche Bibliographie« bilden. Die ersten beiden dieser Jahreshefte, für 1921 und 1922, bearbeitet von Friedrich Wecken, sind 1925 erschienen ( 431); inzwischen sind die Arbeiten wesentlich fortgeschritten, und bis zum Frühjahr 1927 sind bereits die weiteren Hefte bis einschließlich 1925 herausgekommen (1923/24 als Heft 33, 1925 als Heft 35 der »Mitteilungen«). Die »Familiengeschichtliche Bibliographie, Jahrgang 1925«, gibt somit bereits einen annähernd vollständigen Überblick über das genealogische Schrifttum des Berichtsjahres. In gewissenhafter Kleinarbeit sind auch die Hunderte von Stamm- und Ahnentafelveröffentlichungen in den genealogischen Sammelwerken bibliographisch verarbeitet. Die Zahl der in dieser Weise bibliographisch verarbeiteten 1570 Erscheinungen genealogischer Art allein für 1925 kennzeichnet am besten die umfangreiche, tüchtige Arbeit, die auf diesem Gebiete geleistet wird, und die lebhafte Anteilnahme, die ihr entgegengebracht wird.

Durch das aufblühende genealogische Vereinswesen ist nicht nur eine Befruchtung, sondern vielfach auch eine zwecklose Zersplitterung des genealogischen Publikationswesens eingetreten. Die Ende 1924 in Kassel gegründete »Arbeitsgemeinschaft der deutschen familien- und wappenkundlichen Vereine« sucht dem durch die Herausgabe eines gemeinsamen »Familiengeschichtlichen Such- und Anzeigenblattes« entgegenzuwirken, das, bis dahin als Beilage der »Familiengeschichtlichen Blätter« erschienen, nunmehr im


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4. (1.) Jahrgang in den Kommissionsverlag von Degener & Co. in Leipzig (XXII, 200 S., 8°) übergegangen ist. In den 1671 familiengeschichtlichen Rundfragen dieses Jahrganges steckt ein wertvolles Material.

Von den »Mitteilungen der Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte« ist außer den beiden Jahresbibliographien noch ein drittes Heft erschienen, das eine wichtige Quellenübersicht enthält: Machholz' Verzeichnis der Kirchenbücher der Provinz Sachsen ( 461). Man erfährt daraus erneut mit Besorgnis, welchen ständigen Gefahren diese unersetzlichen Quellen für Orts- und Sozialgeschichte durch die unsachgemäße Aufbewahrung in den Pfarrhäusern ausgesetzt sind -- das ältere Verzeichnis von Krieg (vom Jahre 1898) führt in nicht weniger als 150 Fällen ältere Kirchenbücher auf, die in den amtlichen Verzeichnissen von 1923, die Machholz' Arbeit zugrunde liegen, verschwunden sind. Es muß allerdings berücksichtigt werden, daß diese pfarramtlichen Meldungen anscheinend zum Teil nicht mit genügender Sorgsamkeit erstattet worden sind (vgl. die Besprechung von Thiele, Mühlhäuser Geschichtsblätter 1925/26, S. 350--352). Ohne eingehende persönliche archivalische Nachforschungen an Ort und Stelle werden solche, lediglich auf amtliche Unterlagen der Zentralbehörde aufgebaute Quellenverzeichnisse eben immer lückenhaft und fehlerhaft bleiben. Auch Anton Müller hat sein »Beschreibendes Verzeichnis« der Kirchenbücher der bayerischen Pfalz ( 451) nicht allenthalben auf persönliche Einsichtnahme begründen können, vor allem wegen der zeitlichen Besatzungsschwierigkeiten; dennoch ist seine Arbeit wesentlich mehr als ein »erster Versuch«, wie er sie allzu bescheiden nennt. Er hat zu seinen kurzen Beschreibungen der pfarramtlichen Zustände auch die weitschichtige Literatur und archivalische Unterlagen herangezogen und angeführt, wodurch er den Weg zu weiteren Nachforschungen wesentlich ebnet. Aus der Reihe genealogischer Quellenveröffentlichungen verdient die des Goslarer Bürgerbuches von Bonhoff ( 458) hervorgehoben zu werden.

In dem genealogischen Schrifttum kann man drei voneinander in der Grundlage weitab liegende Richtungen unterscheiden, in denen zugleich der Streit um Ziel und Aufgabe der Genealogie seinen Ausdruck und Niederschlag findet. Unter Führung der Zentralstelle in Leipzig und der anderen großen genealogischheraldischen Vereine und ihrer Zeitschriften verfolgt die streng wissenschaftlich fundierte Richtung das Ziel einer wesentlich soziologisch orientierten Wissenschaft, wie v. Klocke mehrfach und eindringlich ihre Aufgabe umrissen hat. (Vgl. Jahresberichte der deutschen Geschichte 6 [1923], S. 18.) Daneben tritt, unter Führung der Zeitschrift »Kultur und Leben« (Nürnberg, Spindler, 2. Jg. 1925) und des »Hallischen Genealogischen Abends«, eine mehr die gemütvoll-ethische Seite der Familienforschung betonende Richtung hervor, die sich auch vielfach mit der völkisch-rassenpolitisch eingestellten Linie des Berliner Vereins für deutschvölkische Sippenkunde, »Der deutsche Roland« (dessen »Mitteilungen« 1925 im 13. Jahrgang erschienen), kreuzt. Eine dritte, gefährlichere, weil oberflächliche und ideenarme, Richtung hat v. Klocke in der Zeitschrift »Kultur und Leben« ( 435) in treffender Weise als »Bric-à-brac-Genealogie« gekennzeichnet, die sich mit der kritiklosen Aufhäufung von losgelösten Einzeltatsachen begnügt und die Einstellung auf das Große und Ganze völlig aus dem Auge verliert. v. Klocke geißelt die geradezu sportmäßig betriebene, nur auf Namen und Zahlen erpichte, zeitlich möglichst weit zurückgehende Verfolgung


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von Ahnenreihen und die neuerlich hervortretende einseitige Bevorzugung der Ahnentafelforschung zuungunsten der Stammtafelforschung, die doch der Kernaufgabe der Genealogie: »der Erkennung von Aufbau, Wesenheiten und Auswirkung der Kleinfamilie oder des Großgeschlechtes als Sozialorganisation«, wesentlich wertvollere Dienste leiste.

Da Heydenreichs »Handbuch der praktischen Genealogie« seit Jahren vergriffen ist, fehlt in einer Zeit allgemeinen genealogischen Interesses merkwürdigerweise ein brauchbares Lehrbuch ganz. Das bei Degener & Co. in Einzelschriften herauskommende »Praktikum für Familienforscher« (bis Ende 1925 12 Hefte) bietet hier nur dürftigen, dabei einen sehr kostspieligen Ersatz. Die Hefte sind von verschiedenem Wert; sie ermangeln als Gesamtheit aber gerade der Eigenschaft, die für ein für zum Teil blutige Laien berechnetes Lehrbuch die wichtigste ist: der einheitlichen Form und des straff gegliederten, scharf zusammengefaßten Inhalts. Wenn der einführenden Bibliographie zwei ( 432, 499), der Handschriftenkunde ( 434), der Statistik ( 433) u. a. je ein Heft gewidmet wird, so wird dieses Praktikum schließlich drei Dutzend Hefte umfassen, ohne doch ein wirklich praktisches Handbuch zu werden.

Unter den genealogischen Sammelwerken verdienen die vier Gothaischen Taschenbücher -- das uradelige Taschenbuch ist 1925 ausgefallen -- zuerst genannt zu werden, die jetzt zugleich als »Adelsmatrikel der Deutschen Adelsgenossenschaft« (bzw. »der deutschen Standesherren«) dienen (Gothaischer Kalender, Genealogischer Hofkalender, Jg. 162. XXIV, 616 S.; Gothaisches Taschenbuch der gräflichen Häuser; alter Adel und Briefadel, Jg. 98, XV, 567 S.; Gothaisches Taschenbuch der freiherrlichen Häuser; alter und Briefadel, Jg. 75, XXIV, 696 S.; Gothaisches Taschenbuch der adeligen Häuser, Jg. 18, XXX, 928 S.). Der »Briefadel« bringt als »Reihe A« die vor 1806 geadelten Geschlechter. Da der briefadelige Band im Wechsel mit dem uradeligen erscheint, werden somit künftig die alt- und briefadeligen Geschlechter nur noch alle vier Jahre (Reihe A: bis 1806, Reihe B: seit 1806) zum Abdruck kommen. Das briefadelige Taschenbuch bringt 57, das freiherrliche 10, das gräfliche einen neuen Artikel. (Vgl. auch: v. Klocke, Aus der neueren Entwicklung des Gothaischen Genealogischen Taschenbuches, Westfälisches Adelsblatt, Jg. 2, 127--132.)

Aus dem Gebiet der Ahnentafelforschung ist über drei bedeutsame Sammelwerke zu berichten. Mit der 3. Lieferung ist der 1. Band der »Deutschen Ahnentafeln in Listenform« vollständig geworden, die von der Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte herausgegeben werden ( 443). Die Schriftleitung dieses Bandes besorgte Friedrich Wecken, dessen Tätigkeit sich aber im wesentlichen auf Herstellung äußerer Gleichförmigkeit beschränkt, während die wissenschaftliche Verantwortung für den Inhalt der Listen die einzelnen Einsender zu tragen haben; das erscheint angesichts mancher sehr angreifbaren Liste, wie der des Hans Albrecht v. d. Gabelentz (Nr. 69), wichtig zu betonen. Das Ahnentafelwerk der Zentralstelle enthält 120 Ahnenlisten, die sämtlich in der Reihenfolge der Kekuleschen Ahnenbezifferung abgedruckt sind. Die Vorzüge dieser Veröffentlichungsmethode verwandeln sich bei allzu großen Listen, wie der erwähnten Gabelentzschen, die auf 100 Spalten bis zu Ahn Nr. 16_384 hinaufführt, in offenkundliche Nachteile, da zusammenhängende Ahnenreihen hier bis zur völligen Unübersichtlichkeit


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auseinandergerissen werden. Hier wäre eine Zerlegung in einzelne Ahnenreihen, wie es die beiden nachfolgenden Werke tun, zweckdienlich und dringend zu empfehlen.

Die »Ausgewählten Ahnentafeln der Edda« ( 442), herausgegeben von der Buchungshauptstelle deutschen Adels (Abteilung VI der Deutschen Adelsgenossenschaft), beschränken sich grundsätzlich auf sechs Generationen (63 Ahnen) und verweisen weiterführende Ergänzungen auf neu aufzustellende Sondertafeln. Ferner bedienen sie sich einer außerordentlich anschaulichen und übersichtlichen Darstellungsform, indem sie von links nach rechts die Generationen nebeneinander, in sich in Listenform, stellen und dadurch die Vorzüge des Weckenschen Listensystems mit denen des sonst üblichen Tafelsystems verbinden. Das Werk verfolgt zunächst rein politischsoziale Zwecke »als eine siegverheißende Waffe im Kampf gegen den bedrohlich gewordenen Scheinadel und als ein Mittel zur rassischen Sicherung und Erneuerung des deutschen Adels«, indem es »zur Nacheiferung (in der Erhaltung der Reinheit des Blutes) anspornen und einen rassisch geprüften, gesicherten Bestand bilden« soll. Diese Prüfung ist eine urkundliche, wodurch das dargebotene genealogische Material an Bedeutung und Zuverlässigkeit viel gewinnt gegenüber anderen Veröffentlichungen ähnlicher Art. Voraussetzung für die Aufnahme ist der Nachweis der Adelszugehörigkeit und der Abstammung aus ariogermanischem (nordischem) oder rassisch diesem gleichzuwertenden Mannesstamm sowie von 32 solchen Vorfahren väterlicher- und mütterlicherseits«. Dagegen ist »der mit wahrer völkischer Auffassung nicht vereinbare Ahnenbegriff früherer Zeiten« fallengelassen und deutsches Bürger- und Bauernblut dem adeligen vollwertig gleichgestellt worden. (Vgl. hierzu: Johannes Hohlfeld, »Was ist Adel, und wer ist adelig?« Betrachtungen zum 1. Bande der »Edda«, Familiengeschichtliche Blätter, Jg. 24, Sp. 71--72.) -- Die dritte Sammlung von Ahnentafeln hat die Westdeutsche Gesellschaft für Familienkunde mit einem ersten Heft von 56 »deutschen Ahnenreihen« ( 442a) eingeleitet. Diese in umgekehrter Reihenfolge aufgestellten, also mit den Urgroßeltern beginnenden Ahnenlisten beschränken sich auf nur vier Generationen (15 Ahnen) und geben damit ein nur sehr unvollständiges Bild der Abstammung. Die Listen sind den Sammlungen der Gesellschaft entnommen, beziehen sich daher zum überwiegenden Teil auf das nordwestdeutsche Gebiet. -- Als eine Art Ableger der »Edda« sind die »Ahnenreihen aus allen deutschen Gauen« ins Leben getreten, die Paul Walter Böhme, v. Ehrenkrook und Förster als Beilage zu der Zeitschrift »Kultur und Leben« bei L. Spindler, Nürnberg, herausgeben (32 S., 8°). Zum Teil sollen diese Reihen dem von dem Verein »Ahnenlistenaustausch« in Chemnitz eingeführten System alphabetischer, d. h. adreßbuchartiger Zusammenstellungen aller Ahnenstämme des Probanden folgen, wobei in jedem Stamme die ermittelten Ahnen mit der Ahnenziffer und dem dazugehörigen Ehegatten aufgeführt werden; angewendet worden ist dieses System bisher in den veröffentlichten Listen nicht, und es bleibt abzuwarten, ob es sich bei seiner allzu einseitig auf bequemeres Nachschlagen eingestellten Anordnung bewährt. -- Gleichfalls in zwei Lieferungsbogen und als Beilage zu »Kultur und Leben« erschien der Anfang des »Lexikons deutscher Familien« von Paul Walter Böhme ( 32 S., 8°), das als Nachschlagewerk über bürgerliche Familien nach dem Vorbild von Kneschkes »Neuem


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allgemeinen deutschen Adels-Lexikon« gedacht ist. In die Schriftleitung ist mit Heft 2 noch Ernst Machholz eingetreten, der jetzt nach Böhmes Tod die Sammlung allein fortführt. Die stichwortartig gehaltenen Artikel geben unter Nennung des Einsenders einen Abriß der Familiengeschichte, Angaben über Wappen, Familienverband, Archiv, Nennung bemerkenswerter Familienangehöriger, zum Teil enthalten sie auch ganze Stammlisten. Das Werk könnte einen guten, praktischen Nutzen gewinnen, wenn es einmal in einer Reihe von Bänden Hunderte und Tausende von Familien enthält; bei dem sehr langsamen Erscheinen (bis Frühjahr 1927: 8 Hefte von 136 Seiten Umfang) haftet aber dem Werk noch zu sehr der Charakter des Zufälligen an.


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