I. Allgemeines und Sammelwerke.

Den geschichtlichen Fragen der Landeskunde, insbesondere der Siedlungsgeschichte, wendet sich andauernd lebhafte Aufmerksamkeit zu, in Würdigung der großen, grundlegenden Bedeutung, die Boden und Volkstum in der Geschichte haben. Da gerade diese Studien, bei denen landschaftliche und örtliche Forschungen mit gleichmäßig über größere Räume ausgedehnter Betrachtung vereint werden müssen, nur im Zusammenwirken zahlreicher bereitstehender Kräfte zu den bestmöglichen Ergebnissen gebracht werden können, so machen sich zurzeit verheißungsvolle Organisationsbestrebungen geltend, deren praktische Auswirkung freilich noch abgewartet werden muß.

Allgemeine Erörterungen über Begriff und Aufgaben der historischen Geographie haben nicht stattgefunden. Wohl aber kommt einer Arbeit H. Aubins ( 520), die der Erforschung der Rheinlande gilt, allgemeine Bedeutung in methodischer Hinsicht zu. Mit der Begründung des Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande an der Universität Bonn, in dessen Veröffentlichungen Aubins programmatische Schrift erscheint, ist eine sehr glückliche Organisation für diese Studien geschaffen worden; und mehr als dies: es wurden neue Arbeitsmethoden ersonnen und erprobt, neue Bahnen der Forschung beschritten. In einem Aufsatz Aubins über »Aufgaben und Wege der geschichtlichen Landeskunde« werden die grundsätzlichen Darlegungen geboten. Es handelt sich um eine schöpferische Synthese der Ergebnisse aller geschichtlich gerichteten Fachwissenschaften unter dem Gesichtspunkt, daß die historische Landschaft als einheitliches Gebilde erfaßt wird, ihre Entwicklung und kulturelle Eigenart daraus Beleuchtung empfängt. Erkenntnis der Naturlandschaft, Archäologie, Verfassungs- und Rechtsgeschichte, Wirtschaftsgeschichte, Siedlungskunde, Sprachwissenschaft, Volkskunde, auch Kirchen- und Kunstgeschichte sollen zu dem gemeinsamen Bau beitragen. Als besonders eigenartig und fruchtbar hat sich die Zusammenarbeit der Sprachforschung und Volkskunde mit der Geschichte erwiesen, wodurch lehrreiche neue Aufschlüsse gewonnen worden sind; ist doch die Sprache als ein Verkehrsgut anzusehen, so daß die sprach- und wortgeographischen Erscheinungen aus der Verkehrsgeschichte,


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darum auch aus der politischen Territorialgeschichte ihre Erklärung finden. Von größter Wichtigkeit ist für all die einschlägigen Forschungen ihre Festlegung im Kartenbild; nur so ist die vergleichende Betrachtung recht durchführbar. Darum hat der Verfasser einen übersichtlichen Bericht über die in der Rheinprovinz schon so hoch entwickelte historische Kartographie beigefügt. An dem Beispiel der Eifellandschaft wird sodann gezeigt, wie die neue Art der Forschung aufschlußreich und lebensvoll durchgeführt zu werden vermag. Mit Recht wird endlich dargetan, daß diese Studien für die günstige Entfaltung der jungen Heimatbewegung und die Volksbildung von entscheidender Bedeutung sein werden. -- Auch A d. Helbok hat sich in tiefgründigen Darlegungen zur Methode der vom Lande ausgehenden geschichtlichen Forschung geäußert ( 124 f.). Nicht vom Staatsproblem her möchte er die Landesgeschichte angesehen wissen; sie soll »die Geschichte jener wundervollen Symbiose zwischen Erde und Volk sein, die an jedem Ort zu anderem Ergebnis führte, in ihrer Gesamtheit aber den innersten Kern der deutschen Geschichte offenbart«. Im Hinblick darauf wird sie ihre eigene Forschungsmethode ausbilden müssen. Es gilt die Naturlebenslagen zu erarbeiten: Bodengestalt und Bodenart, Klima; daran schließen sich Flurforschung, Hausforschung und Familiengeschichte an. Für die Erarbeitung der Kulturlebenslagen ist (nach H. Naumann) die Scheidung der primitiven Gemeinschaftskultur und der Kultur der geistigen Oberschicht des Volkes wesentlich; Volkskunde ist zu treiben (Erforschung des Brauchtums, des Volkstums, der Mundart). Auch hierbei wird die Wichtigkeit kartographischer Darstellung betont; Winke für die nötigen Sammeleinrichtungen werden gegeben, der Wert der Heimatkunde für die Bildung wird (nach Ed. Spranger) ausgeführt.

Dem deutschen Volksboden gilt ein wissenschaftliches Unternehmen von W. Volz ( 257), das die Ergebnisse gediegener Einzelforschung in neuartiger Weise zusammenfassen und einer breiteren Öffentlichkeit vorlegen will. Der erste Band behandelt Fragen des deutschen Westens. Das Ringen der beiden Volkheiten, die hier diesseit und jenseit der deutsch-französischen Grenzen einander gegenüberstehen, soll eine vielseitige Beleuchtung erfahren, wobei sich Geographie und Geschichte, Archäologie, Sprach- und Kulturkunde, volkspsychologische Forschung, Volkswirtschaftslehre und die Wissenschaft der Politik in gegenseitiger Ergänzung vereinen. Unter dem Gesichtspunkt dieses Jahresberichts sei das Wichtigste aus dem reichen Inhalt hervorgehoben. A. Hettner legt die geographischen Bedingungen für die französische Kultur und Politik dar; dabei geht er auf wesentliche Verschiedenheiten zwischen Deutschland und Frankreich ein und betont das deutliche Fehlen einer Naturgrenze zwischen den beiden Räumen. Recht glücklich zeigt Fr. Metz die geographische Einheit der oberrheinischen Ebene auf beiden Seiten des Stromes. G. Wolfram wendet sich mit geschichtlicher Begründung gegen die Lehre vom Rheinstrom als natürlicher Grenze, zeigt aus Quellenzeugnissen, daß das Elsaß schon zu Cäsars Zeiten im wesentlichen keltenfrei gewesen ist, und weist auf manche Verschiedenheiten in der Kultur dieses Landes und des Gebiets um Metz hin. Auf das Archäologische geht Fr. Koepp ein. Fr. König behandelt die Geschichte des ganzen Gebiets als Grenzland, wobei die Verluste an Reichsboden und Volksboden geschieden werden. Aus umfassender, gutbegründeter Kenntnis schildert W. Platzhoff den tausendjährigen Kampf


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um die Westgrenze, mit mancher Richtigstellung irriger Angaben in französischen Geschichtswerken. In das seelische Verständnis des völkischen Gegensatzes führen, auch mit geschichtlicher Perspektive, die fesselnden Darlegungen von E. Wechßler und M. Spahn (über das Rheinländertum) hinein. Die anderen Beiträge beziehen sich auf Fragen der Gegenwart.


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