IV. Siedlungsgeschichte.

Zur Siedlungsgeschichte liegen nicht wenige Beiträge vor, durchaus solcher Art, daß die Behandlung auf umfassendere oder enger begrenzte Landschaften eingeschränkt bleibt. Eine wahrhaft bedeutende Leistung ist der neue Band, in dem K. Schumacher ( 546) sein rühmlich bekanntes Werk für die Rheinlande fortsetzt; darin werden die Zeiten der Landnahme der großen germanischen Stämme und danach der Aufrichtung des fränkischen Einheitsstaates umspannt. In vielseitiger, umsichtiger und besonnener Forschung wird hier eine Darstellung geboten, die als eine vollinhaltliche Kulturgeschichte der Rheinlande auf archäologischer Grundlage, mit besonderer Berücksichtigung der Siedlungsverhältnisse, bezeichnet werden darf. Die stete Beachtung der Bodenfunde verleiht dem Ganzen Sicherheit und lebendige Anschauung; so erhält auch das, was der Verfasser über manche strittigen Probleme sagt -- über Ortsnamen, Dorf- und Flurformen, Städte, Straßen und Befestigungen, Marken und Gaue --, erhöhtes Gewicht. Eine Kontinuität der Kultur von der spätrömischen Zeit ins frühe Mittelalter, ein Zurückbleiben von Resten der früheren Bevölkerung wird angenommen, freilich mit Unterschied: in stärkerem Maße in den linksrheinischen Gegenden, viel weniger östlich des Rheins. Auch ein Unterschied bei den Stämmen bestand: die Franken traten in ein engeres Verhältnis zur römischen Kultur als die zerstreuter siedelnden Alemannen. Das Markenproblem wird nicht einseitig gelöst: Dorfmarken der Volkssiedlungen gab es neben grundherrlichen Marken. So kommt dieser fest auf dem Boden fußende Forscher dazu, der Mannigfaltigkeit wirklich bestehender Lebenserscheinungen gerecht zu werden, mag auch im einzelnen manches noch weiterer Klärung bedürfen.

Eine Arbeit, die weit mehr für die geschichtliche Landeskunde leistet als ihr Titel verspricht, hat H. Wopfner ( 534) vorgelegt. In gründlicher Untersuchung erörtert er den Weg, den Venantius Fortunatus auf seiner Wallfahrt zum Grabe des hl. Martin in Tours 565 eingeschlagen hat (Bericht darüber aus den Jahren 573/76). Die Reise ging über den Plöken und durch das Pustertal, sodann über Reschen--Scheideck und den Fernpaß. Die Untersuchung befaßt sich mit den Straßen in jenen Gegenden, behandelt sodann die politischen Zustände der durchwanderten Alpenländer und geht danach auf Fragen der Siedlungsgeschichte ein. Die Wohnsitze der Breonen im Inntal und oberen Eisacktal, vielleicht auch im unteren Eisacktal (zwischen Bozen und Meran) werden näher bestimmt; ihr enges Verhältnis zu den Venostes findet dabei Beleuchtung. Die Einwanderung der Bayern, die 551 zuerst genannt werden, erfolgte, Wopfners Ansicht gemäß, nach der Abtretung Rätiens an die Franken, denen die vordem gotischen Hoheitsrechte zufielen. Für Kärnten und Südsteiermark vertritt Verfasser die Anschauung, daß das romanische Volkstum durch die Slawen (Einwanderung nach Oberkärnten zwischen 577 und 595) jäh vernichtet worden sei. Was die Siedlungsarten betrifft, so werden dreierlei Typen geschildert: die stadtartig eng zusammengebauten Siedlungen, die weiträumig gebauten Dörfer und die Einzelsiedlungen. Dabei wird nachgewiesen, daß im späteren Mittelalter eine Rückkehr zum Zusammenbau bei den


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»bäuerischen« Siedlungen zu beobachten ist. -- An der gleichen Stelle ist eine Untersuchung Ad. Helboks ( 526) veröffentlicht, in der für den germanischen Ursprung des oberdeutschen Bauernhauses eingetreten wird. -- Eine Einzeluntersuchung von Maria Gaßner ( 533) ist einem der Alpentäler (w. Innsbruck) gewidmet. Die Verfasserin geht den Spuren aus vordeutscher Zeit, vornehmlich der rätoromanischen Bevölkerung, nach; dabei ergibt sich, daß solche in den heute als Almen aufgesuchten Nebentälern erkennbar sind und somit den damaligen Weidebetrieb erschließen lassen. Die Bajuwaren drangen hier während der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts ein; der Abschluß des Landesausbaus geschah erst im 12.--14. Jahrhundert, wobei der Einfluß der Grundherrschaften (Frauen-Chiemsee und besonders das Prämonstratenser Chorherrenstift Wilten) hervorgehoben wird. Quellenmäßig wird sodann die Fortentwicklung der angelegten Siedlungen gezeigt (Einwirkung der Güterteilungen auf das Dorfbild). Den siedlungsgeschichtlichen Darlegungen reihen sich Ausführungen über die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Bauern an.

Eine recht lehrreiche Arbeit hat R. Dertsch ( 537) dem schwäbisch besiedelten Lande des bayerischen Staatsgebiets gewidmet. Knappe verfassungsgeschichtliche Erörterungen werden vorangestellt. In dem Hauptteil werden die Ortsnamen nebst urkundlichen Nachweisen besprochen: Die Namen auf -ingen erscheinen als die ältesten, alt auch die auf -heim, -hofen; jünger die auf -hausen, -stetten, -dorf, -burg u. a.; daneben gehen die Namen nach natürlichen Bodenverhältnissen einher. Danach folgt die Zusammenfassung der Ergebnisse. Eine germanische Einsickerung geschah schon zur Zeit der römischen Herrschaft. Die Einwanderung großer alemannischer Volksteile erfolgte um 500, zu beiden Seiten des Lechs; die Möglichkeit eines Einflusses fränkischer Gründungen (einzelne -heim- und -dorf-Orte) wird angenommen. Den Anschauungen, die V. Ernst aus württembergischen Quellen gewonnen hatte, folgt Verfasser weitgehend: Der Grund zum Dorfmarkverband ward schon in der Landnahmezeit gelegt; die gemeinfreien Leute waren unter Mittelfreien, die »Herrensitze« innehatten, zusammengefaßt. So waren die Anfänge zur Ausbildung jener Dorfverfassung gegeben, wie sie uns später mit der Stellung der Meierhöfe, mit Burg und ritterlichem Gut entgegentritt; gerade bei alten Orten zeigt sich das Meierhofsystem. Im 9. Jahrhundert war die ältere Periode der deutschen Besiedlung abgeschlossen; eine zweite Periode der Rodungen, woran sich weltliche und geistliche Grundherren beteiligten, fällt in das 11.--13. Jahrhundert. Auch für die untersuchte Gegend ist eine bedeutende Minderung der Siedelplätze im späten Mittelalter bis ins 16. Jahrhundert nachweisbar. -- Hingewiesen sei auf eine siedlungsgeschichtliche Einzelstudie aus dem Bayerischen Wald ( 537a).

Aus dem Bereich Niedersachsens liegt eine genaue Untersuchung H. Schloemanns ( 561) über die Angelbecker Mark vor, bevölkerungsgeschichtlich wichtig wegen der ausführlichen Mitteilungen aus den neuzeitlichen Quellen, zumal nach dem Dreißigjährigen Kriege. Für die Frühzeit hat Verfasser die Anschauung gewonnen, daß die älteren Dörfer auf fruchtbaren Streifen des Diluviallandes weit vor den Sachsenkriegen entstanden seien; sie zeigen die Besiedlungsform des Gewanndorfs, mit dem Tie in der Mitte (von der durchschnittlichen Größe des Vollerbenhofes), es wird Bestehen der Hufenverfassung


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angenommen. Die jüngeren Siedlungen in Berg- und Heidegegenden, wo erst gerodet werden mußte, bildeten Höfegruppen. Die Arbeit Schloemanns verwendet bisweilen Grundbegriffe Meitzens, die heute nicht mehr unbestritten sind; auch bleibt manches über die Entstehung der Siedlungen Gesagte zweifelhaft. Doch ist diese sehr stoffreiche Einzelstudie sicher von Belang für die jetzt einer neuen Auffassung zustrebende Siedlungsgeschichte des deutschen Nordwestens. Sozialgeschichtlich bemerkenswert sind die Ausdrücke: Eigenbehörige nach Ritterrecht (dem Grundherrn allein und ohne Schutz gegenüberstehend), Eigenbehörige nach Hausgenossenrecht (an geistliche Besitzer hörig, in einer Genossenschaft unter der Verwaltung eines Oberhofs), Winnpflichtige (Pächter), dazu die Freien. Weiter nach dem Osten führt eine Studie Br. Cromes ( 564), die sich mit den Sueben, die am längsten in der Nachbarschaft ihrer ursprünglich bezeugten Sitze geblieben sind, beschäftigt; in dem vorliegenden Teil einer geplanten umfassenderen Abhandlung werden vorerst diejenigen behandelt, welche in die Lande südlich des Harzes gezogen sind (also nicht die Nordschwaben im Gau Suevon südlich der Bode), anscheinend mit ostgermanischer Beimischung. Die Darlegung stützt sich auf Beobachtung der Naturfaktoren, Zeugnisse der Archäologie, Ortsnamen (bei denen auf -ingen bzw. -ungen in richtiger Scheidung einer älteren und jüngeren Schicht), auch auf Ergebnisse der systematischen Anthropologie, und schildert das Vorrücken zwischen dem Buntsandstein und den Auetälern in die noch unbesetzten Gebiete des Löß. -- Eine Arbeit Chr. Albrechts ( 574) befaßt sich mit der Niederlassung der Slawen in den nordöstlichen Harzlanden und namentlich in Thüringen. Wertvoll daran ist die zusammenfassende Bearbeitung der bisher gemachten Bodenfunde, deren Zeitstellung in Anlehnung an Forschungen Schuchardts zu bestimmen versucht wird; besondere Aufmerksamkeit wird der Keramik und den Burgwällen gewidmet. Vergleichsweise werden die slawischen Ortsnamen und die Zeugnisse für slawische Bewohner berücksichtigt; besonnen spricht sich Verfasser über das Rundlingsproblem aus. Ein Weg, der weiterführen kann, ist hier beschritten; dem Ansatz der slawischen Siedlung westlich der Saale (südlich der Unstrut auf Veranlassung Herzog Radulfs, nördlich davon durch Karl den Großen) wird man freilich vorerst nicht beistimmen können, wenn nicht etwa eine genauere historische Untersuchung eine Bestätigung bringt.

Sehr wichtig in der mitteleuropäischen Siedlungsgeschichte war das böhmisch-mährische Land; die Entwicklung der dortigen Siedlungsverhältnisse ist zurzeit stark umstritten. Eine Übersicht über einschlägige Schriften bot W. Uhlemann ( 611) in ruhig sachlicher Abwägung. E. Schwab ( 605) kommt in knapp gehaltenen Darlegungen für einen weiteren Leserkreis der Bretholzschen Theorie weit entgegen; mit vollem Recht weist er die Behauptung der slawischen Autochthonie in Böhmen ab und nimmt, was freilich minder gesichert ist, zwischen 650 und 1100 einen geschlossenen Bestand deutscher Siedlung an. Auch Ant. Mayer ( 606) tritt in einer Folge ausführlicher und gründlicher Untersuchungen betreffs einzelner Landschaften für die Annahme des Fortbestehens germanischer Bevölkerung ein, wenigstens in Westböhmen und Südmähren, wo Orts- und Flußnamen in deutschem Munde fortlebten. Ob freilich, wie für das Egerland gesagt wird, die slawische Besiedlung in der Talsohle, weil diese einst versumpft war, durchaus jünger gewesen sein muß als die deutsche an den Berghängen, ist zu bezweifeln;


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Siedlung der Slawen inmitten bruchigen Geländes, natürlich auf höherragenden Trockenstellen, ist bei diesem dem Fischfang so gern nachgehenden Volke anderwärts oft genug nachweisbar. -- Für den Böhmerwald sei auf eine Studie V. Schmids hingewiesen ( 612).

Um die Förderung der Siedlungsgeschichte Nordostdeutschlands hat sich jetzt H. F. Schmid ( 585) verdient gemacht, indem er die Entwicklung der darauf bezüglichen slawischen Forschung für dies Gebiet behandelt und die einzelnen Leistungen polnischer und russischer Gelehrter kennzeichnet, bei weitherziger Anerkennung des Gebotenen auch kritische Bemerkungen nicht fehlen läßt. In der Tat ist es dringlich, jenes wissenschaftliche Schrifttum mehr zu berücksichtigen, als dies bisher zu geschehen pflegte; dafür hat Schmid manchem die Augen geöffnet. Die Befähigung dazu unter historischen Gesichtspunkten hat er durch seine eigenen Arbeiten zur Rechts- und Kirchengeschichte des deutschen Ostens erwiesen.

An bemerkenswerten Einzelstudien liegen im Berichtsjahre für den deutschen Nordosten nicht viele vor. Durch mancherlei Beobachtungen anregend ist eine siedlungs- und wirtschaftsgeschichtliche Abhandlung H. Bechtels ( 599) für das Posener Land. In einem Überblick schildert er den Verlauf der im 13. Jahrhundert dort beginnenden deutschen Besiedlung, wobei besonders den Hauptwegen, denen die zuwandernden Siedler folgten, nachgespürt wird. Es ergibt sich, daß schon die ersten Siedler bis in die günstigsten Landstriche, die kujavische Ebene, vorstießen; später wurden die rückwärtigen Verbindungen hergestellt. Das eigenartige Vorgehen erklärt sich durch die Benutzung der Handelswege. Überhaupt spielte der Erwerbsgedanke bei den kolonisatorischen Unternehmungen eine beträchtliche Rolle. Interessiert daran waren ebenso die Landesherren wie die Grundherren und die Lokatoren. Die Dorfgründungen wurden nach wirtschaftlichen Erwägungen vorgenommen, als zerstreut liegende Klöster und auch neue Städte bereits in größerer Zahl vorhanden waren. Stadt und Dorf waren einander ähnlich; Stadt- und Dorfgründung gehörten eng zusammen, die Dörfer »agglomerierten« sich an die Kolonistenstädte: es ist von »Stadt-Landsiedlung« zu sprechen. Aus diesen Verhältnissen erklärt B. auch die Entstehungsmöglichkeit der Gutsherrschaft, die, jedoch nicht in zwangsläufiger Entwicklung, im 15./16. Jahrhundert zur Ausbildung kam. Die nahe Verbundenheit von Stadt und Land ist vom Verfasser richtig festgestellt; doch wird die Möglichkeit bürgerlichen Ackerbaus in den städtischen Feldmarken gar nicht zu großen Umfangs unterschätzt, nicht notwendig mußten darin Dörfer gegründet oder Bauern umgesiedelt werden. -- V. Röhrich - Braunsberg ( 592) hat seine gründlichen Studien zur Geschichte der Besiedlung des Ermlandes wiederum fortgesetzt, indem er die Tätigkeit des Bischofs Johanns I., gen. von Meißen, der den Grund zu Schloß Heilsberg legte, schildert. Es ist lehrreich, zu sehen, wie erst der Bau eines gemauerten Kastells (Rössel) die Möglichkeit für eine erfolgreiche Kolonisation des Gebiets schuf, während vorher die Verhaue nicht genügenden Schutz wider die hereinbrechenden Feinde gewährten und somit der Bestand der Siedlungen nicht genügend gesichert war. -- Der Besiedlungsgeschichte des Amtes Ortelsburg hat Ew. Saborowski eine lehrreiche Abhandlung gewidmet ( 596). Das Gebiet war Wildnis, die Schutz gegen die Einfälle der Litauer bieten sollte. Das Schloß O. -- nach Ortolf von Trier genannt -- wurde als Etappenstation


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zur Sicherung des Hinterlandes angelegt; erst spät ( 1381) begann die planmäßige Kolonisation. Im Westen und in der Mitte des Amtes wurden Zinsdörfer und Güter unter unmittelbarer Leitung des Ordens angelegt; im Norden herrschte der Großgrundbesitz vor. Die Besiedlung blieb unvollständig. Um 1539 bestanden etwa 800 Haushaltungen im Amt (784 ländliche, die übrigen in den Städten), also 4000 Einwohner. Nach Betrachtung der Rechts- und Wirtschaftsverhältnisse geht sodann Verfasser genauer auf die Nationalitätenfrage ein. Vor der deutschen Zuwanderung war eine dünne Bevölkerung von Preußen (im Norden) und Polen (nur im südlichen Streifen) vorhanden. Die Deutschen kamen seit der Kolonisation ins Land; sie gehörten meist zur besitzenden Klasse, während die Preußen Gärtner und Instleute waren und das Gesinde stellten. Im Laufe des 15. Jahrhunderts verschob sich das Zahlenverhältnis zuungunsten der Deutschen; die Polen mehrten sich rasch und vermochten die Preußen zu assimilieren, so daß sie selbst im 16. Jahrhundert zahlenmäßig vorherrschten. -- Auch eine siedlungsgeographische Arbeit für das Oberland sei in diesem Zusammenhang erwähnt ( 594).

Die allgemeiner bemerkenswerten Fortschritte in der Geschichte der ländlichen Siedlungen sind bereits bei der Besprechung der erwähnten siedlungs- und flurgeschichtlichen Arbeiten zum Ausdruck gekommen. Noch bedarf es einiger Hinweise in bezug auf die Städte und ihre Topographie. Um die Erforschung der Raumgestaltung in den Städten hat sich A. E. Brinckmann hochverdient gemacht ( 524) und, obschon er als Kunsthistoriker und Sachverständiger der Architektur an die Probleme herantrat, auch zur Förderung der topographischen Erkenntnis wesentlich beigetragen; es sei deshalb der neuen Bearbeitung gedacht, die sein Werk über Stadtbaukunst erfahren hat. Die Veröffentlichung des Niedersächsischen Städteatlas hat zu einer Erörterung zwischen dem Herausgeber P. J. Meier und K. Frölich geführt ( 563), leider in etwas persönlicher Form. Es ist jedenfalls dringend erwünscht, daß das großzügig angelegte, in der Erschließung des kartographischen Materials neue Bahnen eröffnende Unternehmen nach den im wesentlichsten Anerkennung heischenden Grundsätzen Fortführung finde. Einen neuen Versuch zur Kennzeichnung und Gruppierung der verschiedenen Grundrißformen, wie sie in den Städten des deutschen Nordwestens, im Lande der Sachsen, auftreten, hat R. Martiny unternommen ( 560), mit manch eigener Beobachtung. Die planmäßigen Anlagen stellt er voran, bei denen der Marktplatz das vorherrschende Element ist: er scheidet die kreuzrichtige Zentralanlage und die besonders häufig vertretene längsrichtig-rechteckige, oft mit Quermarkt, bei welcher die bedeutenderen Straßen parallel laufen und von einer kleinen Zahl geringerer Straßen gekreuzt werden; sodann die Meridionalanlagen mit Spaltung und Wiedervereinigung der Straßen, die fiederoder rippenförmigen Anlagen, die Einstraßenform. Unter den »urwüchsigen« Formen herrscht die strahlige vor; dazu begegnet die dörfisch richtungslose Gestaltung. Damit soll nicht eine Entwicklungsreihe aufgestellt sein; doch liegt, wie M. selbst sagt, der Versuch einer genetischen Deutung nahe. Die planmäßige Gestalt geht auf herrschaftliche Gründung zurück. Geographisch bemerkenswert ist, daß die urwüchsige Form des Stadtgrundrisses sich besonders in Westfalen findet, überhaupt bei keinem der deutschen Stämme so viel wie bei dem sächsischen; in den nördlichen Gegenden, somit im nordelbischen


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Gebiet, herrscht größere Regelmäßigkeit. -- Recht gründlich, auch in methodischer Hinsicht wohlüberlegt ist eine Untersuchung, die H. Dörries ( 565) über die drei Städte im Leinetal-Graben, Göttingen, Northeim und Einbeck, veröffentlicht hat. Der Verfasser geht von der geographischen Betrachtung aus und erblickt deshalb in der Stadt ein Stück Kulturlandschaft, deren Wesen und Werden er erklären will; doch will er dazu historische Quellenforschung eingehender treiben, als dies bisher in Arbeiten zur Stadtgeographie der Fall gewesen ist. In dem vorangestellten historischen Teil gibt er eine auf die geschichtliche Überlieferung zurückgreifende Darstellung der topographischen Entwicklung jener Städte, die er in den großen Rahmen der deutschen Wirtschaftsgeschichte hineinstellt; es ist anerkennenswert, daß dabei der gesamte Ablauf der Entwicklung von den Anfängen bis zur Gegenwart untersucht, nicht etwa nach Erörterung der Ursprungsfrage sogleich auf die heutige Erscheinung des Siedlungsbildes übergegriffen wird. Die Auffassung geht dahin, daß die Orte aus grundherrschaftlichen Wirtschaftshöfen und Wohnanlagen, verbunden mit einer Marktansiedlung, zu Städten, d. h. befestigten Bürgersiedlungen, emporwuchsen und sodann infolge des wirtschaftlichen Stillstands sowie ihres Festungscharakters ihr Siedlungsbild bis in das zweite Drittel des 19. Jahrhunderts ausgeprägt erhielten; erst die neueste Zeit hat den Wandel zur gegenwärtigen Siedlungsform bewirkt. Der ausführlichere zweite Teil gilt der eigentlich geographischen Betrachtung. Die Verkehrslage wird besprochen und dabei die Einwirkung des Fernverkehrs stark betont. Sodann wird die Ortslage erörtert; endlich schließt sich eine Besprechung der Grundrißgestaltung (Abgrenzung und Gliederung der städtischen Siedlungsfläche) an sowie eine Betrachtung des »Siedlungsbildes« mit Eingehen auf die Gliederung nach dem Wirtschaftszweck und nach Bauperioden. Eine große Anzahl von Abbildungen und Kartenbeigaben sind der Arbeit angefügt, die sich durch Besonnenheit, Weite und Schärfe des Blicks auszeichnet. In bezug auf die geschichtlichen Momente hat W. Spieß, der Kenner mittelalterlicher Stadtverfassungsgeschichte, in einer ausführlichen Besprechung einzelne Punkte richtiggestellt ( 566); seine grundsätzlichen Einwendungen gegen die eine Verbindung historischer und geographischer Einzeluntersuchungen anstrebende Methode sind jedoch nicht als durchschlagend zu bezeichnen. In der Reihe der von A. von Hofmann begründeten verdienstvollen »Historischen Stadtbilder«, deren Eigenart schon in einem früheren Jahresbericht gekennzeichnet worden ist, ist eine neue Darstellung erschienen: Der die Stadt Danzig behandelnde Band ist von E. Keyser abgefaßt ( 359); auf Grund eingehender Kenntnis schildert er die Lage der Stadt, das eigenartige Siedlungsgelände, die Bauwerke und schließt mit einem Ausblick auf die Stadt als Kunstwerk. -- Endlich sei auf Darlegungen E. Keysers aufmerksam gemacht ( 589), in denen die wissenschaftliche Erschließung des Materials an Stadtplänen Ost- und Westpreußens erörtert wird; es ist dringend wünschenswert, daß die wichtigen, hier angeregten Studien rüstig gefördert werden.


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