V. Ortsnamen.

Die umfangreichste in das Gebiet der Ortsnamenforschung fallende Veröffentlichung des Jahres 1926 ist Eberls in zwei Teilen erschienene Arbeit über die bayerischen Ortsnamen ( 687), deren zweiter Teil mit seiner unanschaulichen, für den Fachmann wertlosen, den Laien eher irreführenden Aufzählung der von E. in den bayerischen Ortsnamen als Grund- und Bestimmungswörter festgestellten Ausdrücke m. E. ungeschrieben hätte bleiben können. Der erste Teil, eine trotz manchen Mängeln ganz ansehnliche Leistung, behandelt in einem mehr allgemein gehaltenen Abschnitt die Bedeutung und Bildung der Ortsnamen und dann die einzelnen Namenschichten nach der Zeit ihrer Entstehung. Zu berichtigen ist besonders Eberls Ansicht über die in siedlungsgeschichtlicher Beziehung eine Rolle spielenden Wimpassing-Orte nach J. Schnetzs überzeugender Untersuchung in der Zeitschrift für Ortsnamenforschung III, 108 ff. Eine ausführliche Besprechung von Eberls Schrift findet man in derselben Zeitschrift III, 69 ff. -- Über bayerische Namen handelt auch noch ein Aufsatz von J. Scheidl ( 673), der auf die Schwierigkeit der Identifizierung urkundlicher Namensformen aufmerksam machen will, indem er unter Beigabe kleiner Ortspläne zeigt, wie mancher Name durch einen andern völlig verdrängt worden ist (Doppelnamigkeit!) oder wie ältere Teilnamen ausgedehnterer


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oder zerstreuter Siedlungen allmählich verklungen sind. -- R. Vollmann ( 681) sucht das Rätsel der Ortsnamen des Typus »Neufahrn, Neufra, Niefern« (urkundlich: Niwivara, Niuuifarom) zu lösen, indem er von einem althochdeutschen schwachen Masculinum niwifaro in der Bedeutung »Neuankömmling« ausgeht. Die urkundlichen Belege weisen jedoch auf ein starkes Femininum, althochdeutsch niwifara, in der Bedeutung »neue Siedlung, neuer Hof«. -- F. K. v. Guttenbergs Aufsatz ( 688) ist in sprachgeschichtlicher Beziehung gänzlich verfehlt. Und auch den mythologischen und siedlungsgeschichtlichen Schlußfolgerungen, die G. aus seinen unhaltbaren Etymologien zieht, kann man nicht folgen. Was der Verfasser über die Besitzverhältnisse in Kulmbach vom 11.--13. Jahrhundert sagt, muß ich dem Historiker zur Beurteilung überlassen. -- Sehr beachtenswert ist die in derselben Zeitschrift enthaltene Studie über »Die Wassernamen des Ammersees« von Br. Schweizer ( 688 a), die schon deshalb gelesen zu werden verdient, weil sie m. W. den ersten Versuch ihrer Art darstellt und übrigens auch die einstigen Siedlungsmöglichkeiten in der Umgebung des Sees beleuchtet.

In Österreich wurde das Land oberhalb der Enns durch eine aus den Urkunden geschöpfte Arbeit von E. Schwarz bedacht ( 679). Sie bildet eigentlich den dritten Teil einer ehemals als zusammenhängende Veröffentlichung gedachten Schrift über die Ortsnamen der politischen Bezirke Linz, Perg, Freistadt, Urfahr und Eferding. Der erste und zweite Teil, in denen die Bildungsweise dieser Namen und die an ihnen zu beobachtenden lautgeschichtlichen Erscheinungen behandelt wurden, sind in den »Bayerischen Heften für Volkskunde«, 9. Jahrgang (München 1922) erschienen. Der dritte Teil führt die Ortsnamen bezirksweise alphabetisch geordnet samt ihren urkundlichen Formen an; wo es nötig ist, werden kürzere oder längere Erklärungen beigefügt. Die Schrift ist gleichzeitig eine Entgegnung auf K. Schiffmanns Nachtrag zur zweiten Auflage seines Buches »Das Land ob der Enns« (1922), in dem dieser auf die von Schwarz gegen die erste Auflage erhobenen Einwände erwidert hatte. Inzwischen hat Schiffmann seine »Neuen Beiträge zur Ortsnamenkunde Oberösterreichs« veröffentlicht ( 677), in denen er sich hauptsächlich gegen die ihm von Univ.-Prof. R. Much und vom Referenten zuteil gewordene Beurteilung wendet, auch diesmal nicht überzeugend. Vergleiche dazu die neuerliche Besprechung durch Schwarz in der Zeitschrift für Ortsnamenforschung II, 252 ff. -- Drei weitere Beiträge von Schwarz enthält der erste Band dieser Zeitschrift: Der erste ( 678) bespricht die Walchen-Namen sowie die Bezeichnungen »Parschalk« (< althochdeutsch bar »Ertrag, Steuer, Tribut« + scalk »Knecht«, also = lat. tributalis) und »Freimann« (lat. homo liber) für die romanischen Halbfreien. Über die auf Salzbergbau weisenden Hall-Orte (nach Schwarz zu althochdeutsch halla »Hütte«?) sowie über die Ortsnamen »Tuval« und »Kend!« (Solengerinne) handelt der zweite Aufsatz ( 680), zu dem jedoch zu bemerken wäre, daß die Ansicht V. Hehns und R. Muchs, die in mittelhochdeutsch hal s. »Salzwerk« ein Lehnwort aus einer das s zu h wandelnden indogermanischen Sprache (wohl aus dem Thrak.) sehen, mehr Wahrscheinlichkeit für sich hat. Der dritte Beitrag ( 676) beschäftigt sich mit den Flußnamen Eger, Ager, mit den Endungen der bair. ing.-Namen (-inga, -ingas, -ingon) sowie mit den Namen auf -ingern und bespricht dann einige Ortsnamen mit dem Wortstamm būria- u. a. m.


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Die Zeitschrift für Ortsnamenforschung I enthält weiters zwei wertvolle Beiträge von L. Steinberger ( 682) und C. Battisti ( 684), deren erster besonders durch ausführliche Literaturnachweise ausgezeichnet ist, während uns Battistis Sammelreferat über eine ganz gewaltige Menge südtirolischer Ortsnamen unterrichtet. -- Die Namen einer einzelnen südtirolischen Gemeinde, Wengen (La Vall), behandelt Richter-Santifaller ( 683) auf Grund eines reichen gedruckten und ungedruckten (!) Quellenmaterials aus Südtiroler Archiven. -- Die sonstigen im »Schlern« VII verstreuten ortsnamenkundlichen Versuche sind bis auf einen wertlos oder nur mit Vorsicht zu benützen. Ein Aufsatz von H. Kiene über die »Berge und ihre Namen« bildet hingegen eine recht willkommene Ergänzung zu der die ganze Gipfelwelt der Alpen emporzaubernden Studie von Schatz ( 675), aus der als besonders bemerkenswert hervorzuheben ist, daß das Wort »Berg« im Alpengebiet als Name abweichend von der Schriftsprache soviel wie »Bergweide, Alm« bedeutet und daß die Ausdrücke »Kogel« und »Kofel« einander im allgemeinen ausschließen und ergänzen. -- Österreich betrifft auch noch die von Drexel herausgegebene »Vorarlberger Namenkunde« ( 715). Sie wird durch eine recht angriffslustige, die allgemeinen Grundsätze der Ortsnamenforschung erörternde Einleitung eröffnet, die auch gegen angesehene Gelehrte arge Vorwürfe erhebt. Aber -- auch unter Drexels Deutungen ist manche, die der Kritik nicht standhalten wird.

Die Schweiz hat in Küblers Buch ( 690) eine sehr reichhaltige Untersuchung der Ortsnamen des Kantons Graubünden erhalten, nur würde man wünschen, daß der Verfasser mit urkundlichen Belegen weniger gespart hätte. Nach einer Einleitung über die mit dem 12. Jahrhundert einsetzende deutsche Besiedlung bringt der erste Teil »Die Elemente der Namen deutschen Ursprungs« in alphabetischer Reihenfolge. Für den zweiten Teil, der »Die Namen romanischen Ursprungs« behandelt, verweise ich auf die Besprechung des Buches durch R. v. Planta, Zeitschrift für Ortsnamenforschung III, 219 ff. Der dritte Teil bespricht »Die Örtlichkeitsnamen, die Personennamen enthalten«.

Ins bairisch-schwäbisch-fränkische Grenzgebiet leitet uns E. Weber ( 685) über, die sich nach einer geologischen und vorgeschichtlichen Einleitung zunächst der Frage zuwendet, wie der Anteil der in Betracht kommenden Germanenstämme an der Besiedlung der fränkischen Alb zu bewerten sei, wobei auch Geschichte und Bestimmung des rätischen Limes gestreift wird. Hierauf folgt ein allgemeiner Überblick über die Verteilung der verschiedenen Ortsnamengruppen, jedoch ohne daß die Verfasserin viel Einzelformen und urkundliche Belege beibrächte oder Namendeutungen versuchte. -- In Becks Darstellung ( 686) sind hingegen den nach Bezirksämtern in alphabetischer Reihenfolge geordneten Namen zahlreiche urkundliche Formen beigegeben. Der erste, einleitende Teil zu dieser Schrift ist als Programm des Progymnasiums Neustadt a. A. für das Schuljahr 1907/8 erschienen. Das 1926 veröffentlichte Heft enthält außer den eigentlichen Ortsnamen auch eine reiche Auswahl von Flurnamen und ein Verzeichnis der Wüstungen. Den Beschluß bilden vier Karten aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Besprochen durch J. Schnetz, Zeitschrift für Ortsnamenforschung III, 71 ff.

Mit bester Ortskenntnis untersucht Knauth ( 704) die Fluß-, Berg- und Siedlungsnamen des östlichen sächsischen Erzgebirges. Die vorgeschichtlichen Verhältnisse werden mehr referierend berücksichtigt und, was die slawischen


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Etymologien betrifft, wäre manches zu berichtigen. Besprochen durch O. Philipp, Zeitschrift für Ortsnamenforschung III, 229ff. -- Unter den Örtlichkeiten der Ritschenhausner Umgebung behandelt Koch ( 702) zunächst die Wüstung Gaulshausen, wobei eine Reihe älterer Urkunden und Rechnungen zum Abdruck gelangt, erklärt hierauf diesen Ortsnamen unter Hinweis auf die in der Nähe der vermutlichen Dorfstätte gelegene, »in der Hellen« genannte Flur als »Teufelshausen« (?) und bespricht noch einige weitere Flur- und Ortsnamen. -- Die in einer Urkunde aus dem Jahre 800 genannte Örtlichkeit Widarogeltestat findet Koch ( 701) in der Flur »Witterstatt« und deutet den Namen als »geheiligte Opferstätte, an der Widder dargebracht wurden«. Aber ist hier gëlt nicht vielmehr in dem bekannten Sinn von »Zins« gebraucht? -- Derselbe Verfasser erklärt den thüringischen »Rennsteig« oder »Rennweg« ( 700) durch »Grenzweg«, den Belriether »Rennstreich« durch »Grenzwald«. -- Mehr volkstümlich gehalten ist der Aufsatz von Helmbold ( 699), doch blickt meist die gediegene wissenschaftliche Grundlage durch. Wenn Helmbold im Utz- und Gudensberg, in Pfuhls- und Sonneborn mythologische Namen vermutet, dürfte er damit wohl recht behalten. Ja, vielleicht gehört doch auch Melborn (1070 Mellenbrunnen) hierher, vgl. Nr. 694: Hari- und Fledimella. Eine Schrift über die Straßennamen und andere Ortsbezeichnungen Eisenachs« hat H. schon 1909 veröffentlicht. -- Der zwischen dem Unterlauf der Werra und Fulda gelegene Meißner, ein seine Umgebung überragender Berg, heißt nach Angabe Edw. Schröders ( 696) im Volksmunde allgemein »Wissener«. Schr. lehnt aus lautlichen Gründen die Ableitung von dem Worte »Wiese« ab und übersetzt den Namen durch »Weißmacher, Schneebringer«, weil sich der Berg im Winter am frühesten mit Schnee bedeckt.

Beobachtungen über Lage und Benennung der im hessischen Limesgebiet gelegenen Orte haben Wolff ( 692) zu der Feststellung geführt, daß von der Römerzeit über die alemanische Siedlungsperiode bis zu den fränkischen Gründungen ein ununterbrochener Zusammenhang der Besitzverhältnisse und der Kulturentwicklung anzunehmen sei. Die einstige Kastellstätte führt heute meist den Namen »Burg, Alten-, Hunnenburg, Altenstatt, auf der Mauer u.dgl.« und in ihrer Nähe häufen sich die Siedlungen auf -heim, stellenweise auch solche auf -ingen. -- Nach einer ausführlichen Übersicht über die bisherigen Forschungsergebnisse über die Weilernamen untersucht Kaspers ( 693) die Weilerorte der Kölner Gegend hinsichtlich ihrer Lage zu den vordeutschen Siedlungen und kommt dabei zu dem Ergebnis, daß sie aus römischen Villen hervorgegangen sind und auf ehemals römisch beeinflußtem Gebiet an alten Römerstraßen oder strategisch wichtigen Punkten liegen.

Zahrenhusen ( 719) erkennt als ingävonische Spuren in den nordhannoverschen Ortsnamen den Übergang von k > ts, ss vor hellen Vokalen, die Form hars < hers »Roß« (?), das ā in -lah »Wald« (altsächsisch lôh) und in -ha »Hügel« (altsächsisch hô?) sowie die Lautform ē- (meist Ee- oder Ehe- geschrieben) < germanisch ahwō »Ache, Fluß«.

Brückner ( 724) will auf die Schwierigkeiten aufmerksam machen, die den Dilettanten erwarten, der sich mit der deutsch-slawischen Namenkunde beschäftigt. Der Hauptzweck der Abhandlung ist übrigens eine kritische Besprechung von D. N. Jegorovs Buch »Die Kolonisation Mecklenburgs im 13. Jahrhundert« (russisch) und einiger Arbeiten über die rügenschen Urkunden.


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In einer kurzen Notiz führt Brückner in derselben Zeitschrift ( 708) aus, daß Breslau nicht nach Vratislav I. benannt sein könne und daß der Ortsname Preßburg einen slowakischen Personennamen Prěslav oder Prědslav voraussetze. Zu dem gleichen Ergebnis hinsichtlich des zweiten Ortes kommt auch Schwarz in derselben Zeitschrift II, 58 ff. und IV, 109ff. -- Für Thüringen und Sachsen gibt Kötzschke ( 703) eine willkommene Übersicht über die der slawischen Namenforschung dienlichen Quellen: Die bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts reichenden Urkunden liegen im wesentlichen gedruckt vor, aber aus der Folgezeit harrt noch ein gewaltiger Archivbestand der Veröffentlichung.

Gegenüber diesen mehr allgemeine Richtlinien gebenden Arbeiten bietet Rink ( 707) eine ausführliche und gediegene Monographie, die noch dadurch an Wert gewinnt, daß der Darstellung jedes Gemeindegebiets eine Grundskizze beigegeben ist. Die Koschneider- oder Koschnäwjerdörfer sind etwa seit 1319 angelegt worden; ihren Namen leitet R. mit P. Panske von dem des polnischen Starosteibeamten Kosznewski ab. Aber dieser Personenname auf -ski ist doch selbst Ableitung vom Stamme Kosznew- und bedeutet soviel wie »Der Koschnäwische, der Koschnäwer«! -- Ostdeutsches Siedlungsland kommt auch in Liewehrs Untersuchung ( 710) zur Darstellung. L. behandelt zuerst die Ortsnamen slawischer Herkunft, dann jene, die deutschen oder dunklen Ursprungs sind, und schließlich die slawischen Bachnamen. Anhangsweise wird eine Reihe deutschmundartlicher Lehnwörter aus dem Slawischen mitgeteilt.

Eine Ergänzung zu M. Försters Abhandlung über den Namen der Donau (Zeitschrift f. slawische Philosophie I) ist Gamillschegs Beitrag ( 709), der die Ansicht vertritt, die rumänische Namensform Dunarea beruhe auf einer thrak. Lautung Dónaris, die neben der von Förster aus der lateinischen und germanischen Form erschlossenen keltischen Grundlage vorhanden gewesen sei und dieselbe Bedeutung gehabt habe wie diese, nämlich »Fluß«. Dem widerspricht aber doch wohl die Tatsache, daß die Donau im Thrak. »Istros« geheißen hat.


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