IV. Volkskunde der Einzellandschaften.

Rieglers Werkchen über die Hexenprozesse ( 749) ist aus Vorträgen hervorgegangen, die sich an Byloff »Das Verbrechen der Zauberei« anschließen. Wertvoll sind die Protokolle zu dem Feldbacher Prozesse (1673--1675) und dem Trautmannsdorfer (1688--1690), wo 70 und 38 Personen angeklagt waren. Sämtliche Prozesse von 1581 an werden verzeichnet. Das Land Steiermark steht hinsichtlich der Häufigkeit dieser Prozesse an der Spitze der österreichischen Lande. --Reicke ( 750) untersucht das Nürnberger Volkstum nach seinen historischen Grundlagen. Römer haben dort nie gesessen, wohl aber Markomannen, die nach Böhmen wanderten, um den Hermunduren=Thüringern Platz zu machen. Um das 6. Jahrhundert oder erst zur Zeit Karls des Großen kommen die Baiwaren. Slawischer Einschlag in der Nürnberger Gegend ist trotz gegenteiliger Behauptung nicht erweisbar. Doch werden von den Agilolfingern dort fränkische Beamte angesiedelt. So entsteht die Mischung schwerfälligen oberpfälzischen Temperaments mit leichterem, fränkischem Blute. Die Nürnberger sind arbeitsam, besonnen, aber lebenslustig und aufgeweckt; maßhaltend, intelligent, praktisch, technisch gewandt, erfinderisch. -- Auf den volkskundlichen Quellenwert spätmittelalterlicher Predigthandschriften weist J. Werner ( 751) hin, indem er den Exempelbestand einer Rheinauer Predigtsammlung (Zürich, Stadtbibl. C 102) veröffentlicht. -- Nationaler Chauvinismus in völkerpsychologischem Gewande ist das Buch von Dumon ( 752), L'intelligence en face de la race; l'expérience de l'Alsace. Theorien volkskundlicher Natur werden nach Bedarf herangezogen, um eine


S.233

politische These zu erweisen. Danach wird das Elsaß von einer neolithischen Bauernrasse bewohnt, die durch die darüberflutenden Völkerwellen nur in Einzelzügen und in der Sprache beeinflußt ist. Seelische Grundtatsachen einer Rasse gibt es nicht. Die heutigen Eigenschaften der Elsässer (Zug der Organisation bei freiheitlicher Grundhaltung) sind Ergebnisse junger politischer und sozialer Einflüsse. Die nationale Tendenz ist gerichtet auf Frankreich als Kulturträger und Schutzstaat. Das Selbstbestimmungsrecht ruht nicht auf dem Gegenwartswillen der Masse, sondern auf vernünftiger Ausdeutung der Tradition, ist also für die heutigen Autonomisten abzulehnen, schon deswegen, weil das Elsaß der Schlüssel Europas ist und daher im Interesse des Friedens französisch bleiben muß. »Le principe des nationalités: il n'est pas l'expression plus ou moins confuse de l'idée de race; il n'est pas non plus la manifestation d'un décret momentané d'une volonté collective absolument autonome; il est, au contraire, la synthèse complète et vivante de la vie propre d'une nation en accord avec les lois immuables de l'intelligence.« Ein in seiner Verworrenheit und wissenschaftlichen Prinzipienlosigkeit gefährliches Buch! Man lese ihm gegenüber, was Wentzcke ( 753) über die Kultur in Elsaß und Lothringen sagt, sowie die Schrift von G. Wolfram ( 754) über die kulturellen Wechselbeziehungen zwischen Elsaß und Baden. Einen historischen Beitrag zu dieser Frage liefert O. Lauffer ( 755), der die Gestalt Geilers von Kaisersberg als Ausdruck des Deutschtums im Elsaß zur Zeit des ausgehenden Mittelalters zeichnet. -- Wie die deutsche Kaisersage mit dem Rheine verknüpft ward, zeigt Becker ( 756) an einer Speirer Sage vom Jahre 1530, nach der gespenstige Mönche, die zum Augsburger Reichstage wollen, über den Rhein setzen. Diese Sage steht in Verbindung mit der Überlieferung vom bergentrückten Kaiser, die wohl zuerst 1426 vom Chronisten Engelhus von Einbeck in den Kyffhäuser lokalisiert worden ist. -- Als Quelle zur deutschen Kulturgeschichte wertet Wilken ( 757) die niederdeutschen evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts aus. Er benutzt die Sammlungen von Richter und Sehling. Aus ihnen ergibt sich, daß auch die Gebildeten in dieser Zeit die niederdeutsche Umgangssprache pflegen. Reich ist die Ausbeute für Volkshumor, Sprichwörter, für die Erkenntnis des Bildungsgrades der Geistlichen, der Kirchenzucht und Sitte, des Armen- und Krankenwesens, der Volksmoral und des Aberglaubens. Der Mangel an Geistlichen eröffnete auch geistig und moralisch Minderwertigen den Weg ins Amt; die Besoldung war unzureichend. Die Predigt ward zum wirksamen Mittel der Kirchenzucht; kleiner Bann und feierliche Exkommunikation unterstützten die Autorität; auch die öffentliche Kirchenbuße und weltliche Strafen helfen mit. Marien- und Heiligenfeste bleiben noch teilweise bestehen, ebenso lateinische Gesänge, Zeremonien, Sakramentsspendung und Begräbnisse nach katholischem Brauche. Armen- und Krankenfürsorge nehmen stark zu. Stellenweise bleibt auch die Beschwörung Besessener zugelassen. -- Eine quellenmäßige Darstellung der Gesundheitspflege Braunschweigs im 16. Jahrhunderte gibt Fuhse ( 758). Schmutz und verseuchtes Wasser, Trunksucht der Bürger begünstigten Epidemien. In der Pestzeit wurden Pflegehäuser, Stadtphysici und Heilmittel bereitgestellt. Als Wundärzte arbeiteten auch Scherer (Barbiere); seit 1564 stehen die Quacksalber unter Ratsaufsicht. Gefährliche Irre werden an Ketten in die Torenkisten (Holzverschläge) gesperrt; 1556 beschwört der Superintendent erfolgreich ein besessenes

S.234

Mädchen. -- Der ersten Reihe volkskundlicher Aufsätze über Ost- und Westpreußen, die 1921 erschien, läßt Schnippel ( 759) eine zweite ebenso sorgfältige Sammlung folgen, in der er den Bauernkalender, Hochzeits- und Totenbräuche, Weihnachtssitten, Beschreibungen alten Hausgeräts, volkstümlicher Spiele und Orakel sowie eine Studie über die Hausgewerbe des Spinnens und des Webens vereinigt. -- Von schlesischen Scharfrichterfamilien berichtet Olbrich ( 760); im 17. und 18. Jahrhunderte waren die Thiele die am meisten verzweigte Familie; seit 1570 bis Ende des 18. Jahrhunderts ist die mit ihr eng verwandte Familie Kühn nachweisbar. Auch in der Kirche galten sie als unehrlich. Noch 1808 wurde dem Breslauer Scharfrichter das bürgerliche Stimmrecht vorenthalten. --Klapper ( 761) berichtet über das Predigtwerk des Augustiner-Chorherrn Bernhard Fabri, der zwischen 1437 und 1463 in Grünberg 16 starke Quartbände mit Predigten füllte, die mit ihrem umfänglichen kulturgeschichtlichen Materiale einen Einblick in das bürgerliche Leben einer spätmittelalterlichen Stadt des deutschen Ostens gewähren: Tracht, Sitte der Frauen, Kopftuch, Schleier, Strohhut, Filzhut der Mädchen; Häuslichkeit, ehelicher Zwist; Männersitte; Trunk; Jahresbräuche; Todaustreiben; Bräuche im Lebenslaufe; Grünberger Wein; Kindbettsitten; Aberglauben; Sprichwort; deutsches Kirchenlied; Malerei; Erzählungsmotive; mythische Vorstellungen; Frau Holle. --Peuckert ( 762) sucht die Schriften schlesischer Mystiker volkskundlich zu verwerten. Er reiht aus J. Böhmes Schriften Stellen aneinander, in denen sich der Glaube an Spukerscheinungen äußert und die auf Theophrastus Paracelsus zurückführen. Böhme strebt danach, aus Volksglauben und christlicher Lehre eine neue Religion abzuleiten. --Schoppe ( 763) setzt seine Veröffentlichungen aus schlesischen Malefizbüchern des 16. Jahrhunderts fort (vgl. Mitt. d. Schles. Ges. f. Volksk. XXV): Rotwelsch, Wanderburschensitten, Spiele, Verlöbnis, Ehe, Kindesraub, Kindesmord, Teufelsglaube, Kinderherzessen, Zauber, Krankheiten. Emil Lehmann ( 764) gibt in seiner feinsinnigen Sudetendeutschen Volkskunde eine Deutung des Wesens der dreieinhalb Millionen Deutschen, die in der Tschechoslowakei das alte böhmische Gebiet bewohnen; wie ihr Gemüt zwischen Abgeschlossenheit und Aufgeschlossenheit schwebt, was aus der Lage der Dörfer, die vom engen Gebirgstale in die Weite der Ebene streben, aus dem burgartigen Gehöfte und der Gemeinsamkeit der Dorfangelegenheiten, aus der Mischung des Blutes zu deuten ist. Die vorangestellte Siedlungsgeschichte ist eine gedrängte Darstellung der Geschichte der Sudetendeutschen überhaupt geworden. Das fremdartige Wesen der Tschechen mit ihren Runddörfern (S. 24) ist gut gekennzeichnet. -- Der gründlichste Kenner der böhmischen Kunstüberlieferung, J. Neuwirth ( 765) gibt einen knappen Überblick über die sudetendeutsche Kunstgeschichte; er beginnt mit den vorgeschichtlichen Funden, verweilt bei der Blüte der Ordenskultur und des Prager Hofes Karls IV., beleuchtet die Nachblüte der nachhussitischen Zeit und behandelt mit besonderer Liebe die Kunstschöpfungen der Barockzeit. Ein bedeutsamer Abschnitt ist der vielgestaltigen Betätigung des Kunstgewerbes gewidmet. Böhmen, Mähren und Schlesien kommen gleichmäßig zur Darstellung. -- Im wesentlichen auf Nordmähren beschränkt sich R. Hadwich ( 766) in seiner reichhaltigen Sammlung von 258 Totenliedern, 449 Grabsprüchen und 46 Grabreden; die Texte sind zwischen 1750 und 1850 entstanden, meist von Schulmeistern auf Bestellung gefertigt, im Sterbehause oder am Grabe vorgetragen

S.235

worden, gehen aber in ihren Elementen auf die Lieddichtung des 16. Jahrhunderts zurück und stellen sich in der Überlieferungsgeschichte in den großen Kreis der germanischen Totenlieder. Sie enthalten Betrachtungen über die Vergänglichkeit und den Tod, über Diesseits und Jenseits, die in den älteren Stücken dem Toten selbst in den Mund gelegt werden. Anlehnungen an das evangelische und katholische Kirchenlied, an literarische Vorbilder wie Gryphius, Gellert, Matthisson, Klopstock, Hölty, Schubart sind häufig. -- Eine historisch begründete Volkskunde der Siebenbürger Sachsen bietet Schullerus ( 767) in Grundzügen. Er schreitet von dem äußeren Bilde der Landschaft bis zum geistigen Leben vor: Dorf- und Feldmark (Freitum als gemeinsamer Dorfbesitz; Sondereigen; Edelerde der Grafengeschlechter); Wirtschaft; Zigeunerhilfe; Feldhüter; Früchte und Vieh; Weinbau; das Straßendorf mit der Kirchenburg; die Stadt als Schutzstätte; Haus und Wohnstube; Hof und Garten; Rückschlüsse auf die Stammheimat aus Trachtenresten und Sprache.


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)