I. Hilfsmittel und Arbeiten allgemeinen Inhalts.

Die innere Festigung der vorgeschichtlichen Archäologie findet ihren stärksten Ausdruck wohl in dem Ausbau ihrer Hilfsmittel; hier ist sie wenigstens am ehesten zu beobachten, denn die Neuerscheinungen nur eines Jahres geben den tiefgreifenden Wandel kaum zu erkennen, in dem sich die Prähistorie gegenwärtig befindet.

Die Zeitschriften sind um das »Nachrichtenblatt für deutsche Vorzeit« vermehrt worden. Während Mannus, Prähistorische Zeitschrift, Wiener Prähistorische Zeitschrift und Germania nur zwei- bis dreimal jährlich erscheinen, kann das in jährlich zehn Heften herauskommende Nachrichtenblatt ganz anders die ständige Fühlung mit der lebendigen Forschung vermitteln, wie sie der Denkmalpfleger und der Museumsbeamte, der Fachmann und die Vertreter der Nachbarwissenschaften gleichermaßen benötigen. Die neue Zeitschrift dient den Tagesfragen der vorgeschichtlichen Forschung, unter denen diejenige des praktischen Denkmalschutzes die wichtigste ist; sodann bietet sie Tätigkeitsberichte, Fundnachrichten und Übersichten über die neuen Veröffentlichungen. Übrigens stellt jetzt auch die Zeitschrift Germania die Neufunde aus ihrem südwestdeutschen Arbeitsgebiete in übersichtlicher Form zusammen, so daß nunmehr für jedermann die Möglichkeit besteht, sich über den neugewonnenen, der endgültigen Veröffentlichung noch harrenden Fundstoff aus deutschem Boden bequem zu unterrichten. Freilich muß im Anschluß an diesen Ausbau auch ein Verlust gebucht werden. Der als »Internationale kritische Zeitschrift für das Gesamtgebiet der prähistorischen Forschung« im Jahre 1924 gegründete »Urgeschichtliche Anzeiger« hat nach zwei Jahrgängen sein Erscheinen eingestellt. Infolgedessen fehlt der vorgeschichtlichen Archäologie jetzt ein Mittelpunkt für eingehende Besprechungen ihres Schrifttums. Wertvolle Würdigungen finden sich versteckt an Plätzen, an denen man sie nicht vermutet; unwesentliche Neuerscheinungen sieht man mitunter sechsfach oder noch häufiger angezeigt, und manches Wichtige findet kaum Beachtung.

Das Reallexikon der Vorgeschichte ( 770) hat den Buchstaben M erreicht. Bei aller Anerkennung der Leistung, welche mit diesem stattlichen, reich mit Abbildungen und literarischen Hinweisen versehenen Werke verbunden ist und das Ansehen der deutschen vorgeschichtlichen Forschung außerhalb der Grenzen Mitteleuropas hebt, kann man einen Nachteil in seiner Anlage leider nicht verschweigen. Es schließt für die größten Teile Europas mit dem Beginn der christlichen Zeitrechnung ab, so daß hier der ganze archäologische


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Stoff der provinzialrömischen Zeit und des frühen Mittelalters keine Berücksichtigung findet; die freien Germanen der Römerzeit, die Reihengräberfriedhöfe der merowingischen Periode und die Brandbestattungen der Sachsen, die Goldschätze aus der Zeit der Völkerwanderung und die Kunst der Wikinger, die spätheidnische Zeit des germanischen Nordens und die frühchristliche Irlands -- dies alles sucht man darin vergeblich. Es ist gewiß richtig, wenn der Herausgeber neben dem europäischen Neolithikum und der Bronzezeit des zweiten vorchristlichen Jahrtausends auch den gleichzeitigen Orient und Westasien berücksichtigt; er versucht, »damit eine Einheit wiederherzusstellen, die verlorenzugehen drohte« (Vorwort im 1. Bande, S. 1). Nicht minder freudig begrüßt man es, daß der etruskische Kreis und das übrige gleichzeitige Italien eingehend behandelt werden, denn damit ist eine wichtige Grundlage für die Beurteilung der älteren Eisenzeit der Alpenländer, Süddeutschlands und Frankreichs gegeben. So hätte die Behandlung des freien Germanien der Römerzeit und der nachrömischen archäologischen Erscheinungen auf europäischem Boden wohl eine entsprechende Heranziehung auch der provinzialrömischen Kultur erfordert; im Hinblick darauf, daß gerade auf diesen Stoffgebieten die Archäologie am ehesten zu derjenigen Fühlung mit der »geschriebenen Geschichte« kommt, der sie dringend zu ihrer eigenen Entwicklung bedarf, wird man ihr Fehlen sehr vermissen. Immerhin dürfen wir hoffen, da auf diesen Gebieten gerade jetzt eifrig gearbeitet wird, von anderen Seiten in absehbarer Zeit hier entschädigt zu werden.

Eine Darstellung der deutschen Vorgeschichte von Schwantes ( 771) erlebt -- erstmalig 1909 erschienen -- die vierte Auflage, ein Zeugnis dafür, daß sie gut eingeführt ist und die Art ihrer Anlage den Wünschen ihrer Leser entspricht. Sie wendet sich an einen weiteren Kreis, geht deswegen aber doch nicht den Problemstellungen aus dem Wege. An die Betrachtung der Fundgegenstände schließt sich die Erörterung von Fragen vorgeschichtlicher Wirtschaft und Gesellschaft, sowie des primitiven Denkens an; doch ist der Gang der Darstellung in dieser Hinsicht nicht streng kausal, sondern bedingt durch das Vorhandensein von Fundstücken, welche als Ausgangspunkt dienen können. Ebenso wie hier, bildet auch in der anspruchsloseren Schrift von Hoffmann ( 773) die Typologie des archäologischen Inventars die Grundlage der Einteilung des Stoffes. -- Die Germania des Tacitus ist für Philipp ( 774) der Gegenstand einer eingehenderen Interpretation, welche die schriftliche Überlieferung durch die archäologische zu ergänzen sucht; dadurch, daß sie die ältere Vorgeschichte der Germanen mit behandelt und auch die Entdeckung des Nordens durch die antike Welt in den Kreis der Betrachtung zieht, unterscheidet sie sich von den archäologischen Behandlungen der Germania, welche sich langsam auch in den Schulunterricht einführen. -- Ein kurzer, aber sehr gründlicher und mit literarischen Nachweisen versehener Aufsatz von Schwantes ( 772) faßt unsere archäologische Kenntnis von den römerzeitlichen und vorgeschichtlichen Germanen zusammen; während sie von der zweiten Periode der Bronzezeit an mit Sicherheit nachgewiesen werden können, liegen, wie die Übersicht über die früh- und vollneolithischen Erscheinungen in den Ostseeländern ergibt, ihre steinzeitlichen Grundlagen noch sehr in Dunkel gehüllt.

Mehrere Arbeiten liefern Bausteine zur Kenntnis der vorgeschichtlichen Wirtschaft. Es galt bisher als zum mindesten sehr wahrscheinlich, daß das


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zur Hallstattzeit nördlich der Alpen verhältnismäßig reich verwendete Eisen auf deutschem Boden gewonnen worden sei. Reinecke ( 776) macht nun aber darauf aufmerksam, daß die sicher datierbaren Zeugnisse der Eisengewinnung in Süddeutschland tatsächlich erst aus spätkeltischer Zeit, dem späten La-Tène, stammen. Dasselbe Alter haben die in Süddeutschland häufigen Eisenbarren in Doppelpyramidenform. Zwischen beiden Fundgruppen besteht wohl ein Zusammenhang; denn wenn auch die Häufigkeit dieser Barren wohl eine Folgeerscheinung besonderer geschichtlicher Ereignisse ist, so spricht doch ihre starke Verbreitung für eine lebhafte Eisenerzeugung im Lande selbst. Allem Anschein nach hat diese Eisengewinnung auch der Ausfuhr nach Norddeutschland und Skandinavien gedient, wo die Zeugnisse der Eisenproduktion erst mit der Kaiserzeit beginnen. Stammt aber das Eisen der süddeutschen La- Tène-Stufen B und C nicht aus dem Lande selbst, so ist möglicherweise ein wesentlicher Teil der nordgallisch-nordalpinen Eisensachen der genannten beiden Stufen als fertiges Fabrikat aus den südlichen Keltenländern bezogen worden. Verhältnismäßig zuverlässige Beobachtungen vorgeschichtlicher Eisengewinnung liegen aus dem rechtsrheinischen Bayern vor ( 805), wo die natürlichen Vorkommnisse von Eisenerz nicht selten sind. Doch kommen für den vorgeschichtlichen Abbau von ihnen nur diejenigen Stellen in Betracht, in denen das Erz bequem geschürft und in besiedelten Gegenden ohne langes Suchen gefunden werden konnte. Demgemäß sind das Sumpf- und Raseneisenerz und die Ockererde der Talebenen und Riede Südbayerns, die Eisenkonkretionen und Brauneisenerzeinschlüsse des Tertiärhügellandes, die Bohnerze, Ocker- und Farberden usw. der Juraüberdeckung abgebaut worden. In ein ganz anderes Kapitel vorgeschichtlicher Wirtschaft führt die umfangreiche Arbeit von Bolin ( 775), welche die Funde römischer Münzen aus dem freien Germanien zusammenfassend darstellt. Auf sehr verschiedenen Wegen ist dieser Stoff über die Grenzen des römischen Reiches gelangt, und so darf er nur mit gewissen Einschränkungen zu Schlußfolgerungen verwandt werden. Er bekundet uns nicht nur die Einbeziehung des freien Germanien in den Wirtschaftskörper der antiken Welt: er ist auch als Sold und Beute, sowie in der Form von Jahrgeldern zu den Germanen gelangt. So erscheint es sehr gut denkbar, daß erst die Verbreiterung der Plattform durch die Einbeziehung auch des ganzen übrigen Ausfuhrgutes, der Sigillaten und Metallgefäße, der Schmucksachen in Edelmetall usw. die Möglichkeit bietet, bestimmtere Ergebnisse zu zeitigen. Eine knappgehaltene Übersicht Spraters ( 793) unterrichtet über die aus der Rheinpfalz bekannten Zeugnisse vor- und frühgeschichtlichen Gewerbefleißes. Neben der Steinindustrie ist der Abbau von Eisen und Kupfer zu nennen, sowie die namentlich in römischer Zeit bedeutsame Töpferei.

Beachtung verdient ein Versuch von Schulz, Staat und Gesellschaft der germanischen Vorzeit archäologisch zu greifen ( 777). Er schließt sich eng an die Darstellung der germanischen Familie durch denselben Verfasser an, und so gilt hinsichtlich der Art der Anlage dieser neuen Studie dasselbe, was über jene ältere Schrift in »Jahresberr.« I. S. 215 f. gesagt worden ist. Immerhin ist diese Arbeit ebenso wie die genannten Beiträge zur Erkenntnis vorgeschichtlicher Wirtschaft ein erfreuliches Zeichen organischer Weiterentwicklung der vorgeschichtlichen Forschung, und zwar sowohl hinsichtlich ihrer Gesichtspunkte wie auch der Methoden ihrer Bearbeitung. Immer dringender verlangt


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der archäologische Stoff danach, über die typologisch-chronologische Betrachtung hinaus gewertet zu werden; jede der historisch eingestellten Wissenschaften hat ein Interesse an den Ergebnissen einer eigentlich geschichtlichen Würdigung der Vorzeit, und darüber hinaus kann nur auf dem Boden der letzteren die Vorgeschichtsforschung ihr wahres Wesen offenbaren. -- Eine Schrift von Naumann ( 778) gibt beredt zu erkennen, wie frühgermanische Dichtung und Kunstgewerbe der Völkerwanderungszeit zusammengehören, daß die Kenntnis des einen das Verständnis des anderen fördert. Die ihr beigegebenen Abbildungen kunstgewerblicher Erzeugnisse des 4. bis 10. nachchristlichen Jahrhunderts sind wesentlich mehr als nur ein Schmuck des Buches; dieser archäologische Stoff ist uns ein wichtiges Stück des Lebens jener Zeit und gibt uns Einblicke in Gebiete, über welche die anderen Quellengruppen schweigen. Auch hier ist die Typologie der Gegenstände nicht Selbstzweck, sondern nur eine Voraussetzung tieferer, und zwar eigentlich geschichtlicher Würdigung. Genau dasselbe gilt für die Studie von Steinbach ( 779), welche neben Ortsnamen und geschichtlicher Überlieferung, sowie den Formen von Haus und Hof auch archäologische Quellen sprechen läßt. Benötigt Naumann ( 778) sie, um das üppige Leben der gehobenen Schichten zu erläutern, so bedient sich Steinbach ihrer bei seinen Untersuchungen zur Geschichte des ländlichen Volkes und der Stämme in Westdeutschland.


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