II. Süd- und Westdeutschland.

Aus verschiedenen Teilen West- und Süddeutschlands liegen Übersichten über die Bestände von Museen und größere Berichte über neuere Fundzugänge vor. Die Sammlungen in Hanau und Eichstätt werden in der Reihe der von der Römisch-germanischen Kommission herausgegebenen Kataloge behandelt ( 792, 789). Zeichnen sich beide durch diejenige Gründlichkeit aus, die man von dem Inventar eines Museums erwarten muß, so verdient der Eichstätter Katalog doch besondere Erwähnung. Er veranschaulicht das Lebenswerk seines Verfassers, Dr. h. c. Winkelmann, welcher die Sammlung in ihrem ganzen Umfange geschaffen und die weitere Umgebung von Eichstätt planmäßig auf archäologische Denkmäler hin abgestreift hat. Die landwirtschaftliche Nutzung dieser Kalklandschaft, welche der Limes durchzieht, ist nicht sehr intensiv; infolgedessen weist die Sammlung einen sehr ansehnlichen Bestand auf, und die archäologische Ortskunde ist von einer seltenen Reichhaltigkeit. Die Darstellung der Ergebnisse in einer Siedlungsgeschichte des Bezirkes kann somit auf einer sehr breiten Grundlage aufbauen. -- Wertvoll ist eine Zusammenfassung der oberhessischen Altertümer aus vorrömischer Zeit ( 794), wenn sie auch manche Fundgruppen summarisch behandelt; knappgehaltene Übersichten und zahlreiche Abbildungen machen die Schrift zugleich zu einem Führer durch die Vorgeschichte Oberhessens, welche infolge der Lage des Gebietes an einem ebenso wichtigen wie alten, von Süden nach Norden verlaufenden Verkehrswege sehr belebt erscheint. -- Daß man auch in dem Arbeitsgebiete des Bonner Provinzialmuseums danach strebt, eine Übersicht über den gesamten, sowohl in den Sammlungen vereinigten wie im Gelände oberirdisch wahrnehmbaren Bestand an Denkmälern zu gewinnen, lehrt der Aufsatz von Oelmann ( 795). -- Die Zusammenfassung der vor- und frühgeschichtlichen Funde des Stadtgebietes Köln durch Rademacher ( 796) ist zugleich ein Rechenschaftsbericht des dortigen Prähistorischen Museums. Demgemäß liegt die römische Stadt


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fast ganz außerhalb der Betrachtung. Da außerdem die Behandlung des Fundstoffes im wesentlichen bei Typologie und Chronologie stehenbleibt, so erhebt sich die Darstellung nicht zu einer Ortsgeschichte, und die besonderen Voraussetzungen der römischen Gründung bleiben ganz im Dunkel. Die knappen Notizen über neue Funde und Forschungen in Bayern ( 788) darf man hoffentlich nur als eine kleine Abschlagszahlung ansehen; denn was Reinecke und Wagner hier zusammenstellen, ist nur ein kleiner Teil der mannigfaltigen Ergebnisse, welche die staatliche Denkmalpflege in Bayern im Laufe der letzten Jahrzehnte gezeitigt hat. Die jetzt veröffentlichten Funde betreffen sämtliche vor- und frühgeschichtlichen Perioden; neben wichtigen Beobachtungen im römerzeitlichen Kempten ist die Feststellung eines neuen spätneolithischen Kreises von Bedeutung. -- Wie die Tätigkeit der zahlreichen Geschichts- und Altertumsvereine diejenige der staatlichen Denkmalpflege ergänzt, lehrt das Beispiel des Nördlinger Vereins, dessen rühriger Lokalpfleger Frickhinger eine ganze Anzahl schöner neuer Funde melden kann ( 790). -- Einer guten Überlieferung entsprechend, legt das Württembergische Landesamt für Denkmalpflege seine Beobachtungen aus den letzten drei Jahren in einem stattlichen Bande gesammelt vor ( 791).

Die Reihe der Darstellungen, welche einzelne Perioden vorgeschichtlicher Kulturentwicklung betreffen, wird von einer Bearbeitung der jüngeren Steinzeit der Schweiz ( 798) eröffnet. Man begrüßt sie im Hinblick darauf ganz besonders, daß die Erforschung des schweizerischen Neolithikums während des letzten halben Jahrhunderts eine nur sehr geringe Förderung erfahren hat; denn die Pfahlbautenfunde hätten nach ihrer Fülle und Bedeutung schon längst eingehendere Bearbeitungen unter den verschiedensten Gesichtswinkeln verdient. Wie anderwärts, so bringt Reinerth auch in dieser Schrift seine Auffassung zur Geltung, daß die Dörfer der Stein- und Bronzezeit nicht über dem Wasser, sondern am Ufer der Seen errichtet gewesen sind, und daß erst ein Steigen des Spiegels der Seen in der nachfolgenden Zeit ihre Reste unter das Wasser gebracht und damit ihre Erhaltung ermöglicht hat. Ob diese Deutung neuerer Grabungsbefunde mehr ist als nur eine interessante Arbeitshypothese, muß die Zukunft lehren. Vorläufig vermag die Bestimmtheit, mit der sie vorgetragen wird, über eine Reihe von Zweifeln nicht hinwegzuhelfen, welche der Versuch der Verteidigung einer altgewohnten Auffassung mit sich bringt. -- Eine Darstellung von Kraft ( 797) sucht die Kultur der süddeutschen Bronzezeit auf Grund der württembergischen Funde darzustellen, vergißt aber Umfang und Tiefe der rein lokalen Erscheinungen. Die reichen Grabhügelfunde von der Schwäbischen Alb stehen in ihrem Mittelpunkt, und so erreicht sie bei weitem nicht das in dem Titel des Buches zum Ausdruck kommende Ziel. -- Wie die Verhältnisse während der Bronzezeit in Süddeutschland von Landschaft zu Landschaft verschieden sind, lehren die Arbeiten von Hörmann ( 799) und Schaeffer ( 801). In Mittelfranken machen sich gegen Schluß der Periode Einflüsse des Lausitzer Typus geltend, die hier ebenso wie im westlichen Böhmen und im Flußgebiete der Saale selbständige Formen hervorrufen; in den älteren Abschnitten der Bronzezeit herrschen Erscheinungen, welche dem östlichen Bayern eigentümlich sind. Sehr wertvoll ist Schaeffers eingehende Bearbeitung der reichen Bestände des Hagenauer Museums, welche seit Jahren der Veröffentlichung harrten. Von den insgesamt


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594 Grabhügeln des Hagenauer Waldes sind bereits 482 untersucht; sie haben an hierher gehörigem Stoff 35 Bestattungen aus dem Beginn, 195 aus der Mitte und 72 vom Ende der Bronzezeit geliefert. Aber diese Hügel veranschaulichen nicht die Gesamtheit der Gräber dieser Periode; es muß noch Bestattungen unter ebener Erde geben, und ein Teil der Hügel ist infolge des Ackerbaues verschwunden. Die bronzezeitliche Bevölkerung der Hagenauer Gegend in der Bronzezeit setzt sich im wesentlichen aus denjenigen drei Zweigen zusammen, welche das Gebiet schon im Neolithikum bewohnten. -- Reinecke ( 800) bespricht Material der frühen Hallstattstufe, das schon lange in Museen aufbewahrt wird und doch noch keine kritische Bearbeitung erfahren hat; er zeigt damit, daß auch die Betrachtung älterer Bestände schöne Ergebnisse zeitigen kann. Von besonderem Interesse ist eine einzeln unter einem Stein gefundene Bronzesichel aus dem Amte Wunsiedel. Ihr Fundort liegt inmitten eines fundleeren, ehedem Bayern von Böhmen trennenden Waldgebirges; von ihm sind es 30 Kilometer bis zum Ringwall des Rauhen Kulmes als der nächsten Siedlung auf bayrischem Boden und nach der anderen Seite 20 Kilometer bis zum Franzensbader Moor und seinem Fundbestande. Die Sichel ist offenbar als absichtliches Versteck zu deuten, das uns eine vorgeschichtliche Verkehrslinie anzeigt; diese überquerte das Waldgebirge im Gebiet der Senke zwischen Böhmerwald und Fichtelgebirge und wird später auch den vom Rhein kommenden landnehmenden Markomannen den Weg gewiesen haben. -- Eine Arbeit von Stampfuß ( 802) ist nicht nur wegen ihrer sachlichen Ergebnisse beachtenswert. Für sie ergibt die Durchmusterung der Metallformen und der Keramik der zweiten süddeutschen Hallstattstufe, daß dieser Formenkreis weder nach Inhalt noch nach räumlicher Verbreitung groß genug ist, um die Grundlage einer selbständigen typologischen und zugleich chronologischen Entwicklungsstufe zu sein. Demgemäß stellt der nach dem Fundort Gündlingen benannte Kreis lediglich eine lokale Fortentwicklung der Urnenfelderstufe dar. -- Ebenso wie Stampfuß zeigt uns Merhart ( 804), daß die typologischen Entwicklungsstufen nur sehr begrenzt zu chronologischen Schlüssen verwandt werden dürfen. Es geht nicht an, aus dem Fehlen von Zeugnissen der La-Tène-Kultur in Tirol auf das Fehlen einer latènezeitlichen Besiedelung dieses Gebietes schließen zu wollen. »Unsere nördlichen tirolisch-vorarlbergischen Alpentäler stehen, das darf in großen Zügen als erwiesen gelten, in kulturellem Zusammenhang mit dem inner- und südalpinen Gebiet, verhalten sich aber gegen die reinkeltische Zone des äußeren Alpenvorlandes ablehnend, ein Beweis mehr für den unkeltischen Charakter des Kulturkreises, dem sie angehören. Diesen Kreis wird man mit Reinecke gern als 'rätisch' bezeichnen.« -- Zwei Arbeiten über vorgeschichtliche Befestigungen führen in die Kämpfe ein, welche um den südwestdeutschen Siedelungsraum ausgetragen worden sind. Der Ringwall von Rittershausen im Westerwald ( 803) ist als Straßensperre und zur Beobachtung des Verkehrs auf einem Höhenwege angelegt worden. Sein archäologisches Inventar ist keltischer Herkunft und seine Front gegen Norden, gegen die Germanen gerichtet. Die Befestigung wurde zerstört; das keltische Früh-La-Tène bricht plötzlich ab. Für die Germanen aber hatte sie im Gegensatz zu anderen Anlagen keine Bedeutung und ist darum nicht wieder aufgebaut worden. Eine im württembergischen Neckarland untersuchte Viereckschanze der späten La- Tène-Zeit ( 806) ist uns wichtig als Beispiel einer im östlichen Süddeutschland

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weitverbreiteten Gruppe, um deren Deutung noch gestritten wird. Sie war nur kurze Zeit und nicht intensiv besiedelt, ist in der späten La-Tène-Zeit erbaut und nach kurzem Bestehen verlassen worden. Gegen ihre Deutung als Gutshof spricht nach Bersu die Art der Befestigung, welche nur für kurze Dauer angelegt worden sein kann (Feldbefestigung), ihre Größe, welche für die Kopfzahl eines Gutspersonals zu ansehnlich ist, ihre Lage in oft nassem und unwirtlichem Gelände, und endlich die merkwürdige Übereinstimmung, welche alle diese Anlagen sowohl in Württemberg, wie in dem badischen Bauland und den verschiedensten Teilen Bayerns aufweisen und die mit dem »Geist der bäuerlichen Bevölkerung« kaum zu vereinbaren ist. Demgemäß liegt ein einheitlicher Wille dem Bau der Viereckschanzen zugrunde. Als seine Veranlassung kommen in der Zeit von 100 vor bis 100 n. Chr. in Betracht: der Cimberndurchzug, die Volksbewegungen im Zusammenhang mit den Zügen des Ariovist, sowie endlich der Widerstand der einheimischen Bevölkerung gegen die Besetzung des Landes durch die Römer. Die Keramik der Viereckschanzen nähert sich so der einheimisch-römischen, daß kein großer zeitlicher Zwischenraum zwischen der Okkupation des Landes und der Erbauung dieser Schanzen übrigbleiben kann; und so wenden sich denn die Schanzen wahrscheinlich gegen die römische Besitzergreifung.

Eine neue Lieferung des von der Römisch-germanischen Kommission herausgegebenen Bilderatlas Germania Romana ( 807) behandelt die Grabdenkmäler. Die Besprechung dieses Stoffes gibt wiederum zu erkennen, daß die archäologischen Erscheinungen längs der Peripherie des Römischen Reiches in keiner Weise unter den Gesichtswinkeln betrachtet und mit den Maßstäben gemessen werden dürfen, welche der klassischen Archäologie auf italischem Boden geläufig sind; mehr und mehr wird die provinziale Archäologie zu einem selbständigen Zweige der Wissenschaften von den Denkmälern des Altertums. -- Auch in der Darstellung Koepps ( 808) ist diese Entwicklung allenthalben zwischen den Zeilen zu lesen; der Vergleich dieser Neuauflage mit den älteren, insbesondere der ersten, gibt deutlich zu erkennen, wie die Sichtung des Fundstoffes in den letzten Jahrzehnten dank der gemeinsamen Tätigkeit von Römisch-germanischer Kommission, öffentlicher und privater Denkmalpflege immer eindringlicher zu der Erkenntnis geführt hat, daß die archäologische Bearbeitung dieser provinzialen Stoffgruppen von der Provinz auszugehen hat, und daß erst dann, wenn ihnen hier ihre Stellung zugewiesen ist, ihr Vergleich mit den entsprechenden Erscheinungen im Herzen des Reiches vorgenommen werden darf.

Die Denkmäler des römischen Heeres nehmen als Urkunden der Okkupationsgeschichte stets einen breiten Raum in dem Schrifttum ein. Eine ebenso gedrängte wie umfassende Behandlung des obergermanisch-raetischen Limes durch Fabricius ( 809) wird als ein sehr wertvolles Hilfsmittel für eindringendere Studien dankbar entgegengenommen. Sie behandelt den Begriff des Limes und die Beschaffenheit der Grenzlinie, ihre archäologischen Erscheinungsformen und die mit ihr in Zusammenhang stehenden Baulichkeiten, die Organisation ihrer Bewachung und des Signaldienstes. Diesen allgemein gehaltenen Abschnitten folgen die speziellen, welche unter ständigen Hinweisen auf die einschlägigen Einzelarbeiten die Geschichte der einzelnen Grenzabschnitte und eine knappe Streckenbeschreibung bringen. Erfreulicherweise ist nach längerer


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Pause auch einmal wieder eine Lieferung des großen deutschen Limeswerkes erschienen, die Beschreibung der vom Main zum Neckar ziehenden Odenwaldstrecke ( 813). Es handelt sich hier um einen sehr interessanten Abschnitt, dessen Vorlage man auch deshalb gerne begrüßt, weil in seinem Bereiche eine ganze Anzahl noch erhaltener Anlagen zum Besuche lockt. In der Geschichte des Limes spielt das Kastell Hüfingen bei Donaueschingen eine besondere Rolle, weil es in klaudischer Zeit der am weitesten gegen Westen vorgeschobene Punkt der Donaulinie war, welcher auch den Weg von hier über den Schwarzwald nach dem Breisgau (Tarodunum) sperrte. So freut man sich zu hören, daß die Grabungen an diesem wichtigen Platze wiederaufgenommen worden sind ( 812); die Gräben des ersten (klaudischen) Kastelles haben Keramik von Spät-La-Tène-Stil zutage gebracht, welche zum Teil in die Zeit dieses Lagers fällt, zum Teil aber auch noch älter ist. Man möchte demgemäß ein keltisches Oppidum daselbst erwarten, welches durch das Kastell in Schach gehalten werden sollte; aber noch keiner der bis jetzt dort beobachteten Gräben kann für latènezeitlich angesehen werden. Auf das älteste Lager folgt dann ein großes, von welchem aus (unter Nero?) der Vormarsch nach Rottweil angetreten worden ist. Neben dieser Erforschung der Kastelle vermittelt diejenige der Römerstraßen uns die unmittelbarsten Einblicke in den Vorgang der Besetzung des Landes; neue Beobachtungen in dieser Richtung liegen aus der Rheinprovinz vor ( 816).

Auch im freien Germanien ist an der Aufdeckung der Zeugnisse römischer Heereszüge weiter gearbeitet worden. Neben einer Grabung im Bereiche der Lager von Haltern ( 811) beanspruchen Beobachtungen im südlichen Mähren (Bezirk Nikolsburg) und im Bezirk Mistelbach (Niederösterreich) besonderes Interesse. An beiden Plätzen handelt es sich um ein Kastell mit Steinbauten darin, die offenbar im Anschluß an den Markomannenkrieg entstanden sind. Dio Cassius berichtet uns, daß Markomannen und Quaden nach ihrer Unterwerfung eine römische Besatzung in festen Lagern dulden mußten. Von zweien dieser Lager liegen nunmehr die ersten sicheren Zeugnisse vor ( 814). Freuen wir uns hier neuer fester Anhaltspunkte, so können wir auf der anderen Seite nur bedauern, daß eine Notiz über das Kastell Aliso ( 810) das hieran knüpfende Problem seiner Lösung nicht näher bringt.

In die Spätzeit römischer Herrschaft führt die Untersuchung eines kleinen Kastelles an der oberen Donau ( 815), das wahrscheinlich um 305 gebaut und zwischen 385 und 389 durch Brand untergegangen ist. Seine Münzen zeigen ebenso wie diejenigen anderer Plätze, daß die spätrömische Reichsgrenze an oberer Donau und Iller schon vor 400 gefallen zu sein scheint. »An den Einzelfunden wird deutlich sichtbar, wie im Donaugebiet im 4. Jahrhundert das einheimische Element dem römischen gegenüber stark überwog und der Einfluß der römischen Reichskultur in Raetien auch in der Spätzeit längst nicht so stark und tief gewesen ist wie am Rhein.« Bemerkenswert sind unter diesen Funden einige Bruchstücke von handgemachten Gefäßen, wie sie in gleicher Form in den frühesten alemannischen Gräberfeldern im benachbarten freien Germanien vorkommen.

Die Kenntnis der merowingerzeitlichen Denkmäler hat durch die gründliche Untersuchung eines Reihengräberfeldes in der Nähe von Stuttgart eine wesentliche Förderung erfahren ( 818). »Für eine eingehende Bearbeitung


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des großen und wertvollen frühmittelalterlichen Materials, das in den württembergischen Museen vorhanden, ist die restlose Aufdeckung eines oder besser noch mehrerer alamannischer Friedhöfe eine unbedingte Voraussetzung.« In Holzgerlingen liegt jetzt ein geschlossener Friedhof von 302 Bestattungen vor, welcher gegen 500 einsetzt und um 650 endet. Innerhalb seines auf knapp 200 Jahre zu verteilenden Inventars macht sich deutlich ein öfterer Wechsel der Formen bemerkbar, der den Ausgang einer Chronologie der Typen bilden muß. Die typologische Betrachtung dieses Stoffes darf nicht auf einer zu kleinen Grundlage aufgebaut werden; die Bewegungen der Völkerwanderungszeit klingen noch längere Zeit hindurch in ihm nach. Heidnisches und Christliches, Nordisches und Orientalisches, prähistorische und antike Erscheinungen bilden ein oft buntes Durcheinander. Die Bearbeitung einer ungarischen Fundgruppe, welche den Awaren zugeschrieben wird und sich auch auf dem Boden Niederösterreichs in ansehnlichen Resten findet, muß darum auch bei uns Beachtung finden ( 820); sie ist groß angelegt und behandelt einen ansehnlichen Stoff, der lange Zeit hindurch ebenso vernachlässigt worden ist wie bei uns derjenige aus den Reihengräbern der Merowingerzeit.

Während dieser merowingischen Periode berühren sich geschichtliche und archäologische Forschung in breiter Front. Aber nicht nur, daß jetzt endlich die Friedhöfe dieser Zeit in den Dienst der geschichtlichen Erkenntnis gestellt werden; gleichzeitig damit ist eine wesentliche Vermehrung der Quellen vor sich gegangen, indem topographische und siedelungsgeographische Verhältnisse, Ortsnamen und Flurbezeichnungen, Form und Größe der Gemarkungen herangezogen wurden und man versuchte, von dieser vergößerten Plattform aus eine bessere Verbindung mit der schriftlichen Überlieferung zu gewinnen, als sie ehedem vorhanden gewesen war. So ist es möglich geworden, Gesamtbilder siedelungsgeschichtlicher Art von einzelnen Landschaften zu erhalten, und es darf als ihre sehr erfreuliche Auswirkung angesehen werden, daß die landesgeschichtlich eingestellte Geschichtswissenschaft ihre Ergebnisse mit Aufmerksamkeit verfolgt. Schumacher läßt seinen Darstellungen dieser Art eine neue folgen ( 817), und Wahle ( 819) sucht die Besiedelungsgeschichte des Talkessels von Baden-Baden zu ermitteln. -- Eine sehr eindringende Studie von Friedrich ( 821) kommt dank engster Verbindung von archäologischen und geschriebenen Quellen zu schönen Ergebnissen. Die verkehrsgeographischen Bedingungen für die Ausbreitung des Christentums in der vorkarolingischen Zeit werden durch eine Karte der Römerstraßen veranschaulicht, und noch aus einer Fülle anderer Beispiele geht hervor, daß sich die Verhältnisse des früheren Mittelalters in mannigfacher Hinsicht aus den Zuständen der römischen Zeit ergeben und darum ohne Zuhilfenahme archäologischer Vorarbeiten gar nicht verstanden werden können. (E. Wahle.)


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