III. Ost-, Mittel- und Norddeutschland.

Das Hauptaugenmerk der Forschung war auch im Jahre 1926 auf den Ausbau des Bodendenkmalpflegedienstes gerichtet und auf die Verbreitung des Verständnisses für die hohe Bedeutung der Bodenfunde als einziger Urkunden der Vorzeit. Nur wenn dem ganzen Volke immer mehr zum Bewußtsein gebracht wird, welcher Wert diesen Bodenurkunden für die Forschung und für die Allgemeinheit innewohnt, wird es gelingen, die dem Ausgrabungsgesetz zugrunde liegenden hohen Ziele der heimischen Denkmalpflege zu erreichen. Durch die immer tiefer den Erdboden


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umwühlende Tätigkeit der modernen Landwirtschaft und durch die überraschend schnell fortschreitende Kultivierung von Mooren und Heidelandschaften fallen gerade in unserer Zeit unzählige Bodenaltertümer, die Jahrtausende hindurch sicher in der Erde geruht haben, unwiederbringlich der Zerstörung anheim, wenn nicht der einfache Landmann, der Gutsarbeiter und alle die, die dem Erdboden durch ihre Tätigkeit am nächsten stehen, erfahren, daß es sich um die letzten Spuren unserer Vorfahren handelt, an die ihr Werkzeug stößt. Es ist daher erste Pflicht für die noch viel zu geringe Zahl von Fachleuten, ihre Hauptkraft für rettende Grabungstätigkeit auf gefährdetem Fundgelände und für Aufklärungsarbeit einzusetzen, um noch in zwölfter Stunde für die Wissenschaft möglichst viel Urkundenmaterial zu sichern. Die wissenschaftliche Verarbeitung der Funde kann unter diesen Umständen nur zu oft mit der Grabungstätigkeit nicht Schritt halten, zumal Lehrstühle für Vorgeschichte an deutschen Hochschulen bisher nur in ganz wenigen Fällen errichtet worden sind. Einen erfreulichen Fortschritt hat die Vorgeschichtsforschung in Oberschlesien zu verzeichnen. Nach der Begründung einer selbständigen Provinz Oberschlesien hat die neue Provinzialverwaltung auch die Pflege der heimischen Bodenaltertümer übernommen, und Dr. B. v. Richthofen zum Leiter des neuen Denkmalamtes nach Ratibor berufen. Außerdem hat der Beuthener Magistrat, dessen städtisches Museum die bedeutendste vorgeschichtliche Sammlung Oberschlesiens besitzt, eine weitere Stelle für einen Prähistoriker als Museumsleiter eingerichtet. So wurden in diesem Landesteil, der bisher allein von Breslau aus betreut wurde, innerhalb eines Jahres zwei hauptamtliche Fachstellen für Vorgeschichte gegründet. Welche schönen Erfolge für die Forschung hierdurch in ganz kurzer Zeit erreicht worden sind, wird weiter unten gezeigt werden. Auch das Provinzial-Museum in Hannover hat 1926 neben den bereits dort tätigen zwei Fachleuten einen dritten Fachmann für die prähistorische Landesaufnahme neu berufen, um den ständig wachsenden Aufgaben einigermaßen gerecht werden zu können.

Welche vielseitigen Aufgaben die moderne Vorgeschichtsforschung zu erfüllen hat, umschreibt Kunkel ( 769) mit kurzen, aber sehr treffenden, allgemein verständlichen Sätzen. Die früher viel umstrittene Frage, ob es der Vorgeschichte methodisch überhaupt möglich ist, Beweise für das Volkstum der vorgeschichtlichen Bewohner eines Landes zu erbringen, bejaht Seger ( 829) in der ihm eigenen sachlichen, ruhigen und überzeugenden Art in einem Überblick über die Bevölkerungsverhältnisse im vorgeschichtlichen Ostdeutschland. Er trennt scharf zwischen dem, was die von Kossinna begründete, sogenannte siedlungsarchäologische Methode bereits erwiesen hat, und was noch nicht als gesichert anzuerkennen ist. Auf dieser festen Grundlage, die er sich erbaut hat, weiß er aber auch die Angriffe E. Meyers und S. Müllers gegen die Beweiskraft der ethnologischen Schlüsse der Vorgeschichtsforschung wohl abzuwehren und vor allem die von Kostrzewski verfochtene Urslawentheorie, nach der schon die bronzezeitliche Kultur Ostdeutschlands slawisch ist, in ihrer ganzen Haltlosigkeit bloßzustellen.

Von Bearbeitungender Vorgeschichte eines Landesteiles sei zuerst der Tätigkeitsbericht von Richthofens ( 839) über Oberschlesien erwähnt. Trotz der ganz kurzen Zeit des Bestehens des oberschlesischen Bodendenkmalamtes, hat es durch seine planmäßige Erforschung aller


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Teile der Provinz unsere Kenntnis über die Vorzeit Oberschlesiens auf eine ganz andere Grundlage gestellt. Viele Anschauungen über die vorgeschichtlichen Besiedlungsverhältnisse konnten als verfehlt erwiesen werden. Hielt man bisher das oberschlesische Industriegebiet und die sandigen Fluren Nord-Oberschlesiens in der Vorzeit für unbesiedeltes Urwaldland, so liegen jetzt schon von der Steinzeit an gesicherte Siedlungsfunde aus diesen Landesteilen vor. Das Gelände der Preseka erhielt offenbar erst in frühgeschichtlicher Zeit seine Bedeutung als siedlungshemmender Grenzwald. Auch über die Dauer und Ausdehnung der keltischen Besiedlung Oberschlesiens erbrachten neue Grabungen überraschende Aufschlüsse. Ganz besonders reich ist aber das Anwachsen der germanischen Funde, die vor allem in der beginnenden Völkerwanderungszeit eine Dichte aufweisen, die nach unserer früheren Kenntnis kaum erwartet werden konnte. Diese beispiellosen Ergebnisse einer Arbeit von wenigen Monaten zeigen, wie notwendig und erfolgversprechend der Ausbau der amtlichen Bodendenkmalpflege auch in anderen Teilen Deutschlands ist, und wie viele Aufklärungen wir von der Bodenforschung noch erwarten dürfen. v. Richthofen ( 840) hat sich auch mit besonderem Eifer der Widerlegung slawischer Tendenzschriften gewidmet, die den deutschen Osten als urslawisches Land erweisen wollen. Wenn auch die Besiedlungsverhältnisse der Vorzeit kaum eine Bedeutung für moderne Nationalitätenfragen haben, so dürfen doch die den Tatsachen widersprechenden, das Germanentum geflissentlich herabsetzenden Arbeiten von Kostrzewski und seiner Schule wegen ihrer wissenschaftlichen Aufmachung nicht unwidersprochen bleiben. Hierbei soll offen anerkannt werden, daß die tschechischen und ein großer Teil der polnischen Forscher sich von dem Mißbrauch der Vorgeschichtsforschung zu nationalistischen Zwecken fernhalten.

Einen kurzen Abriß der Besiedlungsgeschichte des Weichselmündungsgebietes verdanken wir La Baume ( 844), der, ohne auf das archäologische Beweismaterial im einzelnen einzugehen, die Ergebnisse der Vorgeschichtsforschung über die Völker und Stämme Westpreußens gemeinverständlich darlegt. Weit ausführlicher ist die Behandlung der Vorgeschichte Böhmens und Mährens durch Menghin ( 841). Sie will die wichtigsten Kulturen und kennzeichnendsten Funde des Sudetenlandes durch Wort und Bild erläutern und sie in den Rahmen der europäischen Gesamtentwicklung einpassen. Trotz mannigfacher Vorarbeiten besonders tschechischer Forscher hat die Verarbeitung des Fundstoffes im Sudetengebiet bisher noch nicht mit dem Fortschritt der Wissenschaft Schritt gehalten. Es war daher eine schwierige Aufgabe, die sich der Verfasser gestellt hat. Ist die Lösung auch nicht in allen Teilen gleichermaßen glücklich gelungen, so muß das Buch doch als erste deutsche Zusammenfassung der böhmischen und mährischen Vorgeschichte, die eine von weiten Kreisen lange empfundene Lücke ausfüllt, besonders begrüßt werden. Der Verfasser versteht es ausgezeichnet, in knappen, treffenden Worten die Hauptlinien eines Fragenkomplexes zu erfassen. Schon sein Vorwort, in dem er die methodischen Fehler der früheren tschechischen Forschung berührt, bietet hierfür ein schönes Beispiel. Aber mitunter ist gar zu viel Stoff auf engsten Raum zusammengepreßt, so daß manche wertvollen Andeutungen kaum recht zur Geltung kommen. Der Historiker wird es bedauern, daß die ältesten Kulturen am ausführlichsten und treffendsten geschildert werden, während die späteren Zeiten


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viel kürzer und flüchtiger abgetan werden. Für die germanische Siedlungsepoche ist erfreulicherweise im gleichen Jahre eine besondere Darstellung von Preidel ( 843) herausgekommen, auf die wir unten noch einmal hinweisen. Die Vorgeschichte nur eines böhmischen Bezirkes legt Jahn ( 842) vor. Das Friedländer Gebiet war als Gebirgsland wenig besiedelt; trotzdem kann auf Grund der wenigen Funde der Mensch dort schon für die Steinzeit festgestellt werden und die Bedeutung des Friedländischen als Paßzone und Durchgangsland auch für die Folgezeiten nachgewiesen werden.

Bei der großen Zersplitterung des vorgeschichtlichen Schrifttums sind Literaturzusammenstellungen für einzelne Landesteile unentbehrlich. Auf diesem Gebiete hat sich Kossinna ein großes Verdienst erworben. Seinen Anregungen ist es zu verdanken, daß seit 1920 im Mannus planmäßig solche Literaturzusammenfassungen für die einzelnen deutschen Gaue veröffentlicht werden. Für Hannover hat Gummel ( 824) das Schrifttum sehr ausführlich und mit größter Sorgfalt zusammengetragen. Er hat besonderen Wert auf lückenlose Erfassung des gesamten Stoffes und leichte Verwendbarkeit dieses wertvollen Materials durch übersichtliche Ordnung nach Zeitstellung und Ortslage der beschriebenen Funde gelegt. Register und Übersichten erleichtern die Benutzung des wichtigen Handbuches in jeder Hinsicht. Möge der gewissenhafte Verfasser die in dem Buche verankerten umfassenden Studien bald zu einer Darstellung der hannoverschen Vorgeschichte ausbauen, die schon so lange schmerzlich entbehrt wird.

Gehen wir zu den Einzelabhandlungen über, so sollen aus der Stein- und Bronzezeit wiederum nur die wichtigsten Erwähnung finden. Das Buch von Sprockhoff ( 828) über die Steinzeit der Mark Brandenburg ist von ähnlicher Bedeutung wie das im vorigen Bande besprochene Werk von Niklasson über die Steinzeit Mitteldeutschlands. Es bringt eine Zusammenstellung sämtlicher jungsteinzeitlicher Funde der Mark, die planmäßig aus allen einschlägigen Sammlungen zusammengetragen worden sind. Da bisher solche Fundübersichten eines ganzen Zeitalters aus der Mark völlig fehlten, bildet die Abhandlung von Sprockhoff für diese Provinz einen Markstein der Forschung. Erstaunlich ist es, welche Fülle von Funden sich bei dieser Sammeltätigkeit ergeben hat, die der Allgemeinheit noch nicht zugänglich gemacht worden waren. Daß sie gleich sachgemäß in ihrer Kultur- und Zeitstellung geordnet dem Leser dargebracht werden, sichert dem Buch als Quellenwerk dauernden Wert. Bei der Bearbeitung des Quellenstoffes befand sich Sprockhoff in einer schwierigeren Lage als Niklasson, da er es nicht so sehr mit wissenschaftlich einwandfrei gehobenen Funden zu tun hatte. Die schlecht beobachteten Zufallsfunde spielen bei dem märkischen Material leider eine noch viel zu große Rolle. Die Grundlagen für die wissenschaftliche Auswertung, die Sprockhoff mit großer Vorsicht und Umsicht unternimmt, sind daher viel schwankender. Viele Probleme können in dem Buche noch nicht endgültig gelöst werden. Aber daß die Probleme aufgedeckt und der Diskussion zugeführt worden sind, und daß der Fachwelt das Werkzeug für die weitere Forschung so übersichtlich und zuverlässig vorgelegt worden ist, bildet die nicht zu unterschätzende Bedeutung solcher gediegenen Quellensammlungen. Für Schlesien liegen bereits Zusammenstellungen des steinzeitlichen Fundstoffes von Seger vor. Trotzdem macht die sehr rege Grabungstätigkeit des Breslauer Museums von Zeit zu Zeit Nachträge


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wichtiger Neufunde notwendig. Aus der großen Zahl wertvoller Neuerwerbungen, die Seger ( 835) veröffentlicht, sei nur die einzigartige Tonfigur eines Widders aus einer jungsteinzeitlichen Siedlung von Jordansmühl Kreis Nimptsch erwähnt, die als ältestes indogermanisches Kultbild ganz neue Einblicke in die religiösen Vorstellungen und Gebräuche des 3. Jahrtausends v. Chr. eröffnet.

Für die Bronzezeit liegt eine Abhandlung von Richthofens ( 836) vor, deren Ergebnisse von grundlegender Bedeutung nicht nur für Ostdeutschland, sondern für die gesamte Forschung sind. Ist es doch dem Verfasser gelungen, die Entstehung der sogenannten Lausitzer Kultur, der die unzähligen gefäßereichen Urnenfelder Ostdeutschlands angehören, auf Grund einer sehr genauen Analyse des schlesischen Fundstoffes sicher nachzuweisen. Er kann die Buckelkeramik der mittleren Bronzezeit, die bisher als älteste Stilgruppe der Lausitzer Kultur angesehen wurde, aus einer von ihm neu umschriebenen Keramik der älteren Bronzezeit ableiten, und diese wiederum an die Gefäßware des sogenannten Aunjetitzer Typus der ältesten Bronzezeit anknüpfen. Auch die Formen der Metallgeräte erweisen eine ununterbrochene Entwicklung innerhalb der drei Bronzealterstufen. Da nun die Entstehung des Aunjetitzer Typus aus der Endkultur der Steinzeit bereits früher festgelegt war, kann die Kultur und damit die Bevölkerung des Lausitzer Typus als bodenständig bis in die Steinzeit zurück verfolgt werden. Eine Einwanderung erst während der Bronzezeit, die früher häufig angenommen wurde, kommt nach diesen Ergebnissen nicht mehr in Frage. Neben der allgemeinen Bedeutung des Richthofenschen Buches stellt es für Schlesien ein Quellenwerk ersten Ranges dar, das den Fundstoff der älteren Bronzezeit, der bisher nur zum kleinen Teile bekannt war, lückenlos und mit reichen Bilderbeigaben vorlegt. Einen knappen, den neuesten Stand der Forschung berücksichtigenden Überblick über den Fragenkomplex, der mit der Lausitzer Kultur verknüpft ist, gibt Seger ( 834). In seiner wohl abgewogenen, zuverlässigen Fassung und mit seinen guten Abbildungen ist dieser Abriß besonders geeignet, Fernerstehende schnell mit dem Gegenstand vertraut zu machen.

Wenden wir uns der germanischen Frühgeschichte zu, so ist wiederum aus Schlesien eine gute Materialzusammenstellung der früheisenzeitlichen Germanenfunde von Tackenberg ( 837) zu nennen, in der der Verfasser seine frühere Arbeit bedeutend erweitert und vertieft. Besonders auf Grund neuer Grabungen gelingt es, eine genaue Unterteilung der frühgermanischen Kultur vorzunehmen und ihre Dauer in Schlesien auf etwa 550 bis 300 v. Chr. festzulegen. Hiermit sind zum ersten Male feste chronologische Anhaltspunkte für die Hinterlassenschaft eines Ostgermanenstammes gegeben, der von der Weichselmündung her über Posen bis in den Nordostteil von Schlesien vordrang und nach etwa 250 jähriger Anwesenheit weiter südostwärts wanderte. Jahn ( 838) ergänzt seine Studien über die jüngste germanische Kultur in Schlesien zu Beginn der Völkerwanderungszeit durch Veröffentlichung einiger wichtiger neuer Gräber, welche die Zeitstellung der lange verkannten, mit Wellenlinien verzierten gedrehten Gefäße völlig sichert. Wie stark bei der Aufklärung der Herkunft und Ausbreitung der germanischen Stämme in Ostdeutschland neben historischen sprachliche und sagengeschichtliche Untersuchungen mithelfen können, zeigt Much ( 830), der in geschickter Weise diese


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Quellen mit den aus den Bodenfunden erschlossenen Tatsachen verbindet. Ich erwähne nur seine zustimmenden Hinweise für die Gleichsetzung der frühgermanischen Gesichtsurnenkultur mit den Basternen, seine Verknüpfung der Wandalenstämme und ihres Dioskurenkultes mit dem westlichen Ostseegebiet und seine Verlegung der siegreichen Langobardenschlacht gegen die Hunnen nach Oberschlesien.

Dem im vorigen Bande erwähnten Überblick über die germanische Besiedlung Böhmens hat Preidel ( 843) eine ausführlichere Darstellung desselben Gegenstandes folgen lassen. Er ist als Sohn des Landes und bisher einziger deutscher Fachprähistoriker des Sudetengebietes besonders gut mit dem leider stark zerstreuten und zum Teil schwer zugänglichen Fundstoff aus der germanischen Frühzeit Böhmens vertraut. Wie gut die Bodenforschung hier schon heute die geschichtlichen Nachrichten erweitern und ergänzen kann, deutete ich schon im vorigen Jahrgange an. Und doch sind die archäologischen Quellen noch keineswegs ausgeschöpft, so daß wir auf diesem Gebiete mit Bestimmtheit noch weitere Aufklärungen von dem Verfasser erhoffen dürfen.

Nicht unerwähnt soll hier die umfangreiche Arbeit des schwedischen Historikers Bolin ( 775) bleiben, die den Prähistoriker ebenso angeht, wie den Historiker. Sie bietet eine sehr sorgfältige Zusammenstellung aller auf germanischem Boden gefundenen römischen Münzen. In ihr steckt eine gewaltige Arbeitsleistung, die uns mit einem Schlage die schon mehrfach von anderer Seite in Angriff genommene aber nie vollendete Statistik der Römermünzen des freien Germaniens bringt. Sie bildet für die germanische Frühgeschichte ein unentbehrliches Handbuch, das leider für viele schwer zugänglich sein wird, da es in schwedischer Sprache verfaßt ist. Auch wurde es dem Verfasser aus wirtschaftlichen Gründen nicht ermöglicht, dem Buche eine Fundkarte der Münzen beizugeben, obwohl diese eigentlich für das Verständnis unentbehrlich ist. Bei dem Mangel an guten Handbüchern für die noch junge Vorgeschichtswissenschaft wäre es außerordentlich zu begrüßen, wenn dieses Quellenwerk in seinen Hauptteilen in deutscher Übersetzung mit Beifügung der Fundkarte herausgebracht würde. Bisher liegt wenigstens der die Provinz Ostpreußen betreffende Teil der Arbeit in deutscher Sprache vor ( 833). Bei der Verarbeitung seiner großen Münzensammlung kann der Verfasser nachweisen, welche wichtigen Ergebnisse für die politische und Wirtschaftsgeschichte den Münzfunden zu entnehmen sind. Seine Schlüsse sind im allgemeinen vorsichtig und gut begründet; nur wenn er rein-archäologische Fragen allein mit den Münzen zu entscheiden sucht, macht er infolge starker Verkennung des Wertes der typologischen und chronologischen Methode der Vorgeschichtswissenschaft mitunter Fehlschritte, die sich bei einer deutschen Ausgabe leicht ausmerzen ließen.

Einen kurzen Abriß der Merowingerzeit Mitteldeutschlands veröffentlicht W. Schulz ( 822). Er weist die Wurzeln der Kultur des Thüringer Reiches in mitteldeutschen Funden des 3. und 4. Jahrhunderts nach, denen zu Anfang des 5. Jahrhunderts neues Blut durch Zuwanderungen aus der Altmark (Angeln?) und aus dem Ostseegebiet (Warnen) zugeführt wird, wofür gerade archäologische Gründe sprechen. Durch neuere Grabungen des Hallenser Museums ist das Kulturbild des Thüringer Reiches viel klarer erkennbar geworden.

Die frühgeschichtliche Kultur der Slawen hat ähnlich wie die bronzezeitliche Kultur des Lausitzer Typus eine tendenziöse, politischen Zwecken


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dienende Bearbeitung erfahren, die vor Erfindungen und Unrichtigkeiten keineswegs zurückschreckt. Sie geht diesmal von französisch-tschechischer Seite aus. Demgegenüber entwirft Beltz ( 825) in unbeirrbarer Sachlichkeit ein Bild der Slawen in Mecklenburg, wie es nach den Ergebnissen der wissenschaftlichen Forschung tatsächlich gewesen ist. Der Gesamteindruck der materiellen Kultur der Wenden ist ein ungemein kümmerlicher. Trotz der regen Beziehungen der baltischen Slawen zu den hochstehenden nordgermanischen Wikinger-Staaten, trotz der Nachbarschaft des blühenden deutschen Reiches blieb die politische Grenze zwischen Germanen und Slawen eine scharfe Kulturscheide, hinter der die Wenden, solange sie politisch selbständig waren, in auffallendem kulturellem Tiefstand lebten. Von der Lebensfrische und reichen Kulturblüte der Wikinger verschafft uns La Baume ( 831) einen guten Einblick. Besonderen Wert verleiht seiner Arbeit die Zusammenstellung von Wikingerfunden in Ostdeutschland. Siedlungsspuren und Gräber der Wikinger von der pommerschen bis zur ostpreußischen Küste legen Zeugnis dafür ab, wie stark und unmittelbar der Einfluß der Nordmänner auf die slawischen und altpreußischen Ostseegebiete gewesen ist.

Die Untersuchung der slawischen Burgwälle, wie der ostdeutschen Befestigungsanlagen überhaupt, hat durch Schuchhardt einen neuen großen Aufschwung genommen. Die von ihm in jahrzehntelanger Tätigkeit an den Burgen Nordwestdeutschlands aufs feinste ausgebildete Grabungstechnik wendete er als erster auch in Ostdeutschland an und lieferte die wichtigsten Aufschlüsse über die Konstruktion der Befestigungsanlagen. Nachdem er sich an einer ganzen Anzahl von Wällen tieferen Einblick in die Bauweise der ostdeutschen Befestigungen der Vor- und Frühgeschichte verschafft hatte, ging er die berühmtesten slawischen Tempelburgen Arkona auf Rügen und Rethra mit dem Spaten an. Seine Ergebnisse legte er in mehreren, jetzt in Buchform zusammengefaßten Schriften nieder ( 826), von denen hier nur der archäologische Teil herangezogen werden soll. Auf Arkona suchte er hauptsächlich die Reste des Swantewittempels, den er auch noch unmittelbar am ständig weiter abbröckelnden Steilrande des Kreidefelsens in seinem Grundriß nachweisen konnte. Ein Mauernquadrat von 20 m Seitenlänge mit 4 Innenpfeilern und einer mittleren Pfostengrube, in der wohl das Holzbild des Slawengottes eingelassen war, konnte das geschulte Auge des Forschers nachweisen. Bei der weittragenden Bedeutung dieser Entdeckung und dem großen Range dieses viel umkämpften Kultplatzes ist es zu bedauern, daß sich die Grabung mit einigen wenigen Schnitten durch die Anlage begnügte und sie nicht ganz freilegte. Eine völlige Ausgrabung dieser 400 qm hätte das jetzige Ergebnis wahrscheinlich vervollkommnet, zumindestens aber wäre dadurch jedem Zweifel an der Richtigkeit der Rekonstruktion des Grundrisses für alle Zeiten die Grundlage entzogen worden. Da die schon zum Teil abgestürzte Anlage einem nahen Untergange geweiht ist, ist die nachträgliche Erweiterung der damals wohl hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen eingeschränkten Untersuchung ein dringendes Bedürfnis der Forschung und zugleich der Denkmalpflege. Mit dem Versuche, das Rethrarätsel zu lösen, hat sich der Verfasser an eines der schwierigsten Probleme der ostdeutschen Bodenforschung herangewagt; denn die Lage dieser Tempelburg im Redariergau ist nicht sicher überliefert. Auf die historischen Stützen der Auffassung Schuchhardts, daß Rethra auf dem


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Schloßberge bei Feldberg in Mecklenburg-Strelitz zu suchen sei, soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Die archäologische Untersuchung ergab einen auf dem Steilufer des Lucinsees thronenden Burgwall mit drei Toren und einem Vorwall mit derselben Zahl von Toren. Im Burginnern fand man slawische Siedlungsgruben. Von einem Tempel ließen sich trotz aller Mühe keine Spuren wie in Arkona nachweisen, während die Torbauten gut erkennbar waren. Der strikte Nachweis, daß Rethra auf dem Feldberger Schloßberg gelegen hat, ist demnach nicht erbracht, wenn auch bisher kein Burgwall mit besserem Rechte an seine Stelle gesetzt werden könnte. Gerade wegen der vorbildlichen Grabungsmethode Schuchhardts vermißt man in der Veröffentlichung eine kartenmäßige Darstellung der untersuchten Flächen, genauere Profilaufnahmen der angeschnittenen Tore u. a. Die flüchtigen Rekonstruktionsskizzen allein vermögen dem Leser nicht die Unterlagen zu vermitteln, deren er bedarf, um den Ausführungen des Verfassers im einzelnen zu folgen. Der Aufsatz über Vineta kann hier außer acht gelassen werden, da sich Schuchhardt für die Lage dieser versunkenen Stadt auf keine Ausgrabungen stützen kann. Wichtig ist aber der im gleichen Aufsatz gegebene Nachweis slawischer Hügelgräber mit Brand- und Körperbestattungen aus Hinterpommern. Diese Grabform, die sowohl in Böhmen wie in östlichen Slawenländern vielfach angetroffen ist, gelangte bisher in Ostdeutschland kaum zur Kenntnis der Fachwelt; dabei muß sie, wie Schuchhardt zeigt, neben den sonst üblichen Reihenfriedhöfen ziemlich verbreitet gewesen sein. Auch Bersu ( 827) bestätigt dies durch seine Untersuchung von slawischen Hügelgräbern aus Hinterpommern, die auffallenderweise viereckigen Grundriß zeigen.

Östlich der unteren Weichsel grenzten an die Slawen die alten Preußen, denen Ehrlich ( 832) eine kurze Monographie widmet. Der Wert dieser Arbeit liegt darin, daß sie die historischen und sprachlichen Quellen mit den Ergebnissen der Bodenforschung verbindet. Wenn auch Ehrlich den neuesten Stand der Forschung durchaus berücksichtigt, so dürfen wir bei dem Aufschwung, den die Archäologie neuerdings genommen hat, von ihr auch in der Frage der ältesten Geschichte der Preußen noch genauere Aufklärung erhoffen.

Über den Rahmen der Vor- und Frühgeschichte greift die Behandlung der mittelalterlichen Keramik bereits hinaus. Ihre zeitliche Gliederung kann aber nur mit Hilfe der von der Vorgeschichtsforschung ausgebildeten typologischen Methode durchgeführt werden. Dieser Aufgabe unterzieht sich Strauß ( 823), dessen Arbeiten bisher jedoch noch klare Übersichtlichkeit und unumschränkte Beherrschung des Stoffes vermissen lassen. Sie sind daher vor allem als Vorarbeiten und Fundveröffentlichungen zu werten. (M. Jahn.)


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