I. Quellen.

Bei Gildas, dem einzigen britischen Gewährsmann aus der Frühzeit der angelsächsischen Eroberung Englands, ist die für die Datierung grundlegende Stelle c. 26 (MG. Auct. ant. XIII, 40) bekanntlich verderbt überliefert und hat Anlaß zu einer ganzen Reihe von Erklärungs- und Heilungsversuchen gegeben. Wheeler ( 845) deutet in den Worten »ut novi orditur« die ersten beiden nicht, wie es allgemein geschieht, »wie ich weiß«, sondern »wie die Neueren...« und ändert danach »orditur« in »ordinant«. Er nimmt weiter auf Grund der Annales Cambriae 516 als gesichertes Jahr der Schlacht am Badonischen Berge an und vermutet, daß das von Gildas erwähnte 44. Jahr bis dahin von 473 aus gerechnet sei als dem Jahre, in welchem die Briten wegen des Vordringens der Germanen nicht mehr die Namen der Consuln von dem Festlande her erfuhren und »post consulatum« zu rechnen begannen. Der ganze Erklärungsversuch scheint mir recht gekünstelt und unwahrscheinlich. -- Unmittelbar die Geschichte des Frankenreichs berührt vielfach Bedas klassische Kirchengeschichte Englands, deren Überlieferung gut ist und mehrere Handschriften noch des 8. Jahrhunderts umfaßt. Lowe ( 846) berichtet über ein Bruchstück (III, 29. 30) gleichen Alters in angelsächsischer Schrift, das aus der Sammlung des Sir Thomas Phillipps (Nr. 36275) in den Besitz von A. Ch. Beatty gelangt ist und zu der Gruppe von Cambridge, Universitätsbibliothek Kk. v. 16 (M bei Plummer) gehört.

Von der wichtigsten erzählenden Quelle der Franken im 7. Jahrhundert, der Chronik des sogenannten Fredegar, hat B. Krusch nicht nur die beste Ausgabe geschaffen, sondern ihr auch eine grundlegende Untersuchung über die Entstehung des Werkes gewidmet. An diese vor 44 Jahren erschienenen Forschungen knüpft seine neue Arbeit ( 847) an. Sie gilt einmal dem angeblichen Namen des Verfassers Fredegar, für den es an alten Zeugnissen fehlt und der bisher erst aus dem Jahre 1598 nachgewiesen war. Krusch bringt einen älteren Beleg aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, der in die aus Saint-Bertin stammende Handschrift 706 von Saint-Omer eingetragen ist, und weist eine noch ältere Benennung des Chronisten 1531 bei Beatus Rhenanus nach, Oudarius, wie er vermutet, eine Verlesung aus Udacius, d. h. Idacius (Hydatius), dessen Chronik ja dem fränkischen Geschichtswerk einverleibt ist. Krusch hatte einst den Nachweis erbracht, daß dieses in der heutigen Gestalt nach und nach aus der Feder von drei Verfassern hervorgegangen ist. Dieser Entstehungsgeschichte des Werkes gilt der zweite Teil seiner Ausführungen; er sichert mit guten Gründen frühere Ergebnisse: der erste Verfasser hat 613 geschrieben; das dritte Buch, die sogenannte Historia epitomata, gehört erst dem zweiten Verfasser an, der vielerörterte Prolog des vierten Buches hat spätere Zusätze und Änderungen erfahren, und die in der ältesten Handschrift beigefügte Weltchronik Isidors gehört überhaupt nicht zu dem ursprünglichen Werke (vgl. meine Besprechung in der Deutschen Literaturzeitung 1927, Sp. 2111 ff.). Die Sprache des Liber historiae Francorum, der in bescheidenerem Maße für die nächsten Jahrzehnte eine Art Ersatz für Fredegar darstellt, behandelt Pauline Taylor ( 650) in einer Doktorarbeit der Columbia University von 1924.

Beide Quellen bedürfen bekanntlich in weitem Umfang der Ergänzung besonders


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aus Heiligenleben. Der Vita Amandi, deren erste kritische Ausgabe ebenfalls Krusch besorgt hat, widmet E. de Moreau eine Untersuchung ( 849) als Vorarbeit zu seiner 1927 erschienenen Biographie des eigenartigen Missionars und Klostergründers. Im wesentlichen mit Krusch übereinstimmend, weicht er doch in manchen Einzelfragen von ihm ab und schätzt den Wert und die Glaubwürdigkeit der Vita im ganzen trotz ihrer Schwächen höher ein, obwohl auch seine Darlegungen bei dem Stande der Quellen vielfach nicht mehr als Vermutungen sein können. Kühner und überraschender sind bei aller Breite die Arbeiten seines Landsmannes D. A. Stracke über die Lebensbeschreibungen dreier belgischer Heiligen der Merowingerzeit. Die literarisch beachtenswerte Vita Trudonis, des Heiligen von Saint-Trond in Limburg, ist mehr als ein Jahrhundert nach dessen Tode gegen 790 mit großem Wortschwall und reichen Ausschmückungen von Donatus verfaßt, aber nicht nur nach mündlichen Überlieferungen, vielmehr schloß ich aus Anklängen an Eigentümlichkeiten der Urkundensprache, daß der Kern der Vita auf einer Urkunde beruht, und wenn ich dem Verfasser eine Tendenz zuschrieb, so doch nur eine den Tatsachen entsprechende. Stracke, der 1925 zu den Handschriften der Vita kleine Bruchstücke des späteren 12. Jahrhunderts aus Averbode hinzugefügt hat (Een merkwaardig groot handschrift uit de Nederlanden, in der Zeitschrift: Het Boek XIV, 303 bis 309) -- sie gehören zu der Handschriftenklasse 4 nach meiner Zählung (SS. rer. Merov. VI, 268 f.) -- tritt für eine noch größere Glaubwürdigkeit der Vita ein ( 852), obwohl das Werk des Donatus nach seiner Meinung nur in einer stilistischen Überarbeitung des 9. Jahrhunderts von einem Abt Guikardus vorliegt. Dieser ist lediglich durch eine kurze Erwähnung des späteren Trudo- Biographen Theoderich um 1090 bekannt: »ut... Trudonem, quem longe ante Donatus diaconus et postea Guikardus abbas, utriusque linguae usque ad interpretem uterque periti, Latinitati tradiderunt, mea quoque opera et stilo librariis tradam«; nicht einmal seine Zeit steht fest, und nur auf ganz unzureichende Gründe hin hat Stracke angenommen, daß das erhaltene Werk des Donatus von ihm überarbeitet sei. Jene Worte über beider Zweisprachigkeit, d. h. doch ihre Kenntnis des Deutschen und Lateinischen, haben ihn ferner zu der Annahme geführt, daß Donatus eine im 8. Jahrhundert in fränkischer Sprache niedergeschriebene Vita ins Lateinische übersetzt habe. Es wäre für diese Zeit ein einzig dastehendes Denkmal der deutschen Sprache; aber es bedarf kaum der Erwähnung, daß die Annahme jeder ernsthaften Grundlage ermangelt. Stracke freilich glaubt noch eine zweite Aufzeichnung ähnlicher Art gefunden zu haben: seine Untersuchung der Quellen über den zu Dronghen (Tronchiennes) bei Gent verehrten h. Gerulf ( 851) endet mit dem überraschenden und durchaus unbewiesenen Ergebnis, daß der um 950 verfaßten ältesten erhaltenen Passio Gerulfi ebenfalls eine Quelle des 8. Jahrhunderts in fränkischer Sprache zugrunde liegt. Eher ist es denkbar, daß der Passio der h. Dimphna oder Dympna von Gheel in der Provinz Antwerpen, einem erst um 1240 geschriebenen Heiligenroman, eine etwas ältere Aufzeichnung in niederländischer Prosa vorhergegangen ist ( 850); aber wirklich bewiesen hat Stracke auch diese Annahme nicht, und jedenfalls jene vermeintlichen Entdeckungen aus dem frühen Mittelalter kann die Forschung auf sich beruhen lassen.

Nach Bayern führt der kleine Aufsatz von J. Widemann zur Vita Corbiniani ( 853). Er tritt für 725 oder 726 als Todesjahr des Heiligen ein (gleich


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Krusch), für die Geschichtlichkeit seiner ersten Romreise, die er um 716 setzt und mit der des Bayernherzogs Theodo und den Plänen Gregors II. in Bezug auf die kirchliche Ordnung Bayerns in Zusammenhang bringt, und er läßt Corbinian 723 nach Bayern kommen -- man sieht, wie hier doch manches unsichere Vermutung bleibt.

Als eine der wenigen fast gleichzeitigen Quellen über die Erhebung König Pippins und vor allem über seine Salbung durch Papst Stephan II. zu St. Denis stand namentlich seit den Ausgaben von Krusch und Waitz die Nota oder Clausula de unctione Pippini in hoher Geltung, eine kurze Aufzeichnung aus dem Jahre 767, die einst am Schluß einer Handschrift von St. Denis eingetragen war und durch eine Abschrift des 10. Jahrhunderts in einer Brüsseler Handschrift erhalten ist. Demgegenüber hat M. Buchner ( 857) sie als eine Fälschung zu erweisen versucht, die mehr als ein Jahrhundert nach 767 angefertigt worden sei mit Benutzung eines von Abt Hildvin um 835 verfaßten ebenfalls unechten Stückes, das man bisher umgekehrt als eine Ableitung der Clausula ansah. Buchner hält diese für ein Machwerk des Abtes Gauzlin von St. Denis aus dem Jahre 880, hergestellt, um den von einer Partei nach Westfranken gerufenen ostfränkischen König Ludwig III. und seine Gattin zu veranlassen, die Königsweihe in St. Denis und nicht anderswo zu empfangen. Nun ist Ludwig überhaupt nicht in die Lage gekommen, sich zum westfränkischen König weihen zu lassen; wer den Wortlaut der Clausula unbefangen liest, wird auch schwerlich einsehen, was eine solche Fälschung über eine päpstliche Salbung zu St. Denis unter den damaligen Umständen bezwecken sollte, zumal man Ludwig ja andere darüber vorhandene Aufzeichnungen vorlegen konnte. Die Annahmen von Buchner sind auch durchaus unbewiesen und unhaltbar, und gleich E. Schulz ( 858) sind unterdessen 1927 auch Krusch (Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 47, Kanon. Abt. 16, S. 542--556), Levillain (Bibliothèque de l'Ecole des chartes 88, S. 20--42), Baudot (Moyen Age 37, 2e série 28, S. 170--181), Coens (Analecta Bollandiana 45, S. 182--184) und Zatschek (Mitteilungen des österreichischen Instituts für Geschichtsforschung 42, S. 311 f.) von verschiedenen Seiten her mit Recht für die Echtheit der Clausula eingetreten. Da aber auch eine Erwiderung von Buchner zu erwarten ist, wird später noch darauf zurückzukommen sein.

Man hat wiederholt die Frage nach dem Verfasser der Libri Carolini aufgeworfen, der bekannten Streitschrift Karls des Großen gegen die Beschlüsse der Synode von Nicäa zugunsten des Bilderdienstes, und Bastgen, ihr Herausgeber für die Mon. Germ. hist., war zuletzt für Alcvin eingetreten. Allgeier ( 856) untersucht als Grundlage für eine sicherere Zuweisung einen Teil der vielen Bibelzitate, und zwar die Anführungen aus den Psalmen. Dabei ergeben sich besonders viele Stellen von der Art des Psalterium Mozarabicum, des spanischen Psalters der Maurenzeit; danach erscheint Allgeier die Verfasserschaft Alcvins ausgeschlossen, als möglich die des Westgoten Theodulf von Orléans, an den neuerdings auch H. von Schubert (Geschichte der christlichen Kirche im Frühmittelalter, 1921, S. 386) gedacht hat.

Auf die Übersicht von K. Esselborn über Einhards Leben und Werke ( 854), die seiner Übersetzung von dessen Translation Marcellini und Petri als Einleitung dienen soll, ist bereits im vorigen Jahresbericht S. 226 f. hingewiesen worden. Einhards berühmtere Schrift, seine Vita Karoli, enthält bekanntlich


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die einzige zeitgenössische Erwähnung des später von der Sage so gefeierten Roland (c. 9); doch fehlen die fünf Worte in einem Teil der Handschriften (B in der Ausgabe von Waitz und Holder-Egger), und es fragt sich, ob sie ursprünglich oder ein späterer Zusatz sind. J. W. Thompson ( 855) will nachweisen, daß die Stelle von Einhard selbst zugefügt worden sei, als eine fränkische Abteilung 824 wie im Jahre 778 in den Pyrenäen eine Niederlage erlitten hatte, und er hält ebenso Einhards Prolog für später zugesetzt (der keineswegs, wie es hier scheint, nur in A 2 und C 1 steht, sondern auch in A 3 und A 5). Aber diese Ergebnisse beruhen auf einer Reihe von willkürlichen Annahmen und Betrachtungen; sie fassen zu wenig Handschriften ins Auge und vernachlässigen bewußt, doch mit Unrecht deren Stammbaum, wie ihn Holder-Egger (Neues Archiv 37, 1912, S. 393 ff., besonders 406 ff.) begründet hat. Es wird übersehen, wie oft gerade der Prolog in mittelalterlichen Lebensbeschreibungen nachträglich weggelassen worden ist. Alles scheint mir für seine und der Roland-Stelle Ursprünglichkeit zu sprechen. Von jener Translatio Marcellini et Petri bespricht F. L. Ganshof ( 859) zwei Stellen (vgl. schon den vorigen Jahrgang S. 226) in einem kleinen Aufsatz, der auch ein Wort der Miracula S. Bertini c. l (SS. XV, 509) verbessert und die Bedeutung von »ministerium« in Folcvins Gesta abbatum Sithiensium c. 63 und 88 (eb. XIII, 619. 622) erörtert. Die Besonderheiten des Wortschatzes der Annales Fuldenses von 838--887 stellt Ch. H. Beeson ( 642) kurz zusammen.

Als 7. Band der Classiques de l'histoire de France hat Ph. Lauer eine neue Ausgabe der Historien von Nithard gegeben ( 861) und mit einer französischen Übersetzung versehen; der auf der einzigen alten Handschrift beruhende Text und die warmherzige Einleitung kommen natürlich nur vereinzelt über die letzte Ausgabe von E. Müller hinaus (III, 2 nimmt Lauer eine geringere Interpolation an als dieser). Beigegeben ist eine Nachbildung der Straßburger Eide, die bekanntlich nur durch Nithard überliefert sind. J. W. Thompson ( 644) sucht zu beweisen, daß deren altfranzösischer Text erst gegen 920 von einem Abschreiber hergestellt worden sei, dagegen Nithard selbst neben dem deutschen Text einen lateinischen gegeben und nur einen solchen mit »Romana lingua« bezeichnet habe; der Beweis ist aber in keiner Weise geglückt, und mit Recht haben L. F. H. Lowe und B. Edwards diese Annahmen abgelehnt (The language of the Strassburg oaths, Speculum II, 1927, S. 310--317); man wird auch fernerhin den von Nithard überlieferten Text zu den ältesten Denkmälern der französischen Sprache rechnen dürfen.

Der Ablauf von 1100 Jahren seit dem Anfang von Anskars Mission im germanischen Norden hat den Verein für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte veranlaßt, dem Andenken Anskars ein Heft seiner »Schriften« zu widmen. R. Haupt ( 1939) hat dazu eine neue Übersetzung der wesentlichen Teile von Rimberts Vita Anskarii beigesteuert und mit Erläuterungen begleitet, Levison ( 860) eine Würdigung derselben wertvollen Quelle beigefügt, indem er vor allem ihre literargeschichtliche Stellung und literarische Art herauszuarbeiten sucht.

Bei der für die Geschichte des deutschen Südostens so wichtigen Conversio Carantanorum hat vor Jahren J. Goll einen Anklang an die Chronik des sogenannten Fredegar nachgewiesen. A. Jaksch ( 848) ergänzt diese Feststellung durch den Nachweis einer andern, wenn auch begrenzten Übereinstimmung


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der beiden Quellen, die ebenfalls einen mittelbaren oder unmittelbaren Zusammenhang nahelegt.


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