II. Darstellungen.

Das letzte, nicht ganz vollendete Werk von L. Duchesne, das H. Quentien aus seinem Nachlaß herausgegeben hat, seine Geschichte der Kirche im 6. Jahrhundert ( 1929), enthält in dem Abschnitt über die fränkische Kirche (S. 486--550) auch eine kurze Übersicht über die politische Geschichte des Frankenreichs in jener Zeit, erzählt mit der Gabe anmutiger Darstellung, über die der Verfasser immer verfügte. Auch das Buch von Sir Samuel Dill († 1924) über die römische Gesellschaft Galliens in der Merowingerzeit ( 862) ist nach dem Tode des Verfassers von anderen herausgegeben und zeigt mehr noch durch Wiederholungen als durch gelegentliche Versehen und Äußerungen von Weltkriegsstimmung, daß Dill nicht die letzte Hand an sein Werk hat anlegen können. Es bildet eine Art Fortsetzung seiner älteren Bücher von 1904 und 1898 über die römische Gesellschaft von Nero bis Marc Aurel und im letzten Jahrhundert des Weströmischen Reiches und behandelt die Geschichte Galliens und seine inneren Zustände vom Zusammenbruch der römischen Herrschaft bis zum Untergang Brunhildens und der Wiederherstellung der Reichseinheit durch Chlothar II. Dill beschränkt sich auch keineswegs, wie man nach dem Titel erwarten könnte, auf die Darstellung der Verhältnisse in den romanischen Kreisen Galliens, sondern beschäftigt sich nicht minder mit dessen germanischen Eroberern, vor allem Burgundern und Franken. Er ist kein Freund der neueren Quellenkritik und theoretischer Konstruktionen etwa auf dem Gebiet der Verfassungsgeschichte, eine gewisse Abneigung namentlich gegen deutsche Forschung tritt mitunter hervor, und im einzelnen mahnt die Art zur Vorsicht, wie z. B. Hincmars Vita Remigii in Schutz genommen oder das im 17. Jahrhundert erfundene Glückwunschschreiben des Papstes Anastasius an Chlodwig benutzt wird. Aber der Verfasser versteht gut zu erzählen, er zeichnet in starkem Anschluß an die Quellen, namentlich an Gregor von Tours ein lebendiges Bild der Zustände des Frankenreiches im 6. Jahrhundert -- das Werk erinnert so in mancher Hinsicht an die alten »Récits« von Thierry oder an Loebells »Gregor von Tours«, Bücher, die ja trotz ihres Alters und Veraltetseins eine gewisse Stellung behaupten.

Es ist umstritten, ob die Praeceptio eines Chlothar (MG. Capitul. I, 18 Nr. 8) dem ersten oder zweiten König dieses Namens angehört. M. Handelsman ( 387) weist sie wahrscheinlich mit Unrecht der Zeit Chlothars II. etwa zwischen 613 und 629 zu; als Heimat sucht er Südfrankreich zu erweisen und bringt den Text so in Zusammenhang mit den inneren Gegensätzen und Kämpfen Burgunds in jener Zeit, mit den Bestrebungen des aquitanischen Episkopats -- die Praeceptio ist nach ihm ein von diesem um 626--627 vorbereiteter Entwurf für eine königliche Verordnung, der aber von Chlothar nicht angenommen wurde. Die Untersuchung berührt so bei allen Bedenken, zu denen ihre Ergebnisse Anlaß geben, vielfach die innere Geschichte des Merowingerreichs.

In die Frühzeit der Karolinger führt der Aufsatz von Franz Beyerle »zur Gründungsgeschichte der Abtei Reichenau und des Bistums Konstanz« ( 1988), indem hier auch die Geschichte des Herzogtums Alamannien in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts und seine Beziehungen zu Karl Martell und dessen Söhnen erörtert werden. Es sind allerdings, wie der Verfasser


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selbst hervorhebt, recht unsichere Vermutungen, durch die er hier die trümmerhafte und ungleichwertige Überlieferung in mitunter wohl unwahrscheinlicher Weise zu deuten und zu ergänzen sucht, und ich selbst möchte schon den am Anfang stehenden Satz bezweifeln, daß bei der Gründung der Abtei Reichenau politische Ziele Karls wirklich entscheidend mitgespielt haben.

Zur Geschichte Karls des Großen liegen zwei kleine Untersuchungen von wesentlich örtlicher Bedeutung vor. Heldman ( 864) sucht den Ort näher zu bestimmen, wo Karl 783 mit den Sachsen bei Theotmalli gekämpft hat, und kommt durch zweifelhafte Vermutungen zu dem Ergebnis, daß es sich nicht um das heutige Detmold selbst handle, sondern um das erst nach 1015 bezeugte Dorf Heiligenkirchen südlich von der Stadt; es fehlt allerdings jeder auch nur halbwegs feste Anhalt für eine nähere Bestimmung des Schlachtfelds. Die beiden Reisen Leos III. in das Frankenreich und damit das erste Erscheinen eines Papstes auf deutschem Boden haben den Anlaß gegeben, eine ganze Reihe von Orten und Kirchen in Beziehung zu ihm zu setzen. Von diesen Legenden untersucht Levison ( 211) (Teil II von 169: Papsttum und Kaisertum S. 140--145) die Nachrichten über einen angeblichen Aufenthalt Leos in Hohensyburg, wo er in Gegenwart Karls die Kirche geweiht und ihren Besuchern einen reichen Ablaß verliehen haben soll, und zeigt die Abhängigkeit dieser Erdichtungen von Aachener Legenden.

Von den Privilegien der fränkischen und deutschen Könige und Kaiser für die Römische Kirche sind bekanntlich nur die der Jahre 817, 962 und 1020 erhalten, andere aus dem 9. und frühen 10. Jahrhundert bezeugt oder lassen sich als Zwischenglieder zwischen den Urkunden Ludwigs des Frommen und Ottos des Großen wenigstens erschließen. Diesen Zwischenstufen in der Reihe der Pacta geht E. Stengel ( 1894) nach; er sucht festzustellen, durch welche Mittelglieder der Text des Hludowicianums in Form und Inhalt sich allmählich zu dem des Ottonianums gewandelt hat, und er macht es wahrscheinlich, daß und wie den verlorenen Pacten von 824, 850, 872 und 876 dabei die wesentliche Rolle zugefallen ist. Für den Libellus de imperatoria potestate ist die neue Ausgabe von G. Zucchetti (1920 erschienen in den Fonti per la storia d'Italia, hinter Benedikt von San Andrea) nicht benutzt. Dagegen konnte Stengel noch den überraschenden Fund von zwei Bruchstücken einer jener Zwischenurkunden verwerten, die in der Kapelle Sancta Sanctorum des Lateran zum Vorschein gekommen und von A. Mercati ( 380) veröffentlicht worden sind; die leider nur kleinen Papyrusstücke entstammen anscheinend einem der kaiserlichen Privilegien aus dem letzten Jahrzehnt des 9. Jahrhunderts. -- Über die Grenzen der Karolingerzeit greift auch die sorgfältige Dissertation von A. Schulze ( 892) hinaus. Er verfolgt darin das Fortleben des Gedankens der Einheit des Karolingerreichs in dessen Teilstaaten vom Tode Kaiser Ludwigs II. bis zur Kaiserkrönung Ottos I.; da dieser Einheitsgedanke in dem Kaisertum seine Verkörperung fand, so wird auch die Politik der Herrscher auf Erlangung der Kaiserwürde zur Darstellung gebracht, besonders wird dem Ausdruck von Herrschaftsansprüchen und kaiserlichen Erinnerungen in den Urkunden Beachtung geschenkt. Nachzutragen ist die angebliche Vision Kaiser Karls III., in der der Gedanke eines einheitlichen Kaisertums ebenfalls deutlichen Ausdruck gefunden hat (s. meine Ausführungen, Neues Archiv 27, 1902, S. 399 ff., 493 ff.; Festgabe Friedrich von Bezold dargebracht, 1921, S. 97 f.).


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Das wertvolle Buch von F. Dvornik ( 866) über die Slawen, Byzanz und Rom im 9. Jahrhundert (Travaux publiés par l'Institut d'études slaves IV) fällt großenteils aus dem Bereich der deutschen Geschichte; im Mittelpunkt steht die Balkanhalbinsel, wenn etwa der Anteil von Byzanz an der Bekehrung der Slawen, besonders der Bulgaren und die Wirksamkeit des Photios zur Darstellung kommen. Aber das Buch berührt doch auch die deutsche Geschichte, indem natürlich auch der Aufenthalt von Konstantin (Kyrillos) und Methodios bei den Mährern, die Bestellung des letzteren zum Erzbischof von Pannonien durch Hadrian II., der Kampf der bayrischen Bischöfe um dieses Missionsgebiet und die zwischen fränkischem und byzantinischem Einfluß stehenden Slawen Dalmatiens darin angemessene Berücksichtigung finden, mag das Werk auch mit seinen Vorzügen manche Schwächen verbinden (vgl. die Besprechung von P. E. Schramm, Deutsche Literaturzeitung 1928, Sp. 139 ff.).


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