I. Allgemeine Historiographie des Mittelalters.

Die wenigen allgemeineren Arbeiten zur Geschichtsschreibung und Quellenkunde sind teils kurze Zusammenfassungen für Lernende oder weitere Kreise teils Einzeluntersuchungen. Der nützliche Abriß der Quellenkunde der Deutschen Geschichte im Mittelalter von K. Jacob ( 99), dessen 2. Bändchen jetzt von 1024--1250 reicht, wird auch in seiner neuen Gestalt seine Beliebtheit bei den Studierenden behaupten, so sehnlich man auch für die Forschung auf die neue Bearbeitung des unentbehrlichen Wattenbach wartet. -- Der kurze Überblick von R. L. Poole ( 100) über mittelalterliche Chroniken und Annalen, der im wesentlichen etwa bis zum Anfang des 13. Jahrhunderts führt, kommt daneben für festländische Dinge weniger in Betracht. -- Zur gattungsweisen Erforschung der erzählenden Quellen anregen wollen die eindringenden Bemerkungen von W. Erben ( 101) über die Erwähnung eigener Erlebnisse bei Geschichtschreibern des Mittelalters, die an seinen scharfsinnigen, aber hier auch von ihm nicht mehr als bewiesen behandelten Versuch anknüpfen, die um 1200 entstandene Chronik des Lambert von Ardres als eine Fälschung von rund 1400 zu erhärten (vgl. Jahresber. 1925 S. 232), selber aber ihren Rahmen weiter stecken. -- Die Motivgeschichte hat E. v. Frauenholz ( 2356) durch eine stoffreiche Übersicht über die literarische Behandlung des Octavianus Augustus im Mittelalter gefördert. Eine wohl ebenfalls hierher gehörende ungedruckte Arbeit von Otto Schmidt ( 104) über die Völkerwanderung war uns auch im Auszuge nicht zugänglich.

Wie wesentlich das Verständnis der mittelalterlichen Quellen nach den verschiedensten Seiten hin durch sorgfältige Beachtung von grundlegenden, ihrer Zeit selbstverständlichen, uns aber fremden Begriffen und Denkformen auch abgesehen von den öfter gründlich behandelten »augustinischen« Begriffen gefördert werden kann, hat A. Hofmeister ( 103) an dem Beispiel der mittelalterlichen Altersbezeichnungen, wie puer, iuvenis, senex usw., besonders für das 11. und 12. Jahrhundert ausgeführt. Man darf diese nachweislich oft sehr genau und sorgfältig überlegten Angaben nicht im allgemeinen als unzuverlässig und willkürlich verwerfen, wie infolge von Unkenntnis ihrer


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wahren Bedeutung oft geschehen ist. Der geistesgeschichtlichen Forschung im eigentlichsten Sinne bietet sich hier noch ein weites und fruchtbares Feld, dessen Bearbeitung, wie an einzelnen Beispielen gezeigt wird, u. a. auch für die politische und die Rechtsgeschichte Ertrag bringen kann.

Mit Recht wendet sich die Forschung neuerdings eifrig der zahlreichen Briefliteratur zu, ebensosehr um neues Material zutage zu fördern wie um ältere Drucke durch kritische Ausgaben zu ersetzen. Ohne Zweifel ist in beiden Richtungen viel nachzuholen und reicher Ertrag zu erwarten. Dankbar wird man da die Anregungen von B. Schmeidler ( 102) begrüßen, der nach grundsätzlichen Bemerkungen über die Bearbeitung die älteren Briefsammlungen zur deutschen Geschichte etwa vom 6. bis ins 12. Jahrhundert kurz durchspricht. Er möchte, wie er das für die Tegernseer Sammlung Froumunds (s. Jahrg. 1925 Nr. 811, S. 229) und in seinem Buch über Heinrich IV. und seine Helfer im Investiturstreit (Leipzig 1927) für andere Sammlungen genauer dargelegt hat, die überlieferten Sammlungen weithin auf Briefbücher (Register) der Verfasser der Briefe zurückführen und durch eingehendste Stilvergleichung die Einheitlichkeit des Verfassers für die Stücke einer solchen Sammlung oder deren Kompilation aus mehreren Briefbüchern verschiedener Verfasser ermitteln. Er warnt vor voreiliger Annahme von Fälschungen oder Stilübungen, da er die von Wattenbach für solche aufgestellten Kennzeichen (daß sich immer Brief und Gegenbrief entsprechen; daß Briefe der verschiedensten Absender und Empfänger den gleichen Stil aufweisen; daß der Inhalt sachliche Unrichtigkeiten und Unmöglichkeiten bringt) nicht als beweiskräftig betrachtet. -- Die Arbeit von Ch. H. Taylor ( 384) richtet sich gegen den Versuch von Šusta, der seinerzeit die klösterlichen Polyptychen des früheren Mittelalters an das Katasterwesen der spätrömischen Kaiserzeit hatte anknüpfen wollen.


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