a) Allgemeines.

Der 5. Band der Cambridge Medieval History ( 890 und 1893) mit dem Untertitel »Der Kampf zwischen Kaisertum und Papsttum« schließt sich unmittelbar an den 4 Jahre früher erschienenen 3. Band »Deutschland und das abendländische Kaisertum« an. Er zeugt, wie seine Vorgänger, von dem tatkräftigen Eifer der Herausgeber, die im Laufe der Jahre mehrmals gewechselt haben, und gibt ein gutes Bild von dem, was die englische Geschichtswissenschaft für das Mittelalter heute zu leisten vermag. Denn als ihr Werk stellt sich das Unternehmen und besonders der vorliegende Band im wesentlichen jetzt dar, an dem unter 17 Mitarbeitern neben 14 Engländern mit 19 von 23 Kapiteln nur noch 2 Franzosen und ein Italiener mit zusammen 4 Kapiteln beteiligt sind. Die Schilderung führt im allgemeinen von der Mitte des 11. bis gegen Ende des 12. Jahrhunderts, in den geistesgeschichtlichen Abschnitten noch etwa 100 Jahre weiter, und greift in diesen wie in dem Eingangskapitel über die Kirchenreform und bei der Entstehung der italienischen Städte auch weiter, zum Teil erheblich weiter, zurück; die Darstellung des Mönchtums und des Römischen und Kanonischen Rechts ist sogar bis zum Ausgang des Mittelalters erstreckt. Die Anordnung, deren Schwierigkeiten auf der Hand liegen und bei einem solchen Sammelwerke nie ganz befriedigend zu überwinden sein werden, gibt hier weniger Anstoß als bei früheren Bänden. Zweckentsprechend folgen sich die Abschnitte Kirchenreform (von J. P. Whitney), Investiturstreit bis zum Wormser Konkordat, Deutschland unter Heinrich IV. und Heinrich V., die Normannen in Unteritalien (von dem verstorbenen F. Chalandon) und dann, etwas störend abgetrennt durch die beachtlichen Kapitel über die städtische Entwicklung in Italien bis 1200 (von C. W. Previté-Orton) und über den Islam in Syrien und Ägypten von 750--1100 (von W. B. Stevenson), die Kreuzzüge, die von der anderen Seite her auch schon in dem 4., byzantinischen Bande, behandelt waren, und ihre Wirkungen auf das Abendland (von 3 verschiedenen Verfassern, sehr ausführlich der 1. Kreuzzug von W. B. Stevenson) und in 4 Abschnitten die deutsche und die italienische Geschichte von 1125--1197. Dann wird in 3 Abschnitten die englische Geschichte von Wilhelm dem Eroberer bis 1189 (mit den Hauptergebnissen der Domesday-Forschungen des inzwischen verstorbenen W. J. Corbett) und, nur für die Zeit von 1108--1180, die französische Geschichte nachgeholt. Spanien und die nordischen Länder, aber auch Ungarn, Polen und sogar Böhmen sollen erst in dem folgenden Band behandelt werden, so daß die vorliegende Schilderung nach einer gerade für uns sehr wichtigen Seite hin noch kein abgeschlossenes Bild gibt. Die Darstellung der deutschen und der von ihr nicht zu trennenden italienischen Geschichte, die uns hier besonders angeht, leidet einigermaßen an der Zerlegung in 2 parallele Reihen, die dann wieder, so geschickt es anging, abschnittweise ineinandergefügt sind. Das wird weniger für die Zeit vor 1125 fühlbar, wo beide Teile in einer Hand, von Z. N. Brooke, lagen und die vielen Wiederholungen aufeinander abgestimmt sind, als nachher, wo Austin Lane Poole die Vorgänge in Deutschland unter Lothar, Konrad III., Friedrich Barbarossa, aber der verstorbene Ugo Balzani die italienischen Dinge der gleichen Zeit behandelt hat, während für Heinrich VI. A. L. Pooles beides umspannende Darstellung sich mit dem Schluß von Chalandons Normannenkapitel


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berührt. Besonders leidet darunter, was natürlich die Bearbeiter selber mehr oder weniger empfunden haben, die Darstellung Friedrich Barbarossas, wo wir zuerst seine ganze deutsche Regierung bis zu seinem Kreuzzuge und Tode erhalten und dann erst zu der Kaiserkrönung, Roncaglia und dem Schisma kommen. Es ist klar, daß eine solche Abgrenzung auch bei einem grundsätzlich auf Arbeitsteilung aufgebauten Werke hätte vermieden werden müssen -- und auch können. Aber das ist nur ein besonders krasses Beispiel. Nicht an der Aufteilung des Stoffes unter eine Mehrzahl von Bearbeitern an sich, sondern an der grundsätzlich zu äußerlichen Art, in der diese Aufteilung vorgenommen ist, liegt es ja, daß diese zur Zeit ausführlichste Behandlung des gesamten Mittelalters im Grunde doch nur ein Nebeneinander von Einzeldarstellungen, keine wirkliche Gesamtgeschichte geworden ist. Ein sehr gelehrtes und zu tatsächlicher Belehrung nützliches Werk bleibt sie darum doch. Auch für die genannten Abschnitte ist die Gelehrsamkeit der Verfasser über jeden Zweifel erhaben, wenn sie schließlich auch kaum mehr als eine achtbare Zusammenfassung nach dem damaligen Stande des Wissens, freilich nicht immer ganz bis zu den letzten Forschungen hin (z. B. für den Prozeß Heinrichs des Löwen) und nicht ganz ohne Irrtümer, geboten haben und vielleicht auch nicht mehr haben bieten wollen. Auch die umfangreichen Schlußkapitel über die Kommune- Bewegung besonders in Frankreich, über das Mönchtum, über das Römische und das Kanonische Recht im Mittelalter und über Unterrichtswesen und Philosophie sind wesentlich große Vorratskammern voller Tatsachen, Namen und Daten, die gewiß ihre Benutzer finden werden. Auch nach der stofflichen Seite hin zu kurz gekommen ist wenigstens in dem vorliegenden Bande die Wirtschaftsgeschichte. Von den Karten ist nicht gerade viel Aufhebens zu machen. Sie sind eines solchen Werkes, mit wenigen Ausnahmen, nicht würdig. Man sollte, wenn sie nicht nach Form und Inhalt ganz anders ausgestaltet werden können, auf sie lieber verzichten, da genügend bessere in leicht zugänglichen Atlanten zur Verfügung stehen. Erwünscht wären dagegen mehr genealogische Übersichten. Erwähnt sei das umfangreiche Literaturverzeichnis. -- Anschließend seien die kurzen Bemerkungen von L. Halphen ( 903) vor allem über die wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen genannt, die sich aus der Wiedergewinnung des Mittelmeers und seiner Randländer für die europäische Schiffahrt und den europäischen Handel infolge der Kreuzzugsbewegung (im weitesten Sinne, auch Spanien und Sizilien mitbegreifend) ergaben.

Das Buch von Fedor Schneider ( 2393) über Rom und Romgedanken im Mittelalter ist nach Gegenstand und Methode zwar wesentlich geistesgeschichtlich; es kann aber auch hier nicht übergangen werden, weil es sich um einen sehr stark politisch wirksamen Vorstellungskreis handelt, der auf unsere Geschichte gerade während der »Kaiserzeit« bestimmend eingewirkt hat. Um so nachdrücklicher ist auf diese gedanken- und ausblickreiche Studie hinzuweisen, als es sich um eine Leistung handelt, deren geistige Energie der Fülle und Mannigfaltigkeit des hier vor uns nicht nur ausgebreiteten, sondern auf nur 228 Seiten -- der Rest sind gehaltvolle Anmerkungen -- auch anschaulich belebten und verbundenen Wissens ebenbürtig ist. Von hoher Warte und in weitestem Zusammenhang durchmustert der Verfasser etwa den Zeitraum von Theoderich bis zu den Staufern, mit Ausblicken vor- und rückwärts, um festzustellen oder doch anzudeuten, was ist von dem Erbe des römischen Altertums


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im Rom des Mittelalters lebendig geblieben und wie weit hat das mittelalterliche Rom mit diesem antiken Erbe auf die Renaissance als Anfang des modernen Geistes eingewirkt. Er zeigt den Romgedanken in seinem anfänglichen Fortleben auch in der Kirche, die in Rom an die Stelle des Imperators getreten ist, und in seinem Ringen mit der hier von Gregor dem Großen ausgehenden und später in den Kluniazensern verkörperten Gegenströmung bis zu deren endgültigem Siege unter Gregor VII., der durch die Verschmelzung des römischen Nationalgefühls in seiner politischen Wendung mit dem kirchlichen Programm der Kluniazenser die Universalkirche, »Statthalterei des überirdischen Herrn der Seelen« und zugleich weltlichen Staat, die »römische Kirche«, schuf. Der Verfasser zeigt uns weiter den Romgedanken, wie ihn die Stadtrömer empfanden, in seinen Beziehungen und in seinem Gegensatz zu dem allgemeinen Kaisergedanken und zu der lombardisch-nationalitalienischen Strömung, wobei er wieder, wie schon oft, nachdrücklich die führende Rolle des langobardischen Volksbestandteils in der italienischen Entwicklung zu unterstreichen bemüht ist. Er zeigt, wie die Kaiseridee in der Renaissance des römischen Rechts erst von Ravenna, dann von Bologna aus im späteren 11. und im 12. Jahrhundert eine von den lebenden Römern nicht mehr abhängige Rechtfertigung fand, und er weist darauf hin, wie aus der Einwirkung des Romgedankens auf die Lombarden das italienische Nationalgefühl erwuchs. »Der Romgedanke als nationale Idee ist durch das universale Papsttum des hohen Mittelalters verdorben worden wie das Deutsche Reich. Aber der Romgedanke hat doch eine welthistorische Bedeutung. Er hat die nationale Bewegung bei den Langobarden entscheidend beeinflußt, er ist zum Ferment des italienischen Nationalgefühls und der neuen nationalen Kulturbewegung bei ihnen geworden.« Die Stärke des Buches liegt im Frühmittelalter, wo es auch die Fülle der Erscheinungen selber am unmittelbarsten zu uns sprechen läßt. Besonders eindringlich und mit innerstem persönlichen Anteil in Zustimmung bzw. Ablehnung werden hier Cassiodor und von der Gegenseite Gregor der Große behandelt; die im besondern literar- oder bildungsgeschichtlichen Abschnitte ragen auch sonst hervor. Mit besonderer Liebe ist z. B., um von Anastasius und Johannes Diaconus zu schweigen, Benedikt von St. Peter, der Verfasser des Liber politicus und der Mirabilia Romae kurz vor der Mitte des 12. Jahrhunderts gezeichnet. Für die politische Geschichte darf vor allem die Behandlung Theophylakts und Alberichs, der Crescentier und der Tuskulaner nicht übersehen werden, des »heroischen Säculums des Romgedankens«, das uns hier mit vielen neuen Lichtern und Urteilen vorgeführt wird. Ob freilich diese Lichter immer richtig gesetzt sind, das ist eine Frage für sich, und wie in dem sehr persönlichen Urteil über Theodorich und Gregor den Großen, so wird der Verfasser auch hier vielleicht bei manchem Leser mehr oder weniger Zustimmung, sicher aber bei vielen entschiedene Ablehnung finden, wenn er z. B. das ottonische Imperium eine Fehlkonstruktion vom ersten Augenblick an nennt und notwendig »die besonders naturwidrige Pseudomorphose des abendländischen Imperiums sich in Phantasmen und Illusionen verzehren« läßt. Der Verfasser stellt eine nähere Begründung seines Standpunktes an anderer Stelle in Aussicht, und so wird sicherlich auch er der Ansicht sein, daß hier eine wesentlich ideengeschichtliche Beweisführung nicht mehr ausreicht. Der Verfasser schreibt -- und man wird darin keinen Nachteil sehen -- außerordentlich temperamentvoll; er arbeitet mit

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starkem Licht und Schatten und zeichnet meist mit kräftigen, geraden Linien, wobei es freilich nicht immer ohne Gewaltsamkeit abgeht. Er fordert in seiner Formulierung oft geradezu den Widerspruch heraus, und an Widerspruch, auch an berechtigtem Widerspruch, wird es ihm nicht fehlen. Aber anregend und belehrend ist sein Buch für jeden Fachgenossen in hohem Maße, und keiner, der es liest, wird es anders als mit lebhaftem Anteil lesen.

Die Dissertation von Albert Schulze ( 892) bemüht sich um den Nachweis, »daß Kaiseridee und Einheitsgedanke auch nach dem Tode Ludwigs II. in den einzelnen karolingischen Nachfolgestaaten weiterlebten«, wenn auch nicht überall in gleicher Weise. Sie ist als verständige und in ihrem Ziel berechtigte Zusammenfassung verdienstlich. Obwohl die Beurteilung der oft behandelten Tatsachen weiter vielfach auseinandergehen wird und aus der hier besonders berücksichtigten Ausdrucksweise der Urkunden im einzelnen entscheidendes neues Material kaum gewonnen ist, dürfte die Gesamtheit der hier vereinigten Beobachtungen auch nach diesem oder jenem Abstrich eines gewissen Eindrucks nicht ermangeln. -- Die ungedruckte Arbeit von A. Schunter ( 893) über den weströmischen Kaisergedanken außerhalb des Karolingerreiches ist uns unerreichbar geblieben.

F. Landogna ( 914) will darlegen, wie sich seit Julius Nepos und Odovakar ein von dem Imperium unterschiedenes regnum Italicum bildete und wie dieses administrativ und politisch von seinem Mittelpunkt in Pavia aus von den Langobarden bis ins 11. Jahrhundert in zusammenhängender, auch bei der fränkischen oder der deutschen Eroberung nicht unterbrochenen Entwicklung seine Wesenheit entfaltete, wobei ihm allerdings neben treffenden Bemerkungen bei der näheren Ausführung gar manche anfechtbare Behauptung oder reichlich gewagte Konstruktion mit unterläuft. Diese Selbständigkeit des italischen Staates rechnet Landogna nur bis zu Konrad II. und Heinrich III. Von da an geht nach ihm der Begriff des regnum Italicum im Imperium auf, und Friedrich I. und Friedrich II. stützen sich bei ihrem Versuch, die zentrale Organisation wiederherzustellen, nicht mehr auf das königliche, sondern auf das kaiserliche Recht -- was mindestens für Friedrich I. nicht zutrifft. Nach Legnano und dem Frieden von Konstanz wird das regnum Italicum dann ganz zu einem leeren Namen ohne Inhalt. In dem allmählichen, widerstandslosen Verschwinden dieser dem Lande von außen, von fremden Eroberern auferlegten Einheit sieht Landogna ein Glück für die nationale Zukunft Italiens, die dadurch hätte verzögert oder abgelenkt werden können. Die Auffassung Italiens als eines Lehens (feudo) des deutschen Imperiums, sofern sie früher geäußert ist, kann jedesfalls seit langem nicht mehr als die deutsche Meinung gelten, die sich vielmehr grundsätzlich hier kaum sehr von Landogna unterscheidet. -- Nicht vorbeizugehen ist hier auch, obwohl nur wenige Seiten die deutsche Kaiserzeit betreffen, an den Betrachtungen, in denen Karl Hampe ( 234) eine »Kulturbilanz« der »durch nahezu zwei Jahrtausende« »dauernd auf das engste verflochtenen Beziehungen der beiden Länder Italien und Deutschland« zu ziehen versucht. -- Zeitlich viel weiter gespannt ist auch der geschickte Überblick über die Geschichte Friauls, d. h. für unsere Zeit im wesentlichen des Patriarchenstaats Aquileja, in dem A. Hessel ( 518) zeigt, wie auch für dieses, im 12. und 13. Jahrhundert zumal in der Oberschicht seiner Bevölkerung stark deutsch durchsetzte Grenzland allzeit nicht die lokalen, sondern die allgemeinen europäischen


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Verhältnisse das Schicksal entschieden. -- Die inhaltreiche, leider noch nicht abgeschlossene Studie von Margarete Merores (»Der venezianische Adel. 1. Teil: Die Geschlechter«. In: Vierteljahrschr. f. Sozial- u. Wirtschaftsgesch., XIX, 1926, S. 193--237), die im wesentlichen bis gegen 1200 führt, ist hier schon deshalb wenigstens zu erwähnen, weil sie entschieden gegen die außerordentlich scharfe Kritik auftritt, die neuerdings von italienischen Forschern an dem Chronicon Altinate geübt ist. Hoffentlich wird sie darauf noch näher zurückkommen können.

Mit der Geschichte des Reichsgutes beschäftigen sich zwei schon durch ihren Stoffreichtum nützliche Arbeiten, die trotz ihrer landschaftlichen Beschränkung doch auch hier wenigstens genannt werden müssen. August Schmitt ( 1524) behandelt mit genauen Einzelnachweisen das Königsgut der karolingischen und der sächsischen Zeit im Bereich der heutigen Provinz Hessen-Nassau einschließlich Wetzlar und Oberhessen und wendet sich dabei gegen die von Kerrl auf Grund der urkundlichen Terminologie versuchte Trennung von Staats- und Hausgut, während die zeitlich viel weiter ausgreifende und mehr zusammenfassende Arbeit von Helene Wieruszowski ( 1523) Reichsbesitz und Reichsrechte im Rheinland, soweit es sich um Besitz von Grund und Boden handelt, von den Merwingern bis über das Interregnum hinaus darstellt. Sie kann sich dabei auf die Einzelnachweise in ihren noch ungedruckten Erläuterungen zu 5 von der Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde vorbereiteten Reichsgutkarten stützen.

Für Oberlothringen hat uns die 2. Auflage der zusammenfassenden Darstellung von R. Parisot ( 275), die zuerst 1919 erschienen ist, nicht vorgelegen. -- Für Niederlothringen seien ein paar kleinere Arbeiten erwähnt. A. Hansay ( 467) bespricht die Entstehung der Grafschaft Looz (Loon), die seit dem 11. Jahrhundert unter diesem Namen vorkommt und im groben der heutigen belgischen Provinz Limburg entspricht. Seine Stammtafel der Grafen, die im 12. und Anfang des 13. Jahrhunderts auch Burggrafen von Mainz und Grafen von Rieneck (im Spessart) waren, ist freilich anfechtbar und unvollständig. H. Vander Linden ( 1569) würdigt den 1082 aufgerichteten Lütticher Landfrieden in seiner Bedeutung für die Ausbildung der fürstlichen Stellung der Bischöfe von Lüttich. Für die innere Entwicklung des Lütticher Bischofsstaates ist auch die Abhandlung von E. Poncelet ( 1570) von Bedeutung, der die allmähliche Umwandlung der Lütticher Ministerialität zum Lehnshof seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts darlegt. H. Obreen (»Quel fut, au moyen âge, le tracé exact des limites entre les diocèses de Liège et d'Utrecht dans les îles des embouchures de l'Escaut et de la Meuse?« In Nr. 213, Bd. II, S. 345--348) erörtert die Grenzführung zwischen dem Utrechter und dem Lütticher Sprengel im Mündungsgebiet von Schelde und Maas.

Sehr erfreulich ist die Forschung über die deutsch-wendischen Beziehungen und die Verhältnisse an der mittleren Ostseeküste zwischen Elbe und Oder vor der entscheidenden Christianisierung und Regermanisierung des 12. und 13. Jahrhundert durch die Grabungen von C. Schuchhardt ( 826) belebt worden. Da die Berichte darüber in den Sitzungsberichten der Berliner Akademie zum Teil bereits vergriffen waren, ist deren Wiederabdruck in Buchform zu begrüßen, obwohl, von der starken Vermehrung der Abbildungen abgesehen, eigentlich nur der erste Grabungsbericht, über Arkona, erweitert, im übrigen


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aber ziemlich alles so gut wie unverändert wiederholt worden ist. Ist die geschichtliche Ausdeutung nicht immer stichhaltig, so ist (wie z. B. in dem, was gegen eine etwaige Zerstörung des Redarieheiligtums erst im 12. Jahrhundert gesagt wird) von bleibenderem Wert der archäologische Teil, sowohl für Arkona, wo nicht nur der Burgwall, sondern auch der Swantewit-Tempel mit dem Standort des Götzenbildes genau der Beschreibung bei Saxo Grammaticus entsprechend nachgewiesen werden konnte, wie für den Schloßberg am Breiten Luzinsee bei Feldberg in Mecklenburg-Strelitz, wo sich auf jeden Fall eine höchst bemerkenswerte wendische Befestigung, wenn auch nicht mit voller Sicherheit das gewöhnlich als Rethra bekannte redarische Heiligtum Riedegost feststellen ließ, weil sichere Spuren des Tempels nicht gefunden wurden. Für »Vineta« (Jumne) wichtig ist die Feststellung, daß es sich bei Wollin bisher nicht um wikingische Funde handelt, womit dieser allerdings schon von Saxo Gramm. vertretenen Gleichsetzung ihre wesentliche Stütze genommen wird. Schuchhardt selber denkt an die Nordwestecke der Insel Usedom und die Peene-Mündung, die in der Tat sehr ernstlich in Frage kommt. Seine genauere Ortsbestimmung (am Peenemünder Haken) bleibt aber unsicher und ist z. B. in verschiedener Weise von R. Burkhardt (»Vineta«. In: Mannus, Bd. 17, S. 112--118) und von Joh. Paul (»Wo lag Vineta?« In: Wissenschaftliche Festschrift zur 700-Jahr-Feier der Kreuzschule zu Dresden 1926, S. 161--165), der auf die Gegend von Peenemünde selbst hinweist, angefochten worden. Auf das älteste Zeugnis für die Lage auf Usedom aus dem 14. Jahrhundert habe ich selber (in Nr. 906) zuerst hingewiesen. Für eine Zerstörung »Rethras« erst 1126--1128 (nicht schon 1068) tritt gegen Schuchhardt ein Emil Schwartz (»Beiträge zur Rethrafrage.« In: Mannus, Bd. 17, S. 210--217). -- Das Verfahren der Elbslawen in den Kämpfen mit ihren deutschen Nachbarn vom 10. bis 12. Jahrhundert schildert H. Krabbo ( 584), um damit die freilich krasse und agitatorischen Zwecken dienende Schilderung des Aufrufes von etwa 1108 als glaubwürdig zu erweisen. Warum aber dieses Schriftstück nun noch, wie auch Krabbo mit Tangl annimmt, nicht wirklich im Namen des Magdeburger Erzbischofs und seiner Genossen ergangen sein, sondern deren Namen nur zu Unrecht sich vorgesetzt haben soll, ist unerfindlich. Man muß sich nur vergegenwärtigen, daß es nicht allein und überhaupt wohl nicht in erster Linie auf die als Empfänger genannten Fürsten, sondern auf die Masse der milites, ministeriales, clientes wirken sollte, die man als wehrhafte Siedler gewinnen wollte.

Die Missionsversuche bei den pommerschen Wenden vom Ende des 10. Jahrhunderts bis auf Otto von Bamberg, wobei aber der Nachdruck ganz auf der Tätigkeit Ottos liegt, hat W. Kümmel ( 1936) behandelt. Freilich schreibt er nicht eigentlich als Historiker, was sich auch in dem Übersehen der neueren Ausgaben mancher Quellen und in manchen sachlichen Verstößen zeigt, sondern als Theologe und Missionswissenschafter, der vor allem die Praxis der mittelalterlichen Mission an den Maßstäben der modernen und im besonderen der protestantischen Missionslehre messen und nach ihnen werten will. Da dabei aber manches in anderen Zusammenhängen und in anderer Beleuchtung als gewöhnlich erscheint und der Verfasser ein scharfer, wenn auch mehr systematischer Kopf ist, wird man seine Arbeit nicht übersehen sollen, ohne gerade für die geschichtlichen Vorgänge auf sie in erster Linie zurückzugreifen, und aus seiner Beurteilung Nutzen ziehen können, auch ohne ihr beizutreten.


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In energischer Zusammenfassung und unter vielfach neuen Gesichtspunkten hat Erik Arup ( 891; schon 1925 erschienen) eine Geschichte Dänemarks zu schreiben begonnen, deren 1. Band »Land und Volk«, ohne Anmerkungen oder Literaturverzeichnis, von der Urzeit bis 1282 behandelt (mit Unterteilen bis Christi Geburt und bis 1060) und bei den vielfachen Beziehungen zu Deutschland hier zwar kurz, doch nachdrücklich erwähnt werden muß. Stark in den Vordergrund gestellt sind die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, die der Verfasser als führender Forscher beherrscht. Die politisch-militärischen und die kirchlichen Dinge sind knapper behandelt, treten aber bei der straffen Linienführung und dem durchweg betonten Urteil gerade darum oft wirksam ins Licht. Wenn die Wendenkriege Waldemars I., für die nach dem Verfasser nicht übermäßig große Begeisterung im Volke herrschte, und die Einnahme Arkonas (die aber 1168, nicht 1169, und wohl etwas vor dem 15. Juni, stattfand) nach den deutschen Ostseestädten von Lübeck bis Danzig behandelt worden, so ist das einer der Fälle, in denen nicht jeder mit der Anordnung des Stoffes einverstanden sein wird. Daß Saxo als Quelle auch für das spätere 12. Jahrhundert sehr kritisch bewertet ist, wird z. B. in der Behandlung Absalons deutlich. Der Verfasser schreibt mit starkem persönlichen Anteil an Personen und Dingen, aber sachlich-schlicht und ohne nationalistische Befangenheit. Es hat ihm bereits nicht an Widerspruch gefehlt, den er wiederholt fast herauszufordern scheint, und man hat sein Buch wohl als die erste neumarxistische Behandlung seines Gegenstandes bezeichnet. Doch leichthin beiseite geschoben werden darf es niemals. Ohne Zweifel wird es die Forschung und die Auffassung sehr fördernd beleben.


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