II. Von 1648--1700.

Die deutsche Geschichte in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts steht unter dem Zeichen schwerer äußerer Not, hervorgerufen durch die ausgreifende, rücksichtslose Eroberungspolitik Ludwigs XIV. und durch die letzten gefährlichen Vorstöße der Türken. Zugleich aber bietet sie uns das Bild eines innern Wiederaufstiegs nach den furchtbaren Wirren des Dreißigjährigen Krieges, eines Wiederaufstiegs, der auch schon auf politischem Gebiete in der Erhebung Brandenburgs zu einem achtunggebietenden, starken Staat deutlich wird. Um die Erforschung des Lebens und der Tätigkeit des Führers und Trägers dieser Erhebung, des Großen Kurfürsten, hat sich wissenschaftlicher und patriotischer Eifer seit Jahrzehnten bemüht. Mit Befriedigung können wir feststellen, daß sie im Berichtsjahre zu einem gewissen Abschluß gelangt ist. Von der großen Quellenpublikation der Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte des Kurfürsten ist der letzte Band der Abteilung: Politische Verhandlungen erschienen, ein ungeheures Material liegt damit vollständig vor ( 1055). Der von M. Hein mit Sorgfalt und Sachkenntnis bearbeitete Band umfaßt im wesentlichen die meist in auszugsweiser Zusammenfassung wiedergegebene Korrespondenz zwischen dem Kurfürsten und seinen Gesandten und


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Beauftragten in Polen, Braunschweig-Lüneburg, Dänemark, Schweden und Ostfriesland während der letzten Jahre der Regierung Friedrich Wilhelms. Vielfach noch ergänzt, z. B. durch Berichte Spanheims aus Paris und Schmettaus aus Wien, bietet sie ein lückenloses Bild der brandenburgischen Politik gegenüber den nordischen Mächten und den norddeutschen Fürstentümern in der fraglichen Zeit. -- Die auch nach außen trefflich ausgestattete Biographie des Kurfürsten von H. v. Petersdorff ( 1053) entspricht, obwohl sie sich an weitere Kreise wendet und auf Literaturangaben und Anmerkungen verzichtet, durchaus den Anforderungen der Wissenschaft. Ohne irgendwie weitschichtig zu werden oder sich in Einzelheiten zu verlieren, gibt Petersdorff doch eine überaus eingehende, dabei anziehende und fesselnde Darstellung der Wirksamkeit Friedrich Wilhelms von seiner Jugend, während der Brandenburg sich in einer höchst demütigenden Lage befand, bis zu dem Ausgang, bei welchem der Staat gefestigt und geachtet als eine nicht mehr zu übersehende, wichtige Figur auf dem Schachbrett Europas stand. Nach Schilderung der Zeit bis zum Regierungsantritt und der politischen Lehrjahre, die das erste Ringen um Pommern beim Ausgang des Dreißigjährigen Krieges und den mißglückten Überfall auf Jülich in sich schließen, behandelt der Verfasser in einem besonderen Kapitel zusammenfassend Friedrich Wilhelms Persönlichkeit. Eine einseitig borussische Stellungnahme wird man ihm bei aller Bewunderung, die er offenbar seinem Helden entgegenbringt, dabei kaum vorwerfen können. Er verschweigt nicht die mannigfachen Fehler und Schwächen der Politik des Kurfürsten, er gibt ihre »duplicité«, über welche die jeweiligen Bundesgenossen mit Recht klagten, zu, er betont auch, daß es nicht angehe, den zwar deutsch fühlenden, aber doch in seiner politischen Haltung nur von rein brandenburgischen Interessen bestimmten Fürsten als einen bewußten Vorkämpfer des nationalen Gedankens zu feiern. Die Belege für diese allgemeinen Darlegungen bringen die folgenden Abschnitte, die sich mit der staatsmännischen Tätigkeit Friedrich Wilhelms seit 1650 befassen. Die ersten Reformversuche führen auf die Persönlichkeit des Grafen Waldeck, der, ebenso wie später Schwerin und Derfflinger, eine ausgezeichnete Charakteristik erhält. Der Kampf um die preußische Souveränität schafft die Grundlage für die Sicherung der Machtstellung im Innern, die der Kurfürst in den sechziger Jahren durchführt, während er gleichzeitig nach außen eine Politik der freien Hand betreibt. Dem Kampf um die evangelische Freiheit, wie Petersdorff das Eintreten für Holland gegen Ludwig XIV. doch wohl nicht ganz zutreffend nennt -- auch daß es sich hierbei um den größten Entschluß Friedrich Wilhelms gehandelt habe, leuchtet mir nicht ein --, und dem glorreichen, im Endergebnis aber erfolglosen Krieg gegen Schweden folgt die Zeit des engen Bundes mit Frankreich, dessen reichsschädliche Wirkung nicht bestritten wird. In den letzten Jahren allerdings steht der Kurfürst wieder gegen den Sonnenkönig, nicht nur aus religiösen, sondern auch aus politischen Gründen. Unterdessen ist der Ausbau Brandenburg-Preußens vor sich gegangen, in einem besonderen Abschnitt unter diesem Titel schildert Petersdorff Verwaltungs- und Wirtschafts-, Kolonial- und Kulturpolitik. Mit einem Bericht über die Familienverhältnisse und den Ausgang des Kurfürsten schließt das treffliche Buch, dem noch einige wichtige Dokumente: Gutachten, Instruktionen und Schreiben aus der Feder Friedrich Wilhelms, als Anlagen beigegeben sind.

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Die Gestalt des Großen Kurfürsten hat schon immer auch jenseits der deutschen Grenzen die Beachtung zünftiger und nichtzünftiger Historiker gefunden und findet sie erfreulicherweise noch. Dem englischen Publikum will C. E. Maurice die Bedeutung dieses Hohenzollern durch eine ausführliche Darstellung seines Lebens erschließen ( 1054). Man wird das wohlgemeinte Buch nicht an Petersdorffs Biographie messen dürfen, es ist in weit stärkerem Maße populär. Es soll jedoch anerkannt werden, daß der Verfasser sich eifrig in der früher erschienenen deutschen und französischen Literatur über den Kurfürsten umgesehen hat -- auch holländische Quellen, die Memoiren und Korrespondenzen de Witts, sind mit Erfolg herangezogen -- und daß er es versteht, die Wirksamkeit Friedrich Wilhelms, dessen Persönlichkeit er durchaus gerecht wird, in flüssiger Weise zu schildern. Leider sind ihm bei der Besprechung von Dingen, die nicht unmittelbar in die Zeit des Großen Kurfürsten gehören, eine Reihe von Versehen unterlaufen, wie denn z. B. in dem eingangs aufgestellten Stammbaum der Hohenzollern Friedrich der Große und sein Nachfolger Friedrich Wilhelm II. als eine einzige Person aufgeführt werden.

Noch sind einige Arbeiten zu nennen, die sich mit einzelnen politischen Ereignissen aus der Geschichte des Kurfürsten beschäftigen. Die bisher ungedruckte Dissertation A. Neubourgs über den Münsterschen Krieg von 1665--1666 leuchtet in einen verhältnismäßig unbekannten und doch sehr wichtigen Abschnitt der Politik Friedrich Wilhelms hinein ( 1058). Ihm war es vor allem zu danken, daß dieser Krieg zwischen dem kampflustigen Münsterschen Bischof Christoph Bernhard von Galen und den Holländern durch den Klever Frieden sein Ende fand. Die Arbeit, die hauptsächlich aus den die sechziger Jahre behandelnden Bänden der »Urkunden und Aktenstücke« und aus den im Jahre 1743 veröffentlichten Papieren des französischen Diplomaten d'Estrades schöpft, bringt zwar kaum überraschend neue Aufschlüsse, wohl aber eine eindringende Schilderung der Ursachen des Münsterschen Angriffs, der Wirkung des Kriegs auf die benachbarten Staaten und die großen Mächte, sowie der nach Abschluß der Allianz zwischen Brandenburg und den Generalstaaten eingeleiteten Verhandlungen in Kleve. Von der eigenartigen Persönlichkeit des »Soldaten in der Soutane« und seinen politischen Anschauungen und Tendenzen gibt die Verfasserin ein im ganzen zutreffendes Bild. Bemerkenswerte Streiflichter fallen auf die überaus geschickte Haltung Frankreichs während des Krieges. -- Zu der mir leider nicht zugänglichen Schrift G. Winters über die Schlacht bei Fehrbellin bringt C. Jany ergänzende Bemerkungen ( 1061). Das Zögern des Kurfürsten vor dem Aufbruch zur Befreiung der von den Schweden schwer bedrängten Mark erklärt sich aus politischen Gründen: er mußte sich zunächst der Mitwirkung Dänemarks und Hollands beim Kampf gegen Schweden versichern. Jany behandelt ferner die Affäre des Kommandanten von Magdeburg Schmidt von Schmiedeseck, der wegen angeblichen Verrats verhaftet wurde. Im Gegensatz zu Winter hält er den Verrat Schmidts keineswegs für erwiesen.

In der Lebensgeschichte des Großen Kurfürsten begegnen uns markante Frauengestalten, seine erste Gemahlin insbesondere, die Oranierin Luise Henriette, dann aber auch eine Französin, die energische Königin Luise Marie von Polen, mit der Friedrich Wilhelm zeitweise eine lebhafte politische Korrespondenz unterhielt. Umgekehrt hat seinem großen Gegenspieler, dem Sonnenkönige,


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eine deutsche Frau nahegestanden, seine berühmte Schwägerin, die Pfälzerin Liselotte. Das Interesse für sie scheint nicht zu erkalten: nachdem im letzten Berichtsjahr M. Strichs Darstellung ihres Lebens erschienen ist (vgl. Jahresberr. I, 1925, S. 261), kann in diesem Jahr J. Wille seine treffliche Biographie der urwüchsigen, gescheiten Prinzessin in vierter erweiterter Auflage vorlegen ( 1057). Auf Grund der beiden sich gegenseitig in der wertvollsten Weise ergänzenden Bücher dürfte nunmehr Liselottes Bild, ihr Wesen und Wirken, ihre Vorzüge und ihre Fehler, endgültig feststehen. Willes anziehende Schilderung verrät insbesondere ein gutes Einfühlungsvermögen in die geistige Haltung der merkwürdigen Frau, in ihre von bizarren Einfällen nicht freie, im ganzen aber auf dem Grundsatz der Toleranz sich aufbauende Stellung zu den religiösen Fragen. -- Von Liselottes Vater, dem um die Pfalz so hochverdienten Karl Ludwig, handeln zwei kleinere Mitteilungen C. Speyers ( 1060, 1067). Einmal berichtet er über den literarischen Streit, der sich im 18. Jahrhundert um die Frage der Duellforderung des Kurfürsten an Turenne als Führer der die Pfalz verwüstenden französischen Truppen erhoben hat, und druckt die zwischen Karl Ludwig und dem Marschall gewechselten Schreiben sowie den Bericht Turennes an den Kriegsminister Louvois ab. An der Tatsache der Forderung, die schon Voltaire als sicher angenommen hatte, kann danach kein Zweifel sein. In dem andern Aufsatz wird nachgewiesen, daß der im Jahre 1693 erschienene Roman in Gedichtform: Des Churfürsten Carl Ludwig Liebes-Händel mit der Baronessin von Degenfeld, teilweise aus einer Dichtung des der schlesischen Dichterschule entstammenden Daniel Caspar von Lohenstein gefälscht worden ist.

Nur mittelbar berühren sich mit der deutschen Geschichte jener Zeit zwei Arbeiten, auf die aber doch wenigstens kurz hingewiesen werden soll. Der Holländer S. Elzinga legt in einem umfangreichen Buch das Ergebnis breitangelegter Studien über die Vorgeschichte des kriegerischen Zusammenstoßes zwischen dem Frankreich Ludwigs XIV. und den Generalstaaten im Jahre 1672 vor ( 1059). Diese Vorgeschichte liegt, wie man schon wußte, wie Elzinga nunmehr aber durch eine eingehende Untersuchung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Frankreich und Holland von 1660 ab im einzelnen belegt, wesentlich auf wirtschaftlichem Gebiet. -- In einer kleineren Abhandlung stellt E. v. Danckelman gegenüber Roloff fest, daß von einer Mitwisserschaft des Papstes Innozenz XI. um die Expedition Wilhelms von Oranien nach England im Jahre 1688 keine Rede sein kann, und teilt zum Beweis eine Reihe von Dokumenten aus dem Vatikanischen Archiv, insbesondere eine Anzahl Berichte des päpstlichen Nuntius in Wien Buonvisi und Stücke aus dem Briefwechsel zwischen dem Londoner Nuntius d'Adda und dem Kardinalstaatssekretär Cybo mit ( 1066). Der Papst war zwar über das Verhalten Ludwigs XIV. erbittert, den Sturz von dessen englischen Bundesgenossen Jakob II. hat er aber keineswegs gewünscht.


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